26. März 2010. Das nachtkritik-Krisometer macht Schule. Heute widmet sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung auf einer ganzen Seite den Finanzsorgen im Kulturbereich. Fallbeispiele stammen aus NRW, Schleswig-Holstein, Berlin und Brandenburg sowie Baden-Württemberg. Hier der Überblick zur Lage der Dinge zwischen Ostsee und Schwarzwald.

Das Land der Tüftler braucht die Kunst

In vier Artikeln blickt die Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.03.2010) auf die gegenwärtige kulturpolitische Situation in einzelnen Bundesländern. Wir haben die Informationen über den Theaterbereich herausgehoben:

Nordrhein-Westfalen

Am größten sei die Not im Ruhrgebiet, "wo sich seit fünfzig Jahren noch jede Krise zuerst bemerkbar macht", berichtet Andreas Rossmann. Die Theater und Philharmonie GmbH Essen (TuP) sähen Zuschusskürzungen "2010 um fast eine, 2011 um dreieinhalb, 2012 um 5,3 und 2013 um 7,1 Millionen Euro" entgegen.

In ähnlicher Weise seien das Kunstmuseum Mülheim, das Schlosstheater in Moers, Theater und Kulturbetriebe in Dortmund und das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier unter Druck geraten. In Bochum solle "die Kultur 2015 mit zwanzig Prozent weniger als 2009 auskommen."

"Weiterkürzen bedeutet Kaputtsparen. Das Ende der Fahnenstange, das schon so oft beschworen wurde, ist erreicht", schließt der NRW-Theaterkritiker der FAZ Rossmann. "Helfen kann nur eine Umverteilung zugunsten der Städte, auf die der Bund, wie zuletzt mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz, und das Land immer mehr Lasten abgewälzt haben."

Berlin und Brandenburg

Während das "hochverschuldete Bundesland Berlin" der Krise durch Erhöhung der Kulturausgaben um 16,5 Millionen Euro trotze, erlebt Brandenburg gerade die gegenteilige Entwicklung. In den "kreisfreien Städten Cottbus, Frankfurt (Oder) und Brandenburg/Havel wächst der Schuldenberg den Magistraten über den Kopf", berichtet Andreas Kilb.

Seit langem gäbe es "Pläne, das Brandenburgische Staatsorchester zu einem Klangkörper der Kategorie B herabzustufen und ins Kleist-Forum umzusiedeln." Wo wiederum die Position eines künstlerischen Leiters zur Disposition gestellt werden soll. Zur Erinnerung: das Kleist-Forum mit unterschiedlichen Gastspielen (unter anderem vom Hans Otto Theater Potsdam und dem Brandenburger Musiktheater), aber ohne festes Ensemble, ist das was vom abgeschafften Frankfurter Theater übrig blieb.

In Brandenburg an der Havel, "dessen Haushalt unter scharfer Beobachtung der Finanzaufsicht steht", und wo es wiederum schon lange kein Schauspielensemble mehr gibt, wolle man für das Theater "verstärkt arbeitslose Schauspieler aus Berlin engagieren." Außerdem schrumpfe der Etat der Brandenburger Symphoniker, "externe Solisten und Dirigenten soll es in Zukunft nicht mehr geben. Der scheidende Generalmusikdirektor Michael Helmrath spricht vom 'Rückfall in die Provinzialität'".

Schleswig-Holstein

Eine Theatergründung in der 900-Seelen-Gemeinde Kattendorf (im Anbau der Sporthalle, 132 Plätze, mit richtigem "roten Samtvorhang") kann nicht darüber hinwegtäuschen: "Dramatisch" sei die Situation "inzwischen überall dort, wo das Land Mittel zur Verfügung zu stellen hat", berichtet Frank Pergande aus S-H.

Neben Kiel und Lübeck besitze S-H das "von mehreren Landkreisen und Kommunen getragene Landestheater, eine Art Reiseunternehmen, das zwölf Spielstätten im Landesteil Schleswig unterhält und in Flensburg sitzt." Dessen Zuschüsse seien seit 2007 auf knapp 37 Millionen Euro festgesetzt, wodurch weitere Kostensteigerungen nicht ausgeglichen werden können. Schon 2009 habe diese Summe nicht mehr ausgereicht.

"Der Landtag will eine sogenannte Lenkungsgruppe einsetzen, die eine Strukturreform der Theaterlandschaft vorbereiten soll. Wogegen die Theaterleute am Wochenende vor dem Landtag protestieren wollen. Sie fürchten ein 'amputiertes Haus'", so Pergande.

Von den übergreifenden Sparzielen der schwarz-gelbe Regierungskoalition unter Ministerpräsident Carstensen (CDU) sei bereits durchgedrungen, "dass die Mittel für Kultur und kulturelle Bildung in diesem Jahr um zehn Prozent, in den beiden Folgejahren noch einmal um 15 Prozent gekürzt werden sollen." Der Protest formiert sich auf dem Portal www.kulturprotest.de.

Baden-Württemberg

Positiver stellt sich die Lage im Süden dar, denn "ein gutes Jahr vor der Landtagswahl und immerhin im zweiten Jahr der Wirtschaftskrise müssen Theater, staatliche Galerien, Kunstakademien und Museen einen drastischen Sparkurs nicht fürchten", vermeldet Rüdiger Soldt. "Fast scheint das Gegenteil der Fall zu sein: Es ist auf Landesebene sogar noch möglich geworden, zusätzlich Geld auszugeben." Ein Prozent des Gesamtetats (etwa 340 Millionen Euro) werde in B-W für Kunst und Kultur ausgegeben. Denn "Kunst und Kultur sind in dem Land der Tüftler und Ingenieure immer als Zukunftssicherung begriffen worden", so Soldt.

Allerdings heißt es weiter, "wenn Kommunen, Firmen oder Mäzene ihre Ausgaben kürzen, kann das Land hierfür zukünftig nicht in die Bresche springen. Anders gesagt: Die wichtigsten Entscheidungen treffen die Stadträte in den großen Städten." So müsse das größtenteils kommunal finanzierte Mannheimer Nationaltheater doch eine Million Euro einsparen; in Ulm werde die Sanierung des Theaters "zum Teil verschoben", Pforzheim prüfe, ob es sich das Südwestdeutsche Kammerorchester noch leisten könne. Doch gibt es auch auf diesem Ende Hoffnungsvolles zu vermelden: die Mannheimer freie Theaterszene erhalte mehr Geld; Karlsruhe konnte sein Theater "noch schonen."

Sorgenkind ist vor allem die Landeshauptstadt. "Im vergangenen Herbst waren die Kulturschaffenden schon mit einer 'Art Parade' vors Stuttgarter Rathaus gezogen, weil die Stadt drei Millionen von 61,2 Millionen Euro dauerhaft in der Kulturförderung streichen musste", berichtet Soldt. Falls die Kulturschaffenden keine "Vorschläge machen, wie von 2011 an dauerhaft weitere 450 000 Euro gespart werden könnten", würden "allen Kultureinrichtungen (ausgenommen sind Theater und Festivals) die Subventionen pauschal um zehn Prozent gekürzt."

 

Weitere Informationen zu aktuellen Sparplänen und der Debatte um die finanzielle Situation der Theater und Künstler finden Sie im nachtkritik-krisometer.

 

 

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