Wenn es Nacht wird - Christian Weise inszeniert Szenen und Samples von Falk Richter am Ballhaus Ost
Vergesst die Selbstverwirklichung!
von Esther Slevogt
Berlin, 26. März 2010. Ja, was sagt man nun zu alledem? Die Welt ist alles, was an Klischee von ihr existiert, weil ein Menschenbild zwischen all dem Schrott, den Werbung und Filmindustrie produzieren, sowieso nicht mehr aufrechtzuerhalten ist? Was soll das überhaupt sein, ein Mensch? Kann es außerdem sein, dass auch ein Dramatiker vor lauter Medienkonsum die Wirklichkeit gar nicht mehr von den entsprechenden Zurichtungen in Funk und Fernsehen (und dem Theater, das glaubt: so ist sie, die sogenannte Welt) unterscheiden kann? Aber trotzdem so tut, als sei er der letzte, der noch weiß, wo die Grenze verläuft, an der das richtige Leben aufhört und das falsche beginnt?
Verzweiflungsabziehbilder
Aber zurück ins Berliner Ballhaus Ost, wo gestern "Wenn es Nacht wird. Männer am Rande des Nervenzusammenbruch" uraufgeführt wurde, dem Untertitel zufolge "Szenen und Samples von Falk Richter". Die gesamte Ballhausrückwand füllt ein Porträt von George Clooney, der jüngst als neoliberaler Hermes und manischer Flugmeilensammler (der nur auf Flughäfen zu Hause ist) das Gesicht von Jason Reitmanns Film Up in the Air war, dem diese Inszenierung einiges verdankt, nicht nur manchen Dialog. George Clooney, der in den USA erst ein gefragter Serienheld war, bevor er in Hollywood reüssierte, gefeierte Projektionsfläche für jene werbungsgenerierte Frauen- und Männerträume, die dieser Abend aufs Korn nimmt: in den nämlich lauter Figuren eingeführt werden, die nur noch nach dem abgestandenen Glamour dieser mediokren Kunstwelten gieren.
Das ist ihr Unglück, behauptet das Stück, das nun lauter Verzweiflungsabziehbilder in rasenden Bildfolgen vorbeirauschen lässt: ein getrenntes junges Elternpaar, das Übergabemodalitäten für das gemeinsame Kind aushandelt und sich dabei üble Kränkungen um die Ohren haut. Ein Homosexueller, der seinen Ex durch die Wohnungstür anjammert, bis er eingelassen wird. Eine Frau, die ihrem Mann vorwirft, in seinen Träumen ein Leben ohne sie zu führen. Ein Manager beim Therapeuten. Ein Pornofilmregisseur bei der Arbeit. Lauter Menschen, die irgendeiner jämmerlichen Selbstverwirklichung oder erbärmlichen Liebesversuchen hinterherhecheln. Wobei Richter mit jeder Zeile seinen Figuren abspricht, überhaupt ein Selbst zu haben, dessen Verwirklichung sich lohnen würde. Eigentlich gibt er nur ziemlich armselige Gestalten zum Abschuss frei.
Puppen-Soaps vor George Clooney
Aber dann ist da noch die Inszenierung von Christian Weise, der diesmal mit dem Puppentheater Halle und den Puppenbauerinnen Suse Wächter und Franziska Müller-Hartmann zusammengearbeitet hat. Gemeinsam haben sie das Maskenhafte an Falk Richters Menschenbild zugespitzt, lassen die Schauspieler tatsächlich mit Menschenmasken spielen, auf denen jedes Gesicht zur Fratze erstarrt ist: der Psychoanalytiker mit zurückgekämmter blonder Haarpracht und von Betroffenheit zerfurchter Mine; der Manager mit den herrisch aufgerissenen Augen und einem zum Schrei halbgeöffneten Mund; die junge Frau, Asiatin vielleicht, die in einem banalen Schönheitsschmerz eingefroren scheint – das ist ein Kunstgriff, der den Text und all seine Klischees zur Farce zuspitzt, und so erst die Abgründe aufreißt, um die er sich bemüht.
Die Bühne wirkt wie eine schrottige Rumpfversion der Ausstattung zu Falk Richters Inszenierung von Sarah Kanes "4:48 Psychose" im Winter 2001 an der Berliner Schaubühne, obwohl Jan Pappelbaum und nicht, wie damals, Katrin Hoffmann für das Bühnenbild verantwortlich ist (und manchmal fragt man sich, ob hier die Lebensgier wohl bloß noch verspottet wird, die vor zehn Jahren Kanes Dramatik noch existenziell grundieren konnte?).
Hinten ein Glaskasten, durch dessen Scheiben die Fratze George Clooneys als Schönheits- und Lebensideal droht. Vorn ein Podest mit Tischchen und Bett, über dem ein Monitor hängt, wo es immer wieder kleine Filme gibt, die live aus dem Innern des Glaskastens übertragen werden: Szenen, in denen Handpuppen und Marionetten Sequenzen aus Fernsehserien nachspielen, mit deren Herstellung unter ihren Masken die Akteure befasst sind. Etwa eine Soap aus dem Leben einer Standby-Kraft für eine global operierende Leih- und Zeitarbeitsfirma, die man bei ihrer stupiden Tätigkeit an einem Infrarotscanner beobachten darf (ja, nur der Dramatiker hat eben einen Beruf, der das Leben lebenswert macht). Oder eine Pornofilmsequenz mit Marionetten, bei deren Übertragung die Charaktermaske heftig onaniert, stellvertretend für die 700 anderen in der Hotelkette, die diesen Film in ihrem Serviceprogramm hat, wie man hört.
Rabenväter, Rabensöhne
So weit, so grotesk und unterhaltsam. Auch eines super agierenden Ensembles wegen, fast alle vom Neuen Theater Halle, dem auch das Puppentheater angegliedert ist: Steffi König, Sebastian Fortak, Hannes Benecke, Arne van Dorsten, Max Braun oder Kerstin Daley. Wenn dann die Sache nicht auch noch zutiefst moralisch wäre. Denn soviel Selbstverwirklichungsdrang fordert natürlich Opfer. Und wie wusste schließlich schon Wilhelm Busch: "Wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe!"
Es gibt nämlich eine Rahmenhandlung. In einem Altersheim wartet eine alte Frau darauf, dass ihre Söhne zu Besuch kommen, oder wenigstens anrufen. Sie hat Geburtstag und auf ihrem Tisch anstelle der Söhne drei Barbiemänner aufgestellt. Denn kein Sohn kommt. Seit Jahren das Gleiche schon. Die Handys sind ausgeschaltet, derweil sie ihren erbärmlichen Lebensversuchen nachgehen, bei denen wir ihnen zwei Stunden lang zusehen dürfen. Und Mutter (gottseidank von der resoluten Hannelore Schubert gespielt) wartet deshalb umsonst. So wie der Junge, der am Flughafen von seinem Manager-Filmproduzenten-Wichtigtuer-Vater vergessen wurde. Bis dann die alte Mama aus dem Altersheim ausbüxt, das Kind am Flughafen findet, man sich zum Brüder-Grimm-haften-Märchenduo zusammenfindet. Und schon wieder eine neue Geschichte beginnt. Die wir hier aber lieber nicht mehr erzählen wollen.
Wenn es Nacht wird. Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs
Szenen und Samples von Falk Richter
Koproduktion des Puppentheaters Halle mit dem Ballhaus Ost und der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch"
Inszenierung: Christian Weise, Bühne: Jan Pappelbaum, Kostüme: Daria Kornysheva, Musik: Jens Dohle, David Günther, Masken: Suse Wächter, Puppen: Fransziska Müller-Hartmann, Marionetten: Lilian Matzke, Video: Ralf Arndt, Dramaturgie: Maria Viktoria Linke.
Mit: Sebastian Arranz, Hannes Benecke, Max Braun, Kerstin Daley, Arne van Dorsten, Sebastian Fortack, Steffi König, Hannelore Schubert.
www.ballhausost.de
www.kulturinsel-halle.de
www.hfs-berlin.de
Was dem Redakteur Nikolaus Merck in den Sinn kam, als die Ankündigungsmail zur diesem Falk-Richter-Abend im nachtkritik-Postfach eintrudelte, lesen Sie im Redaktionsblog. Er war auch zugegen als Christian Weise im September 2009 am Ballhaus Ost seine ziemlich durchgeknallte Lewis-Carrol-Version Alice Under Ground zeigte, mit Starspielerin Anne Tismer.
Kritikenrundschau
"Es ist tatsächlich eine Nachtvorstellung, die hier geboten wird - aber eine, wie es sie in dieser Virtuosität sonst nirgendwo zu sehen gibt," schreibt Andreas Hillger in der Mitteldeutschen Zeitung (3.4. 2010) nach der Premiere in Halle. "Weise hat für diesen zeitweise knallharten, am Ende aber wunderbar sentimentalen Abend ein Ensemble aus halleschen Puppen- und Schauspielern sowie Berliner Gästen zusammengestellt, das jeder Erwartung gerecht wird." Der Regisseur stapele Fläche auf Fläche, bis sein Erzählraum Tiefe gewinnte: "Während sich im Vordergrund Masken und Menschen begegnen, werden in dem dahinter liegenden, um 90 Grad gedrehten Raum die Puppen-Videos gedreht, die für den Zuschauer in Echtzeit auf einem Bildschirm und einem Vorhang erscheinen." Multitasking-Theater nennt der Kritiker das: "eine Simultan-Situation für die Generation der verzettelten Netzwerker – also für jene, die auch urbanen Unbehausten, die auch durch Falk Richters Geschichten geistern." Richter sei ein Meister im Erfinden absurder neoliberaler Biografien im Zeitalter der Globalisierung, die er zudem mit medialen Fiktionen verlinke: "Wer lebt hier noch ein wirkliches Leben – und wer spielt schon in einer Seifenoper? Die einzigen Figuren, die ohne Masken durch die Welt gehen, sind eine alte Frau und ein kleiner Junge – alleingelassen und vergessen, aber immer noch mehr bei sich selbst als die Transitreisenden oder die sexsüchtigen Internet-Junkies."
In einem gewissen Sinne ist dieses Stück eine Weiterverarbeitung von Richters "Psychose" und "Verstörung", nur mit schlechteren Mitteln. Die anfängliche Verweigerung bei der homosexuellen Szene erinnerte ebenso an "Verstörung" wie der Analverkehr der sich entkleidenden Figur mit der rundlich gedrungenen Statur (damals mit Cathomas). Was aber in der "Schaubühne" noch ein gewisses künstlerisches Niveau erlangte, degenerierte in "Wenn es Nacht wird..." zur Fratze. Was geht mich die chronische Onanie-Leidenschaft einer Person auf der Couch an? Und dann dieser ständige Maskenwechsel, dazwischen Puppentheater reinsten Wassers, geeignet für Kinder unter 10, wenn nicht die sexuellen Themen wären. Das ganze Stück war ein künstliches Sammelsurium, wahllos aneinandergereihte Themen von problembeladenen Menschen mit gelegentlichen geistigen Ausfällen. Selbstverständlich kann man auch das Scheitern thematisieren, dann aber bitte etwas besser. Bei „Psychose“ erreichen die psychischen Störungen und die Kommunikationslosigkeit ihren Gipfel – allerdings stehen dort bessere Schauspieler auf der Bühne.
War bei Weises „Alice underground“ Anne Tismer noch der einzige Lichtblick, so fehlte der nun ganz. Esther Slevogt ist zu beneiden: anscheinend hat sie ihre ästhetischen Erwartungen dermaßen heruntergeschraubt, dass ihr solche geistige Kost auch noch gefällt. Ich gebe es zu, ich habe – gelitten. Insgeheim sehnte ich mich nach einem guten Castorf (zum Glück kommt „Fuck off, Amerika“ bald wieder, sogar mit Sophie Rois) oder nach dem DT.
Eine klasse Schauspielerin (Hannelore Schubert), die schon häufiger mit Herrn Weise gearbeitet hat in Halle, ist zu sehen.
Lieber Stefan. Ja, leider können wir vorerst keine weiteren Vorstellungen von "Wenn es Nacht wird..." planen. Wir empfehlen aber vielleicht eine Reise nach Halle?
Grüße aus dem Ballhaus Ost
die umsetzung ist großartig! extrem intelligent, wie die unterschiedlichen ebenen erzählt und ins verhältnis miteinander gesetzt werden.
Waren die Vorstellungen heute (Sonntag) und gestern gut gefüllt oder gar ausverkauft? Denkt doch nochmal nach es in den Spielplan zu nehmen!
Würde auch nach Halle fahren, aber für die Premiere gibt´s schon keine Karten mehr...
die drei vorstellungen waren komplett ausverkauft. aber trotzdem können wir die vorstellung hier nicht mehr spielen, da wir den antrag beim hkf nicht durchbekommen haben. somit haben wir keine mittel zur weiteren finanzierung. das ist sehr schade, denn viele sind sehr interessiert, aber leider sind wir von den kulturgeldern, die uns die stadt berlin gewährt, abhängig.
In dem Stück wird mir zu viel gescheitert. Das hat mir mein eigenes Scheitern vor Augen geführt.
Meine Berufspläne als zukunftiger "Koordinator der Aktion zur Wiedereinbürgerung der Uhus" gelangen ebensowenig wie ein Job beim Finanzamt mit dem Schwerpunkt Schwarzarbeit. Danach versuchte ich, als Schwarzgeld-Kurier Fuß zu fassen - vergeblich...
Mir hat das Stück nicht gefallen - trotzdem viel Glück in Halle.
schon ihr name sagt alles...zum scheitern verurteilt anscheinend. warum müssen sich hier immer wieder offensichtlich in der kunst gescheiterte zu wort melden...??
Nach dem Scheitern steht man wieder auf - die Figuren im Stück tun es leider nicht.
Was mich anbelangt - momentan kann ich in finanzieller Hinsicht nicht klagen. Mein Problem ist, dass ich bei den meisten Menschen nur Mitleid empfinde.
Um beim Stück zu bleiben: die beiden nackten Puppen haben mir noch am besten gefallen. Die Frau lag auf dem Mann, danach 69, und das ist auch gut so. Irgendwann muss man sich mal erholen.
Bleibt also nur auf einen unverhofften Geldregen zu warten oder sich tatsächlich auf den Weg nach Halle zu machen. Das würde sich aus meiner Erfahrung heraus auch lohnen. Halle ist schon mal eine Reise wert. Zu empfehlen sind außer der Kulturinsel auch das Thalia-Theater und für die Fans der bildenden Kunst das Museum des Landes Sachsen-Anhalt Stiftung Moritzburg mit dem Bildernachlass von Einar Schleef und einer bemerkenswerten Sammlung der Brücke-Künstler. Danach geht man am besten ins Objekt 5, wo es außer gutem Bier auch regelmäßig Live-Musik gibt. Also langweilig wird ein Wochenende in Halle mit Sicherheit nicht.
Das, was Sie als Ferkeleien bezeichnen, habe ich als Zuschauer dieses Stücks mitverfolgen dürfen. Also sind das keine Ausgeburten meiner Phantasie und es kann auch darüber gesprochen werden. Es handelte sich um das ungezwungene Spiel der Körper, wobei die Frau die Hauptarbeit verrichtete. Dass es dabei zu leichten Auswüchsen kommen kann, liegt in der Natur der Sache, muss aber nicht sein und wurde auch nicht gezeigt.
Mit Intelligenz hat das freilich nichts zu tun.
Ich benutze das Internet nicht, um mich in der Porno-Ecke zu bedienen.
Das Puppentheater Halle ist nicht dem neuen theater "angegliedert", sondern ist eine eigenständige künstlerische Sparte der Theater-Oper-und-Orchester GmbH in Halle, mit eigenem Ensemble, einer spezifischen Ästhetik, eigenem Spielplan usw.
Hannelore Schubert ist in der Tat im Ensemble des neuen theaters/schauspiel halle (und das seit bald zwei Jahrzehnten),
Kerstin Daley, Steffi König und Sebastian Fortak sind Ensemble-Mitglieder des Puppentheaters Halle.
Hannes Bennecke ist freischaffend (war im Ballhaus zu sehen in C. Weises "Alice")
Sebastian Arranz und Arne van Dorsten sind Studenten der HfS "Ernst Busch" Berlin.
By the way: die Marionetten-Kopulationsszene scheint mir aus dem großartigen Marionetten-Film "Team Amerika" von Trey Parker und Matt Stone adaptiert (?) zu sein.
Schon allein wegen Suse Wächters Puppenspiel hätte ich mir die Inszenierung gern angesehen. Denn durch die Puppen spricht der Text. Den kann man hören. Im Gegensatz zum immer-nur-Visuellen, im Gegensatz zum hirnlosen Glotzen.
Wer sonst mal zufällig ;-) in Halle ist, dem kann ich noch am Opernhaus (ebenfalls eine Uraufführung!) des Musicals "Edgar Allan Poe" empfehlen.
Klar ist, wenn Sie, liebe Rosa L. immer, hübsch vorher, den jeweiligen Besetzungszettel studieren (lesen reicht auch), dann wird Sie das vor Irrtümern bewahren. Herzlichst, E.E.
Was wohl weit eher Ihren Geschmack getroffen hätte, waren zwei weibliche Puppen, die daherredeten, als hätten sie gerade eine Psychoanalyse absolviert. Manchmal hat man nach einer Analyse plötzlich eine neue Struktur in den Händen, sofern sie einem nicht zwischen den Fingern hindurchgleitet. Die Puppen taten also das, was eine Ihrer am meisten forcierten Beschäftigungen zu sein scheint: das Analysieren. Eine Figur bemängelte den nötigen Biss. Den haben Sie wohl schon, Rosa, obwohl Sie manchmal wirken, als seien Sie vom wilden Affen gebissen worden.
Wenn Sie noch weitere Einzelheiten wissen wollen, wenden Sie sich doch an Esther Slevogt. Oder fahren Sie ganz einfach nach Halle. Und nehmen Sie sich einen charmanten Begleiter mit, Stefan zum Beispiel.
(Liebe User,
wie Stefan schon kritisch anmerkte, driftet dieser Thread immer mehr in Richtung Privat-Chat. Wie unernst dieser auch immer gemeint sein und wie sehr er die Beteiligten selbst auch erfreuen mag, überschätzen Sie doch bitte nicht den Unterhaltungswert für den Rest der nachtkritik-Community.
Vielleicht begeben Sie sich wieder auf die Pfade der themenbezogenen Diskussion?
Mit freundlichen Grüßen,
Anne Peter/Redaktion)
ich habe schon ALICE UNDER GROUND von christian weise gesehen und hoffe, dass er weiter am ballhaus ost produzieren wird. es sind beides bemerkenswerte arbeiten, die dem ballhaus als theaterort ein profil geben. mit seinem regiestil wie auch den spielern, die in beiden arbeiten dabei sind und die in höchstform agieren. man merkt das auch am publikum. ich saß beide male in völlig ausverkauften vorstellungen und das macht spass. vor allem im berliner off theater, wo man oft in trostlos leeren sälen hockt.
@ 23.: Es ist mir nicht entgangen, dass es hier vor allem um Masken ging. Ich wollte das erst noch nachschieben, dachte mir dann aber, dass es sich vielleicht auch von allein erschließen könnte. Denn ob nun Masken oder Puppen, sie lassen mich mehr auf den Text hören, weil ich in dem Fall nicht in Versuchung geführt werde, den Schauspieler mit seiner Rolle zu identifizieren.
Der Schauspieler IST ja nie die Rolle, welche er spielt. Das stellt der sich ja nur vor. Und das ist vielleicht auch im aussertheatralen Kontext oft so. Dass der Geist dem körperlichen Erleben immer weit voraus ist bzw. dieses dominiert. Diese Distanz zwischen Rolle und Schauspieler kann über den Gebrauch von Masken oder Puppen besonders gut demonstriert werden.
Wenn Sie, E.E., meine darauf bezogene Metapher des Textes, welcher durch die Puppen bzw. Masken spricht, nicht verstehen, dann kann ich Ihnen auch nicht helfen.
@ Flohbär: Sie sollten früher ansetzen, und zwar bei der Frage, ob das Medium des Theaters eine (in Ihren Worten) "Kopulationsszene" überhaupt realistisch darstellen kann und sollte, wo der Film das heutzutage doch viel besser leisten kann (wobei eben auch im Film diese Szene oft nur angedeutet wird). Aber ein leidenschaftlicher Kuss, der ist auch auf der Bühne darstellbar. Und warum sollte ein Schauspieler diese Erfahrung nicht auch genießen? Ungünstig ist daran wahrscheinlich nur, dass der sofort weiterspielen muss und sich nicht "verlieren" darf.
Puppenpsychoanalyse dagegen interessiert mich nicht. Wer "Unter Eis" kennt, der erkennt diese Rede vom "Biss" vielleicht auch als Selbstzitat Richters. Dort hieß es im Consulting-Kontext bzw. im Kontext der totalen Ökonomisierung aller gesellschaftlicher Teilbereiche inklusive des eigenen Selbst:
"Man hat auch nicht das Gefühl, dass du etwas vor einem verbirgst. Du kommst geradeaus, nett klar rüber. Den einzigen Punkt...den ich da so hab, ich hab den Biss vermisst, den Angriff, dass du so richtig durchgehst durch das Thema. Das wäre auch letztlich die Dimension, die ich da hab auf dem personality fit, du bist mir ein bisschen zu solide, aber nicht im Angriffsmode so richtig bissig. Die Frage, inwieweit du den entrepreneurial spirit verkörperst, kann ich nicht so richtig beantworten."
George Clooney in "Up in the Air" lässt grüßen. Und das ist eben auch nur die Maske des stets strahlenden Optimismus. Dagegen finde ich die Suse Wächter-Masken irgendwie interessanter, weil die ausserhalb des idealistischen Verblendungszusammenhangs stehen.
Was Sie das aus "Unter Eis" über den "Biss" zitieren, entspricht so in etwa dem Inhalt des besagten Puppengesprächs von Weises Stück. Genau habe ich die Textstelle natürlich nicht mehr im Kopf.
Und was die Erotik anbelangt: sie wird nun einmal in dem Drama thematisiert, deshalb sollte man auch darüber sprechen.
Es wird auch einmal gesagt: "Ficken ficken ficken". Das ist gewiss nicht sonderlich geistreich, es gibt aber auch eine gleiche Stelle in "Verstörung", beim Dialog von Szymanski mit Jenny Schily. Doch das ist Vergangenheit.
Insgesamt kann ich die Redaktion beruhigen: meine vielen Kommentare heute waren eine Ausnahme. Das Dasein als Thread-Kombattant ist mir zu langweilig.
in noch keinem thread habe ich es bisher in so verdichteter Art und Weise (27 Kommentare) erlebt, daß um ein Thema drumherum geschrieben/gepostet wird. Ein Problem scheint zu sein, daß, vielleicht, die Hälfte der Kommentatoren die besprochene Inszenierung nicht gesehen hat/ noch nicht sehen konnte, aber sehr interessiert zu sein scheint, sie zu sehen. Ein zweites Problem ergibt sich wahrscheinlich daraus, daß nur eine geringe Anzahl von Menschen hier, Erfahrung im Sehen von "Formen-Theater" hat. (Außer über Schauspiel wird hier auf nachtkritik.de wenig über andere Formen berichtet/ debattiert). Inszenierungen, die viel Form (Masken, Puppen, Gesang, Tanz) einsetzen haben es nicht leicht, adäquat diskutiert zu werden. Schauspiel (als Kategorie) hat Vorrang. Das ist keine Kritik nur eine Feststellung. Wie kann man also diesem Problem begegnen, sich über den Text hinaus, mit den anderen Theater-Formen zu beschäftigen? Kann also "Wenn es Nacht wird ..." etwas beitragen, zu der Frage, ob es Theater, neben dem Schauspiel, schafft, das was uns als Menschen ausmacht, zu spiegeln, zu befragen? Oder sind neue Texte für, eben diese "anderen Formen" grundsätzlich ungeeignet?
"Pitié" von Alain Platel versucht m.E. diesen Schritt: ohne die direkte Wirkung des Textes mit einem Höchstmaß an Form, wesentlich für die "Befindlichkeiten" des Menschen von heute, Entsprechungen zu finden.
Christian Weise, nicht ungeübt in "Formen-Theater", versucht es auch hier wieder, einen Text "abzuklopfen" nach der Frage: Brauchen ich als Pendant auf der Bühne immer den Menschen, oder kann es auch ein "Ding" sein, daß uns UNS übersetzt, über diesen Umweg näher kommt? Es würde mich sehr viel mehr interessieren, ob der "Umgang" mit der Form/ der Verschrenkung der Formen in dieser Inszenierung ein Mehr an Erhellung über unser tägliches Dasein als Mensch bringt als, vergleichsweise, "Diebe" oder "Der einsame Weg" am DT oder z.B. "Als wir träumten" in Leipzig".
Liebe Rosa L., Sie verlangen ein Höchstmaß an Einfühlungsvermögen, wenn Sie fordern, daß ich aus dem was Sie geschrieben haben, erkennen soll, daß Sie Metaphern benutzen. Nur zur Klarstellung: Sie wollten gern nach Halle fahren, um S. Wächters Puppenspiel zu sehen, oder?! Wie konnte ich das mißverstehen?! Da waren Sie m.E. nicht sehr eindeutig. Ich wagte zu korrigieren.
Was ich aber bislang nicht verstanden habe, ist, was Sie damit meinen, daß sich der TEXT nicht mit dem Schauspieler/ Darsteller verbinden darf, auf das er sich frei entfalten kann. Dies bedeutet für mich, daß kein TEXT theatralisiert werden dürfte, um ihn in seiner reinen Form zu erleben. Theater wäre, um TEXT zu erkennen, zu verstehen, dann doch das am wenigsten geeignete Mittel, oder? Ich verstehe nicht, wie Sie einen TEXT erkennen können/wollen, wenn er durch Medien (Menschen, Puppen) interpretiert wird, außer Sie läsen ihn EBEN NUR.
Ich vermute, wir haben uns in einem anderen Thread über genau dieses Thema auch (noch) nicht verständigen können. (Es ist einige Monate her.)
Ich behaupte, daß jeder TEXT seinen Weg in unseren Geist finden wird, egal welche FORM er benutzt, wenn wir bereit sind, über die Folien Ergriffenheit und Begreifen zum Erkennen zu gelangen. Wozu die Gleichzeitigkeit von Fühlen und Denken (wie ich denke, um den Verlust des Fühlens)? Sind Sie auf der Flucht? Haben Sie keine Zeit, erst das eine und dann das andere zu tun? (Das ist Ernst und keine Polemik.) Ich behaupte weiter, daß der Mensch in erster Linie eine fühlendes Wesen ist und dann ein denkendes. Ich behaupte, all unsere Kunst gäbe es nicht, auch die des Texte-Verfassens nicht, wenn wir nicht in erster Linie fühlende Wesen wären. Ich (und mit Sicherheit nicht nur ich) gebe Ihnen sofort Recht, wenn Sie verlangen, daß wir das Denken nicht zu klein halten, geschweige denn, vergessen dürften, aber es (wie gesagt) zu entkoppeln wäre ein fataler Fehler. Und die Inszenierung(!) von "Wenn es Nacht wird ... " versucht eben diesen (wichtigen) Spagat zwischen Konstruktion und Erleben. Sie haben es bisher noch nicht sehen können, aber genau das fand im Ballhaus statt, obgleich es nicht schlußendlich gelungen ist. Und das (verzeihen Sie die Platitüde) ist genau der Weg, und war es schon immer: Versuchen/ Suchen, wo der Kern ist. Herzlichst, E.E.
Man muss das natürlich vom reinen Puppentheater ob nun mit oder ohne Sprache unterscheiden, das ist dann schon eine spezielle Form für sich. Daneben gibt es dann auch wieder Kombinationen im freien Theater wie zum Beispiel das Ton und Kirschen Wandertheater mit einer fantastischen Performance aus Tanz, Puppen- und Sprechtheater, die spanische Compagnie Trukitrek die eine witzige Mischung aus Mensch und Puppe ohne Sprache aber mit Musik bevorzugen oder Ceux qui ne Marchent pass ur le Fourmis aus Frankreich die mit überdimensionalen Masken arbeiten. Zu sehen übrigens auf dem letztjährigen at.tension-Theaterfestivals für freie Theater- und Performance Gruppen auf dem Flugplatz Lärz, dem Ort des sicher noch bekannteren Fusion-Festivals in der Nähe der Müritz. Ziel all dieser verschiedenen Formen ist aber immer der Transport einer bestimmten Botschaft, ob nun in Text oder Bild, im emotionalen Bereich oder nur für das bessere rationale Verstehen.
Ich würde übrigens für mehr Denken und weniger "Ergriffenheit" und Gefühl plädieren. Nach Eva Illouez ist das Gefühl mitnichten "unverstellt" oder "rein", sondern ebenfalls von den kapitalistischen Mechanismen der Profitmaximierung durchdrungen. Denken Sie zum Beispiel an die Formen, über welche die romantische Liebe im Film konstruiert wird. Daran wird das eigene Leben gemessen, davon kann man sich aber zugleich auch abgrenzen, wenn man sich diese mediale Herstellung von Illusionen und "Rollenbildern" bewusst wird.
Denken und Fühlen zugleich, das funktioniert meines Erachtens nicht. Das wechselt situativ ab. Denn sprachlich beschreiben lässt sich nur das, was man von sich selbst loslösen kann. Das heisst, man kann etwas körperlich erfahren, was man nicht in Worte fassen kann. Aber vielleicht zeigt es sich im Gesicht bzw. hier in der überzeichnenden Maske.
Schreibt er jetzt die Werbetexte für das Theater in Halle? ( - das ist rein polemisch gefragt).
Vielleicht ist es auch einfach lokalpatriotischer Stolz für ein kleines Haus in SA. Insofern mag man gnädig sein.
Es ist ja auch ein kurioser Umstand, daß das Puppentheater aus Halle nun schon das zweite Mal in kurzer Folge seine Erstaufführungen in der Hauptstadt macht, um dann gestärkt (?) durch diese Erfahrung sich seinem lokalen Publikum zu stellen. Hut ab, vor so einer subversiven Marketing-Politik. Sonst war bzw. ist das umgekehrt. Voraufführung in der Provinz, dann hinein ins Wolfsmaul Metropole.