Der Gegner sitzt im eignen Team

von Sarah Heppekausen

Bochum, 1. April 2010. Puntila schwankt. Schuld sind die gesellschaftlichen Verhältnisse und der Alkohol. In den Bochumer Kammerspielen taumelt Benno Ifland in einer Guckkasten-Bühne aus Holzlatten.

Als Vorlage für sein 1948 uraufgeführtes Stück dienten Brecht die realen Erlebnisse eines Großbauern aus Tavastland, die Hella Wuolijoki erst in einer Kurzgeschichte, später in einer Komödie niedergeschrieben hatte. Die Dramatikerin war Brechts Gastgeberin im finnischen Exil. "Herr Puntila und sein Knecht Matti" spielt also faktengetreu in Finnland. Und Regisseurin Anne Lenk lässt ihre Inszenierung landesgemäß in einer Sauna spielen.

In der klassenlosen Strickjacke

In einer gedoppelten Sauna. Bühnenbildner Marc Bausback hat zweimal die (fast) gleiche Holzkonstruktion aneinandergefügt, mit Liegebänken, zischenden und qualmenden Saunasteinen. Hier darf sich Puntila in architektonischer Doppelbödigkeit seinem individuellen Doppelspiel hingeben. Denn der Gutsherr hat eine gespaltene Persönlichkeit, die je nach Promillewert ihr Gesicht findet: Betrunken gibt Puntila den gutmütigen Menschenfreund, nüchtern den brutalen Knechtschinder. Die Regie nutzt die zweifache Holzbühne aber weniger als Grundlage für psychologische Befindlichkeiten des Sägewerk-Besitzers, sondern viel mehr als praktischen Baukasten. Um lattenweise Türen aus nicht vorhandenen Angeln zu heben und um Bilder parallel spielen zu lassen.

Von Schwarz-Weiß-Malerei hält Anne Lenk nicht viel. Nicht nur, dass Bühne und Kostüme (von Eva Martin) komplett in (manchmal auch bestechend grell ausgeleuchtetem) Hell gehalten sind, Puntila und Matti tragen sogar den gleichen Anzug, Puntilas Tochter und das Stubenmädchen den gleichen Rock, die gleiche bestickte Strickjacke. Die eigentlichen Gegner treten auf als Spieler aus demselben Team. Für das Auge sichtbar hebt die Regie das eindeutige Verhältnis von reicher Herrschaft und armer Knechtschaft also auf. Und also sind auch Puntila und Matti nicht rigide als der kapitalistische Ausbeuter und der proletarisch-agile Sympathieträger gedeutet. Von ekstatischem Klassenkampf keine Spur. Höchstens die Körpersprache verrät noch Ungleichheit.

Zur Anmache gestolpert

Benno Ifland spielt den alkoholisierten Puntila als verschreckt-verspieltes Tier mit aufgerissenen Augen und breitem Grinsen. In seinen dicken Stiefeln stapft er leicht gebückt über die Holzlatten. Immer wieder überfällt seine hängenden Schultern ein kurzes Zucken, als hätte er seine Glieder genauso wenig unter Kontrolle wie sein Mundwerk, das eine Menschlichkeit verspricht, die er im abstinenten Zustand nicht kennen will. Diesem gestenreichen Puntila nimmt man das Doppelspiel irgendwann nicht mehr ab, weil bei ihm die Grenze zwischen Suff und Nüchternheit im Laufe des Abends so sehr verwischt, dass aus dem Kapitalisten und dem bürgerlichen Menschenfreund eine einzige Parodie wird.

Im Gegenzug bleibt Christoph Jödes Matti der Geordnete mit den Händen in den Taschen, ein selbstgefälliger Proletarier im adretten Auftritt eines Gutbürgerlichen. Der bewahrt sogar Haltung, wenn er minutenlang Holzlatten in eine imaginierte und von ihm akustisch simulierte Säge wirft. Unübertroffen komödiantisch spielt Maja Beckmann die Eva, Puntilas Tochter, die mit einem verschuldeten Diplomaten verheiratet werden soll. Ihren Stolperschritten, Creme-Orgien und ungeschickten Anmach-Versuchen zuzusehen, macht wirklich Spaß.

Haltungslose Unterhaltsamkeit

Auch der Dreier-Braut-Bund in einem gemeinsamen Hochzeitskleid präsentiert sich als gelungene Slapstick-Einlage. Oder Cornelius Schwalms steife Lufthüpfer, mit denen sein Attaché beweisen will, dass sein Humor auf der Höhe der Zeit ist. Mit angeklebten Bärten, abnehmbaren Perücken, eingesprochenen Regieanweisungen, Publikumsgerichtetheit (und ungeplanter Bühnenpanne) erfüllt Lenks Inszenierung Brechts Formprinzipien der Verfremdung.

Nur macht (auch gut gespielte) Comedy noch nicht das "gesellschaftlich Komische", das Brecht für seinen Puntila (in "Theaterarbeit") eingefordert hat: Komik, die gesellschaftsbezogen ist. Und auch Lenks grundsätzlich nachvollziehbarer Verzicht auf eindeutige Rollenzuschreibungen in Schwarz-Weiß-Manier hinterlässt eine Lücke, die die Regisseurin nicht neu besetzt. Die satirische Entlarvung des ökonomisch gepolten Puntila ersäuft an diesem Abend in haltungsloser Unterhaltsamkeit. Wer Puntila heute sein könnte, erfährt der Zuschauer nicht. Puntila schwankt noch. Aber Schuld ist nur der Alkohol.

 

Herr Puntila und sein Knecht Matti
von Bertolt Brecht
Regie: Anne Lenk, Bühne: Marc Bausback, Kostüme: Eva Martin, musikalische Einrichtung: Torsten Kindermann/Jan Sebastian Weichsel, Dramaturgie: Christopher Hanf.
Mit: Benno Ifland, Maja Beckmann, Christoph Jöde, Klaus Weiss, Cornelius Schwalm, Leopold Hornung, Anna Staab, Verena Schulze, Evamaria Salcher, Magdalena Helmig.

www.schauspielhausbochum.de

 

Mehr von Brecht? In Berlin und Dresden spielt man gerade seine Heilige Johanna der Schlachthöfe, hier von Nicolas Stemann, dort von Tilmann Köhler inszeniert. Matthias Langhoff hat das Frühwerk Im Dickicht der Städte jüngst in Linz wieder aufgeführt, Claudia Bauer selbiges in Wuppertal.

Mehr über die junge Regisseurin Anne Lenk erfahren Sie im entsprechenden Glossareintrag.

 

Kritikenrundschau

Auf der Webseite des Westfälischen Anzeigers (2.4.2010) schreibt Anke Schwarze: In der Sauna-Kulisse nivelliere sich die "soziale Kluft zwischen allen Beteiligten von Anfang an". Zum Herr mache Puntila allein "das gesprochene Wort". Weder Geld, noch Status oder Kostüm verliehen dem Menschen Identität, das sei Lenks Botschaft. Die Regisseurin präsentiere das Stück als "hintergründige Komödie", setze auf "Brechts Wortwitz" und auf "gekonnten Slapstick", den sie den "klassischen Slapstick-Komödien der 30er und 40er Jahre" entlehne. Nie gleite "das Komödiantische ins Lächerliche ab", so dass am Ende "der Wechsel zum Tragisch-Nachdenklichen" gelinge. Benno Ifland spreche den Schlussmonolog "ergreifend leise und melancholisch". Ihm ebenbürtig seien Christoph Jöde als Matti und Maja Beckmanns Eva als "amüsante Übertreibung des blondlockigen Stummfilmdummchens". Die Zuschauer durften "die Ironie von Brechts Puntila ohne überstrapazierte Interpetationen genießen".

Auf der Webseite der Ruhr Nachrichten (2.4.2010) legt Max Florian Kühlem die Aufführung besonders jenen ans Herz, die im Theater gerne lachen. Besonders in Maja Beckmanns Zusammenspiel mit Christoph Jöde käme es zu "Zwerchfell zerreißenden Slapstick-Szenen", bei denen die Doppelsauna-Bühne demontiert und Jöde zur "menschlichen Säge" werde. Die Kunst der bis in die Nebenrollen von einem glänzenden Ensemble getragenen Inszenierung sei es allerdings, dass sie trotzdem "zum Nachdenken über gesellschaftliche Verhältnisse" anrege.

Auf der Webseite der Herner Sonntagsnachrichten (4.4.2010) schreibt Pitt Herrmann, Lenks Inszenierung zeige, dass "das vielleicht lebendigste Brecht-Stück überhaupt" auch ohne Gardine und den "ganzen lehrstückhaften Fortschrittsglauben prächtig" funktioniere. Herrmann sah "keine Thesenträger", sondern "lebendige Menschen" finnischen Tango tanzen, wie es überhaupt in der Sauna nicht "melancholisch-tiefgründig", sondern "hitzig-erotisch" zugehe. Benno Ifflands "bisweilen arg aufgedrehter Puntila" sei ein "Zerrissener ganz im Nestroyschen Sinn"; Christoph Jöde als Matti ein "umschwärmter Frauenheld", vor allem aber halte Maja Beckmann als Eva die Aufführung zusammen. Sie rufe ihr "ganzes komödiantisches Potential" ab, von "hibbelig über leidenschaftlich bis hysterisch".

 

 

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