Adams Geist

Berlin, 11. April 2010. Heute Abend haben wir in Berlin Sarah Viktoria Frick gesehen. In Adam Geist von Dea Loher, ein Geist, der aber doch viel mehr von David Bösch war als von Dame Loher. Also war der Geist kitschig und musik-überschwappt, so dass wir immer genau wussten, was wir zu fühlen hatten. Aber das war alles nicht so wichtig. Auch der gut aussehende Hauptdarsteller war - nicht wirklich entscheidend.

Entscheidend war Lady Frick, das Mädchen Anti-Klum, mit debiler Brille und strähnigem Rothaar, mit kleinen Engelsflügelchen und blutigem Hemdchen. Und einem so ungeheuerlichen Bewusstsein für die eigene Wirkung, als spiele sie - einerlei ob scheu oder brutal, comic-haft aufgezogen oder pubertär schmollend, stumm empört oder sechs Stimmen zugleich imitierend - in einen Spiegel hinein. Einen Spiegel, der es ihr erlaube, jede Geste, jede Miene, jeden Blick so präzise zu kontrollieren und so zielsicher abzufeuern, mitten hinein in unser Lach-, Wiedererkennungs- und Schamzentrum, dass wir und am Ende das ganze Deutsche Theater ihr zujubelten: Seien Sie gepriesen, Dame Sarah Viktoria, und kommen Sie recht, recht bald wieder

Und nun zu etwas ganz Anderem. Denn was außer Sarah Viktoria Frick heute Abend auch noch zählte, war die Frage: Darf er das?

David Bösch hatte die 17. Szene von Lohers Stück, sie spielt im Bosnien-Krieg und Loher hat sie "Gebete" genannt, "werktreu" inszeniert. Das bedeutet: Der Söldner Erich hält einem vielleicht achtjährigen Jungen eine Pistole in den Nacken und droht abzudrücken. Sage einer, Gewalt auf der Bühne funktioniere nicht. Wir haben vor Furcht gezittert. Obwohl wir wussten, wir sitzen hier im Theater und der Schauspieler, der den Soldaten spielt, wird das Kind, das den bosnischen Jungen spielt, nicht umbringen. Tat nichts zur Sache, wir schlotterten vor Angst.

Hinterher ward es lautstark. Vor dem Theater. Der sehr geschätzte Kollege befand, einer, der ein Kind missbraucht, indem er ihm auf der Bühne einen Revolverlauf ins Genick drücken lässt, hat künstlerisch und moralisch verspielt. Er habe damit eine Grenze überschritten.

Die Lise und mich hat das nachdenklich gemacht. Auf der Heimfahrt fragten wir uns, messen wir mit zweierlei Maß? Vertreten wir ansonsten nicht die Position, das Theater dürfe alles? KZ-Häftlinge verscheißern, wie etwa Frank Castorf in "Pension Schöller/ Die Schlacht" vor bald 15 Jahren.

Und nun doch die Frage: Gibt es Grenzen der Darstellung oder der Darstellbarkeit? Und falls ja, wo verlaufen sie? Ist eine Grenze des Anstands, der Moral, des Herzenstaktes verletzt, wenn ein Schauspieler einem Kind die Knarre ins Genick drückt und es zu erschießen droht, im Spiel? Ist das überhaupt noch Spiel? Wie wird sich das Kind später daran erinnern? Oder handelt es sich hier nur um die Empfindlichkeit von noch unerfahrenen Eltern mit kleinen Kindern?

Wir jedenfalls, die Lise und ich, glauben nach dieser Szene anders als die vorherrschende Meinung, dass Gewalt auf der Bühne sich sehr wohl wirkungsvoll darstellen lässt. David Bösch hat es in "Adam Geist" vorgemacht.

(jnm)


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Kommentare  
Blog zu Böschs Adam Geist: moralisch verspielt?
Die Frage wäre doch weiter zu fassen: Warum wird über dieses Thema im Zusammenhang mit Film kaum je gesprochen? Ich kenne Filme, da wird jungen Darstellerinnen und Darsteller weit "Schlimmeres" angetan. Hat das Theater hier doch eine größere Wirkung, da man sich nicht so leicht distanzieren kann? Oder soll dem Theater - wie in den letzten Jahren ja oft geschehen - die emotionale Wirkung zu Gunsten kühler und oft trockener Kopfgeburten ausgetrieben werden, und die moralischen Arguemente werden nur vordergründig vorgebracht? Oder ist die Moral nur vorgeschobener Grund fürs Augen-Verschließen und Nicht-sehen-Wollen? Und schließlich: Muss Theater überhaupt moralisch sein? Was heißt denn überhaupt, der Regisseur habe "moralisch verspielt"?
Blog zu Böschs Adam Geist: Im Theater ist alles erlaubt
Welche Grenzen gibt es denn noch in unser Gesellschaft? Eigentlich doch keine. Und warum fordern wir im Theater welche? Alles ist im Theater ist erlaubt, nur der Tod des Schauspielers nicht (das wäre ja dann kein Theater mehr).
Blog zu Böschs Adam Geist: Fragen zum Hin- und Wegsehen
herr geist! wollen Sie denn gerne gewalt sehen? oder schauen Sie eher weg, wenn Sie im theater oder film gewalt sehen, finden aber trotzdem wichtig, daß sie gezeigt wird und finden Sie dann das "wegsehen" wichtig? finden Sie, daß alles andere ein "augenverschließen" wäre vor der gewalt? das hinsehen auch?
Blog zu Böschs Adam Geist: moralische Notwendigkeit
wäre nicht die weit passendere frage ob wir nicht eine solche szene benötigen um uns dem wesentlich entsetzlicheren in bosnien geschehenen anzunähern.
und besteht dazu nicht vielleicht eine moralische notwendigkeit.
im übrigen, kinder verstehen im allgemeinen die grenzen zwischen spiel und ernst wesentlich besser als erwachsene.
Blog zu Böschs Adam Geist: Kompliment
Sarah... du bischt di bescht!!!
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