Redaktionsblog - Nach dem Tod von Werner Schroeter
Wie kommt das?
18. April 2010. Es geht mir seitdem Werner Schroeter gestorben ist nicht aus dem Kopf, dass in seiner letzten Inszenierung die Figuren immerfort am Abgrund entlang taumelten. Mir schien Schroeters Quai West bei der Premiere im März seltsam bleiern, schwerfällig; und ich glaubte, das liege auch an Bernard-Marie Koltès' Text, der für mich nicht mehr jene Kraft und Dichtheit besaß, die ihn einst offenbar ausgezeichnet hat.
Dass dies Balancieren am Rand der großen, runden, schrägen Bühnenplatte auch ein Bild des Sterbens sein könnte, nahm ich zwar wahr. Aber dass damit Schroeter auch seine eigene Krankheit, seinen eigenen, bereits damals nah herangerückten Tod ins Bild setzte, wurde mir nicht bewusst, obwohl ich von seiner Krebserkrankung wusste; es war allgemein bekannt.
Ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt angemessen ist, die Krankheit eines Regisseurs in einer Theaterkritik zu thematisieren. Vielleicht ist dies übergriffig, vielleicht eine unwürdige, demutslose Vermischung von Dingen, die besser getrennt werden; es ist wahrscheinlich nicht hilfreich, sozusagen vom Leben aus gegen oder für die Kunst zu argumentieren.
Es fällt mir nur auf, dass die Theaterkritik bei Christoph Schlingensiefs Kirche der Angst vor dem Fremden in mir oder Jürgen Goschs Idomeneus die Krankheiten von Schlingensief und Gosch zum Thema gemacht hat, dass sie also mit großer Selbstverständlichkeit die Privatsache der Menschen Gosch und Schlingensief in den Kunstbezirk geholt hat; ich habe dies auch getan. Bei Schlingensief war es vielleicht anders kaum möglich, weil er seine Krebsgeschichte selbst zum Inszenierungsgegenstand erhoben hat, obwohl es Stimmen gab, die durchaus ihre (moralischen oder ästhetischen) Bedenken äußerten.
Aber bei Gosch? Gosch hat sein Leiden nicht mehr oder weniger in seine letzten Inszenierungen geholt als Schroeter. Wieso spielte es bei Schroeter keine Rolle, bei Gosch aber sehr wohl? Wie kommt es zu diesen Unterschieden? Kann es sein, dass die eine Inszenierungsweise irgendwie deutlicher, womöglich direkter aufs oder ins Leben weist als die andere? Sind es sozusagen verschiedene Grade von Wirklichkeitsgehalt? Kann man das allen Ernstes behaupten? Wahrscheinlich nicht. Ist es also schlicht Unaufmerksamkeit, eine Form von medialer Vergesslichkeit? Sollte das die Begründung sein? Aber wäre das nicht eine billige, schnelle Ausrede? Ich weiß es nicht, es wird mir immer unklarer, wie man über Inszenierungen denken soll, von denen man weiß, dass sie unter Extrem-, nämlich Sterbensbedingungen entstanden sind. Was erleben, was sehen wir da? Gibt es eine Weise, sich zu ihnen zu verhalten, die irgend angemessen ist? Oder sind das einfach irreführende Fragen?
Es ist jedenfalls merkwürdig, dass Schroeter etwas nicht zum Thema wurde, was bei Gosch und Schlingensief immer Thema war und ist. (dip)
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Ich hoffe nur, das es zumindest den Kritikern leid tut, die in seiner letzten Inszenierung in der Volksbühne vorgezogen haben zu schlafen, eine nächste Chance ihn zu erleben wird es nicht mehr geben.
Ich brachte also Vorfreude mit, fand aber das Stück letztlich– bleiern und etwas einschläfernd. Schade.
In einem seiner letzten Interviews mit der FAZ hat er zu einer Frage über sein Verhältnis zur Schönheit Tschaikowsky zitiert: „Man darf doch wohl vom Publikum verlangen, dass es eine Reise mitmacht, in der es den unaufgehobenen Widerspruch zwischen Schmerz und Schönheit als einen möglichen Weg in die Wahrheit und Wahrhaftigkeit sieht.“ Weiter sagt er: „Für mich ist Schönheit kein Verbrechen und kein Kitsch. Es ist nicht nur „des Schrecklichen Anfang“, wie Rilke schrieb, sondern Schönheit ist ein Seelenbedürfnis des Menschen. Und allein durch die Schönheit ist nicht alles Schreckliche so schrecklich, wie es sonst vielleicht aussieht. ... Man muss den Menschen lieben, um ihn zu verstehen.“ Wenn das pathetisch klingt, na meinetwegen, aber da ist auch verdammt viel Kraft drin. Werner Schroeter ist eben selbst ein „Kraftwerk der Gefühle“.
"Womit er wahrscheinlich sagen will, dass er kein Banause ist" - in welchem Kindergarten leben Sie eigentlich? Kürzlich haben Sie mich als „Quartalsdenker“ bezeichnet. Tatsache ist, dass ich hier nicht wie ein Theaterkritiker schreiben möchte, dieses Terrain überlasse ich anderen. Sofern Sie die Gedanken, die Sie hier in den Thread setzen lassen, als intellektuelle Leistung betrachten, ist es um den Geist arg übel bestellt.
Dass Sie, L E, kein Deutsch können, haben Sie schon längst bewiesen - aber die Bilder und Phantasien, die da in Ihrem Kopf aufsteigen, sind wohl doch etwas verworren. Aber ich will Sie nicht von Ihren Vorstellungen abhalten.