Auf den Bierbänken der Demokratie

von Dirk Pilz

Halberstadt, 14. September 2007. Es geschah in der Nacht vom 8. auf den 9. Juni diesen Jahres in Halberstadt: Mehrere Schauspieler des Nordharzer Städtebundtheaters wurden von rechtsextremen Schlägern angegriffen. Sie kamen von der Premierenfeier nach der "Rocky Horror Picture Show" im nahe gelegenen Harzer Bergtheater, als Neonazis aus der Kneipe "Spucknapf" heraus angriffen. Einem der Tänzer wurden Zähne ausgeschlagen, dem Gitarrist die Nase gebrochen, die anderen kamen mit kleineren Blessuren davon.

Am Freitag standen sie mit dem "Rocky"-Ensemble auf einer kleinen Freilicht-Bühne im Zentrum von Halberstadt und eröffneten den Aktionsabend "Auf die Plätze! Die Stadt gehört den Demokraten". Bis tief in die Nacht wurde das gesamte Stadtgebiet der 1200 Jahre alten Bischofsstadt im nördlichen Harzvorland bespielt. Tanz, Musik, Theater, gedacht als "Eroberung des öffentlichen Raums durch Kunst und Kultur". Die Rechte Szene, hieß es in der Ankündigung, versuche "offensiv den öffentlichen Raum zu besetzen und freiheitlich demokratische Kräfte zurückzudrängen"; sie erzeugte bewusst "ein Klima der Angst". Mit "Auf die Plätze!" sollte sich die Demokratie als "wehrhafte Alternative gegenüber dem erstarkenden braunen Selbstbewusstsein" erweisen. Ein öffentlicher Protest, organisiert vom Nordharzer Städtebundtheater.

Volksfest als Alternative

Und zum Auftakt also Ausschnitte aus der "Rocky"-Show auf dem Fischmarkt: knallige Kostüme, fetziger Sound, Heiterkeit im Publikum. "Lost in time, lost in space" singen sie auf der Bühne, während die wehrhafte Demokratie an Bierbänken sitzt. Die Alternative tritt als Volksfest auf. Rückeroberung der Stadt heißt: Würstchenbude, SPD-Stand, Bier in Plastikbechern. Dazu ein bunter Veranstaltungsreigen.

An der Total-Tankstelle, dem Treff der Neonazis, startet der Harslebener Spielmannszug, unter einer Linde liest ein Schauspieler Texte von Christoph Hein. In den Rathauspassagen ein jodelnder Polizist, vorm Dom der Posaunenchor. Und Oberbürgermeister Andreas Henke dankt von der Fischmarkt-Bühne herab dem örtlichen Straßendienst, der "morgen alles wieder schön ordentlich und sauber macht".

Wie ist das möglich?

Intendant André Bücker sagte nach dem Überfall, die Kollegen wurden nicht zusammengeschlagen, weil sie Tänzer und Sänger sind, sondern "weil sie am falschen Ort zur falschen Zeit waren". Solche Dinge passierten in Halberstadt öfters. Das örtliche sozio-kulturelle Zentrum "Zora e.V." hat eine Chronologie der jüngsten Ereignisse veröffentlicht. Brandanschläge, Körperverletzungen, Rauchbomben. In Halberstadt, sagt man bei "Zora", würden "rechtsradikale Jugendliche und Erwachsene anscheinend toleriert". Anscheinend.

Und anscheinend nicht nur in Halberstadt. Rechtsextremismus und das kollektive Schulterzucken sind keine Einzelfall-Probleme, auch keine ostspezifischen. Es sind gesamtgesellschaftliche. Wer wüsste das nicht. Und wer weiß einen Ausweg? Die Erklärungsversuche docken entweder bei sozialpolitischen (Perspektivlosigkeit, Arbeitslosigkeit etc.) oder historisch-psychologistischen Argumenten an (fehlende Einübung in Toleranz, mangelnde Kenntnisse anderer Kulturen etc.), verweisen auf die unehrliche Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit im Osten und auf die vernachlässigte Sozialarbeit in Gesamtdeutschland. Sie sind alle genauso richtig, wie sie das Ursachengeflecht vereinfachen.

Bühne statt Fäuste

"Ich kann es einfach nicht nachvollziehen, dass so etwas möglich ist", steht im Online-Gästebuch des Harzer Bergtheaters. Das Ensemble stehe unter Schock, sagte damals die Chefdramaturgin in Halberstadt. Der Kampf gegen Rechtsradikalität sei eine Aufgabe der gesamten Zivilgesellschaft, meint der Oberbürgermeister. Ratlosigkeit auf allen Ebenen. Wut, auch Vorwürfe. Die Polizei hat offensichtlich nicht entschieden genug gehandelt in jener Nacht, der Landtag von Sachsen-Anhalt inzwischen einen Untersuchungsausschuss eingesetzt. Er wird um das entscheidende Problem nicht herumkommen: Rechtsradikales Denken ist längst kein Randphänomen mehr. Auch deshalb das "Auf die Plätze!" – als kollektiver Wachrüttler.

 

Die Nazis haben im Juni die Falschen erwischt, findet Bücker. Denn das Theater könne etwas öffentlich machen, was sonst viel zu oft nicht öffentlich werde. Er meint die reale Bedrohung von Rechts. Und er meint das Theater in seiner Funktion als Bewusstseins-Schärfer und Anbieter von Lebens- und Denkalternativen. "Sie nutzen die Fäuste, wir nutzen die Bühne", sagt Bücker.

Wohlfühlen an sonst düsteren Orten

An diesem Abend wird die Bühne vor allem als Quell der Unterhaltsamkeit genutzt. Dort, wo es geschah, zeigt das Theater Magdeburg Schlagzeug-Stücke und die Landesbühne Sachsen-Anhalt aus Eisleben eine Volkstheater-Szene namens "Doktor Wundertat". Unter freiem Himmel gibt es Ausdruckstanz in roten Leibchen, gleich dahinter wird Volleyball gespielt. Die Stimmung ist gelöst, das Einkaufszentrum hat bis Mitternacht geöffnet, überall sind Grill-Stände aufgebaut. Später fängt es zu regnen an.

Im Einzelfall mochten die Darbietungen naiv anmuten, aufs Ganze gesehen löste das Theater im Verbund mit Vereinen, Bürgerinitiativen und Verbänden aber ein, was es versprach: das konkrete, greifbare Zeichen-Setzen. Ein Punktsieg für die Demokratie. Die Leute kamen, die Leute fühlten sich wohl.

Die nächsten Aufmärsche

Im Steinhof, direkt neben "Zora" gelegen, saßen sie bis spät auf den Bierbänken, aßen Kesselgulasch, lachten und wärmten sich die Herzen. Unter den Tischen krabbelten die Kinder, die Hof-Band machte auf Blues. Schnittchen wurden gereicht, Geschichten erzählt. Es könnte so einfach sein.

Am Tag eins nach der Halberstadter Rückeroberung marschierten die Neonazis durchs benachbarte Quedlinburg. Motto: "Auf die Plätze, und wer schützt uns vor euch? Organisiert euch gegen Polizeistaat & Kapital". Auf Flugblättern wurde in Halberstadt zur Gegendemonstration aufgerufen. Nichts ist einfach im Kampf gegen Rechts.

www.harztheater.de

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