Der Alptraum des Geldes

von Kerstin Edinger

Düsseldorf, 4. Mai 2010. Was ist nun besser: Geld haben oder davon befreit sein? Was, wenn der Besitz von Geld nur Qual und Unterdrückung bedeutet? Stephan Kaluza, im Hauptberuf Bildender Künstler, stellt uns mit seinem ersten Theatertext "Atlantic Zero" die brennende Frage, inwieweit Kapitalismus und Moral miteinander vereinbar sind.

Die Zuschauer sind mit den Darstellern gemeinsam in eine Art überlebensgroßen Schuhkarton gesperrt. In grünlichem Licht schimmert eine lange schwarze Tafel. Die Wände sind mit grauem Stoff edel verkleidet, flache Monitore auf jeder Seite eingelassen. Die Atmosphäre ist bedrückend und unheimlich, eine kühle Eleganz greift Raum.

Abhängigkeiten von Geld und Kapital
Zunächst vermuten wir Realität, doch dann wird schnell klar, wir folgen dem Milliardär Meisner in seinen persönlichen Alptraum. Er wurde entführt, der Vorstand seiner Firma soll zehn Milliarden Dollar für seine Befreiung zahlen, die sein Entführer Ronaldo im Atlantischen Ozean versenken will. Über dieses Vorhaben entspinnt sich eine Diskussion über die Moralität von Macht und Geld. Ein Thema, das zeitlich kaum besser gewählt sein könnte. Doch Regisseur Christian Doll gelingt es nicht, daraus ein heisses Eisen zu machen. Der etwas schleppend beginnende, stellenweise zu moralisierende, aber durchaus interessante Text von Kaluza bietet eine Vorlage, die Doll nicht zu verfeinern oder zu radikalisieren weiss.

Er spielt nicht mit den surrealen Ebenen des Stückes, sondern benutzt sie als plakative Vorlagen. Beispielsweise, wenn ein skurriles Vampir-Pärchen mit Tüllrock, Turmfrisur und Schnallenschuhen den Entführer Ronaldo begleitet und Meisners Blut aussaugt. Hier werden Abhängigkeiten von Meisners Geld und Kapital überdeutlich gezeichnet. Immer wieder spiegeln sich Meisners Vorstellungen und Gedanken in den anderen Figuren. Ihm wird immer mehr bewusst, wie wertlos sein Kapital der puren Existenz gegenüber ist.

Plakative Symbolik
Ronaldo und das Vampirpärchen fungieren als abstrakte Traumfiguren, die Meisners schlechtes Gewissen spiegeln. Sie sind sein innerer Teufel, der mit sich selbst Gericht hält.
Rekapitulierend erfahren wir Details aus Meisners Leben. Er betrügt privat und geschäftlich, einzig und allein die Vermehrung seines Kapitals und damit seiner Macht und Stärke zählen. Gesellschaftliche Potenz, die nur innerhalb des selbstkonstruierten Systems funktioniert.

Christian Doll, der auch im Programmheft auf Walter Benjamins "Kapitalismus als Religion"-These verweist, benutzt in seiner Inszenierung immer wieder biblische Anspielungen von sakraler Musik bis hin zu Videoeinspielungen, die er zum Szenenwechsel einsetzt. Die Inszenierung gewinnt durch die rasche Bildabfolge der Videos zwar an Tempo, doch auch hier bedient sie sich plakativer Symbolik. Auf den Bildschirmen: der Turmbau zu Babel, Ronald McDonald, eine Dollarnote und der Schriftzug "In God we trust". Oder ein Flugzeug mit Zielflug auf die "Deutsche Bank". Das ist nicht originell, sondern wirkt schlicht überfrachtet und platt.

Geldvernichtung als moralische Verausgabung

Der Kapitalismus als Ersatzreligion – Entführer und Geisel kommen erst nach über der Hälfte des Abends, in der sich der Plot langsam entwickelt und erklärt hat, auf den wesentlichen und eigentlich interessanten Punkt des Abends. Dann nämlich, wenn sie beginnen, die vollkommene Zerstörung des Kapitals und damit die Zerstörung des eigenen Lebenskonstrukts zu diskutieren. Meisner wehrt sich, versucht zunächst verzweifelt an seinen Vorstellungen festzuhalten und muss doch am Ende erkennen, dass die wahre Schönheit nur in der Kunst und in der Befreiung von allen kapitalen Sachzwängen liegt.

Die Vernichtung des Geldes wird zur selbstlosen und damit moralisch integren Kunstaktion. "Nur die Leidenschaft der Kunst kann so selbstlos sein, kann sich so verausgaben für die Schönheit." Ein textlich etwas pathetischer Abgang auf das Geld. Ist der Mensch Gefangener eines selbst erschaffenen ökonomischen Systems? Zerstört der Kapitalismus jegliche Moral?

Stephan Kaluza wirft mit seinem Text Fragen auf, die jedoch im Raum stehen bleiben. Text wie Inszenierung sind zu handzahm um damit zu zündeln. Sie regen an, aber nicht auf.

 

Atlantic Zero (UA)
von Stephan Kaluza
Inszenierung: Christian Doll; Bühne und Kostüme: Pia Maria Mackert, Video: Michael Deeg, Dramaturgie: Reinar Ortmann, Licht: Konstantin Sonneson. Mit: Pierre Siegenthaler, Guntram Brattia, Viola Probitschka, Moritz Führmann.

www.duesseldorfer-schauspielhaus.de

 

Der Regisseur Christian Doll, 1971 geboren, inszenierte im Juni 2008 unter anderem die Uraufführung von Nora Mansmanns Endzeitfantasie zwei brüder, drei augen - ebenfalls am Düsseldorfer Schauspielhaus.

 

Kommentare  
Atlantic Zero in D'dorf: Videos, Kostüme, Raum sind klug und stilvoll
es ist schade, wenn etwas, dass offensichtlich nicht verstanden wurde, in eine solche kritik gerät. die videos und auch raum und kostüme sind die rettung dieser inszenierung. klug und stillvoll. und klug ist das video vorallem, weil es nicht nur biblische motive mit einer kapitalismuskritik in verbindung bringt, sondern weil jedes gemählde eine aussage für sich hat. diese muss man aber erstmal entdecken bevor man darüber urteilt!!! nicht die mittel der inszenierung sind unorginell sondern diese kritik.
Atlantic Zero in D'dorf: reale Luft im Keller
Wenn ein bildender Künstler auf die Reise geht, dann wird er sicher etwas mitbringen, was die Umwelt interssieren könnte. Gesetzt er findet einen Weg sein Material im jeweiligen Medium ausdrucksstark zu verdichten. Man kann diesen Vorgang und sein zweifellos gelungenes Ergebnis in Stephan Kaluzas Bildbänden "Der Rhein" oder "Die (unsichtbare) Mauer" lesend, schauend erleben. Die Reise des Künstlers, abgebildet in dokumentarischer Klarheit, verführt den Betrachter zu einer eigenen Reise hin zu Assoziationen und Phantasien über die Orte die Kaluza zeigt. So etwas kann Stephan Kaluza auf hohem Niveau und die Anerkennung für seine Arbeiten ist einhellig, so dass sicher noch einige Projekte dieser Arten folgen können.
Wie läßt sich diese Arbeitsweise auf das Schreiben eines Theaterstücks übertragen? Gar nicht muß man leider sagen. Auch wenn Atlantic Zero ein gewichtiges Problem unserer Zeit in den Blick nimmt - Geld liebt nur Geld und sonst niemand - bleibt das Stück im Stadium der Skizze stecken. Ein unglaublich reicher Mann, Meisner, findet sich in einem Keller wieder zusammen mit einem Entführer mit dem er redet. Und redet. Und redet. Ab und zu treten auch zwei Maskierte auf. Aha gefährlich. Und zum Schluss haben wir dann die Informationen über den Lebenslauf dieses Mannes bekommen. Er ist untreu, raffgierig und im entscheidenden Moment denkt er nur an sich. Naja. Vielleicht ist es die eine vergeigte Liebesaffäre, die, "Liebe seines Lebens", die ihm dann dazu bringt, sich der Kunst der Zerstörung zu öffnen. Auch Milliardäre haben Sehnsüchte. Ja. Kann sein. Muß aber auch nicht. Es ist Christian Doll und seinem Team zu verdanken, dass dieser Schwebezustand des Stückes überhaupt wieder möglich wird. Ein Alptraumspiel ist die Textvorlage gewiß nicht. Eher ein Alptraum an Handlungsarmut. Was Doll schafft ist das was Kaluza bei seinen Bildern ebenso braucht. Einen Rahmen in dem das sujet wirken kann.
Die Regie tippt mit ihren Erfindungen und ihrer Bildebene den Figuren beständig auf die Schulter: Guckt mal es gibt noch einen Kosmos drumherum. Und der ist in diesem Stück wohl am ehesten der Kunstkosmos, aus dem Meisner und Entführer herausgepurzelt sind. Dafür ist der Zuschauer dankbar. Da bekommt das Stück eine Realität geschenkt, die dem Autor abhanden gekommen ist.
In der Summe ist man also froh wenn mal ein Flugzeug auf ein Deutsche Bank Hochhaus zufliegt. Da kommt dann über den Umweg der Suggestivität wieder mal etwas reale Luft in den Keller des Herrn Kaluza.
Atlantic Zero in D'dorf: viel zu brav
Danke für die Kritik! Habe es genau so empfunden wie Sie! Das Stück, viel zu brav! Und die Videos waren mir unverständlich! Kann man leider nicht empfehlen!
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