Offener Brief der Palästina/Nahostinitiative Heidelberg

 

Heidelberg, 24. April 2010


Sehr geehrter Herr Spuhler, sehr geehrter Herr Linders,

wie Sie wissen, fanden wir es schon äußerst befremdlich, dass Sie letztes Jahr ausgerechnet mit einem israelischen Theater eine "Theaterehe" eingingen - nur wenige Monate nach dem brutalen Angriff der israelischen Armee auf den Gazastreifen. Es war zumindest instinktlos, eine besondere Partnerschaft mit einem Tel Aviver Theater zu vereinbaren, während sonst in der Welt Institutionen aus Empörung über die israelische Politik auf Distanz gingen und in vielen Ländern Boykottbewegungen entstanden.

Im Gespräch mit Ihnen wurde uns versichert, die Kooperation hätte einen ausschließlich künstlerischen Hintergrund und sie wäre ohne Ihr Zutun von der R[hein] N[eckar] Z[eitung] zur "Theaterehe" hochstilisiert worden.

Imagewerbung

Das war damals schon wenig überzeugend, da der politische Charakter einer Partnerschaft ausschließlich mit einem israelischen Theater auf der Hand lag. Jetzt wurde dem Ganzen mit dem diesjährigen Stückemarkt noch eins drauf gesetzt. Nun ist Israel nicht nur auch noch "Gastland" geworden, es dominiert mit Symbolen, Fahne und Schriftzug die gesamte Werbung dafür. Dies kann nicht mehr anders gewertet werden als eine Parteinahme und Imagewerbung für ein Land, das international stark in der Kritik steht - nicht nur wegen der Kriegsverbrechen im Gazakrieg (Stichwort "Goldstone-Report") sondern auch wegen der reaktionären, jede Konfliktlösung torpedierenden Politik der aktuellen Regierung.

Mag sein, dass für Sie tatsächlich das Künstlerische im Vordergrund steht, gemäß dem von ihnen ausgewählten Stück "Also mich interessiert mein Sexualleben mehr als der Israel-Palästina-Konflikt." Die vermutlich recht großzügige israelische Unterstützung kam dann einfach sehr gelegen. So oder so beteiligen Sie sich aber offensichtlich an einer politischen Kampagne zu Aufbesserung des stark angekratzten Israelbildes in der Öffentlichkeit.

Eine solche Kampagne wurde von der israelischen Regierung im März 2009 offen angekündigt: "Wir werden bekannte Schriftsteller und Autoren, Theaterensembles und Ausstellungen ins Ausland schicken," so der stellvertretender Generaldirektor für kulturelle Angelegenheiten im israelischen Außenministerium, Arye Mekel. "Auf diese Weise zeigt man Israels hübscheres Gesicht, so werden wir nicht immer nur mit Krieg in Verbindung gebracht."
Palästina-/Nahostinitiative Heidelberg (siehe After Gaza, Israel Grapples With Crisis of Isolation, New York Times, 19.3.2009).

Palästinensische Seite ignoriert

Knapp zwei Monate nach dieser Ankündigung wurde die "Theaterehe" geschlossen und nun ist Israel das dominierende Thema beim Stückemarkt. Ob das Zufall ist oder nicht, sei dahingestellt. Entscheidend ist, dass dies genau die gewünschte Funktion erfüllt: einige hässliche Flecken auf Israels Fassade werden durch Keksglasur mit Davidstern übertüncht und mit Theaterdekoration verhüllt.

Sie wollen, schreiben Sie im Programmheft, Israelis und Palästinenser "im Festival und in der Theaterpartnerschaft nicht unter einen deutschen Hut zwingen." Das kann aber kein Grund dafür sein, die palästinensische Seite komplett zu ignorieren.

In der realen Politik gilt das Recht des Stärkeren. Um so mehr sollte es Aufgabe der Zivilgesellschaft, von Kunst und Kultur sein, sich auf die Seite der Schwächeren zu stellen und den Unterdrückten und Entrechteten mehr Stimme zu verleihen. Sie aber schlagen sich ausschließlich auf die Seite des Stärkeren.

Da Kritik beim Thema Israel gerne absichtsvoll missverstanden wird, möchten wir betonen, dass sich unser Unmut selbstverständlich nicht gegen die israelischen Autoren und Schauspieler oder gegen die israelische Kultur allgemein richtet. Wir wenden uns allein dagegen, wie durch die diesjährige Präsentation des Stückemarkts, Israel als Gastland herausgestrichen wird, d.h. gegen eine aktive Imagewerbung für diesen Staat in dieser Zeit.

Die Lage im "kleinen Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer sei extrem komplex" schreiben Sie, "die Situation je näher man hinschaut, desto dramatischer und unauflösbarer."

Mögen Detailfragen einer Lösung des Konflikts auch kompliziert sein, die Grundzüge sind es nicht. Sie werden durch das internationale Recht vorgezeichnet, sind seit langem bekannt und in zahlreichen UN-Resolutionen formuliert. Schwierig wurde es nur dadurch, dass der Westen Israel trotz der eindeutigen Rechtslage gewähren lässt. Immer unlösbarer erscheint er, weil Israel ständig neue Fakten schafft, die eine Lösung immer mehr erschweren.

Aktivitäten mit israelischen Partner aussetzen

Solange Israel für seine permanente Missachtung des Völkerrechts und die schweren Verstöße gegen Menschenrechte keinen Preis bezahlen muss, wird sich daran auch nichts ändern. Wer Israel trotz Krieg, fortgesetztem Landraub und Vertreibung unverändert unterstützt macht sich mitverantwortlich dafür, dass Siedlungsausbau, Hauszerstörungen usw. immer weitergehen und ebnet - man muss es leider so drastisch formulieren - den Weg für den nächsten Krieg.
Sie werden verstehen, dass wir aus diesem Grunde zu Protesten gegen den diesjährigen Stückemarkt aufrufen werden.

Wir fordern Sie und die Stadt auf, alle gemeinsame Aktivitäten mit israelischen Partnern solange auszusetzen, bis Israel wenigsten die minimalsten Bedingungen erfüllt: Ende der Blockade des Gazastreifens, Stopp des Siedlungsausbaus im Westjordanland, inkl. Ostjerusalem, Einstellung des illegalen Baus der Mauer und Befestigungsanlagen im Westjordanland.

Palästina/Nahost-Initiative Heidelberg

 

Zum Hintergrund: Die Stellungsnahme von Jan Linders und Peter Spuhler, Theater Heidelberg, lesen Sie hier.

Eine Meldung zur Kritik am Israel-Schwerpunkt von Christine Dössel, eine der Jurorinnen des diesjährigen Heidelberger Stückemarktes, lesen Sie hier.

 

 

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