Presseschau vom 11. Mai 2010 – Nachwuchsdramatik in der neoliberalen Klemme?

Neoliberal entkräftet

Neoliberal entkräftet

Berlin, 11. Mai 2010. Was ist los mit unserem Dramatikernachwuchs? Am Gängelband der Verlage formatieren sich neue Texte bis zur Ununterscheidbarkeit. Anstelle eigenständiger Formen dominieren immergleiche Familienkonfliktdramen mit Tschechow'scher Dialogrezeptur. Statt eine "horizontale, interdisziplinäre Arbeitsweise" zu entwickeln, dienen sich auf Schreibschulen ausgebildete Autoren dem "Modell neoliberaler Arbeitsordnung" an und unterwerfen sich bereitwillig dem Regime einer effizienslastigen Bühnenregie.

So sieht es eine der Jurorinnen des Stückemarktes des Berliner Theatertreffens 2010, die Autorin und Regisseurin Marlene Streeruwitz in der heutigen Ausgabe der tageszeitung. Produziert werde nach der inneren "Zensur eines Bereichs, der im Abstieg begriffen ist", sprich: billig, mit wenigen Handlungsträgern und größtmöglichem Spielraum für die Regie sowie allenfalls "sehr allgemein" gehaltenen Sinnfragen. Nirgends erkennt Streeruwitz in der Masse an Einsendungen zum Stückemarkt ein "Begehren auf Literatur".

Diese Bestandsaufnahme kommt wie gerufen zur vorgestern verkündeten Entscheidung der Jury des Heidelberger Stückemarktes, den diesjährigen Förderpreis zu gleichen Teilen an alle Nominierten zu vergeben. Auch die Heidelberger Juroren (Christine Dössel, Erik Altorfer und Nis-Momme Stockmann) befanden nach langwierigen Verhandlungen, "dass aus den zur Auswahl stehenden Stücken keine derartig heraus ragen, dass wir eindeutig und konsensfähig die zu vergebenden Preise – den Autorenpreis, den Innovationspreis und den Europäischen Preis – verleihen können." Bereits im vergangenen Jahr wurden Werkstattheatertage des Burgtheaters ausgesetzt, weil die Jury keine qualifizierten Autoren unter den Bewerbern fand.

Was das Heidelberger Jury-Mitglied Nis-Momme Stockmann (selbst Preisträger des Heidelberger wie des Berliner Stückemarktes 2009, und 2010 für den Mülheimer Dramatikerpreis nominiert) von Evaluationen und Wettbewerbsentscheidungen in den Künsten hält, legt er übrigens ausführlich auf der nachtkritik-Seite zu den diesjährigen Mülheimer Theatertagen dar: Auf nachtkritik-stuecke2010.de lesen Sie im Rahmen eines Fragebogens seine Philippika gegen die Bewertungsmacht der Kritik.


(taz/Heidelberger Stückemarkt/chr)

 

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