"Mit dem Boden immer im Portemonnaie"

von Bernd Mand

Mannheim, 12. Mai 2010. Wo fängt Ihre Welt eigentlich an? Beim Geburtsdatum? Beim Namensschild an Ihrer Wohnungstür? Vielleicht beim Einloggen in ihren Rechner am Arbeitsplatz? Oder ist es nicht vielmehr so, dass Sie es eigentlich gar nicht so genau sagen könnten. Die eigene Welt zu definieren ist keine einfache Angelegenheit. Nichts, was man schlichtweg selbst in die Hand nehmen könnte und zu einem sauberen Abschluss führen. Überall bleiben lose Enden, überall zwängt sich irgendetwas durch den Lattenzaun und setzt neue Unbekannte in die Gleichung ein.

Gesine Danckwarts neues Theaterprojekt setzt ziemlich genau hier die Harke an. "kill the katz/kac" durchforstet das Wurzelwerk zeitgenössischer Identitäten vor dem Hintergrund globaler Arbeitswelten, nationaler Morgennebel und geschichtlicher Altlasten. In Zusammenarbeit mit dem Teatr Polski in Bydgoszcz und dem Mannheimer Nationaltheater entstand dabei eine knapp einstündige Reflektion über kulturelle Ost-West-Verschiebungen und ihren Einfluss auf die menschliche Identität.

Im Biergarten der Globalisierung

Danckwarts gewaltiger Wortfluss speist sich aus zahlreichen Interviews, die sie bei ihrer Recherchearbeit in Deutschland und Polen zusammengetragen hat und für ihr zweisprachiges Ensemble zum rasant geschnittenen Biopic-Mosaik umgebaut hat. Oder vielmehr einem vertrackten Memory-Spiel. Immer wieder springt Danckwarts Text in Wiederholungen und Echos aus der linearen Erzählform. Oder sie strebt im Duett in Richtung simultaner Übersetzung.

Komplett zweisprachig in Wort- und Satzfetzen läuft der Abend über die beständig hell ausgeleuchtete Bühne. Vor schwarzer Rückwand mit zwei abschließenden Projektionsflächen stellen sich Malgorzata Trofimiuk, Luisa Stachowiak, Tim Egloff, Piotr Zurawski und Iwona Nowacka auf einem schlichten Podestquadrat als fragmentierte Biografienvermittler dem grenzübergreifenden Spiel.

Auf weißen, praktisch stapelbaren Plastikstühlen erzählen sie im schlichten Abstellraum des Biergartens der Globalisierung von Leistungsdruck und Statusangst ständig bewegter Geschäftsleute und Privatpersonen, der Bodenlosigkeit des Lebens zwischen zweier Nationen, der Existenz im Zwischenland. "Mit dem Boden immer im Portemonnaie" beschreibt es Tim Egloff an einer Stelle. Ein kraftvolles Bild der Austauschbarkeit und haltlosen Zwischenstopps, das hier von einem starken Ensemble an der Grenze zur Performance gezeichnet wird.

Der Holzhammer

Danckwarts Inszenierung versucht mit dem konventionellen Theaterraum zu brechen, auch wenn sie ihn dieses Mal nicht verlässt, wie bei ihren vorangegangenen Produktionen fürs Mannheimer Theater am Goetheplatz. Doch so ausgefeilt die textliche Dramaturgie auch in Vorleistung geht, so halbstark wirken die szenischen Ausbrüche aus dem Guckkastenformat. Ein wenig ausgestellt erscheint das performative Wechselspiel von solitärem figurativem Charakterspiel und erneutem Eintauchen in ein Ensemblespiel, das sich assoziativ stark der Improvisation nähert. Ein trickreicher Griff, der zwar eindrücklich mit den Grenzen der Persönlichkeit der Darsteller spielt, doch viele Behauptungen unbelegt im Spielraum stehen lässt.

Ein wenig undurchsichtig auch das Zusammenspiel von Erzähler und Erzähltem, bei welchem jeder Darsteller trotz wechselnder Perspektiven und Biografien seine spielerische Grundhaltung strikt beibehält. Und dabei ernüchternd schablonenhaft im jeweiligen Klischee stecken bleibt.
Und man spürt den schweren Luftzug des Holzhammers, wenn das Gruppenspiel sein Ende findet, indem die Übersetzerin/Souffleuse, selbst von Anfang an Teil der Inszenierung, auf die fragenden Blicke der Darsteller mit einem Fingerzeig auf das Ende des Stücks in ihrem Textbuch verweist.

Das ist alles ziemlich schade angesichts der faszinierenden und befreienden Textstruktur, die deutlich mehr Vertrauen verdient hätte. Doch gegen ein statisches Strategiespiel auf weißen Plastiksitzen kommt man auch als bilinguales Schwergewicht nur leidlich an und läuft leicht Gefahr, sich in szenischen Pointenhöhen zu verlieren.


Kill the katz/kac
von Gesine Danckwart
Regie: Gesine Danckwart, Bühne und Kostüme: Anke Niehammer, Dramaturgie: Ingo Brux.
Mit: Malgorzata Trofimiuk, Luisa Stachowiak, Tim Egloff, Piotr Zurawski und Iwona Nowacka.

www.nationaltheater-mannheim.de

 

 

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