Die Waschmaschine mags auch mal dreckig

von Esther Boldt

Frankfurt/Main, 20. Mai 2010. Defekte Neonröhren flackern, eine Wäschespinne kreiselt unter der Decke und weht weiße Hemden durch die Luft. Zwischen Waschmaschinen aus Schaumgummi tappst jemand im geringelten Häkelbärenkostüm umher. Mit köstlich schlappen Ohren und herrlich unbeholfenem Gang versucht er sich in der sauberen Alltagsbewältigung – im Waschmittelverteilen, Kleider bügeln und Maschinen beladen. Doch die bizarre Gerätelandschaft führt ein Eigenleben: Waschmaschinen schweben gen Decke oder eilen trippelnd davon, so sie plötzlich Beine bekommen. Ein Waschmittelkarton entzieht sich immer wieder den gestrickten Bärentatzen, Wäscheständer klappern bedrohlich und das Bügelbrett reißt seine Klappe auf. Kurz: Die Requisiten der Reinlichkeit verhalten sich wenig kooperativ.

Unter Anleitung eines Bären

So hübsch wie vertraut ist die Slapstick-Eingangsszene von "This door is too small (for a bear)", der neuen Produktion der belgischen Needcompany in Zusammenarbeit mit der indonesisch stämmigen Choreografin Grace Ellen Barkey. Die neonfarbenen Tier-Häkelkostüme torkelten bereits 2005 in "Chunking" possierlich umher, verbandelten einander im Spiel des Versteckens und Entdeckens, der anzüglichen Berührungen und des sauberen Bühnengerammels mit kokettem Blick ins Publikum.

Und ebenso hübsch wie vertraut geht es weiter: In den Hinterlanden des Waschsalons entblättert sich eine Folge von Varieténummern, träumerisch-skurril und bombensicher. Denn allzu routiniert spult die Company ab, was man von ihr kennt: Erhabene Tänzer und tragische Clowns, Harlekine, Elfen, schräge Vögel, lüsterne Faune und andere humanoide Sondermodelle in fein austarierten, schönen Nummern mit einem Quäntchen Skurrilität, das aber nie weh tut. Dabei hat man in der Trilogie "Sad Face/Happy Face" unter der Regie von Jan Lauwers doch gesehen, dass die Altvorderen der belgischen Theateravantgarde noch Zähne haben können.

Kleider, Häute, Leute

Aber nicht so in Barkeys Waschsalon, wo es plötzlich heiß und schmutzig zugehen soll, wenn zwei blondperückte Komödianten, ein lüsterner Puck, eine Frau im Paillettenkleidchen und eine mit ausgestopftem Bauch darüber debattieren, dass Sex und Sauberkeit unvereinbare Gegensätze seien. Wortwitzig sprechen sie über "Ponytails" und "Mousetails", werfen sich stöhnend aufeinaner und radebrechen beifallheischend auf Deutsch Richtung Publikum: "Schwanz!" – "Mit Senf!". Einen Penis-Tanz wird es später auch geben, angekündigt wie eine Drohung. Als sei Nacktheit noch ein Tabubruch im Theater, und als hieße Sinnlichkeit – über ebenjene sprach die Choreografin zuvor in Interviews –, schwitzige Haut zu zeigen und Fickbewegungen zu vollführen.

this door_needcompany4_philedeprez
Bühne in This door is too small ©Phile Deprez

Auch das kennt man schon aus den letzten Stücken wie dem aus dem "Porcelain Project" (2007), in dem die Künstlerin Lot Lemm eine Menge weißer Porzellanobjekte zum Bühnenbild verbaute oder als Porzellannasen oder –hörner allerorten und total gewagt Phalli wachsen ließen. Auch bei "This door…" stammt das Konzept von Barkey und Lemm, auch hier ist Lemm für das äußerst dekorative Bühnenbild verantwortlich.

Windelsauber und weißrein

Bei allen Plädoyers für Sinn und Sinnlichkeit möchte Grace Ellen Barkey niemanden verstören, und so ist jede Provokation nur die Behauptung von Altbekanntem. Sie wird kunstvoll abgerundet von hübschen Bildern, die verlässlich einlösen, was die Performer zuvor anmoderierten und dem Zuschauer so schon immer an belanglosen Interpretationen vorgeben - bevormundet fühlt man sich davon allemal.

Sonst verlässt sich Barkey vollkommen auf ihre Akteure, deren körperliche Besonderheiten wie im Zirkus oder im Kuriositätenkabinett vorgeführt werden. Wie eben der haarige, stets sabbernde Puck, der große, dürre Clown, der tapsige Bär mit der Hand im Schritt, als müsse er mal und die dunkelhaarige Fee mit den großen Augen und kokett rausgedrücktem Po. Das ist so windelsauber und reinweiß wie die Objekte im "Porcelain Project" – und man mag gar nicht entscheiden, ob dem Stück unterspannte Fahrlässigkeit oder reine Selbstüberschätzung zugrunde liegt. In jedem Fall: Diese Ideen sind zu klein für einen Theaterabend.


This door is too small (for a bear)
von Grace Ellen Barkey & Needcompany
Choreografie, Regie, Text: Grace Ellen Barkey, Bühne und Kostüm: Lot Lemm, Konzept: Lemm&Barkey. Mit: Misha Downey, Julien Faure, Yumiko Funaya, Benoît Gob, Sung-Im Her, Maarten Seghers.

www.mousonturm.de
www.needcompany.org

 

Mehr von der Needcompany im Archiv: wie besprachen die Trilogie Sad Face/Happy Face im Sommer 2008 bei den Salzburger Festspielen. Und Deconstruction 07, das im November 2007 beim Spielart Festival in München gastierte.

 

Kritikenrundschau

Wenig kann die Frankfurter Neue Presse (22. Mai 2010) diesem Abend abgewinnen. "Handlungsarmer Surrealismus mit dummen Witzen und Kindertheater-Sprechweise sind ja gut und schön, schreibt ein "dek" kürzelnder Kritiker. Doch wenn deutscher Bierernst und absichtslose Grotesken oder Appelle an die "gute Laune" aus Belgien oder England zusammenstoßen und es hohl klinge, müsse die Schuld nicht bei letzteren liegen. Doch nicht nur am "allgemeinen Unernst" der Aufführung hat sich der Kritiker gestört. Vor allem das "schwache Getanze" der Männer und die schlechten Spaßdialoge führen seine Mängelliste an. Auf der Habenseite der Inszenierung werden lediglich die "schönen, dynamischen Kontrasten der Darstellertemperamente" und ein paar Märchenfiguren verbucht, die allerdings aus früheren Barkley-Inszenierungen stammen, wie "dek" schreibt.

 

 

 

Kommentare  
This door is too small..., Needcompany: völlige Freiheit der Betrachtung
Zumindest beim Wien Gastspiel kam der Abend sehr gut an - ich konnte auch einiges damit anfangen. Die Kritik scheint mir auch nur die ersten 20 Minuten des Abends zu berücksichtigen, dabei weitet Barkey das Ganze doch zunehmend, schafft andere Ansätze, spricht andere Themen an - und animiert ihr Ensemble zu einer Spielfreude, die mich mitgerissen hat. Gerade "bevormundet" habe ich mich keine Sekunde gefühlt - entweder der Abend hat sich seit der Premiere weiterentwickelt, oder aber es handelt sich um ein Missverständnis. Da gibt es doch keine Interpretationshoheit - sondern völlige Freiheit der Betrachtung des Bühnengeschehens. Habe mich eher endlich mal ernst genommen gefühlt, meinen eigenen Weg durchs Stück zu finden, ohne an der Hand genommen zu werden ...
Kommentar schreiben