Was ihr wollt – Für Armin Holz ist Liebe keine Frage des Alters

Vom ewigen Leid mit der Lust

Vom ewigen Leid mit der Lust

von Sarah Heppekausen

Recklinghausen, 29. Mai 2010. "Mein 'Was ihr wollt' war immer eine Reise in die Vergangenheit", schreibt Armin Holz. Sein eigener, kurzer Text ist der einzige im Programmheft. Ansonsten füllen (neben der Besetzung) Inszenierungsfotos die Seiten. Bilder der Darsteller, denn die machen schließlich das Theater aus. Was als Aussage generell auf die Arbeit vieler Regisseure zutreffen mag, hat in diesem Fall doch einen besonderen Reiz. Holz wählte für sein "Was ihr wollt"-Ensemble ausschließlich Schauspieler der älteren Generation aus: "Ich habe die Figuren immer alt gesehen: sehr kostbar, sehr delikat."

Darsteller mit Falten im Gesicht als untrügliche Zeichen der Lebenserfahrung verwickeln sich hier in Liebesschwüren, die jugendlichem Leichtsinn entspringen. Weißhaarige schmollen, als hätte man ihnen den Ball weggenommen, reife Frauen kichern, als steckten sie mitten in der Pubertät. Begehren ist in dieser Inszenierung keine Frage des Alters. Oder vielleicht gerade doch? Es ist wohl die weise Erfahrenheit der Darsteller, die ihre gespielte Naivität nicht ins Alberne abrutschen lässt. Als Liebende sind die Alten unschlagbar jung.

Zielloses Spiel der Begierden
Orsino, der Herzog von Illyrien, ist unsterblich in Gräfin Olivia und in die Musik verliebt. Bei Dieter Laser bahnt sich der Herzensdrang seinen Weg durch den drahtigen Körper bis in die verkrampften Fingerspitzen. Sein Orsino erleidet die Lust. Da macht Holz' Hang zu Stilisierung und Manieriertheit Sinn. Wenn Laser deklamiert, ist das, als würge sein Orsino schmerzhafte Silben heraus. Verliebtsein ist bei ihm eine physische Herzensangelegenheit, die ihm die Luft zum gleichmäßigen Atmen nimmt.

Dieser Orsino küsst atemlos aber nicht Olivia, sondern Viola, die nach einem Schiffbruch als Mann verkleidet beim Herzog Zuflucht sucht, findet und sich heimlich in ihn verliebt. Im hemmungs- und ziellosen Spiel der Begierden offenbart sich die beteuerte Liebe als egoistischer Trip. Das demonstrieren Holz' ausgestellte Figuren. Während Elisabeth Trissenaar als Olivia dabei allerdings wenig jugendfrische Glaubwürdigkeit verströmen kann, spielt Ilse Ritter Viola/Cesario charmant mädchenhaft. Leichtfüßig wechselt sie die Geschlechter wie ihre kurzen Hosen. Denn Ritter spielt nicht nur Viola, die vorgibt ein Mann zu sein. Sie spielt auch Sebastian, den totgeglaubten Zwillingsbruder Violas. Dafür klebt sie sich einen Bart an. So simpel ist das Maskenspiel.

Geglättetes Bild
Und so oberflächlich. Die Doppelrolle Viola/Sebastian rückt das Geschlechter-Thema so weit in den Hintergrund, dass Verkleidung bloß eine Frage der äußeren Hülle, nicht aber von Identität ist. Darüber täuscht auch das großformatige Bild eines zweigeschlechtlichen Wesens auf der Bühne von Maler Matthias Weischer und Holz nicht hinweg. Während das stilisiert-groteske Spiel (auch bei Vadim Glowna, Hans Diehl, Markus Boysen und Angela Schmid) Shakespeares Figuren in ihren Eigenarten Tiefenschärfe verleiht, glättet die Doppelrolle das letzte Bild zur Zweidimensionalität. Im Dreierpack tänzeln Olivia, Sebastian/Viola und Osario von der Bühne. Von Ver- und Entwirrung keine Spur, nicht die Fehlbarkeit der Wahrnehmung haben wir kennengelernt, sondern vielmehr, dass Liebe reine Ansichtssache ist.

Gut, dass der Narr nochmal zum Abschied singt. Die dänische Sängerin Gitte Haenning hat diese Rolle übernommen (ursprünglich war Nicole Heesters angekündigt). Mit Strubbelhaar-Perücke und im weiten Ballonkleid hat Haenning etwas Märchenhaftes, selbst wenn sie die von Jazzmusikerin Lisa Bassenge vertonten Stücke angenehm soulig vorträgt.

Zeichenhafte Szenerie
Optisch fällt der Narr aber nicht auf in diesem bunten Gemenge phantasievoller Kostüme: Hüte in allen Formen, Schuhe in pink und lila, Gehstöcke im Glitterlook. Ähnlich befremdlich bleibt die Bühne, die mit symbolträchtigen Requisiten und Möbeln (wie Pfeil und Treppe) beladen wird, deren vermeintliche Bedeutung allerdings im Vagen verpufft.

Das letzte Bild im Programmheft zeigt übrigens den Regisseur selbst (wenn auch nur unscharf). "'Was ihr wollt' erfüllt einen Traum", schreibt er im Programmheft noch. Für den Zuschauer bleibt der entsprechend rätselhaft. Wunderbar in der detaillierten Darstellung der Schauspieler, nebulös in der zeichenhaften Szenerie.


Was ihr wollt
von William Shakespeare
in einer Bearbeitung von Gerhard Ahrens und Armin Holz
nach Übersetzungen von Johann Joachim Eschenburg, Christoph Martin Wieland, August Wilhelm Schlegel und Dorothea Tieck
Regie: Armin Holz, Bühne und Kostüme: Armin Holz, Matthias Weischer, Musik: Lisa Bassenge, Licht: Benedict Neuenfels.
Mit: Dieter Laser, Ilse Ritter, Markus Boysen, Hans Diehl, Vadim Glowna, Gitte Haenning, Elisabeth Trissenaar, Angela Schmid.

www.ruhrfestspiele.de

 

Mehr zu Armin Holz: Wir besprachen Schnitzlers Stück Der Einsame Weg, das Holz im Mai 2007 in Bochum inszeniert hat. Und Was ihr wollt wurde in dieser Spielzeit zum Beispiel auch von Barbara Frey in Zürich inszeniert. Und Michael Thalheimer hat mit Hilfe des Stücks im August 2008 den Schlamm spritzen lassen.

 

Kritikenrundschau

Armin Holz habe "Was ihr wollt" als "eine leidenschaftliche Liebesgeschichte mit Menschen um die 70" auf die Bühne gebracht, schreibt Stefan Keim in der Frankfurter Rundschau (4.6.2010). Doch "in den Oldies" stecke "eine gewaltige Energie und Frische. Von Ilse Ritter kennt man das ja schon, die grazile Beweglichkeit, die helle Stimme, das jugendliche Temperament." Wie sie aber das Zwillingspaar Sebastian und Viola spiele, das sei "wieder eine Sensation". Die Inszenierung bewege sich "ständig auf der Kippe. Wer sich nicht für die manchmal an asiatisches Theater, manchmal an expressionistisch-bunte Bilderwelten erinnernde Ästhetik begeistern lässt, könnte den Abend schlicht blöd finden. Künstlich, überspannt, hermetisch. Das ist er auch, und eben darin liegt seine Stärke." Figuren und Vorgänge blieben rätselhaft, ließen "sich weder psychologisch noch als gesellschaftliches Phänomen erklären." Bei aller Stilisierung habe die Aufführung aber "eine einfache, sogar eine naive Grundstimmung. Da überlagern sich keine Kommentarschichten, Holz lässt Shakespeare spielen, als wäre es das erste Mal." Die Inszenierung sei ein Solitär, ein eigenwilliges Werk Theaterkunst.

Edda Breski
schreibt auf der Webseite des Westfälischen Anzeigers (31.5.2010): Holz habe den Text "mit Feingefühl" überarbeitet, das Begleitpersonal sei gestrichen, Zitate aus den Sonetten eingefügt. Holz kehre das "elisabethanische Carpe diem" um: "Der Narr weist auf die Vergänglichkeit des Stücks und der Spieler hin." Gestrichen auch "weitgehend die Handlung um Violas Bruder Sebastian". Der werde "Teil des Geschehens, fast ohne dass man dessen gewahr wird. Er ist ein Teil Olivias". Armin Holz schaffe ein Liebesdreieck, in dem der dritte "ein Zwitterwesen" sei: Viola/Sebastian. Wenn dieser "All-Star-Abend des deutschen Theaters" einen Star habe, sei es Ilse Ritter. Sie bewege sich "zwischen Kinderspiel und Todernst". Regisseur Holz habe ein "dezentes Gerüst" geschaffen, in dem seine Schauspieler agieren könnten, "er verlässt sich völlig auf sie - und Shakespeares Text". Spannung wolle er nicht aufbauen - so sei der Abend "eine Folge melancholischer Bilder".

"So kann man Shakespeare auch verhunzen" - entsetzt zeigt sich Kai-Uwe Brinkmann in der Dorstener Zeitung (31.5.2010). Und zwar mit "einem wirren Regiekonzept, das Humor zu Albernheit herabwürdigt, Figuren zu Hampelmännern macht und das Kunststück fertig bringt, ein eigentlich überschaubares Szenario in diffuses Salbadern zu transportieren." Nicht einmal den Schauspielern kann er viel abgewinnen. Sein Fazit: "Ärgerlich."

Ausführlich ruft Vasco Boehnisch in der Süddeutschen Zeitung (1.6.2010) die Biografien der "Schauspielgranden" in Erinnerung, jener "Schauspieler-Senioren aus der guten, alten Theaterzeit, die gerade wieder so heftig diskutiert wird." Holz inszeniere sein Shakespeare-Wunschprojekt "mit einer großen Liebe für das Alter. Und mit Alten, die nach der Liebe suchen. Weniger die (homo-)erotische Identitätsfrage steht im Zentrum, sondern die Liebe als Jungbrunnen des Lebens." Das Ganze wirke "mit dem Setting aus spartanischem Licht, Bastelbogenkostümen und wie selbst geschreinerten, etwas symbolheischenden Requisiten" wie "eine beherzte Off-Theaterproduktion". Aber die Schauspieler machen das locker wett.

“Selten hat Shakespeare so alt ausgesehen”, meint hingegen Andreas Rossmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (1.6.2010). Weder mit der Leistung der Schauspieler noch mit Holz’ Regie ist er einverstanden: "Jeder spielt, was er will oder ihm dazu einfällt. So ist eine papageienbunt verschmockte, oberflächlich dekorative Inszenierung entstanden, die das Verwechslungsspiel der Komödie nur mühsam stilisiert auf die Reihe und von deren Tragik nicht viel mitbekommt. Die All Stars als Old Stars: Illyrien wird ins Seniorenheim abgeschoben."

 


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