Presseschau vom 9. Juni 2010 – Interview mit Frank Castorf im Berliner Tagesspiegel

Gegen das Seufzen

Gegen das Seufzen

9. Juni 2010. Frank Castorf hat wieder gesprochen, mit dem Berliner Tagesspiegel. Dort ist heute ein Interview veröffentlicht, dass Peter Laudenbach anlässlich des jüngst in Moskau herausgekommenen Tschechow-Abens Nach Moskau! Nach Moskau!, der demnächst nach Wien und im Herbst nach Berlin weiterzieht, und der Kündigung für Chefdramaturg Stefan Rosinski mit dem Volksbühnen-Intendanten geführt hat.

In dem Gespräch erklärt Castorf noch einmal, dass der Arzt Tschechow keineswegs der sentimentale Dichter war, für den er gelegentlich gern gehalten wird: "Er war immer gegen das Seufzen und für die Komödie, für das Vaudeville". In seinen Augen habe man es hier "mit einer grellen Komik zu tun, fast wie bei Artaud". Eine Komik, die für ihn aus der Kommunikationsunfähigkeit der Figuren resultiert: "Das Missverständnis ist die Voraussetzung für Komik". Man sehe bei Tschechow das "völlig verpfuschte Leben von einsamen, überflüssigen Menschen" und höre unter den "sensiblen Seufzern (...) das obszöne, das hysterische, das aggressive Weinen".

Außerdem verrät er, dass er im nächsten Frühjahr wieder einen Dostojewski-Stoff inszenieren wird, nämlich dessen Roman "Der Spieler", den im Oktober 2004 bereits Johan Simons unter dem Titel "Zocker" an der Volksbühne realisiert hatte. Während bei Dostojewski noch das "göttliche Prinzip" entscheidend sei, gebe es bei Tschechow nur "Sinnlosigkeit". Er zeige die "ständige Banalität" "in einer Art hinterfotzigen, ironischen Aufbereitung", die oft mit Moral und Psychologie verwechselt werde. "Tatsächlich ist er viel bösartiger".

Die neuerliche Arbeit mit seinen ehemaligen Ensemble-Mitgliedern Kathi Angerer, Jeannette Spassova, Bernhard Schütz und Milan Peschel bei dem Tschechow-Projekt bezeichnete Castorf als "sehr schön für mich, auch im Zusammensein".

Als Grund für die vor wenigen Tagen ausgesprochene Kündigung seines Chefdramaturgen Stefan Rosinski gab Castorf ein gestörtes Vertrautensverhältnis sowie die Tatsache an, dass Rosinski wenige Wochen vor Saisonende für die kommende Spielzeit "keine auch nur annähernd brauchbare Spielzeitplanung" vorgelegt habe. "Ich hatte den Eindruck, dass er Projekte, die nicht von ihm sind, zu behindern versuchte (...). Regisseure wie Luc Bondy sind irritiert, weil Stefan Rosinski nach außen aufgetreten ist, als wäre er die Volksbühne." Was dieser versucht habe, sei "eine feindliche Übernahme" gewesen. "Leider hatte er überhaupt keinen Schimmer davon, was er als Chefdramaturg in einem Theater zu tun hat. Das ist jetzt erstmal eine große Befreiung."

 

Mehr über Frank Castorf und die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, der er noch bis mindestens 2013 vorstehen wird, lesen Sie im Glossar von nachtkritik.de.

 

Kommentar schreiben