Presseschau vom 30. Juni 2010 – Susanne Gaensheimer verteidigt Entscheidung für Schlingensief als Gestalter des deutschen Biennale-Pavillons
Provokation als einzig möglicher Diskussions-Auslöser
Provokation als einzig möglicher Diskussions-Auslöser
Frankfurt am Main, 30. Juni 2010. Zwei Frankfurter Zeitungen, die Frankfurter Allgemeine und die Frankfurter Rundschau, berichten heute (30.6.2010) über die (Nicht-)Vorstellung der Pläne für den deutschen Pavillon auf der nächsten Biennale von Venedig im Frankfurter Museum für Moderne Kunst. Dessen Leiterin Susanne Gaensheimer ist Kuratorin des Pavillons und hatte Anfang Mai die Wahl Christoph Schlingensiefs als Pavillon-Gestalter bekannt gegeben. Inzwischen hatte Arno Sighardt, der Präsident der Bundesarchitektenkammer, ob dessen nationalsozialistischer Monumentalität den Abriss des Pavillons gefordert; Gerhard Richter hatte überdies die Berufung Schlingensiefs als Niedergang der Malerei gewertet und kritisiert ("Die nehmen einen Performer, dabei haben wir Tausende Künstler").
Schlingensief, der wegen seiner Krankheit selbst nicht auftreten konnte, schickte als Statement Filmmaterial nach Frankfurt, das ihn laut FAZ in einer auch in seine jüngste Inszenierung Via Intolleranza II eingebetteten Szene zeigen, in der er "eine rundliche schwarze Frau anbrüllt und ihr Papier entreißt. Das sei wertvoll, warum sie das denn nicht wisse. Darauf werde unsere Zeitung gedruckt, unsere Informationen, das sei die F.A.Z., und darin sei Gerhard Richters Gemälde 'Neger' aus dem Jahr 1964 abgedruckt, bei einer Auktion geschätzt auf 3,5 bis 4,5 Millionen Pfund".
Über Schlingensiefs Pavillon-Pläne konnte die Kuratorin Gaensheimer auf der Pressekonferenz nichts berichten. Stattdessen nahm sie noch einmal Stellung zu ihrer Entscheidung für Schlingensief. Ihre Aufgabe sei u.a. die Beantwortung der Frage, was nationale Repräsentation in Zeiten der Globalisierung bedeute. Richters Kritik kann Gaensheimer nicht nachvollziehen, sie habe Schlingensief auch deshalb ausgewählt, weil er Genregrenzen ignoriere, das Publikum einbeziehe und sich selbst nicht schone. Weil sein Werk eine soziale Dimension und provokative Kraft aufweise.
Seine gerade in München gezeigte "Via Intolleranza II" sei, so Gaensheimer, von "zwingender gesellschaftlicher Relevanz", "unglaublicher Kraft", "mitreißender Energie"; Schlingensief zeichne sich durch eine "bestürzende Direktheit" aus, deren Folge vollständige Überwältigung sei. "Provokation", so wird Gaensheimer weiter zitiert, "ist die einzige Form, Diskussionen in der Kunst auszulösen". – "Wäre demnach Überwältigung das Relevante von heute?" und "Welche Form der Provokation (...) ist relevant?", fragt dazu Swantje Karich in der FAZ.
Mehr zu Christoph Schlingensief im Archiv von nachtkritik.de.
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