Die letzten Tage in L. - Eine Erregung über einen Abend in der Skala
Der Geist des Dichters, abwesend
von Matthias Schmidt
Leipzig, 1. Juli 2010. Um es gleich zuzugeben: ich kenne nur den halben Abend. Nach einer Stunde bin ich gegangen. Länger habe ich es nicht ausgehalten. Vor mir sind bereits andere gegangen und nach mir sicher ebenfalls. Es war dies der Entschluss, der allzu offensichtlichen Erwartungshaltung des Skala-Teams nachzugeben, die unübersehbar darin bestand, die Zuschauer so lange zu provozieren und zu verärgern, bis sie protestieren und damit zugeben, wie intolerant sie in Wirklichkeit sind.
Zufrieden?
Bitte sehr, gern geschehen.
Allerdings, nach einem solchen Abend - und es gab viele davon in den letzten beiden Spielzeiten - kommt man gar nicht umhin, die an sich schreckliche, aber in Leipzig bereits diskutierte Schließung der Skala in den Bereich des Verkraftbaren zu rücken. Das Schlimme daran ist, dass ein Großteil des theaterinteressierten Publikums der Stadt und des Umlandes es gar nicht mehr bemerken würde. Die Skala ist eine Spielstätte geworden, die dem breiteren - darf man "normalen" Publikum sagen, ohne für spießig gehalten zu werden? - Theaterpublikum längst abhanden gekommen ist. Ja, sie verstößt ein solches bewusst.
Rückblick
Das Leipziger Publikum hat vor zwei Jahren seine eigentlich zu allen Zeiten gut frequentierte kleine Spielstätte, die "Neue Szene", verloren. Den Ort, an dem Jo Fabian inszenierte, an dem Volker Brauns Stücke für Zündstoff sorgten, einen Ort, der hier wahrlich nicht verherrlicht werden soll, der aber ein theatralisch vielseitig genutzter, zumeist gut besuchter und vor allem ein öffentlicher Ort war.
Leider ist der "Neue Szene"-Nachfolger Skala, ein ja auch mit großen Hoffnungen besetzter Neubeginn, nichts von all dem. Die Skala ist kein Ort mehr für Leute über - sagen wir - 30. Für Leute, die Wert darauf legen, im Theater auf Stühlen oder Bänken zu sitzen und keine Schäden an Gehör oder Kleidung zu erleiden. Gestern beispielsweise saß man auf alten Schrankteilen, die dann Stück für Stück zertrümmert wurden. Wenn's sein muß, unterm eigenen - sorry - Arsch.
Die Skala ist kein Ort mehr für Leute, die handlungsähnliche Strukturen im Theater für gebräuchlich halten. Die Skala ist auch kein Ort geworden, an dem wie an anderen kleinen Spielstätten der Republik das Werden junger Regisseure und Handschriften und Stücke verfolgt werden konnte. Hier werden Stoffe und Stücke nicht entdeckt oder interpretiert, sondern gerne bewusst bis zur Unkenntlichkeit dekonstruiert. Und die Regie-Talente dekonstruieren sich selbst gleich mit. (Vorschlag zur Kategorisierung: Auto-Dekonstruktivismus.)
Nicht nur einmal haben Inszenierungen bekannte Stoffe so entstellt, dass genau genommen urheberrechtliche Fragen hätten gestellt werden dürfen (z.B. "Die Strasse" von Cormac McCarthy). Oder sie benutzt, ohne sie in Titel und Programmzettel auch nur zu erwähnen (z.B. "Blade Runner" in Dietmar Daths "Maschinenwinter").
Die Skala ist weder "Baracke" noch "Orph-Theater", weder "Gaußstraße" noch "E-Werk", sondern eine geschlossene Gesellschaft, die gerne um sich selbst kreist. Und schon gar nicht ist die Skala ein Ort für Leute, die eine etwas gediegenere "kleine Theaterform" für berechtigt halten. Die soll es geben, die gerne ein Jon-Fosse-Kammerspiel sehen oder einen Beckett-Monolog. Das scheint in der Leipziger Theaterwelt als gestrig zu gelten, darf aber im Spektrum eines Stadttheaters eigentlich nicht fehlen.
Feldbusch statt Schernikau
Doch von vorn: nach einer Stunde dieses Abends, der dem Dichter Ronald M. Schernikau gewidmet war, war noch keine einzige Zeile aus Schernikaus literarischem Werk gesprochen. Sein Name steht noch nicht einmal auf der Titelseite des Programmzettels.
Stattdessen bemühte sich Rosalind Baffoe, die zu Beginn den Dichter Schernikau spielt, mehr als eine halbe Stunde lang, ihr aus dem Off gestellte Fragen in einigermaßen ordentlichem Deutsch zu beantworten. Ronald M. Schernikau im Interview: der extrem sprachgewandte, ziemlich schrille, bekennend schwule, aus dem Westen in die DDR gekommene, sehr kommunistische Dichter. Ein spannender Zeitgenosse wär er allemal. Keine schlechte Idee also, dieses Interview mit einem Toten, auch über das Hier und Heute.
Aber, bitte, wenn es um Schriftstellerei und Sprache geht, darf keine solche Ansammlung von Verona-Feldbusch'schen Stilfiguren herauskommen. "Ich spürte eine schützende Hand über mich", so würde es Schernikau sicher nicht gesagt haben.
Was danach kam, kommt einer Verhöhnung nicht nur des Publikums, sondern auch des Autors Schernikau gleich. Zunächst geschieht nichts, minutenlang. Das Saallicht ist an und nichts geschieht. Man schaut sich hilflos gegenseitig an. Weitermachen, denkt man, und einer ruft es sogar in den Saal. - Nichts. Bis Birgit Unterweger aufsteht (nun spielt sie Schernikau), um die große Provokation nachzuspielen, die dieser Dichter für die Öffentlichkeit so oft war, bevor er 1991 an AIDS starb.
Auf der Bühne ist er ein Mann mit Strumpfhosen beziehungsweise eine Frau mit Schnurrbart. Ein zweigeschlechtiges Wesen, das randaliert und grimassiert. Und zwar so genüsslich, dass es uns "Normalos" aus der Ruhe bringen muss. Eine ältere Zuschauerin protestiert, legt sich mit dem Schernikau-Wesen an, schreit es an. Es kommt zu Handgreiflichkeiten, zwei andere Zuschauer greifen ein.
Das wirkt sehr echt, ist aber so brutal, dass es eigentlich nur Teil der Inszenierung sein kann. Wir Zuschauer sollen offenbar aufgehetzt werden gegen diesen Mann, der hier als Irrer, als Karikatur seiner selbst gezeigt wird. Der, den man doch ehren wollte mit dem auf drei Tage angelegten Theaterfest, wird gleich mit dekonstruiert. Wir Zuschauer auch, natürlich. Ein Rollenspiel zum Zwecke - ja, welchem eigentlich - der Selbsterkenntnis, der Läuterung? Was für eine lächerliche und ärgerliche Idee, das heutige Publikum, das gekommen ist, um Schernikau wiederzutreffen oder zu feiern oder kennenzulernen, in die Rolle der Schockierten, der Ablehnenden, der Hasser hineinzudrängen.
Der Dichter spricht
Das war der Punkt, an dem ich einfach gehen musste. Sicher fing danach irgendwann die Lesung an, und sicher war sie gut. Dass Ronald Schernikaus Texte eine lohnende Entdeckung sind, kann man allerdings auch zuhause erfahren. Mir ist ein Text von Schernikau aus dem Buchregal regelrecht entgegengesprungen, das "sechsundsechzigste sonett von shakespeare":
ihr kotzt mich an, ich würd jetzt gerne gehn.
daß sie mein staunen immer noch bescheiden nennen
und hinter lachen nicht die armut sehn
und freien mut nicht, nur noch lüge kennen
und schamlos ihr geschwätztes konserviern
und liebstes nur zum zoten finden
und über unrecht, uns und unglück nicht mehr friern
und über jede art uns einzubinden
und die verfolgten dieser zeit bei tische mit verbieten
und herren sind und schrecklich unentzweit
daß alle aufrechten aus ihrer welt gerieten
und so gefahr mir droht: gewöhnung ist nicht weit.
und wie gesagt: ihr kotzt mich an;
doch mir zum gehn fehlt dieser dort
schweigende und redende und mir so liebe mann.
Die letzten Tage in L.
Lesung eines Autoren
Konzeption: Johannes Schmit, Raum: Susanne Münzner, Bühne: Ralf Hauschild, Kostüme: Franziska Grau, Dramaturgie: Anja Nioduschewski.
Mit: Rosalind Baffoe, Birgit Unterweger.
www.centraltheater-leipzig.de
Mehr zu Regisseur Johannes Schmit? Der arbeitete 2007 in Berlin mit Laurent Chetouane beim Tanzstück #2 und inszenierte 2009 in Leipzig unter anderen Tine Rahel Völcker und Katharina Schmitts Im Pelz.
Als grandiose "Feier des assoziativen Befragens" hat Janina Fleischer den Abend für die Leipziger Volkszeitung (3.7.2010) erlebt, und zwar ebenso inspiriert wie berührt. Der Regisseur löse von Anfang an das Versprechen einer Begegnung mit Schernikau ein und am Ende runde sich das Bild "vom schönen, klugen, gewitzten Schriftsteller zu einem schönen, klugen, gewitzten Theatererlebnis, das zuweilen überraschend körperlich ergreift, das keinen Anfang hat – so wie das Hinterfragen, für das Schernikau steht, kein Ende finden kann." Schön und souverän auf einem Ledersofa thronend beantworte Rosalind Baffoe Fragen aus dem Off, die zum überwiegenden Teil aus einem Interview mit Schernikau stammen. "Mal bekennt sie aus seinem, mal offenbart sie aus ihrem Leben. So stehen die Biographien zu- und gegeneinander. Beide sind Jahrgang 1960, Schernikau starb 1991 an den Folgen von Aids. 'Wo warst du 1989?' Da wohnte er in einem Plattenbau in Berlin-Hellersdorf, er, der letzte Kommunist, einer der letzten, der in die DDR übergesiedelt war. Sie reist als Model nach Paris, New York, Mailand. Und doch ergeben sich verblüffende Parallelen – in der Haltung zum Leben, zur Schönheit, zu den Menschen."
Schön, dass Sie diesen Text gelesen haben
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- das sommerloch bekommt angst
- hatten wir uns doch auf etwas sonne gefreut
- stadelmeier freute sich damals auf ionesco - der verfasser des obigen "alianz" textes freute sich auf schernikau....
achtung - "militanter ostberserker" (zitat faz - zur bekanntgabe hartmanns intendanz) leitet immer noch das leipziger theater
ich freue mich auch und meine darmzotten winden sich
völlig fassungslos lese ich Ihre "Kritik". Das kann nicht wahr sein, was Sie da von sich geben! Das darf gar nicht wahr sein!!!
Sie sehen einen halben Abend, wollen ihn aber ganz verreißen?
Sie leiten aus dem immer noch sehr persönlichen Missfallen eines Theaterabends oder gleich der ganzen Spielstätte ab, dass man die ruhig dicht machen könnte?
Sie wissen, wie Schernikau dies oder das gesagt oder gemeint hat? Und diejenigen, die diesen sicher streitbaren, aber in sich sehr geschlossenen Abend gemacht haben, wissen weder das eine oder das andere?
Sie werfen einer aus Afrika stammenden Schauspielerin vor, dass sei nur einigermaßen gutes Deutsch sprechen würde?
Sie fragen, ob das eine spießige Haltung wäre, Sie, der „normale“ Zuschauer? Nein, spießig ist das nicht! Sie ist anmaßend, ahnungslos und hat in Sachen Frau Baffoe sogar noch einen sehr, sehr, sehr ekelhaften Unterton. Ich verkneife mir, den mit einem Wort zu beschreiben, auch wenn mir eines einfiele.
Sie sollten sich schämen, Herr Schmidt!
nachtkritik sollte sich schämen, so etwas zu veröffentlichen!
Diese „Kritik“ ist ein sehr unschönes Beispiel dafür, wie freie Meinungsäußerung zu egomanem Freibeutertum missbraucht wird.
Das ist keine Kritik, sondern eine persönliche Abrechnung. Und wie auf diesem Niveau üblich, nehmen Sie sich eine Handvoll Zuschauer zur Hilfe, die den Abend so wie Sie vorzeitig verlassen haben.
Sie schreiben natürlich nicht, dass die übrigen Zuschauer bis zu dem sehr witzigen Schluss, der die von Ihnen ausgemachte „Provokation“ (gääähn!) selbst als Lächerlichkeit preisgibt, geblieben sind.
Sie schreiben natürlich nicht, dass es zwischendurch sogar Szenenapplaus gab. Waren das dann keine „normalen“ Zuschauer?
Wahrscheinlich alles Verwandte und Freunde der Mitwirkenden, stimmts, jaja…
Wahrscheinlich waren Sie da aber auch schon weg. Sie mussten ja noch Ihre „Kritik“ schreiben und die Schließung einer Spielstätte fordern.
Überhaupt: Was ist los mit nachtkritik? Schon in Sachen Skala-Schließung hat sich dies Portal zum Bauern auf dem Schachbrett einer komplett unfähigen Kulturpolitik gemacht.
Und diese „Kritik“ ist ein Skandal, die dem noch die Krone aufsetzt.
um es gleich vorweg zu sagen: Ich bin Freund und Kollege der Darsteller des Abends, den Sie halb gesehen haben. Dies nur, um nicht in den Verdacht zu geraten, hinter einem Pseudonym die Kollegen "hochschreiben" zu wollen. Ich sehe mich übrigens trotz meiner persönlichen und beruflichen Verbindung durchaus zu einiger Objektivität und Kritik in der Lage.
Doch leider ist das, was Sie hier machen keine Kritik - die doch im Sinne einer professionellen Beobachtung und Besprechung so schön wie wünschenswert gewesen wäre. Ich möchte micht nicht in hilflose, wütende Zynismen versteigen, um das zu beschreiben, was dieser tendenziöse Artikel von Ihnen meiner Ansicht nach ist. Ich danke aber Herrn Uecker, den ich nicht kenne, für seine sachliche und fachliche Antwort.
Ich möchte nur einiges Falsche von Ihnen richtigstellen:
1. Der körperliche Angriff war keineswegs Teil der Inszenierung! Wie nach ersten Schocksekunden sicher alle ausser Ihnen bemerkten.
Eine Zuschauerin hat eine Darstellerin beschimpft, geschlagen, getreten und an den Haaren gerissen. Keineswegs gab es ein "Handgemenge", sondern die Darstellerin ertrug diese Attacken, suchte sich lediglich in der Langsamkeit ihrer Performance und Figur zu schützen. Zu keinem Zeitpunkt wurden die Zuschauer, auch nicht vorher, verbal oder körperlich, zynisch oder agressiv provoziert.
Dies war auch nie Ziel der Performance. Wer die Arbeit sieht, versteht schnell, dass es sich um eine Anordnung handelt, sich dem facettenreichen und streibaren Menschen, Künstler Schernikau auf verschiedenste spielerische und erzählerische Arten zu nähern. Wer den Regisseur Johannes Schmit kennt, und von einer professionellen Kritik erwarte ich zumindest einige Vorbeschäftigung, weiß, dass er sich konsequent auf fast schon liebevolle Weise um andere Erzählformen bemüht, die nichts mit dem zu tun haben was sie in Ihrem Artikel als "Provokationen" anprangern.
In diesem Sinne ist der Abend keineswegs ein Zerstören oder Lächerlichmachen Schernikaus, sondern eine echte Arbeit an ihm und seinem Werk wie auch eine Homáge.
Glauben Sie mir, wir haben am Theater wichtigere Aufgaben und eine viel zu große Liebe zu den Dichtern als auch zu unserem Publikum, als dass wir sinnlos zerstören oder uns auf Ihre Kategorien des Abstempelns und Unterstellens einlassen könnten, mit der angeblich "offensichtlichen Erwartungshaltung" zu verärgern, um "Intoleranz" zu beweisen, "normal" sein oder "Spießigkeit" zu brandmarken. Keine Angst, das Theater ist da schon etwas reifer und reicher als Sie offenbar wahrnehmen können - oder wollen.
Dass der Abend mit einem Interview als einem Vexierspiel seiner Identität und Biografie beginnt hat Sie provoziert? Die Länge von Stillen? Das stumme, vorsichtige Spiel von Birgit Unterweger dann, in der zwar gezielt und geführt mal ein Möbelstück kaputt geht? (Sicher nicht "unter Ihrem Arsch"!) Dies qälend autoagressiv, nie gegen Zuschauer geschieht? Das in der Vorsichtigkeit und distanzierten Nähe in aller Langsamkeit nur fragende Blicke den Zuschauer treffen?
Als die Zuschauerin gleich zu Beginn dieses ruhigen, zweiten Teiles von vieren - es war noch nichts passiert, ausser, dass die Darsellerin sich ihre Haare ins Gesicht strich - auf Birgit Unterweger eintrat, rief sie dabei: "Spiel endlich, du Kuh!" Diese entstandene Spannung, die nicht geplant war, die an der Premiere auch Darsteller wie Zuschauer überraschte, diese Hintergründe der Aggression zu beschreiben und zu befragen, hätte eine Aufgabe von Ihnen sein können, müssen. Aber was Sie da anstiften geht in den Bereich geistiger Brandstiftung, fraglos, tendenziös, nicht nur an der Skala, sondern auch an der Kritikfähigkeit selbst, und damit an der Kunst und dem Dichter selbst. Sein von Ihnen zitiertes Gedicht sprang sie vielleicht genau aus diesem Grund an. Ihr Artikel ist wie das geschriebene Nachtreten: "Spiel endlich!"
2. Wenn Sie geblieben wären, hätten sie sehr wohl und pur den Schriftsteller gehört - seine Rede an den Schriftstellerverband und das komplette "Die letzten Tage in L." Sie hätten erlebt, wie sich eine Darstellerin trotz der Verletzungen weiter um den Schriftsteller bemüht, den Abend weitere zwei Stunden durchkämpft, und dass sich Bedeutungsbögen vielleicht hier und da, wie oft im Theater, erst später erschließen. Und dass ein durchaus heterogenes Publikum, bis auf einzelne sind alle geblieben, Herr Schmidt, durchaus unprofessionell, sich mit einem kräftigen Applaus bedankt. Um danach sehr angeregt über den Abend wie den Dichter zu sprechen und zu streiten.
Dies - mit welcher sachlichen Kritik auch immer - zu beschreiben, wäre Ihre professionelle Arbeit gewesen und ihre Schuldigkeit ihrem Beruf und dem von Ihnen angeblich so geliebten Dichter gegenüber.
Aber sie sind gegangen. Um das hier zu schreiben.
2.
lieber Matthias Schmidt,
Johannes Schmit (Konzeption und Einrichtung) und seine Schauspieler haben sich in einem Zeitraum von drei Wochen mit dem Autor Schernikau auseinander gesetzt. Der letzte Teil dieser Auseinandersetzung ist die Lesung eines Autors, wie es übrigens der Programmzettel ankündigt. Ein Mittelteil ist die weitgehend stumme Aktion einer Schauspielerin. Ein erster Teil ist das aus dem Off geführte Interview mit Rosalind Baffoe.
Der Abend ist erstens – und zwar für jeden erkennbar - im Unterschied zu einer „Inszenierung“ - in seiner gewählten Form ein für die Spielstätte Skala wesentliches Format. Die künstlerische und inhaltliche Sicht auf Schernikau, die der Abend konstruiert, ist zweitens naturgemäß eine spezielle. Man muss diese Sicht nicht teilen. Das muss man grundsätzlich nicht. Das ist völlig legitim. Man kann über diesen Abend sowohl kompetent als auch ahnungslos reden. Aber man kann wirklich nur über ihn reden, wenn man ihn in Gänze gesehen hat.
Ich habe den Abend gestern gesehen, ich war gestern im Saal. Ich habe auch gesehen, dass Sie, Herr Schmidt, die Auseinandersetzung mit Texten Schernikaus nicht wahrnehmen konnten, weil Sie gar nicht da waren. Soviel zu einer sinnvollen Diskussion darüber, was stattgefunden hat oder nicht. Wie Sie zu Ihren Einschätzungen gekommen sind, was an diesem Abend Theater war, was passiert oder „nicht passiert“ ist und was davon in Ihren Augen als „Theater“ gelten darf oder nicht, was für Sie „normal“ oder nicht normal gewesen zu sein scheint, was Sie als „Provokation“ verstehen und was nicht, das entzieht sich komplett meiner Kenntnis. Darf es aber auch.
Es ist eine Ungeheuerlichkeit, dass Sie aus Ihrer persönlichen Unzufriedenheit mit dem Abend heraus die Darstellerin Rosalind Baffoe in der von Ihnen gewählten, schlichtweg rassistischen Form angehen. Das ist ein blanker Skandal, der letztlich noch schwerer wiegt als Ihre absurden Unterstellungen zur Entwicklung der Skala, die Ihrer Wahrnehmung nach zu einer U30-Spielstätte geworden und damit überflüssig sei.
Eklatant falsch ist auch ihre Schilderung der Zuschauerreaktionen, wie sie gestern Abend stattgefunden haben sollen. Aber das nur noch am Rande.
Centraltheater und Skala haben sich in den letzten zwei Jahren - mit übrigens durchaus sehr unterschiedlichen Arbeiten und Formaten – jedweder inhaltlichen Kritik gestellt, sowohl der positiven als auch der negativen. Wir haben, das kann man sagen, darin auch durchaus Nehmerqualitäten entwickelt. Wir haben auch immer wieder unsererseits bewußt kontroverse Reaktionen beim Publikum herausgefordert.
Es ist skandalös, wenn ein Theaterkritiker es auf Basis eines nicht gesehenen Abends als “verkraftbar” bezeichnet, eine Spielstätte zu schließen. Auch wenn wir bereit sind, noch die haarsträubendsten Mutmaßungen eines ganz speziellen Geschmacksurteils über unsere Arbeit hinzunehmen bzw. sie grundsätzlich für unsere sehr ernsthafte Arbeit produktiv zu machen, so überschreiten Sie hier eine für jeden lesbare Grenze. Sie verbinden das auf mangelhafter Grundlage entstandene persönliche Geschmacksurteil mit einer letztlich politischen Stellungnahme. Das ist ein klarer Tabubruch.
Die künstlerische Leitung von Centraltheater und Skala distanziert sich hier öffentlich von Ihrem Artikel und Ihrer abstrusen, schädlichen, künstlerisch nur verbrämten Argumentation.
Mit freundlichen Grüßen
Uwe Bautz
Chefdramaturg Centraltheater & Skala
mein gott euer paranoides euch selber überernstnehmen ist wirklich traurig.wenn ihr zum genossen mao wollt um alle individualistischen negativen tendenzen zu meiden dann schaut doch mal bei uns in der volksrepublik vorbei.
wir können so nen haufen konformistischer jasager gut gebrauchen.
mit vaterländischem gruss
deng xioa ping
das ist wirklich innovativ und neu.
wenn ihr jetzt auch noch die verbliebenen zuschauer vergrault könnt ihr euch in ruhe und ungestört gegenseitig bei der nabelschau betrachten.
viel vergnügen dabei wünscht günther bauer
Aber viele der obigen, wie Blogarrhöekranke wirkende Threadteilnehmer, für die jegliche Kritik am Centraltheater oder dessen Intendanten oder einzelnen Inszenierungen verboten zu sein scheint, wie weiland zu DDR-Zeiten am Staatsratsvositzenden, verwechseln einfach Ursache und Wirkung.
Kleiner Tipp für die Redaktion: Nicht über jedes Stöckchen springen, das das Centraltheater hinhält. Sondern öfter mal von anderen Theatern berichten, dann muss auch nicht eher gegangen werden …
überlesen wir mal wieder den üblichen Stuss unter 9. und 10. Ich habe den Abend nicht gesehen, bin aber als ziemlich regelmäßige Skala-Gängerin total anderer Meinung als Herr Schmidt, was die Skala angeht. Bin ich jetzt nicht "normal"? Sind die Festivals nicht "normal", die Skala-Produktionen eingeladen und ausgezeichnet haben? Und ich bin auch schon über 30! Fast 40! Was jetzt? Ich finde, es ist ein Armutszeugnis, dass nicht Sie und auch nicht Herr Schmidt zu dem größeren Ärger über Ihre Kritik Stellung beziehen. Größe sieht anders aus! Ausgewogenheit auch, ich stimme Tobias Uecker zu.
Schöne Grüße aus der Südvorstadt,
Solveig
den rassismus-vorwurf verstehe ich nicht. wieso ist das rassismus?
Man kann folgende Punkte aus der Kritik herausfiltern, warum Matthias Schmidt das Stück doof fand:
-Man kann nicht auf Stühlen oder Bänken zu sitzen
-Es gibt keine handlungsähnlichen Strukturen
-In der ersten Stunde wird (noch) nichts aus Schernikaus Werk gesprochen
-Es gab grammatikalisch falsche Satzkonstruktionen
WOW. Soetwas ist wirklich eine Frechheit. Möchte ich auch niemals sehen. Wie absurd, soetwas noch Theater zu nennen.
Passen Sie auf, bald zieht sich auch noch einer aus auf der Bühne und macht sich vor allen nackig!!! Dann kommt aber die Polizei.
Die nimmt aber nur alle unter 30 fest. Weil die finden das noch gut. Pfui.
Nicht genug, daß ein Kritiker einen Abend verurteilt, den er höchstens halb gesehen hat, jetzt pflichten ihm ausgerechnet noch Leute bei, die ihn gar nicht gesehen haben und die Skala noch nicht mal kennen. Wenn sich hier einer in eine Ahnenreihe mit dem Staatsratsvorsitzenden zu DDR-Zeiten stellt, dann wohl du, Oliver L.! Die Kritik selbst wird ja gar nicht kritisiert, wohl aber die mit der Kritik verbundene Forderung, die Spielstätte zu schließen. Das ist wahrhaft ein starkes Stück!
nicht, dass ich sie nicht um ihre interpretationshoheit über ronald m. schernikau beneide, den ich 88/89 noch persönlich am becher-institut kennenlernen durfte; auch dass sie wissen, wann theater wie theater zu sein hat, lässt mich beeindruckt zurück. beeindruckt war ich auch vom gestrigen abend und der konzentration der mitwirkenden, die sich unter anderem gegen eine verschwindende minderheit von störenfrieden wie sie durchsetzen mussten, die meinen, mit einer eintrittskarte und einer erwartungshaltung für sich einen künstlerischen akt annektiert zu haben. man könnte respekt zollen, mit welcher verve sie in ihrem forum ihr mütchen kühlen! was bleibt, ist dann aber doch geringschätzung ihres "wutausbruchs". wer in ihrer weise die contenance verliert, sollte sich vom rechner fernhalten; der sollte keine kritiken schreiben, wenn er in zweifacher weise kritikunfähig ist. + darf einem ihr ausbruch zugleich nicht als unglaubwürdig erscheinen, angesichts der absicht des hiesigen kulturdezernenten, eben jene spielstatt zu schließen, die sie gerne geschlossen sähen?
Herr Schmidt hat lediglich bemängelt, dass Frau Baffoe kein korrektes Deutsch gesprochen hat, von ihrer Hautfarbe war überhaupt nicht die Rede. Gelegentlich kommt es vor, dass selbst Personen deutscher Herkunft der deutschen Sprache nicht ganz mächtig sind oder etwas Unverständliches vor sich hinnuscheln. Ein Kritiker mag das als störend empfinden – störend für das Begreifen des Zusammenhangs – und kann das durchaus in seiner Rezeption erwähnen.
Ich erlebte Frau Baffoe schon in der Berliner Volksbühne und hatte keine Verständnisschwierigkeiten. Bei Herrn Schmidt war das etwas anders, er vermisste eben das sprachliche Feingefühl, eine weiße Hautfarbe vermisste er wohl kaum. Hier eine ethnische Abwertung zu unterstellen, ist schlechter Stil und halte ich für geschmacklos.
Was sind das für bizarre Reaktionen aus Leipzig? Offensichtlich hat der Kritiker den unvermuteten Angriff der Zuschauerin falsch gedeutet oder sein Fehler war, hier überhaupt einen Interpretationsversuch zu starten. Aus dieser kritisieren Szene macht Manuel Harder dann sogleich eine geistige Brandstiftung, die bis in die Kritikfähigkeit hineinreichen soll, sogar bis in die Kunst und zum Dichter. Bislang wusste ich nicht, dass eine harmlose Kritik solche Macht hat und Brandsätze werfen kann. In Leipzig sollte man sich eher fragen, warum Bühnenakteure von entfesselten Zuschauern angegriffen werden und warum die Schauspieler nicht besser beschützt werden, etwa von dem im Saal anwesenden Herrn Bautz. Spielstätten, in denen wegen unzufriedener Rezipienten Prügeleien entstehen, sind wohl für ein Spezialpublikum gedacht, dem aufgrund langjähriger Abstumpfung auch härtere, für empfindsame Personen gänzlich ungeeignete Darbietungen zuzumuten sind.
Wieso soll es skandalös sein, wenn ein Kritiker, dessen Geschmacksgrenze deutlich überschritten wurde, schon nach der Hälfte des Stückes geht? Manchmal ist es aus Selbsterhaltungsgründen einfach nötig, ein Stück vor der Zeit zu verlassen.
wir sind über verrisse nie glücklich und würden am liebsten nur hymnen auf unserer seite sehen. andererseits sind aber unsere kritiker natürlich unabhängig, und wir respektieren ihr urteil.
dies ist im fall der skala-produktion nun sehr heftig ausgefallen, und ich kann ihre enttäuschung darüber gut verstehen. nicht allerdings ihre bestürzung über die inkriminierte stelle über das deutsch der hauptdarstellerin.
denn hier hat doch der kritiker lediglich sein missfallen darüber zum ausdruck gebracht,dass der dichter schernikau hier aus seiner sicht unagemessen sprachlich dargestellt worden ist, verona-feldbusch-mäßig nämlich. das "da werden sie geholfen"-deutsch hat matthias schmidt in zusammenhang mit der darstellung von schernikau gestört. Und das hat er geschrieben, was, wie ich finde, zunächst einmal doch sein gutes recht sein muss.
mit herzlichen grüssen
Diese Inszenierung danach, wo jemand seinen eingewickelten Po den Zuschauern ins Gesicht gehalten hat und dazu immer herumgekichert wurde, kam mir pubertär und affig vor.
Die Beinahschlägerei hat die Spannung ja auf die Spitze getrieben, richtig unangenehm war das Herumgekeife, bei dem alle Schauspieler ja eifrig mitgemacht haben. Hühnerhaufen.
Da ich ja dann auch gegangen bin, kann ich über den weiteren Verlauf nichts sagen.
Alles in allem bestätigten sich die Befürchtungen, die beim Lesen der Ankündigung aufkamen, wo R. M. Schernikau ja als einer der "politisch fragwürdigsten" Schriftsteller denunziert wird, ähnlich der Methode, die in seiner Biografie (von M. Frings) angewendet wird: Schernikau ist "schillernd", interessant, widersprüchlich, sensationell (also alles das, was der Westen von einem will), hat aber von Politik keine Ahnung! Damit wird der Bolschewist Schernikau zum Spektakel Schernikau gemacht, und das ist genau die Scheiße (bei ihm heißt das z.B. "entinhaltlichung"), vor der er in die DDR geflohen ist.
(Dass diese Gesellschaft auf dem Weg nach unten mal wieder keinen Stein auf dem anderen lässt, ist dem abgeneigten Beobachter schon klar)
Es freute mich, wenn mein Beitrag zu einer inhaltlichen Diskussion über die kleine Spielstätte des Leipziger Stadttheaters führte. Dafür gibt es auch in diesem Forum positive Zeichen. Die mehr oder weniger persönlichen und ideologischen Debatten nehme ich natürlich in Kauf; es war mir durchaus bewusst, dass ich mit meiner Reaktion auf den Abend möglicherweise an einem Pranger landen würde. Aber es geht hier wahrlich nicht um mich, so viel Bescheidenheit trauen Sie mir bitte zu. Es geht darum, welche Rolle die Skala im Theaterleben der Stadt spielt. Und in dieser Frage bin ich nach wie vor überzeugt davon, eine durchaus vertretbare Position eingenommen zu haben.
Deshalb schrieb ich, dass ich die Vorstellung von einer möglichen Schließung der Skala an sich schrecklich finde. Es muss allerdings gerade deshalb erlaubt sein, auch im Namen vieler Leipziger, die diese Spielstätte vermissen, aber als so genannte „pre-digitals“ nicht in diesem Forum posten, die konzeptionelle Ausrichtung eines öffentlichen Theaters in Frage zu stellen. Denn, noch mal, die Skala ist kein zusätzliches Angebot an die Theaterinteressierten, sondern sie hat die „Neue Szene“ abgelöst und damit quasi aus einem Vollprogramm ein vergleichsweise spezielles Spartenprogramm gemacht. Das wollte ich sagen, und wenn eine Stadt den an sich absurden Gedanken einer Schließung der Skala in Umlauf bringt, so sollte das Theater meiner Meinung nach darüber nachdenken, wie es dieses Haus unverzichtbar für die Stadt machen könnte. Meiner Wahrnehmung nach geschieht stattdessen das Gegenteil.
Persönlich ist mir im Augenblick vor allem etwas anderes wichtig: der Rassismus-Vorwurf, den ich nicht unwidersprochen lassen möchte. Einerseits muss ich mich in aller Deutlichkeit dagegen verwahren. Nicht ohne Grund enthält mein Text keinerlei Hinweis auf Rosalind Baffoes Herkunft. Worum es mir ging, wähnte ich klar beschrieben. Da offenbar bei einigen Lesern dennoch der Eindruck entstanden ist, ich habe hier mit Ressentiments argumentiert, möchte ich die Leser dieser Seite, das Leipziger Theater und vor allem natürlich Rosalind Baffoe selbst bitten, diese Unklarheit zu entschuldigen.
Matthias Schmidt
Ich bin nicht normal
total nicht komplett, sagte jemand... und ausländer ... und weiss ... und auch ich bin das leipziger publikum... Bruder Schmidt. Wo bist du gerade Bruder seelenforscher, menschenkenner, theaterexpert, ich vermisse dein mut, die worten deiner seele... ich plädiere für deine angst -angst ist gut und rettet- deine angst, die grenzen deinerselbst zu erkennen, ich will auf ewig dein geisel sein (ich diese kleine part des gesamten leipziger publikums), ich will, dass du weiterhin für mich sprichst, mir weiterhin aufklärt was theater sein muss, ist, wo es gespielt werden darf oder nicht... bitte, rette meine über 30 jährigen theatererfahrung ... bin den falschen weg gegangen vermutlich... jetzt bist du für mich da. Lass mich dich lieben, Bruder kritiker... gemeinsam sind wir die zukunft... von vorgestern! Sei erhoben im Pantheon der ungerecht behandelten. In liebe zu dir... der Ü40 skala-besucher aus woanders
hören Sie bitte auf zu schreiben und gehen Sie zu Frau Unterweger, Frau Baffoe... sowie diese Zuschauerin und entwickeln Sie gemeinsam eine Stellungsnahme... um alle Vorwürfen aus dem Welt zu schaffen. (Manche glauben wirklich, dass sie ziemlich Reaktionär sind! Aber Sie selbst haben die verwirenden Argumente abgeliefert) Sie würden dabei Novum schreiben und wirklich in Dialog tretten... Stellen Sie sich es vor: Theater, Kritiker und Publikum vereint! Was für eine tolle Utopie.
Weniger verborgen als auf nachtkritik ist eine zweite Kritikermeinung zur Skala-Premiere hier zu lesen: nachrichten.lvz-online.de/kultur/buehne/grandios-in-der-skala-rekonstruieren-schmit-baffoe-und-unterweger-die-letzten-tage-in-l/r-buehne-a-38055.html
Zweiter Versuch, da meine harmlose Reaktion auf den reduzierten "L E" aus unerfindlichen Gründen der Zensur zum Opfer viel. L E fällt eigentlich nur dadurch auf, dass er in Abständen andere Kommentare in zwei Sätzen herabwürdigt, ohne jemals einen produktiven Kommentar abgegeben zu haben.
1. Ich bin nicht konservativ.
2. Die journalistischen Arbeiten von Herrn Poschardt kenne ich kaum. Lassen Sie es also besser mit Ihren Erinnerungen.
keineswegs, erlebte zB. "Im Pelz", das auch zu "radikal jung" im Münchener Volkstheater
geladen worden ist, keineswegs als eine Übergriffigkeit oder gar Provokation des Publikums, erlebte "Idioterne" auf einem Stuhl sitzend, und auch die Zumutungen der
Inszenierung von "Hunger" empfand ich recht ähnlich wie es mir aus Herrn Gambihlers
Nachtkritik seinerzeit heraus erschien: All diese Dinge erlebte ich als Ü-30 und keineswegs nur von U-30-Zuschauern umringt: und auch die "U-30er" erlebte ich nicht als Szene-Konfession, im Gegenteil zeitigte gerade die Nachbesprechung zu
"Hunger" seinerzeit eher Vokabeln der "Bewertung" wie "Neugierde und Aufgeschlossenheit", kurzum: Ich habe die "Skala" von den drei Abenden, die ich besucht habe, her schätzengelernt (und zwar aus einer zuvor skeptischen Haltung heraus,
die sich aus der Erfahrung mit Hartmann-Inszenierungen bzw. -statements ent-
wickelt hatte, speiste).
Was nützt es, die ganze Welt zu gewinnen, wenn ich Schaden an meiner Seele nehme ... ?!!
Diesen Satz veranschlage ich freilich auch für einen Kritiker: Herr Schmidt hat das
Stück, das er kritisieren sollte, verlassen, und er hat dafür seine Gründe deutlich dargelegt, ja, er ahnte ja sogar im Voraus, daß da sicher noch mehr "vernünftiger Schernikau" zu vernehmen gewesen sein würde, sah allerdings die Anlage der Inszenierung auf einen ärgerlichen Ansatz hin zwanghaft zulaufen und empfand offenbar eine Atmosphäre bloßen Draufsetzens, Stichelns, Übergriffigseins: eine Atmosphäre, die leider auch außerhalb des Theaters gelegentlich häufiger dazu "zwingt", die eine oder andere "Party" vorzeitig zu verlassen oder einfach "Stadtränder oder Salzwiesen" aufzusuchen ... .
Ich halte die Verquickung der Debatte um "die letzten Tage der Skala" mit den offenbar wiederholten Ärgernissen für Herrn Schmidt für sehr unglücklich, wenn gleich sowohl das Große als auch das Kleine Haus Leipzigs auch aus meiner Perspektive durchaus Gefahr laufen könnten, die Phänomenbreite an möglichen Spiel - und Interpretationsweisen ein wenig auf "Einseitigkeit" hin zu verfehlen
auf Dauer: aber für eine solche Diagnose, denke ich, ist es nach der zweiten Spielzeit einer Intendanz noch ein wenig zu früh.
Manch eine Enttäuschung über Skala-Produktionen mag sogar von Ansätzen herrühren, die gerade dort gemacht worden sind: gerade "Im Pelz" , "Idioterne"
und "Hunger" befragen doch auf ihre eigene und durchaus konstruktive Weise das
Verhältnis Schauspieler-Produktion-Zuschauer-das Menscheln zwischen Publikum und Schauspieler: es wäre sehr eigenartig, wenn gelegentlich dabei nicht auch an die größten Verwerfungen bzw. Hoffnungen gerührt werden würde, welche menschliche Beziehungen allenthalben erfahren beziehungsweise ihnen entgegengebracht werden. So empfand ich "Idioterne" einerseits als formschwächer und uneinheitlicher wirkend als Pollesch-Produktionen, andererseits sah ich das allerdings auch als konstruktiv auf ein Theater zielend, das Herrn Schmidt ua. in der Skala fehlt: handlungsähnliche Strukturen !
Um solche Strukturen geht es im Grunde ja auch bei der Stockmann-Debatte, und die Aufgeregtheit um die "Skala" nimmt sich vor diesem Hintergrund schon merkwürdig aus, so als gäbe es dergleichen nicht auf viel allgemeinerer, grundsätzlicherer Ebene.
Indizien gibt es, daß sich gerade zu Leipziger Abenden sehr viel Beteiligung aus dem
Publikum auch auf nachtkritik de. regt, oft genug Ü-30, und regte und wohl auch
fernerhin regen wird, Indizien für eine positive Haltung gegenüber nachtkritik de. und
teilweise auch den marktunüblicheren Freiheiten einzelner KritikerInnen (diese sollten
wir schätzen !!), Indizien für jene Aufgeschlossenheit, Neugier und Leidenschaft der LeipzigerInnen , die ich so sehr schätzengelernt habe: Leute, geht weiter in die
Bosestraße, solang das noch geht, und nehmt die Einwürfe des Kritikers zum Maß-
stab Eurer eigenen Positionierung: Bürgerkrieg um die Skala herum, das ist albern.
da googlet man, und spekuliert; Na gut, verdient nicht viel, einer, der wohl selber gerne literatur schreiben würde (der schöne untertitel "eine erregung über..."), frustriert, die aufführung entspricht nicht seinem geschmack, verreißt er sie. muss man sich wohl dran gewöhnen, an diese rezensenten, an diese rezensionen.
dass er die schließung einer spielstätte fordert, ist meiner meinung nach allerdings ein bisschen selbstmord. oder eine PROVOKATION? will er jetzt die mutmaßlich gesehene kontern? aber wenn der kritiker ernsthaft die schließung von spielstätten fordert und nicht die veränderung, dann hat er doch irgendwann ncihts mehr zu kritisieren, oder hab ich da falsch gedacht?
oder meint er, wenn die seiner meinung nach falschen, schlechten spielstätten geschlossen werden, dann kann er das theater sehen, das er will und wieder mal eine laudatio schreiben?
dabei wollte ich sagen, was mich viel mehr stört, ist die haltung von NACHTKRITIK, die sich immer gerne als ernstzunehmendes feuilleton verstehen will und so kritiken anderer feuilletons über sich selbst online stellt, dann frau slevogt sprechen lässt und den artikel von herrn harder und herrn bautz darauf reduziert, dass sie gerne, statt einem verriss eine hymne gehabt hätten.
das finde ich persönlich ähnlich feige, wie wenn matthias schmidt u.a. den vorgang, der sich da zwischen der zuschauerin und der darstellerin abgespielt hat, in seiner besonderheit ignoriert, indem er es lediglich als inszenierte provokation sehen will (wahrscheinlich selbstschutz).
was ich an dieser ganzen sache gut finde, ist, dass sich herr harder, sowohl die leitung des theaters, als auch zuschauer, für den abend und für die spielstätte einstehen.
pro skala, pro schmitt, pro "die letzten tage in l."
Sie scheinen ja ein wahrer Sozialrevolutionär zu sein, im Geist ein U-20, kraftvoll, authentisch, radikal.
Was ist eigentlich passiert? Ein Kritiker legt die Karten offen auf den Tisch und gibt zu, früher gegangen zu sein. Vielleicht nicht die feine Art, aber wer weiß, wie oft Kritiker früher gehen, ohne dies offenzulegen. Herr Schmidt war also ehrlich.
Der Skandal besteht in folgendem Gedanken: "Man kommt gar nicht umhin, die an sich schreckliche, aber in Leipzig bereits diskutierte Schließung der Skala in den Bereich des Verkraftbaren zu rücken." Das ist starker Tobak. Aber ist es ein Gedanke, den man gar nicht äußern darf? Kunst muss sein, das ist keine Frage, aber sie darf sich auch nicht zu sicher fühlen. Immer nur auf den Pfründen herumreiten, ohne noch die Frage nach ihrer Funktion in ihrem (in diesem Fall städtischen) Rahmen zu stellen, halte ich für falsch. Herr Schmidt hat die Frage gestellt, und dass sie ihre Berechtigung hat, zeigen die angestochenen Kommentare, die zumeist nicht das Argument, sondern nur die Beleidigung und die Unterstellung lieben. Wenn hier die Skala-Leute selbst schreiben und sie sich auf diesem Niveau bewegen sollten, nun ja, dann wage ich den Un-Gedanken, dann wäre ihre Schließung wohl zu verkraften. Ich glaube und hoffe aber, dass es andere sind. (Herrn Bautz als nachweislichen Centraltheater-Mann muss ich natürlich ausnehmen, er hat sich durch die Rassismus-Unterstellung in jedem Fall mehr blamiert als der Herr Schmidt).
Grandios: In der Skala rekonstruieren Schmit, Baffoe und Unterweger „Die letzten Tage in L.“
Janina Fleischer
Foto: R. Arnold/Centraltheater (3)/ Aufbauerlag (aus "Der letzte Kommunist")
Johannes Schmit nähert sich Ronald M. Schernikau (unten, ganz rechts) in einer Art Körper-Collage.
Leipzig. Ein Heim liegt in Trümmern. Schränke, Regale, Kommoden sind im Saal verteilt, darauf sitzen, kauern, liegen die Zuschauer. Draußen im Foyer drängen sich weiße Luftballons zusammen wie Schafe bei Sturm. Das Platzen der Seifenblasen – es ist gut zu hören im Warteraum der Geschichte.
Johannes Schmit inszeniert in der Leipziger Skala „Die letzten Tage in L.“, ein Festspiel „mit und nach Texten der west-östlichen Diva Ronald M. Schernikau“, als eine assoziative Feier des Befragens. Zur Premiere am Donnerstagabend dankt das Publikum mit Jubel (auch wenn nach knapp drei Stunden nicht mehr alle dabei sind). Längst steht die Tür offen, werden Getränke an der Bar geholt. Jemand raucht. Auf der Bühne sitzt Birgit Unterweger und liest. Liest aus Schernikaus Buch „die tage in l.“ (Konkret Literatur Verlag), das als Diplomarbeit am Leipziger Literaturinstitut entstand, dem „Institut für Weltbeschreibung“, an dem der West-Berliner ab 1986 studierte. In aphoristischer Dichte bringt er auf den Punkt, was die DDR ausmacht. Seine Frische gegen Langeweile, seine Wachheit gegen Trägheit lassen aufhorchen und frappieren immer wieder in ihrer sprachlichen wie politischen Dimension.
zum Thema
Johannes Schmit inszeniert in der Leipziger Skala „Die letzten Tage in L.“
Zwar lässt Schmit erst im dritten, letzten Teil des Abends den puren Text wirken, lenkt jedoch von Anfang an den Blick auf Vergleiche mit dem eigenen Erleben, auf Vertrautes und Vergessenes. Von Anfang an löst er das Versprechen einer Begegnung mit Schernikau ein. Schließlich rundet sich das Bild vom schönen, klugen, gewitzten Schriftsteller zu einem schönen, klugen, gewitzten Theatererlebnis, das zuweilen überraschend körperlich ergreift, das keinen Anfang hat – so wie das Hinterfragen, für das Schernikau steht, kein Ende finden kann.
Als die ersten Besucher sich einen Platz in der labyrinthischen Installation (Ralf Hauenschild) aus zu Sperrmüll abgeliebten DDR-Möbeln suchen, treten sie ein in ein Gespräch über Liebe, Männer, Geld, Alter, das Schreiben. Schön und Souverän auf einem Ledersofa thronend beantwortet Rosalind Baffoe Fragen aus dem Off, die zum überwiegenden Teil aus einem Interview mit Schernikau stammen. Mal bekennt sie aus seinem, mal offenbart sie aus ihrem Leben. So stehen die Biographien zu- und gegeneinander. Beide sind Jahrgang 1960, Schernikau starb 1991 an den Folgen von Aids. „Wo warst du 1989?“ Da wohnte er in einem Plattenbau in Berlin-Hellersdorf, er, der letzte Kommunist, einer der letzten, der in die DDR übergesiedelt war. Sie reist als Model nach Paris, New York, Mailand. Und doch ergeben sich verblüffende Parallelen – in der Haltung zum Leben, zur Schönheit, zu den Menschen. „Ich habe ihnen mich geschenkt“.
Später wird Baffoe immer wieder durch den Saal schreiten, „14 Catwalks“ sind auf dem Programmzettel vermerkt. Auch „1 Auto-Ikone“ steht da. Das ist die irritierendste Passage; sie polarisiert. Schmits Anspruch, das Spiel offen zu halten für die Energien des Publikum, erfüllt sich in einer greifbaren Spannung, die sich hin und wieder lautstark entlädt. Auslöser ist die Reduzierung der Figur Schernikau auf den Körper, die Haare, Gesten. Birgit Unterweger gelingt die Rekonstruktion des Abwesenden zur Erkenntnis der Anwesenden, indem sie sich wortlos aus der Haut schält (Kostüm: Franziska Grau), wenn sie in Rückzug oder Befreiung näher kommt. Ein großartiger Moment der Projektion, den auszuhalten genauso schmerzen kann wie Worte.
„Der Westen hat, und das ist ein so alter Trick, die Moral eingeführt, um über Politik nicht reden zu müssen“, sagt Unterweger dann, während sie reinen Kaffee einschenkt und austeilt: „Einen Vorgang moralisieren heißt, ihm seinen Inhalt nehmen.“ Es ist Schernikaus berühmte Rede auf dem letzten Kongress der Schriftsteller der DDR im März 1990.
Dialektisch-ironisch und mit Zuneigung verwickelt der Autor die Mitdenkenden in Beobachtungen und Analysen. Schmit nimmt das auf, wenn er seine konzis konzipierte Annäherung mit DAF-Songs („Ich glaub ich fick dich später“) würzt, mit Doppelgänger-Porträts und der eigenen, fabelhaften Tanzeinlage vor der Großaufnahme einer Demonstration. So wächst ein außergewöhnlicher Abend, der inspiriert und berührt.
Hin und wieder platzt eine Seifenblase.
Letzte Aufführung: Sonnabend, 20 Uhr, in der Skala (Gottschedstr. 16), Restkarten Abendkasse
Am 11. Juli wäre Ronald M. Schernikau 50 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass wird um 14 Uhr eine Gedenktafel enthüllt – am Haus Universitätsstraße 20, in dem der Schriftsteller Ende der 80er Jahre wohnte und wo das Buch „die tage in l.“ entstand .
Könne man evtl. diskutieren, ob diese Grundvoraussetzung erfüllt sein sollte, um gedruckt zu werden?
es ist ein unterschied als rezensent, eine spielstätte in frage zu stellen, und einen kulturbürgermeister, der eine spielstätte ausradieren will, deren aufführungen er (so kommt es mir zumindest vor) nicht mal selbst besucht hat, darin zu bestärken.
das letzte; ich arbeite nicht an diesem theater, und möchte mich nicht auf eine endlosdiskussion mit so einem seltsam-argumentierer einlassen. was ich sagen wollte, hab ich gesagt.
Ach, Beobachter, wie passend ist doch ihr Pseudonym. Und wie bequem ist es, anderer Leute Kommentare zu kommentieren, anstatt sich an einer interessanten Diskussion zu beteiligen. Immer das gleiche Gewimmer. Wenn sie selbst nichts beizutragen haben, wenn sie meinen, sie müßten eine lebendige Diskussion bilanzieren, ohne einen eigenen Gedanken beizusteuern, dann kommen sie doch lieber von ihrem Beobachterposten runter und gehen nochmal mit ihrem Blindendackel um den Block! Oberlehrer wie sie sind einfach nur langweilig.
ihn dann mit einem regelrecht böswillig konstruierten rassismusvorwurf zu diffamieren ist eigentlich indiskutabel.
der hass gegen andersdenkende und der versuch kritiker mundtot zu machen ist eigentlich ein charakteristikum von sekten.
es hat was von religiösem eifer von fanatismus. traurig.
Schauspielhauses. Dafür stellt die Stadt Leipzig 2 Millionen Euro zur Verfügung.
Der Pachtvertrag mit den Betreibern des DISCO Bereiches ist gekündigt.
In diesen nun frei gewordenen Räumen werden Spielorte / Probebühnen / Büros erstellt.
Die Eigentumsverhältnisse der Immobilie Gottschedstr.16 (Skala/ Neue Szene)sind kompliziert, die Bausubstanz entspricht nicht den
heutigen erforderlichen Standards.
Somit erhält das Schauspielhaus Leipzig einen modernen neuen Punkt der künstlerischen Begegnung neben dem GROSSEN SAAL, der HINTERBÜHNE, dem WEISSEN HAUS,dem ERFRISCHUNGSFOYER, dem RANGFOYER
und der EINLASSHALLE.
Herr Schmidt hat sich (§ 21) hierzu doch noch einmal explizit geäußert, wie er seine Sätze zum "schlechten Deutsch und der Unverständlichkeit derselben" verstanden wissen wollte; Esther Slevogt hat (§ 19) zudem noch einmal den Zusammenhang herausgestrichen, auf den sich jene Worte bezogen: "Verona-Feldbuschmäßigkeit"; ansonsten wird Herr Schmidt, ähnlich wie "Flohbär" und ich (ich sah ja den "Kirschgarten" und verstand Frau Baffoe selbst im Großen Haus !) gewiß schon Erfahrungen gemacht haben mit dieser Schauspielerin, diese verstehend: seine Worte gehen auf die Inszenierung selbst ! Von Rassismus ist da keine Spur !!
Herr Schmidt hat auch noch einmal angeregt, über die Frage nachzudenken, ob in Zeiten offenbarer "Skala-Bedrohung" (die ja vielleicht auch nur mehr feuilletonmäßig vorliegt ..., allerdings flankiert ist von einer bedauerlichen Anzahl von infragegestellten Häusern bundesweit, infragegestellt gerade ohne das schmidtsche Moment der Qualitätsbefragung: siehe Oberhausen !!) die Skala nicht geradezu das Gegenteil von dem betreibe, was ihr Auftrag wäre.
Nun, ich versuchte aus meiner Erfahrung mit der Skala heraus zumindestens das Eine herauszustellen, daß nämlich meineserachtens von diesem Gegenteil so schroff schwerlich die Rede sein kann, sehr wohl aber die Phänomenbreite an möglichen Formen (auch anhand der Vorerfahrungen mit der "Neuen Szene", die ich nicht kennengelernt habe) kritisch in Betracht kommen könne (so verstehe ich hauptsächlich den schmidtschen Artikel).
Ich habe Leipzigerinnen und Leipziger kennengelernt, auch in Threads, sie werden gewiß zahlreiche Argumente für die vergangenen zwei Skala-Spielzeiten kennen: um diese geht es, wenngleich selten in Threads zu einer bestimmten Inszenierung.
Ich denke ja auch, daß es ganz interessant ist, hinzuzubedenken, daß wir alle aus dem Verlauf anderer Diskussionen ebensosehr den Vorwurf gegenüber den diversen Schauspielhäusern kennen, sie würden immer austauschbarer werden und es gäbe nur noch den Tourismus der "großen Namen" samt ihrer "hoffnungsfrohesten Schülerinnen und Schüler"; im Leipziger Fall heißt es nun schon so ungefähr "skalaesk". Machen wir dann auch noch das Kontinuum zwischen "austauschbar" und "skalaesk" in etwa auf: gibt, 123 scheint das auch zu fragen, dieses Kontinuum mehr Anlaß zur Hoffnung als Kastanienallee, Gaußstraße, MGT oder Skala ... ??
Was ist der Beruf eines Kritikers?
Ist es nicht seine Aufgabe, eine objektive und klar fundierte Interpretation eines Abends zu schreiben?
Sollte er nicht für den Zuschauer und das Theater schreiben?
Wird er nicht dafür bezahlt dieses zu tun?
Darf er es sich erlauben, aus einer Laune oder einem Missfallen heraus, den Abend zu verlassen und somit seine eigentliche Aufgabe unberücksichtigt zu lassen?
Darf ein Schauspieler somit auch, wenn ihm das Publikum nicht gefällt, die Vorstellung abbrechen?
Ist es normal über einen Abend, ein ganzes Theater zu verurteilen und es somit vor Stadt und Stadtpolitik angreifbar zu machen?
Macht es die Unkenntniss des restlichen und offenbar nichtgesehenen Abends wett, wenn man zugibt ihn nicht gesehen zu haben?
Es ist doch so: Das Theater lebt vom Kritiker, und der Kritiker vom Theater. In letzter Zeit scheint es aber immer mehr in Mode zu kommen sich gegenseitich "vernichten" zu wollen! Immer wieder lese ich Kritiken die in ihrem Wesen, weit über das Ziel hinausschießen. Immer weniger werden im Theater Kritiken beachtet.
Warum? Sollte man sich nicht besser auf beiden Seiten überlegen, wie man diese Mißstände beseitigt und sich wieder auf einen gemeinsamen Diskurs einigen?
Hans
Die Frage, ob ein Rezensent, der eine Aufführung vorzeitig verlässt, grundsätzlich schweigen oder zumindest keine Werturteile abgeben soll, ist natürlich berechtigt. Im Kern ist es wohl eine Frage der Verantwortung und der persönlichen Integrität. Vielleicht auch der Liebe zum Theater. Da ich selber über Theater schreibe, weiß ich sehr genau, wie ungut das ist, wenn man eine Inszenierung, über die man schreiben soll, grottenschlecht findet. Und wie sehr die Fluchtimpulse an einem reißen können, gerade weil man versucht, ihnen aus Pflichtgefühl nicht nachzugeben. Und der dunkle Grimm, der einen beschleicht, wenn man nicht anders konnte, wenn es passiert ist. Das ist alles sehr menschlich. Andererseits weiß ich auch, dass man nicht gekreuzigt wird, wenn man keinen Text liefert. Redaktionen sind durchaus in der Lage, Verständnis aufzubringen für Rezensenten, die, weil sie geflohen sind, nicht schreiben wollen. Aber es bleibt ein Dilemma. Matthias Schmidt, den ich als Kollegen schätze (hallo Matthias!), hat sich damit beholfen, dass er seine Situation klar erklärt und darüber hinaus einräumt, womöglich einen im weiteren Verlauf sehr interessanten Abend verpasst zu haben. Das ist gewiss aus der Not geboren, aber jedenfalls grundehrlich. Einen Skandal kann ich darin nicht erkennen.
Ich war nicht in der Premiere und habe erst gestern die dritte Aufführung miterlebt. Ich habe sie genossen und ganz andere Eindrücke gewonnen als Matthias. Für mich ist "Die letzten Tage in L." eine inhaltlich nachvollziehbare, performativ überformte, alles in allem ziemlich beglückende Annäherung an Schernikau, die nach ca. einer Stunde in einer Schernikau-Beschwörung gipfelt, die eigentlich nichts anderes ist als eine Lesung mit kleinen Beigaben. Das ist der Teil, den Matthias verpasst hat. Unglücklicherweise. Denn es ist auch der Teil, von dem der Abend lebt: von Birgit Unterwegers langem, sehr konzentrierten, von Ferne an Dutschke-Zeiten erinnernden Vortrag dieser sagenhaft scharfsinnigen, klaren, komischen und in vielem auch zeitlosen Textsplitter. Diese intensive Zeitgenossenschaft Schernikaus, seine verwirrend geniale Klarheit und Pointiertheit im Beobachten, Denken und Formulieren, das alles vermittelt sich sehr gut in der Inszenierung. Man merkt auch irgendwie, dass dieser Mensch eine Extremfigur ist, anhand der sich Zeitgeschichte gut erzählen und aufschlüsseln lässt. Fruchtbarer Boden jedenfalls. Das hat Johannes Schmit erkannt. Schön auch, dass man Schernikau als politisch denkenden Künstler ernst genommen und nicht, wie das manchmal geschieht, zur schrillen Politdiva und Schwulenprinzessin verniedlich hat. Also: Toller Abend! Danke!
Schönen Gruß
Ralph Gambihler
rotesreudnitz.blogsport.de/2010/07/03/die-letzten-tage-in-l-in-der-skala/
Nachdem die deutsche Nationalmannschaft die argentinischen Ballkünstler durch großartiges Zusammenspiel und 4 geschossene Tore erlöst hatte, schließlich litten die allesamt unter dem Überdruck lastender Gewissheit sich in den Spielen an Anfänger gleichsam verschenken zu müssen, war mir eigentlich egal, wer denn nun von den deutschen Jungs demnächst besiegt werden muss und wird. Nicht, dass das Team wirklich siegen müsste, aber gewonnen hat es schon und gleichsam doppelt: Sie sind eine echte Mannschaft und zeigen auch, dass es ohne Mannschaft nicht geht. Diese Gemeinsamkeit ist das Vorbild auf eine Zukunft.
Jedenfalls erinnerte ich mich an morgendliche Lektüre und einer latenten Drohung. Letztmalig, soso.
„Grandios!“ hatte Janina Fleischer befunden und meine Neugier geweckt. „Hin und wieder platzt eine Seifenblase.“ Letzte Aufführung, heute, 20.00 Uhr: „Die letzten Tage in L.“
Auf dem Weg zu den offiziellen Theaterstätten unserer Stadt sah ich sie dann, die vom Fußball Bewegten. Erschöpft von Euphorie, 20 Kilo Übergewicht und dem Taumel der Gefühle saßen sie an den Straßenrändern und in den Freisitzen, glückselig über die nationale Leistungsfähigkeit. Unsere Jungs hatten ihre Sache gut gemacht, so brauchten sie nicht selber ran. Würden sie aber, notfalls.
Was ich dann in den folgenden 3 Stunden sah, war spannend bis zum Schluss, eigentlich bis nach dem Schluss und wieder später kam die depressive Ernüchterung. Nicht wegen dem Stück wohlgemerkt, schließlich gab es ja keines. Insgesamt ein Gedenken an Ronald M. Schernikau. 5 beachtenswerte Momente. Nachdem sich williges Publikum auf verstreutem Sperrmüll drapiert hatte, waren wir schon mittendrinn. Aus dem Off wurde eine Diva auf dem Divan interviewt, die nicht unnahbar und keinesweg unfreundlich zwischen uns saß. Die Fragen waren erstaunlich, weniger befragend denn sich selber suchend – die Antworten auch. Gut gemacht. Zwei hatten ihre Abendverpflichtung schon mal hinter sich. Dann die Erinnerung. Der auf Körper reduzierte Geist des Erinnerten fleht um Aufmerksamkeit, biedert sich an, bietet sich an, flieht und versteckt sich. Straft und quält sich, fleht bittet bettelt und verschwindet. Das Spiel geht auf, weil das Publikum sich hartherzig entzieht. Falls es verstand, was zumindest eine Weile dauerte, bis das Gekicher verstummte und coole Steifheit auf Distanz hielt. (Hätte es einen Plan B gegeben, wenn jemand den Hilfeschrei der Kreatur angenommen hätte, aktiv geworden wäre?)
Danach die Beleidigung des Publikums, die nicht beleidigen konnte, weil so eine offensichtlich richtige Beschreibung eben Tatsache ist und nicht beleidigt. Ein Stripper schwenkt das Gemächt in das Publikumsgesicht, feiert das Leben und die eigene Traute und sagt, worauf es ankommt: Fuck you! Danach sitzt Schernikau auf der Bühne am Pult und verliest eigene Texte, open, sehr open end. Irgendwann werden die Saaltüren geöffnet, jeder kann sich sein Bier holen oder zwei und weiter den Texten lauschen. Oder fort bleiben. Der Lärm von den Freisitzen und dem Fußballfest wispert in den Saal, einige Gäste fangen zu Rauchen an, andere ergeben sich dem Schlafbedürfnis, viele wirken betreten unsicher. Wie lange noch? Open end!
Irgendwann kehrten immer weniger von der Theke zurück. Schlusspunkt, Applaus. Fertig. Beim Rausgehen viel Gespräch, aber kein Sterbenswort über die letzten 3 Stunden. Abgehakt. Was noch?
Der Darsteller des Abends war das Publikum. Die Texte waren nicht schlecht, jener Duktus des verzweifelten Intellektuellen: beobachtend, analysierend, reflektierend. Geschliffene Sprache. Hätte man auch daheim lesen können. Einiges tastend anderes treffend.
Aber das Publikum: glotzend, abwesend, nicht hörend, aber dabei gewesen. Kaum jemand hatte die Zeiten vor 20 Jahren denkend erlebt. So wird Geschichte geschrieben. Nie werde ich den selbstzweifelnden Blick jenes Ehepaares vergessen. Um die 45. Bekamen sie was nicht mit? Gehen verbietet der Anstand, aber was sollte dies alles? Ansonsten 27 fahle Mickymausmasken. Der harte Kern. Lebten das, was ehedem geschrieben wurde. Ja, ist wichtig, darum sind wir da. Hält halt nicht jeder aus. Selbstwert.
Eine Gesellschaft, die sich ihrem Schicksal ergeben hat. Tüchtig, intelligent, rational und effizient und wohlwollend. Unangestrengte Macher. Sie hat sich ihrem Schicksal ergeben, weil sie sich selber nicht mehr vertraut. Es wird keine neuen Ufer geben. Es geht um den Ausbau. So gut es eben geht. Die Gesellschaft funktioniert. Es gibt Schlimmeres. Weil sie funktioniert.
Waren die Texte doch von heute?
Es mutet schon bizarr an, das sich an einem Dichter die Geister zu scheiden scheinen, der nichts anderes getan hat, als seine Ansprüche, Sexualität und Überzeugung zu leben, ohne Rücksicht auf sich selbst und jedwede Konsequenz. Reicht das schon zur Provokation, ist das tatsächlich fragwürdig oder gar „abwegig“ und wenn ja worin liegt denn das Provokante, Fragwürdige und Abwegige begründet?
Provokant und abwegig wirkt der bürgerlichen Gesellschaft immer das, was sie nicht versteht und was sich nicht einordnen lässt. Fragwürdig kann dagegen alles sein. Da wird einer als letzter Kommunist betitelt, als schillernde Figur, weil er etwas tat, was sich so wohl selten einer getraut hatte aber vielen Westlinken immer als eine Option möglich schien. Er geht in die DDR, zu einer Zeit, als die Bewohner dieses Versuchs eines Gegenentwurfs zur bürgerlichen Gesellschaft sich bereits auf den Weg in die andere Alternative aufgemacht hatten und keine Experimente mehr am lebenden Individuum forderten. Die Frage des Warum steht noch immer im Raum und was er sich davon erwartet hat bzw. was er zu ändern versuchte, wo doch eigentlich kaum noch etwas zu reformieren war.
Elfriede Jelinek sagte 1989 über Schernikau „Eine seltsame Vorstellung, wie dieser entschlossene junge Mann, einem Tier gleich, das seine Instinkte verkehrt herum eingebaut hat, hartnäckig in eine Richtung strebt, während ringsumher die anderen Tiere wie die Irren vor einem imaginären Buschbrand in die entgegengesetzte Richtung flüchten.“ Sie kann es sich eben auch nicht schlüssig erklären, wie man zu so gefestigten Überzeugungen gelangen kann. Dieses Zitat stammt nicht aus dem Stück, ist aber in der Biografie von Matthias Frings „Der letzte Kommunist - Das traumhafte Leben des Ronald. M. Schernikau“ nachzulesen.
Eine Erklärung gibt auch die Theatergruppe PortFolio Inc. in „Schernikau.Sehnsuchtsland“ im Theater unterm Dach in Berlin nicht, sie belässt es bewusst bei einem Annährungsversuch an den Schriftsteller Schernikau, um seine Überzeugungen und Ideale auf den Prüfstand zu stellen, auf Relevanz in der heutigen Zeit zu testen. Gemäß der Maxime von Ronald M. Schernikau: „Alles was verstanden werden soll, muss dreimal gesagt werden.“, verkörpern in diesem als biografische Doku-Fiction angekündigtem Stück drei Schauspieler die drei Seiten und Ansprüche Schernikaus: „schreiben schwulsein kommunistsein, glaube liebe hoffnung, kindlich tuntig selbstbewusst.“
Wie bei einem Leichenschmaus treffen sich die drei, Stefan Artz, Thomas Georgiades und Michael F. Stoerzer, „Trauer und Kuchen“ steht auf dem Tisch, ein Bild von Schernikau mit Trauerflor daneben. Es entwickelt sich nach und nach ein Disput über die Form der Schernikauschen Texte, autobiografisch oder nicht, Novelle, Blankvers etc. und ob Schwulsein im Kommunismus schon enthalten ist oder immer erst noch mitgedacht werden müsse. Die Genderfrage wird anhand eines Für-und-Wider-Spiels mit Punkten diskutiert. Die Akteure zeigen die drei Seiten eines widersprüchlichen Menschen, stehen im Streit miteinander, testen aus was in der Figur Schernikaus an Gehalt vorhanden ist. Gleich seinem Stil der literarischen Collage wird aus dem hochgestellten Tisch eine Zettelwand, an der das Leben Schernikaus aus Zitaten und Dokumenten wiederersteht. Die einzelnen Stationen entwickeln sich nacheinander im Spiel, wie die Veröffentlichung seiner „Kleinstadtnovelle“, einer Coming-Out-Geschichte als Antwort auf pseudoliberale Lehrer, weitere Erscheinungen im Selbstverlag, weil den Lektoren selbst beim Rotbuchverlag seine Texte zu abgehoben erscheinen und schließlich die scheinbare Unvereinbarkeit von Pop mit politischem Anspruch, am Beispiel eines Songs über Ronald Reagen für Marianne Rosenberg, „Amerika“ wird auch von allen als schrille Parodie vorgetragen.
Schließlich die Geschichte der Mutter, die wohl prägendste Bezugsperson für Schernikau, der einige längere Szenen gewidmet sind, wie die Flucht aus Liebe mit ihm als 6-Jährigen im Kofferraum in den Westen. Sie lässt sich in ihrer Überzeugung ebenso wenig verbiegen, wie später Schernikau als er im Land seiner Sehnsucht angekommen ist und in Leipzig Literatur studieren kann. Hier entseht „die tage in l.“ und der Wunsch ganz in die DDR überzusiedeln, gestärkt durch den Zuspruch seines Vorbilds Peter Hacks.
In Leipzig wird er argwöhnisch von den anderen Studenten beäugt, er ist ihnen mit seinen ehrlichen Überzeugungen nicht geheuer. Er sagte darüber „ich trage lenin am revers, und vermutlich halten mich 49 prozent der leute in leipzig für verrückt und weitere 49 prozent für einen punk. der rest ist meine hoffnung.“
Er passt sich auch im Osten nicht an, er verweigert den für westliche Ausländer obligatorischen AIDS-Test und fährt immer wieder zu seinem Freund nach West-Berlin. Dieses Nomadisieren zwischen den Systemen hat der Journalist und Schriftsteller Helmut Höge in einem Beitrag für seinem taz-blog 2009 beschrieben, als ein gelegentliches Gefühl von Sehnsucht von Migranten nach der Heimat, nach Rückkehr in „ein “Land” – in das man nicht zurückkehren darf oder kann“. Und genauso haben viele Westlinke nach der Wende empfunden. „Mit der DDR verschwand das Land ihrer Kindheit, mithin ihre Heimat.“ sagt Höge und meint damit nicht nur eine geistige sondern durchaus eine real existierende.
Das Stück im Theater unterm Dach schließt mit Zitaten Schernikaus Rede auf dem Schriftsteller-Kongress der DDR 1990 und da steht nicht nur der Spruch von der Konterrevolution im Vordergrund, sondern auch „Wir werden uns wieder mit den ganz uninteressanten Fragen auseinander zusetzen haben, etwa: Wie kommt die Scheiße in die Köpfe?“
Ich weiß nicht, wie der Umgang mit Schernikau in den letzen Tagen in L. stattgefunden hat. Aus den Berichten hier, kann man zumindest erfahren, das es unabhängig von der Qualität, sicher eine ähnliche Herangehensweise war und etwas weniger gewollte Provokation, sondern eine unaufgeregtere Herangehensweise weiter bringt, wie in Berlin auch geschehen. Es wurde in leichter, spielerischer Weise ein junger widersprüchlicher Mensch mit echten Utopien vorgestellt, der nicht nur geredet, sondern auch gehandelt hat und es sind somit Fragen aufgeworfen, die durchaus des Nachdenkens wert sind.
Den Leipzigern bleibt, diesen Unterschied festzustellen, im September im LOFFT und dann wohl wieder ab Oktober in Berlin.
www.blog.theater-nachtgedanken.de
im Grundsatz danke ich Ihnen für Ihren um Ausgewogenheit bemühten Kommentar und stimme ihm zu. Da ich als Besucher der Premiere am letzten Donnerstag schon früh schon zur "Kritik" von Herrn Schmidt geschrieben hatte, melde ich mich nochmals und möchte von meiner Zustimmung kategorisch zwei Dinge ausnehmen, die Sie äußern, denen ich aber laut widerspreche.
Sie schreiben: "Und man soll auch nicht über geistige Brandstiftung sprechen, bloß weil ein enttäuschter Rezensent seine Kritik zum Anlass nimmt, eine Spielstätte infrage zu stellen, immerhin ja noch im Konjunktiv. So etwas muss möglich sein, selbst in einer politisch heiklen Situation."
Dass ein Rezensent auch seine Enttäuschung in Worte fasst, ist unbestreitbar seine Aufgabe. Auch Frau Slevogt nennt das sein "gutes Recht". Ich lese aber nicht, wer Herrn Schmidt dieses Recht abspricht. Hier ist das "Totschlagargument" ganz auf Ihrer Seite!
Wenn der Rezensent seine Enttäuschung in Worte fasst, sollten es aber dann auch Worte über den seiner Meinung nach enttäuschenden Abend sein! Ein Rezensent kann und soll immer auf seine besondere Subjektivität pochen (wie wäre z.B. Herr Stadelmaier anders noch zu ertragen?). Dies verringert aber nicht die Verantwortung dafür, was er schreibt! Genau diese Verantwortung kommt mir hier viel zu kurz, wenn auch Sie schreiben "bloß weil ein enttäuschter Rezensent" oder "Spielstätte ja nur im Konjunktiv infrage gestellt".
1. Herr Schmidt hat den Abend, den er hätte kritisieren sollen, nicht einmal "durchgehalten". Das hätte immer noch Anlass sein können für eine schöne Polemik!
Aber 2., und das ist schlimmer, holt Herr Schmidt auf Basis eines fluchtartig verlassenen halben Abends soweit aus, dass er gleich die ganze Spielstätte zur Schließung freigibt.
Das geht nicht! Und es muss sich einem Theaterliebhaber, der den Luxus eines veröffentlichten Urteils genießt, gerade in "einer politisch heiklen Situation" verbieten.
Sie schreiben: "Und ich weiß auch nicht, ob sich ein Theater, das offenes Denken für sich reklamiert und ausdrücklich auch von seinem Publikum fordert, einen Gefallen tut, wenn einzelne Mitglieder mit Denkverboten und Totschlagargumenten herauskommen, sobald es ans Eingemachte geht."
Ich lese weder bei Herrn Harder, bei Herrn Bautz und anderen hier heraus, dass sie Herrn Schmidt ein Denkverbot erteilen oder Totschlagargumente bringen. Dem offenen Denken über einen Abend muss vorausgehen, dass man den Abend kennt und dass man sich seiner Verantwortung als "Meinungsmacher" bewusst ist. An diese wird hier appelliert. Ich finde zu Recht!
Und wenn Sie die Leipziger Kulturpolitik der letzten Monate verfolgt haben, dann wissen Sie, wer diese heiklen Situationen nicht nur gegenüber dem Theater provoziert und wem Herr Schmidt mit seiner Verkraftbarkeit der Schließung einer Spielstätte zur Seite springt.
Das heißt überhaupt nicht, dass Herr Schmidt sich auf die Seite eines Theaters stellen muss. Es bleibt aber unverhältnismäßig und unverantwortlich, wie er sich über einen schlechten Abend (und vielleicht hatte Herr Schmidt den ja auch selber!) zum Fürsprecher eines ahnungslosen Kulturdezernten macht.
Überlassen sie doch die Diffamierungen und die alkoholisierten Stammtischphrasen auf nachtkritik denen, die hier auch gerne schreiben, wie "furchtbar" und "schlecht" und "scheiße" dieses oder dieses Theater sei, und sich dann nicht mal entblöden zuzugeben, dass sie das Theater noch nie oder höchsten ein, zwei Mal betreten haben.
Mit seiner "Kritik" steht Herr Schmidt an diesem Stammtisch.
Was würde nachtkritik sagen, würde ich diese "Kritik" zum Anlass nehmen, die Einstellung der Seite zu fordern, nachdem ich zugebe, die "Kritik" nur halb gelesen zu haben - und nachdem ein ahnungsloser Gegner von nachtkritik mit politischem Einfluss diese Einstellung auch gerade öffentlich gefordert hat? Ich möchte die Redaktion im Quadrat springen sehen!
Zum Schluß: Ja, der Rassismus-Vorwurf ist hart und ich glaube Herrn Schmidt sofort, dass ihm nichts ferner lag als eine solche Beleidigung. Trotzdem ist die Formulierung ausgesprochen unangemessen und sehr, sehr unschön. Mir stockte beim Lesen wirklich der Atem. Hat Herr Schmidt auch mehr als einmal in seiner "Kritik" die Selbstbeherrschung verloren, zeigt sich das hier leider am deutlichsten.
Und die Schönrederei dieser Aussagen durch Frau Slevogt finde ich sehr bequem und auch sehr bedauerlich.
Sie sehen und empfinden dies nicht. Und im Rahmen dieser Teilblindheit muss Ihnen eine Schließung als ganz schrecklich erscheinen. Ich sage Ihnen aber: Das Spektrum wird an anderen Enden weiterwachsen. Da kann auch kein Kulturdezernent gegen an und schon gar nicht, falls er ahnungslos ist.
(Ü-40!). Ich finde aber, eine subjektive Theaterkritik sollte nicht zu gegenseitigen persönlichen Angriffen führen, das ist pubertär und substanzlos. Was die deutsche Sprache angeht: Die können wir nicht genug schützen und da gibt es nur richtig oder falsch, die ist nicht interpretierbar!
Ich verstehe Ihren Standpunkt, bin aber trotzdem der Meinung, dass man auch höchst subjektiv nur dann wirklich von "Empfinden" und über das Empfundene sprechen/schreiben/berichten kann, wenn dem Empfinden das Erlebte vorausgeht. Wie man über etwas, dass man zu Großteilen gar nicht gesehen hat, zur Schilderung des eigenen Empfindens kommt und über diese Schilderung zur Forderung, eine Spielstätte zu schließen, hat für mich was Paranormales. Kann ja sein, dass Herr Schmidt hier alte Geister beschwören will. Die haben aber auch keinen hinter dem Ofen hervorgelockt, als sie noch aktiv gespukt haben. Es ist schon hochnotpeinlich und auch dumm, mit welcher Selbstverständlichkeit heute noch mancher das "Früher war alles besser" predigt, der genau weiß, wie isoliert das Schauspiel (und mit ihm die Neue Szene) früher war. Dann zu argumentieren (siehe Slevogt, Gambihler), es sei das "gute Recht" des Kritikers, so zu schreiben, ist wirklich fadenscheinig und ein todgeschlagenes Argument, so als stünde der Rezensent schon mal von Natur aus auf der Seite der Gerechtigkeit und des sachlichen, wenn auch subjektiven Standpunkts. So einfach ist aber weder Theater, noch Theaterkritik (will ich doch hoffen). Ich habe die Neue Szene seltenst betreten, weil sie genau das war, was sich Herr Schmidt offenbar von der Skala zurückwünscht: ein Kammerspiel. Dann aber ist es nur Zweitverwertung dessen, was es nicht ins große Haus schafft. Die Skala ist in meinen Augen aber keine Zweit- oder Nebenspielstätte, sondern ein echter Brutkasten, mit Frühgeburten, Fehlgeburten - vor allem aber sehr ansehnlichen Neugeborenen! Soviel von der Entbindungsstation.