Wedeln mit Fassbinder

von Rainer Petto

Trier, 8. Juli 2010. Das Stück, ein Auftragswerk des Theaters Trier, sei "vor dem Hintergrund des 65. Geburtstages von Rainer Werner Fassbinder entstanden", es verarbeite "Fassbinders Leben und Werk", sei aber "ein Theaterabend nicht nur für Fassbinder-Kenner". Das behauptet der Programmzettel, den auch ein Fassbinder-Foto ziert.

Der Stückauftrag ging an den bislang kaum hervorgetretenen Luxemburger Olivier Garofalo, der in der kommenden Woche 25 Jahre alt wird. Die Regie wurde der ebenfalls noch sehr jungen Judith Kriebel anvertraut. Das Trierer Theater lässt die Jungen ran – sehr löblich, könnte man meinen.

Eine Sprache? Eine Idee?

Die Situation: Sechs Menschen unterschiedlichen Alters und sozialen Herkommens restaurieren ein Ladenlokal, das sie demnächst eröffnen wollen. Ein leerer Raum mit Schaufensterpuppen. Die Personen bringen mit: einen – leeren – Farbeimer, eine Tapetenrolle, Blumenerde, später Spraydosen und Flaschenbier. Aber es wird nicht gearbeitet, nur gequatscht und gestritten. Die Kleidung, die Themen verraten: Wir befinden uns in der unmittelbaren Gegenwart. Es geht um soziale Ungerechtigkeit, Ausbeutung der Arbeitnehmer und der Konsumenten und irgendwie um alles.

Vielleicht geht es auch gar nicht um Politik, sondern um private Probleme. "Ihr wollt alle nur ficken", sagt eine, und möglicherweise hat sie Recht. Kein einziger origineller Gedanke in dem Stück, keine einleuchtende Formulierung, nichts wird sinnfällig. Keine Sprache, keine Struktur, keine Idee, nur wirres Zeug.

Ein Böttcher oder der Fassbinder?

Was für ein Laden soll das überhaupt werden? Einer hat ein Schild gemalt, auf dem steht laut Regieanweisung "Böttcher" oder "Fassbinder". Fassbinder! Die Regie hat daraus gnädig "Heute 20 Uhr" gemacht. Und so wie man an diesem Trierer Uraufführungsabend um 20 Uhr Theater machen wollte, so wollen diese sechs Personen, wahrscheinlich, eigentlich Kunst machen. Aber nichts geht voran, sehr lange anderthalb Stunden lang.

Und Rainer Werner Fassbinder, sein Leben und Werk? Er kommt nicht vor in dem Stück, das aus unerfindlichen Gründen "Die Fassbinder" heißt und das den ernst gemeinten Untertitel "Ein Volksstück" trägt. Auch Fassbinders Geist ist hier nicht präsent. Ja, da stehen im Text ein paar sinnfreie Anspielungen auf Fassbinder'sche Stück- und Filmtitel, die die Regie klug reduziert hat. Und da gibt Antje-Kristina Härle, die frustrierte Lehrerin, einmal sehr gekonnt die Schygulla. Mehr Fassbinder ist nicht.

Eine Zumutung!

Laut Interview im Programmfolder hatte der Autor bis zu seinem Stückauftrag nur "ein diffuses Bild" von Fassbinder. Er habe sich dann mit Theatertexten und mit Interviewmaterial beschäftigt, "aber letztlich ist meine Arbeit ein eigenständiges Stück geworden". Was das Theater nicht daran hindert, mit Fassbinder zu werben. Vielleicht war ursprünglich an einen engeren Bezug gedacht – am Ende aber ist das Wedeln mit dem großen Namen nur noch ein PR-Gag.

Die Regie hat sich bemüht, aus dem Text ein Theaterstück zu machen. Hat die schlimmsten Patzer bereinigt, hat versucht, eine Linie hinein zu bringen, wollte mit verschiedenen Mitteln Abwechslung schaffen. Es war nicht möglich. Auch die Aufführung in einer Skaterhalle, aus der sie "aus hygienischen Gründen" kurzfristig ins Studio des Theaters Trier verlegt werden musste, hätte das Stück sicher nicht gerettet.

Es kann ja passieren, dass ein junger Autor einen Auftrag erhält, der ihn völlig überfordert, so dass er am Ende einen unspielbaren Text abliefert. Aber gibt es im Theater Trier denn keinen verantwortlichen Theatermenschen, der den Autor schützt, indem er eine solche Aufführung verhindert? Gibt es niemanden, der es der jungen Regisseurin und den professionell engagierten Schauspielern erspart, sich daran abzuarbeiten?

Und dabei wollen wir von der Zumutung fürs Publikum gar nicht reden.


Die Fassbinder. Ein Volksstück (UA)
von Olivier Garofalo
Inszenierung: Judith Kriebel, Kostüme: Carola Vollath, Ausstattung: Peter Müller, Dramaturgie: Peter Oppermann.
Mit: Vanessa Daun, Antje-Kristina Härle, Angelika Schmid, Helga Gutbrod, Hans-Peter Leu, Klaus-Michael Nix.

www.theater-trier-de

Mehr aus Trier: Gerhard Weber hat Sich Gesellschaft leisten, ein Stück von Ulf Schmidt, uraufgeführt, Frank Asmus hat Ich war Staatsfeind Nr.1, die Autobiografie von Wolfgang Welsch, inszeniert.

 

Kommentare  
Die Fassbinder in Trier: nicht entmutigen lassen
Ein ganz schöner Verriss. Hoffentlich entmutigt er den Autor nicht zu sehr. Hoffentlich ist es noch nicht das Karriereende des aufstrebenden Luxemburgers. Das wäre sicher ein Drama!
Die Fassbinder in Trier: kein Meister vom Himmel
Auch ich finde den Verriss sehr hart. Zu hart. Von einer Zumutung kann, meiner Meinung nach, keine Rede sein. Ich war bei der Premiere und fühlte mich gut unterhalten und das Stück war durchaus sehr kurzweilig. Auch die Inszenierung hat mir zugesagt. Ich denke auch, dass sich die jungen Künstler nicht entmutigen lassen sollen, da beide noch am Anfang ihrer Laufbahn stehen. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.
Die Fassbinder in Trier: stereotyp geraten
Ich habe die Premiere auch erleben müssen. Die Kritik trifft den berühmten Nagel auf den Kopf, man kann nur jedes Wort so unterstreichen. Neben der langeweiligen Inszenierung und dem dilettantischen Text scheint klar zu sein, dass der Autor nichts zu sagen hat. Scheinbar verfügt er über keine wirkliche Lebenserfahrung, denn sonst wäre seine "Gesellschaftskritik" nicht so faktisch falsch, stereotyp und effektheischerisch geraten.

Im Programmheft war übrigens ein Interview abgedruckt, in dem der Autor sich selbst unverblümt mit Fassbinder gleichsetzt.

(...)
Die Fassbinder in Trier: kein Volksstück
Ich war auch dabei und habe mich ein Paar Tage später wundern müssen, wie so etwas überhaupt einer professionellen Kritik würdig werden könnte. Dabei hatte das Stück weder etwas mit Fassbinder zu tun hat (vom expliziten Hinweis des Titels mal abgesehen, welcher jedoch zu keinem Zeitpunkt berechtigt scheint), noch mit einem Volksstück (von oft wiederholten Genitalverweisen abgesehen, die in der Fülle eher nerven). Und da frage ich mich auch, ob der Autor denn keinerlei Freunde im Kreise des Theaterhauses hat, die ihm freundlicherweise abgeraten hätten, einen solchen Auftrag - mit dem man als Jungdramatiker nur verlieren kann - erst überhaupt anzunehmen.
Die Fassbinder in Trier: mal erfrischend anders
Ob Fassbinder oder nicht hat mich ehrlich gesagt überhaupt nicht interessiert. Mir hat die Aufführung alles in allem sehr gut gefallen. Es war sehr experimentell und etwas, was ich so am Theater Trier noch nie gesehen habe. Ich finde, dass so etwas in Trier gefehlt hat. Die ganze Struktur des Abends war sehr offen und es gab Raum für eigene Interpretationen und Ideen. Sonst bekommt man immer alles vorgesetzt. Und die Moral der Geschichte ist... Ich finde das langweilig. Deswegen fand ich die Fassbinder mal erfrischend anders. Außerdem stand auch in dem Programmheft, dass der Zuschauer selbst interpretieren soll und dazu eingeladen ist das zu tun. Ich finde es ein richtiges Zeichen, dass junge Menschen etwas Neues und Experimentelles machen dürfen und das nicht nur in der freien Szene, sondern sich auch Stadttheater auf neue Dinge einlassen. Ich beglückwünsche das Theater zu seinem Mut und hoffe sehr, dass sie auch weiterhin jungen Menschen solche Möglichkeiten einräumen. Weiter so.
Fassbinder in Trier: auch eine Art Werbung
Naja...Es ist zumindest fragwürdig, ob jemand, der in ein Stück mit dem Titel Fassbinder geht und den dieser Tatbestand überhaupt nicht interessiert, sich ein qualitatives Urteil darüber erlauben kann^^
Ich von meiner Seite möchte auch unterstreichen, wie treffend die Kritik die Stärken (sofern vorhanden) und Schwächen dieser Inszenierung formuliert hat. Aber die Regisseurin sowie der Autor sollten sich deswegen keine Sorgen machen - denn schlechte Publicity ist ja bekanntlich auch eine Art Werbung;-)
Fassbinder in Trier: ein gerngesehener Gast
Na es gibt eben noch Zeichen und Wunder, dass jemand in ein Stück geht, das "Die Fassbinder" (ich dachte in erster Linie an den Beruf des Fassbinders) heisst und nicht unbedingt eine Fassbinder-Kollage erwartet. Mich hat die Uraufführung interessiert und habe erst im Programmheft gelesen, dass das Stück etwas mit dem Regisseur Fassbinder zu tun hat. Ja, ich bin ein kurzentschlossener Theatergänger, der nicht vor jedem Stück alle vorhandene Sekundärliteratur liest, um sich vorzubereiten. Da ich diesen Schmach nun zugegeben habe, hoffe ich dennoch ein gerngesehener Gast in den Theatern Deutschlands zu sein und mich als Theaterbesucher und interessierter Zuschauer auch weiter äußern zu dürfen. Ob etwas gutgefallen hat oder nicht, ist eine rein subjektive Äußerung, die nun wirklich jeder treffen kann, der auch das betreffende Stück gesehen hat. Da ich zu diesem Kreis gehöre, sehe ich mich durchaus in der Lage, meine Meinung äußern zu können. Auch wenn ich nicht in dasselbe Horn stosse, wie vielleicht so mancher hier, sind Fragwürdigkeiten eher auf der Seite der sich äußernden Personen zu suchen, die anderern Menschen unterstellen, sie würden sich über Tatbestände nicht informieren oder würden sich für diese nicht interessieren. Dieser "Tatbestand" sei an dieser Stelle nochmal festgehalten.
Herr Garofalo, ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre weitere Laufbahn. Und wie mein Vorredner schon sagte, auch schlechte Publicity ist gute Publicity. Wenigstens in dem Falle hat er Recht behalten.
Die Fassbinder in Trier: Angriff zum Schutz
Ursula Quickert schreibt im Volksfreund: "Nicht Fassbinder selbst, wohl aber seine Kernthemen sind omnipräsent: Ausgrenzung, auch durch Homosexualität, Anti-Konformismus, das Verdrängen des Dritten Reiches. Zwar wird die Kritik an der Gewinnoptimierung und dem Egoismus klar formuliert, doch für den Zuschauer bleiben viele Fragen offen."
Da frag ich mich doch: war der Kritiker im richtigen Stück?? Mit keinem Wort geht er auf die Inszenierung ein, das (fassbindertypische) Retardierende, der Einsatz von Video, Graffiti, Mikro, Musik. Die Publikumsnähe. Die schauspielerische Leistung, wie man sie selten am Theater Trier sieht. Ein Theaterabend besteht nicht nur aus dem Text. Man sollte meinen, die "Experten" von Nachtkritik wüssten, dass man sich mit der gesamten Aufführung beschäftigen sollten. Aber vielleicht ging es dem Kritiker auch nur darum, um jeden Preis einen Verriss zu schreiben. Endlich habe ich in Trier nicht die üblichen Klassiker gesehen. Endlich gibt es auch am Theater Trier was neues, was innovatives, unkonventionelles und durchaus spannendes. Aber darauf geht der Kritiker nicht ein. Warum? Weil es in Trier ist und nicht Berlin? Mit so etwas müsste man sich beschäftigen. Noch seltener, dass in einer Trierer Aufführung sich so direkt mit der Wirklichkeit auseinandergesetzt wird. Eine klare, teilweise konstruierte Sprache und spannende Theatermittel waren die Kernelemente des Abends und das wird in der "Kritik" hier völlig igonriert. (...) Da kann ich nur die Schlussfragen dieser Kritik hier übernehmen und anpasssen: Es kann ja passieren, dass ein Kritiker einen Auftrag erhält, der ihn völlig überfordert, so dass er am Ende eine ungerechtfertigte Kritik abliefert. Aber gibt es bei Nachtkritik denn keinen verantwortlichen Theatermenschen, der den Kritiker schützt, indem er eine solche Kritik verhindert? Gibt es niemanden, der es dem engagierten Theaterteam erspart, so angegriffen zu werden?
Und dabei wollen wir von der Zumutung für die Leser gar nicht reden.
Die Fassbinder in Trier: super Vorstellung
War ne super Vorstellung. Hab schon überall für die nächsten Vorstellungen Werbung gemacht. Kann mich dem Lustmolch nur anschließen und sagen: Nicht entmutigen lassen :- ))
Die Fassbinder in Trier: was Namen sagen
@ Lustmolch: Die Wahl Ihres Namens konterkariert irgendwie Ihre Argumente, welche Sie hier allerdings auch lieber gar nicht erst anführen. Oder beziehen Sie sich mit diesem Namen auf dieses "Ihr wollt alle nur ficken"? Dann wärs konsequent.
Die Fassbinder in Trier: das mit den Argumenten
subtil schrieb: "Die Wahl Ihres Namens konterkariert irgendwie Ihre Argumente, welche Sie hier allerdings auch lieber gar nicht erst anführen."

Haben Sie wenigstens selber verstanden, was Sie geschrieben haben?
Die Fassbinder in Trier: vergleichbares leisten
@Alias: Sie wären froh, wenn Sie auch nur annähernd begabt wären, um vergleichbare Verrisse u.a. verfassen zu können. Nicht entmutigen lassen;-)
Die Fassbinder in Trier: argumentieren und aufwiegen
Im Übrigen gebe ich zu bedenken, dass die Fülle an nachträglichen Lobeshymnen an die Inszenierung, mit welchen die vorliegende Seite in Form von "Kommentaren" überschwemmt wird, das Gewicht der eigentlichen Kritik kaum aufzuwiegen vermag. Die Karawane zieht weiter, während irgendwelche Trierer Pseudotheatralen vergeblich bemüht sind, eine grässliche Angelegenheit nach außen schöner duften zu lassen.
Die Fassbinder in Trier: warum aufstrebend?
@ Lustmolch: Klar hab ich das, was ist denn daran so schwer zu verstehen? Man muss nur ein wenig um die Ecke denken können. Mir fehlten einfach die Argumente für diese Inszenierung. Sie schreiben bloß von "Entmutigung" und möglichem "Karriereende" des "aufstrebenden Luxemburgers". Was an diesem Autor nun aber so aufstrebend war/ist, das bleiben Sie schuldig.
Die Fassbinder in Trier: subtilerweise
@subtil: Da muss ich Ihnen wohl Recht geben. Subtilerweise habe ich meine Formulierung mit Absicht so gewählt, dass sich die von Ihnen gestellten Fragen von selbst aufdrängen.
Das Stück betreffend sind wir, so scheint es mir nun, doch einer Meinung;-)
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