Heimkehr und Flucht des Käthchen von Heilbronn

von Katja Schlonski

Heilbronn, 15. Juli 2010. Man hat ihm die Haare in festen Zöpfen gebändigt und es in ein blau-weißes Kleid gesperrt. In seiner Heimat, in der kleinen schwäbischen Großstadt Heilbronn ist das Käthchen eine echte Marke! Bei allerlei folkloristischen Anlässen tritt es gleich mit zwei Stellvertreterinnen auf, und manchmal gar als kompletter Hochzeitszug! In den Konditoreien finden sich seine Zöpfe aus Schokolade gegossen. Und der Kulturbürgermeister wird nicht müde zu erwähnen, dass "uns das Kleist'sche Geschöpf unauslöschlich den Platz in der Literaturgeschichte gesichert hat".

Die tatsächliche Existenz der 15-jährigen Katharina, Tochter eines Waffenschmieds aus Heilbronn konnte die Kleist-Forschung bislang nicht ausmachen. Trotzdem stehen die Touristen in Scharen am fiktiven Käthchenhaus am Markt, wo sich das bedingungslos liebende Kind hinabgestürzt haben soll.

Ganz und gar nicht volkstümlich

"Was ist zu tun, mein Herz? Was ist zu lassen?" steht in weißen Lettern auf grauem Grund hoch oben auf einem Vorhang. Schwarze Männer mit Masken gehen vom Zuschauerraum aus ans Werk. Auf der dunklen Bühne öffnen sich Türen und die Protagonisten rücken von hinten beleuchtet ins Licht.

Das Femegericht kesselt uns ein, wirkt wie ein bedrohlicher Taktgeber für alles, was da kommt: Der ehrlich klagende Vater, ein Graf, dem man glaubt, dass ihm ein junges Ding verfallen könnte, und schließlich das Käthchen, dessen Auftritt sich durch eine weiße Feder ankündigt, liebreizend und doch so gar nicht naiv. Starke Bilder, viel Pathos, und auch das Licht führt Regie. Dabei kaum Brimborium, und die Sprache darf sich in all ihrer ursprünglichen literarischen Wucht entfalten.

Dann öffnet sich der graue leere Bühnenraum zum großen historischen Ritterspektakel. Dem geschuldet ist ein bisschen Mantel und Degen. Das mag man albern finden wie sie da über die Bühne kugeln, prügeln, und sich sogar mittelalterlicher Marterinstrumente, wie des Morgensterns bedienen. Immerhin, diese Ritter agieren mit Inbrunst und aus voller Überzeugung, aus Stoff angedeutete Rüstungen und Helme tragen sie, die im Schattenriss wie Bockshörner wirken.

In der Ferne die Scherenschnittsilhouette einer Kleinstadt. Davor ein paar verschiebbare Wände wie in einem japanischen Garten, und dann immer wieder das Licht! Es schafft Räume, lässt Annäherungen und Entfremdung zu und verhilft dieser Inszenierung zu einer ganz eigenen Poesie. Burgbrand und Grotte, alles dabei und so gar nicht peinlich.

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Susann Ihlenfeld und Nils Brück          © Katja Zern

All die Wunder und Widrigkeiten, die merkwürdigen, zum Teil surrealistischen Geschichten in dieser Käthchen-Geschichte nimmt die Regie an und stellt sie vor, ohne zu werten. Alejandro Quintana und seine Schauspieler zeigen Respekt vor den von Kleist zum Teil so bizarr gezeichneten Figuren. Kunigunde (Katharina Voß), die Intrigantin, ist ein schönes alterndes Biest und eine kaputte Type gleichermaßen. Aber sie gerät, wie alle anderen auch, nie zur Karikatur.

Dem Zuschauer bleibt der notwendige Raum für analytische Interpretation und Bauchgefühl. Wohltuend klar und direkt auch der Umgang der Schauspieler mit dieser so schönen, schwierigen Sprache.

Friedrich Graf Wetter vom Strahl (Nils Brück): er kann einem fast leid tun dieser Kerl, der so schwer über den eigenen Schatten springt, dem die Empathie oft fehlt und der sogar mit der Peitsche nach seinem Käthchen schlägt. Mal Jammerlappen, mal Held, seine Idee von Liebe jedenfalls ist auch so lange her wie das Mittelalter.

Kitsch kann so schön sein!

Und dann überrascht uns dieses Käthchen-Mädchen (Susan Ihlenfeld) doch noch, indem es spielend leicht innerhalb dieser zweieinhalb Stunden eine Entwicklung nimmt, die man ihr von Anfang an in dieser Heilbronner Bühnenfassung hätte zutrauen müssen: Weder unterwürfig noch hilflos erscheint sie uns. Und mag ihr Graf sie auch wie eine Schmeißfliege behandeln; die Würde und Geradlinigkeit verliert sie nie.

Denn das Heilbronner Käthchen ist kein Kind, sondern eine eher unaufgeregte junge Frau, die versucht, ihr Leben in den Griff zu kriegen. Nur warum sie diesen Grafen eigentlich liebt, das mag sie auch in Heilbronn nicht preisgeben. "Du liebst mich? Herzlich! So tu mir was zu lieb." Mitnichten in der Käthchenstadt. Das Mädchen entledigt sich der Zöpfe und des Brautkleids und lässt alle mitsamt Kaiser als Kulisse zurück. Im weißen Hemdchen entfleucht es barfuß über die Zuschauerreihen hinweg. Mutig, mutig.

Spannend war's, toll gespielt, kurzweilig, ein "Klasse-Bühnenbild" mit einer traumschönen Lichtregie und so gar kein Plunder. Selbst hartgesottene Käthchenkenner zeigten sich nach der Premiere begeistert und spendeten minutenlangen Beifall.

 

Das Käthchen von Heilbronn oder Die Feuerprobe
von Heinrich von Kleist
Regie: Alejandro Quintana, Bühne: Lars Betko, Kostüme: Mathias Werner, Musik: Rainer Böhm, Licht: Carsten George, Dramaturgie: Karoline Felsmann.
Mit: Johannes Bahr, Nils Brück, Oliver Firit, Kai Windhövel, Katharina Voß, Ingrid Richter-Wendel, Frank Lienert- Mondanelli, Susan Ihlenfeld, Felix Jeiter, Alexander Darkow.

www.theater-heilbronn.de

 

Mehr zu Alejandro Qunintana: sein Heilbronner Faust 1 vom Juli 2009.

 

Kritikenrundschau

Einen Triumph für den Heilbronner Schauspieldirektor vermeldet Hans Georg Frank in der Südwestpresse (17.7.2010). In einer kargen, aber äußerst geschickten Kulisse, erzähle Alejandro Quintana die Geschichte der unehelichen Kaisertochter Katharina, die sich ebenso spontan wie unheilbar in den Grafen vom Strahl "verknallt". Die Inszenierung sei "ein Balanceakt zwischen ernsthafter Textauslegung und augenzwinkernder Unterhaltung mit vielen parodistischen Elementen."

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