Wenn in des Sultans Harem die Mädels mit den Hüften kreisen

von Harald Raab

Worms, 16. Juli 2010. Was haben die Salzburger, das die Wormser in der schönen deutschen Pfalz nicht haben? Der spätromanische Kaiserdom St. Peter am Rhein ist eindeutig die gewaltigere Kulisse als das barocke Dingsda an der Salzach, das obendrein nur den rangniederen Heiligen Rupert und Virgil geweiht ist. Und was ist schon das moralinsauere Jedermann-Spektakel gegen den Psycho-und-Sex-Krimi der Nibelungen-Sippschaft.

Da mag die Buhlschaft noch so viel Busen zeigen und der Boandlkramer noch so grimmig seine Sense schwingen, der Zickenkrieg von Kriemhild und Brunhild mit dem superpotenten Strahlemann Siegfried und den mordlüsternen Finsterling Hagen toppt die Salzburger-Nockerl-Bußpredigt spielend.

Fastenkur für die Nibelungen
Was den Wormsern aber abgeht, ist die nonchalante Präpotenz der Salzburger: Die Welt rund um den düsteren Domplatz mag untergehen. Der Hofmannsthal'sche Jedermann wird mit barockem Pomp und Protz dennoch in Szene gesetzt. Bobby und Pupsi samt ihrer ganzen Bussi-Society können doch auf den jährlichen Schuss Vanitas nicht verzichten. In Worms glaubt man hingegen, die Nibelungenfestspiele auf Fastenkur setzen zu können: Statt 4,5 Millionen müssen heuer 1,5 Millionen Euro reichen. Dieter Wedel, der noch aus jedem Stoff unter jeder Bedingung etwas gemacht hat, ist damit nicht zu entmutigen. Er zaubert ein Nibelungen-Surrogat: Getürktes Improvisationstheater mit unbekümmerter Bedienung bei Shakespeare, Marlowe, Schiller, Lessing und Anouilh.

Nachdem im Letzten Jahr die braven Burgunder nicht von den Hunnen gemetzelt wurden, sondern in einer Comedy-Fassung mannhaft untergegangen sind, verzichten heuer die Nibelungen-Festspiele gleich ganz auf dieselben. Am Freitag hatte Wedels Mixtum compositum "Teufel, Gott und Kaiser" so etwas wie eine Uraufführung. Er selbst spricht von einem Risiko und einem "Nicht-Theater". Der Held ist Kaiser Friedrich II. Der hat zwar nichts mit den Nibelungen, aber immerhin einiges mit Worms zu tun. Die Zuschauer sitzen mit dem Rücken zur Domfassade. Man mag es als stillen Protest des Intendanten werten.

Bannflüche gegen den Ungehorsam
Ja, wo bleibt er denn, der Herr Regisseur? Da man eh schon keine Zeit zum Einstudieren hatte, erwarten die Akteure wenigsten jetzt eine klare Ansage, wo's lang geht. Kommt aber nicht, sieht man von einigen Mahnungen der Wedel'schen Stimme aus dem Off ab. Der Regisseur, der unsichtbare Gottvater. Die Schauspieler und der Regieassistent sind ratlos und fangen halt mal einfach so an. Motto: Was wollen Sie hier sehen? Was können wir als ausgefuchste Profis aus der Lameng heraus zum Thema Machtgerangel zwischen Kaiser und Papst nach nur 14 Tagen Probenzeit auf die Bühne stellen? Der Plot kommt bekannt vor. Ist der nicht den Goldberg-Variationen von George Tabori abgeschaut?

Wäre ja gelacht. Die Pfälzer bekommen ihre Low-Budget-Produktion. Und die ist sogar ihr Geld wert. Sie sind ja alle alte Hasen, die dafür gecastet wurden, die meisten aus der Wedelschen TV-Serien-Fabrik. Da flattern die Siegesfahnen des Kaisers, da blitzt sein Schwert, da psalmodieren die Mönche und der Papst schleudert Bannflüche gegen den Ungehorsamen mit der Krone und schickt Meuchelmörder aus. In des Sultans Harem lassen die Mädels ihre Hüften beim Bauchtanz kreisen, wenn die Herren nicht gerade in weise Gespräche über Gott, die Welt und die Machtverteilung hienieden vertieft sind.

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Meret Becker & Dominique Voland
©Rudolf Uhrig

Es gibt ja eine ganze Menge in der klassischen Bühnenliteratur, das man situationsgerecht zu Friedrichs Biographie die Figuren aufsagen lassen kann, etwa aus Lessings Nathan der Weise. Wenn dann allerdings Meret Becker den ganzen Taucher von Schiller rezitiert, übrigens ganz hervorragend, dann fragt man sich schon: Wozu?

Flottes Sommertheater
Rätselhaft bleibt lange, warum Anouschka Renzi mit von der Partie ist. Sie nölt nur herum, dass sie einen Text brauche. Wenn sie sich schließlich in einer der Haremszenen entblättern darf, fällt der Groschen: Hat sie nicht ihre Karriere als Playmate begonnen? Lang, lang ist's her. Dirk Bach ("Ich bin ein Star, holt mich hier raus") darf als Comedian nicht nur Autogrammkarten verteilen und seine Witzchen machen. Er kann auch zeigen, was für ein veritabler Charakterschauspieler in ihm steckt, singend als Walther von der Vogelweide, als salbungsvoll-zynischer Alt-Papst und als kluger Sultan.

Roland Renner (Harry Graf Kessler im Doku-Drama "Gewaltfrieden") liefert sich als Friedrich mit Peter Striebeck (Ex-Intendant des Thalia-Theaters) als Papst Gregor den längsten Schlagabtausch im schweren Charakterfach. Ein geistig-verbales Duell zweier beeindruckender Mimen. Nicht minder Heinz Hoenig (Spekulant Rottmann in Der große Bellheim) mit souveräner Präsenz als Araber, Patriarch und Petrus de Vinea.

Fazit: Solides, flottes Sommertheater, das so ähnlich zurzeit überall, wenn auch nicht immer so gut, geboten ist. Dem Publikum hat es gefallen. Aber träumte man in Worms nicht vom Einzug in die Festspiel-Liga von Salzburg, Bayreuth oder Bregenz? Diesen Glanz bekommt man aber nicht für 'n Appel und 'n Ei. Es darf weiter geprobt werden - vordringlich in der Kulturverwaltung.

 

Teufel, Gott und Kaiser
Improvisation über eine Zeit, in der das Nibelungenlied entstand.
Zusammengestellt von Dieter Wedel
Regie: Dieter Wedel.
Mit: Heinz Hoenig, Meret Becker, Dirk Bach, Peter Striebeck, Anouschka Renzi, Roland Renner, Alexandra Kamp, Stefanie Platter, Dominique Voland, Tilo Klein und Joern Hinkel.

www.nibelungenfestspiele.de

 

Sie sollten ja erst ganz ausfallen, die Nibelungenfestspiele 2010. Kein Geld da, wie es zunächst hieß. Kurz vor Jahreswechsel wurde dann Entwarnung gegeben. Die 1937 gegründeten Festspiele wurden 1939 schon einmal eingestellt. Ein Neugründungsversuch von 1956 blieb folgenlos. Erst 2002 gelang Dieter Wedel erfolgreich die Wiederbelebung. Für die ersten beiden Ausgaben der Wedelungen hatte Moritz Rinke eine Neuinterpretation des Stoffes verfasst. Für die 2009er-Ausgabe der Nibelungenfestspiele lieferte John von Düffel eine Comedy-Version des blutigen Dramas.

 

Kritikenrundschau

Für Dieter Wedels diesjährige Wormser Nibelungen-Festspiel-Premiere könne wahrlich nur "wenig Zeit zur Vorbereitung gewesen sein" und in der Tat biete sie nicht viel mehr "als die prominente Besetzung eines Spielortes", schreibt Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (19.7.2010): "Zehn aus Film und Fernsehen bekannte Darsteller spielen sich heiter durch die aus Routine und Textwürfeln von anderswo zusammengesetzte Collage 'Teufel, Gott und Kaiser'." Es gehe "um zehn Schauspieler, die also ohne Stück Szenen aus dem Leben des Stauferherrschers Friedrich II. vorbereiten sollen. Dass sie so tun, als sei das Privatleben Friedrichs, dessen politische/ kulturelle Wichtigkeit außer Frage steht, dem Publikum so vertraut wie das Privatleben von Prinz Charles, bringt den Abend gleich in eine kuriose Schieflage. Die als Klammer gesetzte Frage, wie wir werden, was wir sind, interessiert zwar allemal, bleibt aber mit Blick auf Friedrich seltsam didaktisch."

"Etwas sorglos gestrickt" sei die Wedels Textcollage, meint Alfred Huber im Mannheimer Morgen (19.7.2010). Doch "was die bunte Darstellerschar in wechselnden Rollen" leiste, bewege "sich auf den sicher abgesteckten Regiepfaden Wedels, der ja weiß, wie man unterhält, ohne deshalb gleich die Qualität aus den Augen zu verlieren." Es zeige sich eine "Poesie der Dürftigkeit, die mit dem Begriff 'Improvisation', ein geschickter Schachzug, auch alle Fehler und Unzulänglichkeiten von vornherein entschuldigt." Mitunter aber erfahre man "selbst noch in diesem karg ausgestatteten Sommertheater, wie atmosphärisch und bilderreich Wedel bisweilen zu inszenieren vermag, wenn er hinter den banalen Harmlosigkeiten des Lebens die großen menschheitsbewegenden Fragen aufblitzen lässt."

 

Kommentare  
Nibelungenfestspiele: geografischer Hinweis
Dem geneigten Autor sei gesagt, dass Worms nicht in der Pfalz, sondern seit jeher in Rheinhessen liegt.
Nibelungenfestspiele: Beipflichtung
Da kann ich dem Kommmentar von "Wormser" nur beipflichten.
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