Schockiert, doch nicht gelähmt

Göttingen, 6. August 2010. Nachdem das Junge Theater Göttingen, wie gemeldet, offenbar aufgrund der Veruntreuung hoher Geldsummen Konkurs anmelden musste, wenden sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Theaters heute mit einer Presseerklärung an die Öffentlichkeit, die wir im Folgenden im vollen Wortlaut wiedergeben:

"Wir, die MitarbeiterInnen des Jungen Theaters Göttingen, sind von der dramatischen Situation an unserem Theater erschüttert. Ein schwerer Betrugsfall ist dafür verantwortlich, dass das Junge Theater zahlungsunfähig ist.

In den ersten Tagen war es uns allen unmöglich zu begreifen, dass das Junge Theater, das wir gerade unter der künstlerischen Leitung von Andreas Döring erneut zu einer Rekordspielzeit geführt hatten und welches wir mit unserem neuen Spielplan 2010/2011 wiederum auf Erfolgsspur sahen, plötzlich existenziell bedroht sein sollte.

Es sieht so aus, als ob dem Jungen Theater vor allem die aus seinem Erfolg erwirtschafteten Rücklagen gestohlen wurden. Eine Situation, die uns schockiert, die uns aber nicht lähmt. Wir werden nicht zulassen, dass eine einzelne Person das Junge Theater der Stadt Göttingen wegnehmen kann und dass all unsere Arbeit der letzten Jahre zunichte gemacht wird. Wir werden für die künstlerische Kontinuität unseres Hauses kämpfen, wir wollen und werden als gewachsenes Team unsere Arbeit deshalb fortsetzen.

pressebild jt belegschaft 2010
Die Belegschaft des JT
© Junges Theater Göttingen

Das Junge Theater Göttingen ist wieder ein funktionierender und erfolgreicher Kulturbetrieb und steht für gutes und inhaltsreiches Theater. Seit dem Neubeginn vor sechs Jahren hat sich am JT eine hochmotivierte Mannschaft gebildet, die mit steigender Qualität auf und hinter der Bühne zusammenarbeitet. Unser Team leistet mehr, als man angesichts der personellen, finanziellen und technischen Möglichkeiten erwarten kann. Dies funktioniert nur, indem wir uns gegenseitig vertrauen. Dieses Vertrauen wurde nun leider von einer Einzelnen mit großer krimineller Energie enttäuscht. Natürlich darf es nach dem aktuellen Vorfall nicht einfach so weiter gehen. Dieser Veruntreuungsskandal muss strukturelle Korrekturen im Betrieb zur Folge haben. Und wir gehen davon aus, dass die entsprechenden Entscheidungsträger aus Politik und Verwaltung unsere Struktur nachhaltig ausbessern und auch Geschäftsführung und Intendanz trennen, die unter dem Druck des Neubeginns 2004 aus Kostengründen zusammengelegt wurden.

Unsere Aufgabe ist es, gutes, engagiertes, kritisches und unterhaltsames Theater für Göttingen und die Region zu machen. Der Erfolg der letzten Jahre dokumentiert, dass die vergleichsweise geringen Zuschüsse von Stadt und Landkreis effektiv eingesetzt wurden. Denn das Junge Theater Göttingen erlebt aktuell eine seiner größten Blütezeiten. Schon vor einem Jahr schrieb der Oberbürgermeister Wolfgang Meyer: 'Nie zuvor hat das Junge Theater so viele und so treue BesucherInnen mit seiner Arbeit begeistern können. Das bedeutet zum einen eindrucksvolle Anerkennung für Andreas Döring und sein Ensemble, zum anderen aber auch das Ziel neuer und höherer Ansprüche.' Eine Aussage, die uns stolz machte, und angesichts dieser gestiegenen Erwartungen auch anspornte.

Und tatsächlich konnten wir ein Jahr später schon wieder einen Anstieg unserer Besucherzahl vorweisen. 31.534 Besucher in der letzten Spielzeit für unsere eigenen Produktionen! Eine Auslastung von fast 80% aller unserer Zuschauerplätze! Eine kontinuierliche Steigerung der Besucher von 200% in den letzten sechs Jahren! Und auch wenn wir Zuwächse bei allen Zuschauerschichten zu verzeichnen haben, ist es uns wichtig festzustellen, dass in der letzten Spielzeit allein 16.000 Kinder und Jugendliche in unser Theater gekommen sind. Denn wir schöpfen unsere Kraft und Lust genauso aus einer Vielzahl an Diskussionen mit Schülern, Workshops, Kinder- und Jugendgruppen, die bei uns Theater spielen, integrativen Projekten oder Aktionstagen für sozial Benachteiligte. Auch außerhalb unseres Theaters beteiligen wir uns regelmäßig an wichtigen kulturellen Ereignissen. Unser letztjähriges Festival "Wege zur Freiheit" hat viele Menschen und Institutionen des Landkreises zusammengeführt.

Uns ist an dieser Stelle wichtig festzustellen, dass unser Intendant Andreas Döring die entscheidend prägende Figur dieses Theaters und seiner Erfolgsgeschichte ist. An seiner Integrität und fachlichen Kompetenz gibt es für uns nicht den geringsten Zweifel. Mit ihm konnte sich das JT künstlerisch so gefestigt und vielschichtig aufstellen, wie selten zuvor.

Dieses kleine, traditionsreiche Theater ist für uns mehr als ein Ort, an dem wir arbeiten. Es ist ein Ort für Begegnungen, Fragen und Visionen. Diesen Reichtum wollen wir erhalten.
Wut und Bestürzung kehren wir um in Energie, die uns antreibt. Gerade weil unser Vertrauen missbraucht wurde, bitten wir als Belegschaft darum, sich mit Respekt vor unserer Leistung und substantiell mit unserer Arbeit auseinanderzusetzen, damit eine Unterstützung für unseren Fortbestand aus Überzeugung möglich wird. Das ganze Theater arbeitet wie geplant für eine spannende Spielzeit 2010/2011."

 

Kommentare  
Erklärung der Göttinger JT-Belegschaft: Idealismus pur
Ja !

Dem JT ist dafür wirklich vom Herzen alles Gute zu wünschen: ich jedenfalls hatte vom JT bei meinen Göttingenaufenthalten im Jahre 2006 und dann bei den Norddeutschen Theatertagen in Göttingen 2007 einen sehr guten Eindruck: Idealismus pur !
So habe ich das damals aufgefaßt: und im Zusammenhang mit dem Theater im OP und dem DT Göttingen sucht die Stadt Göttingen als kaum mehr als halbsogroße Stadt wie zB. Kiel bundesweit ihresgleichen: und, wie gesagt, das JT trägt gehörig dazu bei für mein Empfinden.
Ich traue der Darstellung des mißbrauchten Vertrauens vollauf, und die Häme, die das JT teilweise einstecken mußte, kann ich -meinen Augen, meinem Herz vertrauend- nicht nachvollziehen !!
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