Älter als Gott

von Katrin Ullmann

Hamburg, 13. August. 2010. "Jede Fahrt mit einem Boot ist möglicherweise die letzte." Kaum ist man vertrauensvoll in das Ruderboot des Hamburger Kanu Clubs eingestiegen, kaum hat man sich zurechtgesetzt und sich ein wenig an das sanfte Schaukeln gewöhnt, kaum hat man den jungen, kräftigen Ruderer gemustert und gemutmaßt, dass dies wohl nicht seine erste Bootsfahrt sein mag, kaum hat man ein wenig Sicherheit gewonnen, schon hört man diesen einen, ersten Satz. Eine warme, freundliche Stimme (Thomas Kuegel) spricht ihn. Harmlos. Und doch bedeutungsvoll.

Die Stimme kommt aus dem Kopfhörer, den man mitsamt eines mobilen Audiogeräts vor dem Einstieg in das Ruderboot erhalten hat. "Ich werde schon ankommen". Die Stimme wird der einzige Begleiter sein während der knappen nächsten Stunde. Der schweigsame Ruderer wird wieder wegrudern, sobald er seinen Passagier auf einer künstlichen Insel inmitten der Außenalster ausgesetzt hat. Ob er jemals wiederkommt?

Schaukelnde Oberflächen
Die Insel, die man nach einigen Minuten des luxuriösen Gerudertwerdens erreicht, ist ein circa drei Mal zwei Meter großes Ponton. Der Boden ist Blau und rutschfest ausgelegt, ein paar blaue Plastikkissen gaukeln Gemütlichkeit, ein Not-Handy liegt in blaues Plastik verschweißt bereit und am Geländer hängt ein Rettungsring (Ausstattung: Christine Ebeling). Hamburgs Silhouette zeigt sich von hier aus pittoresk und grün. Fernsehturm, Rathausturm und die Spitzen der fünf Hauptkirchen ragen in den leicht bewölkten Himmel, weiße Herrschaftsvillen erzählen von Luxus am innerstädtischen See und ein paar Segelboote dümpeln im Schwachwind vorbei. Postkartenidylle.

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Eiland ©Ligna

Im Rahmen des Sommerfestivals auf Kampnagel - das sich dieses Jahr dem thematischen Schwerpunkt Wasser widmet - hat sich die Performancegruppe LIGNA dieses maritime Hörspiel ausgedacht. Es findet auf der Alster statt. Wo sonst? Schließlich diente die Alster über eine langen Zeitraum der Trinkwasserversorgung. Mitte des 16. Jahrhunderts wurde der Alsterfluss gestaut, um zumindest den wohlhabenden Hamburgern, fließendes Wasser in die Haushalte gluckern zu lassen. Doch statt Wasserhistorie und Brunnengeschichte, sinniert die Sprecherin über mythische Themen, erzählt von Poseidon und alles überflutenden Endzeitszenarien, von schaukelnden Oberflächen, Trinkwasser und Wellenpaketen.

Rundum Möwengeschrei
Es ist eine sehr poetische Arbeit, eine, die die Einsamkeit zelebriert und zum (Gedanken)spiel mit und über das Wasser einlädt. Immer wird in den LIGNA-Performances der Teilnehmer zum Akteur, zum Produzenten, wird via Radio-Ansagen aufgefordert, das Spiel zu gestalten. Doch meist ist dies ein kollektives Spielen und Erfahren. Ein (neu) Erleben und Aneignen von öffentlichen Räumen. Bei "Eiland" jedoch bleibt der Teilnehmer einsam allein. Schnell freundet er sich an mit der Ich-Erzählerin und vermisst diese, sobald sie Pausen macht.

Nachdenklich und ruhig philosophiert sie über das Wasser, seine Bewegung, seinen Ursprung. Über den Regen und die See. Man kann aufstehen, die Insel mit Schritten abmessen, Ausschau halten, den Arm eintauchen in die "ungeduldige Oberfläche" oder das Alsterwasser kosten. "Ist das Wasser nicht älter als Gott?" - "Wer wäre die Mutter des Wassers?" Immer wieder macht die Sprecherin Pausen. Dann wird es auf der Insel sehr still - rundum Möwengeschrei und Wellenplätschern.

Kein Schiff wird kommen?
"Eiland" ermöglicht dem Teilnehmer eine so luxuriöse wie beklemmende Erfahrung. Hat man mich hier ausgesetzt? Wird mich wieder jemand abholen? Warum schaukelt das Ponton jetzt heftiger als zuvor? Stumm gleiten einige Boote vorbei: Passagierdampfer, Segler, Kanuten und Tretbootfahrer. Am Ende bleiben die Rätsel des Wassers ungelöst. Und die persönliche Auszeit auf der Insel wird mit elektronisch, chilliger Musik (Günter Reznicek) beendet. Doch wird der Ruderer wirklich kommen?

Da, fast unverhofft, taucht er zwischen den Wellen auf, bringt einen neuen Teilnehmer, den er im Tausch gegen mich auf der Insel absetzt. Wind kommt auf, langsam und gleichmäßig tauchen die Ruder ein. Wir nehmen Fahrt auf.

 

Eiland
Konzept und Regie: LIGNA
Stimme: Thomas Kuegel, Musik: Günter Reznicek / Nova Huta, Ausstattung: Christine Ebeling.

ligna.blogspot.com
www.kampnagel.de/sommerfestival

 

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