Ausflüge in die Komik des menschlichen Seelenlebens

von Ulrich Fischer

Edinburgh, 21. August 2010. Alistair Beaton nennt sein neues Stück "Caledonia", ein alter keltischer Name für Schottland. Tatsächlich hat der für seine ätzende Kritik ebenso berüchtigte wie beliebte Satiriker vor, sein schottisches Vaterland zu porträtieren. Beaton greift dazu auf eine historische Episode aus dem 17. Jahrhundert zurück . Viele Nationen nahmen sich ein Stück vom Kuchen und gründeten Kolonien – Schottland wollte auch seinen Teil. Gegen die Skepsis von Realisten malte der unternehmungslustige William Paterson die Aussichten rosig: Reichtum ohne Anstrengung, Luxus ohne Reue, Glück auf Dauer – und selbstredend kein Risiko.

Schade, dass es nicht geklappt hat. Vielleicht hätten die Schotten es wissen können, denn sie meinten, gute Christen zu sein. Steht nicht in der Bibel Gottes Weisung, du sollst dein Brot im Schweiße Deines Angesichts essen? Und wie ist es mit der Nächstenliebe vereinbar, wenn gute Christen fremde Völker versklaven, damit sie den Wohlstand schaffen, den die Herren genießen wollten?

Die Heuchelei der Puritaner

Derartige Einwände guter Puritaner mussten angesichts kolossaler Profitversprechen hintanstehen. Reverend Francis Borland, den Beaton als anmaßenden, geldgierigen Dummkopf zeichnet, gibt seinen Segen – Paul Blair spielt den Geistlichen als Fundamentalisten der verbohrtesten Art und erntet viel (Wiedererkennungs?-)Gelächter. Nach Auskunft von Generationen Englisch schreibender Autoren vieler Nationen ist Heuchelei eine der hervorragenden Eigenschaften von Puritanern und niemand hat sie genauer analysiert, detaillierter beschrieben, mitleidloser an den Pranger gestellt und auf den Bühnen dem Gelächter preisgegeben, als die jeweiligen Zeitgenossen der Puritaner selbst. In diese Tradition reiht sich Alistair Beaton mit seiner glänzend geschriebenen Satire "Caledonia" ein, mit einem Biss, der an Jonathan Swift erinnert.

Die Spekulation auf ein rosiges Schottland geht bei ihm nicht nur ökonomisch schief, sie ist auch politisch eine Katastrophe. Beaton argumentiert, dass sie schlussendlich zur Union mit England führte. Was vom Kontinent als sinnvolle Vereinigung der Inselbewohner aussieht, ist für viele Schotten noch heute eine nationale Katastrophe, die längst nicht durch das neue Parlament und die eigenständige Regionalregierung geheilt ist. Beaton reißt nicht nur alte Wunden auf, er reibt auch noch ordentlich Pfeffer hinein.

Die Wirklichkeit des Absurden

Vicky Featherstone, die Intendantin des Nationaltheaters für Schottland, (eine tapfere Bühne noch immer ohne Haus), hat das Stück in Zusammenarbeit mit dem Edinburgh International Festival in Auftrag gegeben und ein Volksstück erhalten, das in seiner holzschnittartigen Technik und mit seinen reflektierenden Liedern entfernt an Bertolt Brechts episches Theater erinnert. Gleichwohl hat die Intendantin die Regie Anthony Neilson übertragen – ein größerer Gegensatz ist zwischen Theaterleuten kaum denkbar. Beaton, ein Realist, Neilson ein Vertreter des absurden Theaters.

Er ist nicht nur Regisseur, sondern auch Dramatiker. Sein sarkastisches Stück "Realismus", in Bonn zum ersten Mal auf Deutsch gespielt, erregte auch bei uns Interesse. Neilson erblickt unter der Oberfläche der Wirklichkeit das Absurde – er spürt gerne psychologischen Pfaden nach und erkennt: Menschen folgten nicht vernünftigen Erwägungen, sondern seien im tiefsten Innern irrational und unfähig zu lernen. Deshalb habe Theater als Lehrkanzel keinen Zweck. Ein Dramatiker kann die Bühne bestenfalls dazu nutzen, sein Publikum mit Ausflügen in die Komik des menschlichen Seelenlebens bestens zu unterhalten.

Alles Mahnen ist umsonst

Das Zusammenwirken der beiden so gegensätzlichen Theatermänner erwies sich als fruchtbar. William Paterson, der Held, ist im Entwurf des Autors der Typ des gerissenen Betrügers, der Regisseur gibt dem Protagonisten in seiner Uraufführungsinszenierung mehr Plastizität. Paul Higgins spielt einen Mann, der mit seinen Visionen seine Mitbürger begeistern kann, weil er ihre Skepsis einzuschläfern vermag, ihnen die Verwirklichung des Traums ihrer schlaflosen Nächte verspricht: mühelos reich zu werden.

Während der Autor warnen will, nach der jüngsten Finanzkrise, die Schottland hart traf, wieder auf falsche Versprechungen hereinzufallen, ist der Regisseur abgeklärt und meint, alle Mahnungen seien umsonst. Paradoxerweise verstärkt das noch die Wirkung: Irgendwann muss doch mal Schluss sein. Der Bezug zur Gegenwart ist unübersehbar, es gibt aktuelle Anspielungen zu Hauf, das Publikum im King's Theatre reagiert erfreut mit donnerndem Gelächter – jeder Zuschauer kann sich aussuchen, ob er hofft, dass die Menschheit lernfähig ist oder nicht.

Brecht hätte seine Freude an dieser Uraufführung gehabt. Vicky Featherstone hat eine kluge Auswahl bei ihrem Produktionsteam getroffen und ihr Ensemble hat, obwohl es stark seinen schottischen Akzent betonte, schwer übersehbar über die Rampe gebracht: Schottland ist überall!



Caledonia (UA)
von Alistair Beaton
Regie: AnthonyNeilson, Ausstattung: Peter McKintosh, Musik: Paddy Cunneen, Musikalische Leitung: Robert Melling, Licht: Chahine Yavroyan, Ton: Nick Sagar, Bewegung und Regieassistenz: Anna Morrissey, Casting: Anne Henderson. Mit: Paul Blair, Tam Dean Burn, Cliff Burnett, David Carlyle, Alan Francis, Frances Grey, Paul Higgins, Neil McKinven, Matthew Pidgeon, Morna Young.

Eine Koproduktion zwischen dem Edinburgh International Festival und dem National Theatre of Scotland.

www.eif.co.uk
www.nationaltheatrescotland.com
www.alistairbeaton.com/home.html

 

Mit der Uraufführung des Hemingway-Romans The Sun Also Rises in der Regie von John Collins wurde das Festival in Edinburgh dieses Jahr eröffnet.

 

Kritikenrundschau

Laut Gina Thomas (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.08.2010) nutzt Alistair Beaton ein "trauriges Zeugnis nationaler Hybris" als "Vehikel für Reflexionen über den schottischen Nationalismus", zugleich karikiere er "profitgierigen Banker" des 21. Jahrhunderts. Anthony Neilson habe diese "plumpe Vorlage" als "aberwitzige Posse" inszeniert. "Billige Frotzeleien" erzeugten dabei die "gewünschten Lacher". Die Figuren seien als "grobe Schablonen ohne innere Substanz" porträtiert. Berührend sei das nicht.

"Die historische Episode namens Caledonia ist faszinierend", findet ein die Vorlage wesentlich positiver einschätzender Alexander Menden von der Süddeutschen Zeitung (30.8.2010) – "eine Story wie maßgeschneidert für die Gegenwart", was auch Autor Beaton erkannt habe. Er lege seinem Protagonisten Paterson Sätze in den Mund, "die auch von einem modernen Venture-Kapitalisten stammen könnten". Paul Higgins sei in dieser Rolle auch "das mit Abstand Beste an diesem Abend". "Dass die Produktion trotz der vielversprechenden Konstellation misslingt, liegt vor allem an der gnadenlosen Albernheit, mit der Regisseur Anthony Neilson das Material befrachtet." Die zehn Schauspieler hätten jegliche Subtilität aus ihrem Repertoire gestrichen. Die zwischengeschalteten Songs seien sich "ihrer eigenen Idiotie durchaus bewusst" und behinderten "in ihrer Revuehaftigkeit den Fluss der Handlung". Die Inszenierung setze größtenteils auf "trivialisierenden Slapstick", als habe Neilson Angst, "ihm werde vor lauter Exposition das Theater abhandenkommen, und das Stück deshalb in Theatralik ertränkt".

 

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