Viel Lärm um wenig

von Andreas Schnell

Bremen, 2. September 2010. Es darf als Signal genommen werden, dass die erste Premiere der Interims-Fünferspitze am Bremer Theater ein Schauspiel ist - keine Oper. Und dass die Schauspielsaison im großen Haus eröffnet wird. Wo sich ganz andere Dinge veranstalten lassen als im Schauspielhaus. Zum Beispiel mit Musik, weil Platz genug ist für das Ensemble, seine ansehnlichen, multiinstrumentalen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Und ein opulentes Bühnenbild ist allemal drin. Immerhin letzteres überzeugt umstandslos und ist im Laufe des nicht eben kurzen Abends für ein paar spektakuläre Einlagen gut. Allerdings: Ganz glücklich verlief die Sache trotzdem nicht.

Wer gehofft hatte, Robert Schuster würde eine ähnlich schlüssige und pointierte Inszenierung vorlegen wie vor zwei Jahren bei den Bakchen, wurde enttäuscht. Es gibt gute Ideen, gar nicht wenige. Aber die werden oft so lange ausgereizt, bis nicht mehr viel davon übrig ist.

Schauspieler als künstlerischer Rettungsdienst

Geschlagene drei Stunden braucht Schuster bis zum Happy End. Dass nach der Pause etliche Plätze leer blieben, lag wohl auch daran, dass der Abend gelegentlich beträchtliche Lautstärke entwickelt. Eine elektrisch verstärkte Band erzeugt nun mal einen gewissen Geräuschpegel. Allerdings offenbart der auch deutliche Schwächen: Zumindest Glenn Goltz, der in seinem ersten Auftritt als Kapitän übrigens einen charmanten norddeutschen Akzent auflegt, überzeugte bei der Premiere nicht mit seinen Sangeskünsten.

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© Jörg Landsberg: Varia Linnéa Sjöströms als Viola und Siegfried W. Maschek als Orsino

Trotzdem waren es vor allem die Schauspieler, die an diesem Abend retteten, was zu retten war. Nicht alle, nicht immer, aber immerhin: Varia Linnéa Sjöströms Viola ist neben Siegfried W. Mascheks Orsino die überzeugendste Figur. Timo Lampka war als Violas Zwillingsbruder Sebastian streckenweise geradezu hinreißend: kindlich, verletztlich, aber von großer Kraft. Die Maria von Eva Gosciejewicz ist reizvoll bitchy, Martin Baum als Antonio darf als mülltonnenbekleideter Jack-Sparrow-Verschnitt reüssieren. Und Guido Gallmann als neurotischer Strickpulli-mit-Cordhose-Malvolio ist zumindest für eine ganze Weile ein Genuss.

Und die Bühne bietet ihnen dafür einen zwar geradezu spartanischen, aber enorm reizvollen Rahmen. Um etwas genauer zu sein: eine Folge von Rahmen, sich nach hinten verjüngend, die sich immer wieder gegeneinander verrücken, einmal sogar um die eigene Achse drehen, derweil der arme Malvolio gleich zweimal kopfüber aus der Truhe hängen muss, in die man ihn gesperrt hat.

Schlechte Kalauer

Soweit, so gut. Was leider mehr auf die Nerven geht, als dass es dem Stoff neue Dimensionen erschlösse, sind die Texte von Matthias Schlechta. Keinen Kalauer lässt er unbehelligt von dannen ziehen, Sir Toby Rülps mit Atze-Schröder-Frisur (Jan Byl) hat im wesentlichen möglichst oft möglichst zotig zu sein, Irene Kleinschmidt als Narr Feste hat Monologe aufzusagen, die auch als Polemik wider die Büttenrede auf die Dauer nur schwer zu ertragen sind. Und der Priester Fabian (Gerhard Palder) muss selbstredend - wir kennen ja unsere Katholiken - pädophile Neigungen haben ...

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© Jörg Landsberg: Jan Byl, Johanna Geißler, Gerhard Palder, Sebastian Martin, Eva Gosciejewicz, Susanne Schrader

Unter all dem droht die Geschichte unterzugehen. Irgendwie geht sie aber dann doch noch auf. Nach der Pause gewinnt der Abend an Schwung und Dichte, geradezu anrührend gerät das Wiedersehen der beiden Geschwister, die erst zu sich kommen, als sie sich wiederhaben. Was wohl (ein letztes, oder vorletztes Lied deutet es an, und der Baudrillard im Programmheft ergäbe sonst keinen Sinn) sagen will, dass ein jeder und eine jede von uns Männliches wie Weibliches in uns tragen. Was vielleicht auch der Schlüssel für das Ping-Pong-Motiv ist, das sich durch den Abend zieht? Darüber nachzudenken, ist man allerdings dann auch erstmal nicht mehr willens. Zuviel, zu spät. Schon schade.

 

Was ihr wollt
von William Shakespeare, Übersetzung: Thomas Brasch, mit Texten von Matthias Schlechta
Regie: Robert Schuster, Bühne und Kostüme: Jens Kilian, musikalische Leitung: Jörg Gollasch, Video: Philipp Rust, Dramaturgie: Kira Scheffel, Marcell Klett.
Mit: Siegfried W. Maschek, Gabriele Möller-Lukasz, Varia Linnéa Sjöström, Timo Lampka, Eva Gosciejewicz, Guido Gallmann, Jan Byl, Susanne Schrader, Irene Kleinschmidt, Gerhard Palder, Glenn Goltz, Martin Baum, Johanna Geißler, Sebastian Martin.

www.theaterbremen.de

 

Mehr zur Theaterarbeit von Robert Schuster: Der 1970 geborene Regisseur zeigte in den letzten zehn Jahren neben seinen Inszenierungen am Theater Basel und dem Deutschen Theater Berlin auch Franz Grillparzers Das goldene Vlies in Leipzig (2007) und Nikolai Gogols Der Revisor in Schwerin (2009).

 

Kritikenrundschau

"Das war mehr als ein Spielzeitauftakt, das war eine Demonstration!", ruft Rainer Mammen im Weser Kurier (4.9.2010) aus. Das Bremer Schauspiel, "lange geschunden und vielfach gescholten, meldet sich triumphal zurück". "Ebenso opulent wie intelligent" sei Robert Schusters Inszenierung. Endlich bekomme man bei Jens Kilian auch mal "ein Bühnenbild jenseits von gähnender Leere und schäbigem Sperrmüll zu sehen", das außerdem "eine augenfällige Entsprechung für die Verschiebungen und Rotationen" abgebe, in die das Shakespeare-Personal gerät. Zudem seien Kilians Kostüme "gefällig in Form und Farbe, nicht ohne Eleganz" – "manche Figuren machen schon durch ihre groteske Kostümierung einfach Spaß". Angetan ist Mammen außerdem von der musikalischen Gestaltung: "Es gibt innige, ulkige, melancholische, laute und sehr laute Lieder", die in der Mehrheit nicht von Shakespeare stammen. So wie sich auch in den Dialogen "viel zeitgenössisch Umgangssprachliches" findet. "Trotzdem: Seinen Shakespeare findet man an diesem Abend immer wieder: kenntlich, teils hübsch drapiert durch stimmige Regieeinfälle." "Ein großer Spaß, (...) ein bunter, keineswegs banaler Abend" mit einem "fabelhaft aufgelegten Ensemble".

Auch Jan Zier konstatiert in der taz-Nord (4.9.2010): "Sie trauen sich wieder! Es darf experimentiert werden! Und: Auch Klassiker müssen nicht allzu klassisch daherkommen." Das sei "eine gute Botschaft", auch wenn das Experiment "gelegentlich scheitert. Oder über das Ziel hinausschießt". Manch einem sei das Gesehene wohl "zu vulgär, zu zotig, zu laut" gewesen, die anderen hatten "Bravos" übrig für Schusters Inszenierung, die sich "durch allerlei gute Ideen" auszeichne. "Aber mitunter ist sie so darin verliebt, dass sie über alle Maßen ausgereizt werden." Zu oft dringe der Text "in die Wortspielhölle vor, zu oft erliegt er der Versuchung des Kalauers". Der Regisseur vergebe die "Chance, näher einzugehen auf das naheliegende Thema der sexuellen Indifferenz, der künstlichen, überholten Konstruktion dessen, was 'männlich' oder 'weiblich' ist." Die aus dem Ensemble zusammengesetzte Band sei "vielfach zu laut", übertöne bisweilen den Text. Auch sei "nicht jeder gute Schauspieler (...) auch ein guter Sänger", hier klinge manches "eher dünn". Ansonsten seien die Leistungen der Schauspieler jedoch "durchweg zu loben. Sie vermögen über Schwächen der Inszenierung hinweg zu helfen." Und das "minimalistische Bühnenbild" sei "großartig". "Kein schlechter Anfang. Aber: Da geht noch was."

Johannes Bruggaier von der Kreiszeitung (4.9.2010) ist von der Inszenierung "zur Internet-Recherche" verführt worden: "auf der Suche nach Erklärungen für das, was da zu sehen war. (...) etwa für die erbärmlich schwachen Dialoge der Nebenfiguren". Vielleicht liege das daran, "dass man ihre Übersetzungsarbeit in die Hände eines Berliner 'Autors und Cartoonisten' gegeben hat, zu dem Google (...) sage und schreibe sieben Einträge ausspuckt". Die sich verschiebenden Rahmen des Bühnenbildes sollten, so "steht als plakative Absicht zu befürchten", wohl wieder mal ein Gruß an Hamlets aus den Fugen geratene Welt sein. Wo die (Nicht-)Liebes-Konstellationen des Stücks "Startschuss für eine umfassende Reflexion unserer Gesellschaft sein könnte", sei bei Schuster schon die Zielgrade erreicht. "Ein paar Popsongs hier, einige billige Comedy-Einlagen dort: Fertig ist das Bild einer narzisstischen Bohlen-Barth-Konsumgesellschaft". "Der Mantel des Schweigens ist zu werfen über all die Heiterkeiten der allerschlichtesten Sorte", "nach Sinn und Zweck darf man fragen, muss es aber nicht". Dass Varia Linnéa Sjöström "in diesr Feier der selbstempfundenen Lustigkeit aus ihrer Figur noch so etwas Tiefgründiges wie Liebessehnsucht entwickeln kann, ist beachtlich".

 

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