Presseschau vom 4. September 2010 – Schorsch Kamerun in der taz zu Fragen der Kulturfinanzierung

Diese Einflussnahme wird immer subtiler

Diese Einflussnahme wird immer subtiler

4. September 2010. Er habe habe das Staatstheater bisher als großen Freiraum empfunden, sagt Schorsch Kamerun im Gespräch mit Till Briegleb in der taz (4.9.2010). "Gerade im Vergleich zu dem sogenannten Independent-Musik-Bereich, aus dem ich komme. Räume, die unangestrichen sind von Markeninteressen, gibt es dort kaum noch. Wenn wir mit den Goldenen Zitronen auf einem Festival spielen, dann hängen meistens rechts und links der Bühne große Werbebanner. Im Theater ging das bisher noch ganz gut ohne. Diesen luxuriösen Status darf man nicht leichtfertig aufgeben!"

Wenn einem Kulturprojekt über Sponsoring ein kommerzieller Rahmen hinzugefügt werde, entstehen – so Kammerun – Interessenskonflikte mit den inhaltlichen Aussagen des Projekts, "meist ohne die Möglichkeit des Künstlers, auf diese Verquickung Einfluss zu nehmen. Überspitzt ausgedrückt ist das so, als würdest du ein Brecht-Stück inszenieren, und von einer Bank promotet werden."

Den Sponsoren gehe es im ersten Schritt um Imagetransfer, "indem sie durch die Glaubwürdigkeit der Institutionen und ihrer Kreativen an Ansehen gewinnen. Und diese Einflussnahme wird immer subtiler. Weil die Marketingexperten längst verstanden haben, wie gut gerade das kritische Potenzial zu verkaufen ist. Die finden es chic, wenn ein Künstler 'Kapitalismus ist Scheiße!' propagiert. Die provokanteste Kunst landet heute zuerst im Museum – das haben die verstanden."

"Die großen Theater thematisieren anhaltend Kritik am neoliberalen System, am gierigen Kapitalmarkt – gerade zuletzt, während der Finanzkrise. Gleichzeitig werden sie aufgefordert, sich von diesen Krisenunternehmen in wachsenden Anteilen mitfinanzieren zu lassen. Da geht doch was nicht zusammen. Vielleicht habe ich ein etwas altmodisches Empfinden, aber ich meine, man kann nur dann glaubwürdig argumentieren, wenn man klarmacht, wie widersprüchlich die Situation im eigenen Bereich ist."

Schorsch Kamerun fodert die öffentliche Hand schließlich auf, sich dringend darüber bewusst zu werden, "dass sie mit dem eingeschlagenen Weg einen wichtigen Teil unserer Freiheit aufs Spiel setzt".

 

Eine verwandte Thematik arbeitet Tobias Becker auf Spiegel-Online heute nach einschlägiger Lektüre des Finanzmarkt-Magazins Das Capital auf: "Was trage ich zur Schorsch-Kamerun-Premiere in der Hafencity?"

Die Empfehlung: "Eine 'Ausgeh-Kombi' aus Kaschmir für 1410 Euro ('Legerer Kontrast zum Abo-Publikum') tragen, eine Horn-Sonnenbrille für 199 Euro ('Auch bei Scheinwerferlicht die See nicht aus den Augen verlieren'), einen Seesack für 155 Euro ('Wenn die Sintflut kommt, passt alles Hab und Gut hinein'), ein Messing-Spektiv für 44,95 Euro ('Das Opernglas für Freibeuter') und, ein bisschen Distinktion muss erlaubt sein, eine Automatikuhr im Rotgoldgehäuse für 171.000 Euro ('Da macht man selbst auf dem Sonnendeck große Augen')." (Zum ganzen Text)


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