Offener Brief des Intendanten des Thalia Theaters Hamburg Joachim Lux an die Chefredaktion der Tageszeitung DIE WELT
Offener Brief an die Chefredaktion der Zeitung DIE WELT
Volksverhetzung in der "WELT" – Thalia Theater abfackeln?
von Joachim Lux
Hamburg, den 21. September 2010. Einem Kritiker der Tageszeitung "DIE WELT" ist im Theater offenbar die Phantasie durchgegangen. Könnte ja ganz schön sein, ist es in diesem Fall aber leider nicht.
Vielleicht hat er sich vor dem Besuch der "Hamlet"-Premiere im Thalia Theater an einer Überdosis Sarrazin verschluckt. Wie auch immer: seine Theaterkritik erfüllt nahezu oder tatsächlich den strafrechtlichen Tatbestand der Volksverhetzung und der Verunglimpfung anderer Religionen. Ein geistiger Brandstifter ist er allemal. Und da hört der Spaß leider auf. Weil "DIE WELT" in offenkundiger Spekulation auf einen Skandal diesen Unsinn veröffentlicht.
Worum geht's?
Der Shakespearebearbeiter Feridun Zaimoglu ist türkischstämmig, also Moslem, also wahrscheinlich Islamist; also lässt er laut ihrem Autor den "Muezzin jodeln" – Pointe: Muezzin kommt nicht vor, weder gejodelt noch sonst wie.
Dann: Zaimoglus Text verhält sich (wörtlich) "zum Original wie der Koran zur Bibel. Er hat dem Urtext alles Widersprüchliche ausgetrieben. Der Rest ist Plattheit." Der Koran als Verplattung der Bibel! Das macht wahrhaft sprachlos, unglaublich. – Pointe auch hier: Der Koran kommt an dem Abend nicht vor. Und nebenbei wird noch eine "harmlose, buddhistische Weltsicht" in den Boden gestampft, weil der flämische Regisseur Luk Perceval sein Interesse für den Buddhismus bekundet.
Schließlich aber – und da schlägt der Schwachsinn in Methode um – bemerkt der Kritiker, man habe ja beim dänischen Karikaturenstreit viele dänische Botschaften abgefackelt, dem "Abfackeln von Theatern wolle man aber nicht das Wort reden". So etwas kennen wir alle als rhetorische Figur bestens – von islamistischen Hasspredigern und aus Deutschland sowieso. Man setzt mal irgendwas in die Welt, oder auch in die "WELT", um es selbstredend zu negieren… und schlägt anschließend in irgendeiner Kristallnacht die Fensterscheiben ein. Thalia abfackeln also bzw. selbstredend nicht abzufackeln, um das Abendland zu retten. Ja, ist "DIE WELT" noch zu retten? Wollen Sie zündeln? Sie haben die Grenze des Vorstellbaren überschritten. Vermutlich im Sinne demokratischer Meinungsfreiheit …
Ich rede nicht nur von dem offenbar völlig durchgeknallten Kritiker, sondern auch von einer Redaktion, die den Text zum Druck freigibt. Was sagen eigentlich Ihre Redakteure zu diesem islamophoben Irrsinn, der im Übrigen auch sprachlich unterirdisch ist?
Die Pointe bei dem Ganzen ist abermals: Es geht an dem ganzen Abend weder um den Islam noch um den Buddhismus, sondern um Shakespeare und also um Hamlets "Sein oder Nichtsein". Die Kritik ist völlig an den Haaren herbeigezogen und beschreibt eine Aufführung, die außer Ihrem Kritiker niemand gesehen hat. Bitte ersparen Sie uns künftig den Besuch dieses Mannes!
Sie werden sicher verstehen, dass wir der stets interessierten Öffentlichkeit den Vorgang nicht
vorenthalten werden.
Mit Gruß
Joachim Lux
Intendant Thalia Theater
Hier Allan Poseners beanstandete Hamlet-Kritik.
Hier ein nachtkritik-Kommentar zum Fall, ergänzt durch gesammelte andere Reaktionen.
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Nur zum Verständnis - kommt dann gar niemand mehr ins Theater?
Sehr geehrter Herr Lux,
wäre ich Intendant eines Theaters, dessen Aufführungen dermaßen geistreiche Verrisse erhalten, der Rezensent erhielte in meinem Haus einen Ehren-Logen-Platz auf Lebenszeit. Mir hat dieser Verriss durch seine Brillanz großes Vergnügen bereitet. Damit bringt er das Stück Ihres Hauses deutschlandweit in eine lebhafte Diskussion. Die Inszenierung konnte polarisieren, denn ich las auch andere durchaus positive Besprechungen, was mich, unabhängig davon, dass die sprachliche Bearbeitung dieser Inszenierung das Original in ihrer poetischen Schönheit entstellt, motivierte, von Berlin anzureisen, um diesen Hamlet zu erleben.
Danken Sie Herrn Posener!
Ihre Art, für Ihr Haus den Artikel 5 des Grundgesetzes über Meinungsfreiheit auszulegen, stimmt mich bedenklich.
Ich wünsche Ihnen und Ihrem Ensemble, Die Welt schickt Ihnen niemals weniger geistreiche Kritiker.
Mit freundlichen Grüßen
Dieter Wallentin
Au ja, Hausverbot! Und die anderen Kritiker solidarisieren sich unter der Roten Fahne und zerreißen vor dem Theater ihre Freikarten. Und während drinnen die Vorstellung beginnt, tanzen draußen die Kritiker, trinken Wodka und lesen aus ihren lustigsten Verrissen vor, umringt von den Zuschauern, die längst vergessen haben, daß sie eigentlich ins Theater gehen wollten.
(...) Ihre so gerne verwendeten Tadaas! sollten Sie in Zukunft besser recherchieren bevor Sie manche Dinge als Regieeinfall lamentieren. Barbara Nüsse brach sich 3 Wochen vor der Premiere das Bein, deswegen der Rollstuhl... nur soviel dazu.
Herrlich die beiden Kommentare und Dank den beiden dafür. Damit ist nun wirklich alles gesagt!
"Und die anderen Kritiker solidarisieren sich mit der Roten Fahne!"
Das wäre keine schlechte Idee!
Ich jedef#nfalls unterstreiche jeden SAtz von Herrn Lux! Er hat 1005ig recht!
Leider scheint es aber eine Tendenz unter deutschen Intendanten zu geben, sich über positive Kritiken in Provinzblättchen mehr zu freuen, als über einen brillanten Verriss im bundesweiten Feuilleton. Das konnte man in Bochum unter der Intendanz Goerden auch beobachten. Wenn in dem Spielplänen schon mit Kritiken der WAZ geworben wurde, konnte man sich auf einen ebenso vordergründigen Abend einrichten, wie es die Lektüre des Kohlenpott-Intelligenzblattes erwarten ließ.
Herr Lux sollte sich freuen, dass die "Welt" überhaupt noch einen Kritiker in sein Schauspielhaus schickt. Wenn die Hamburger Inszenierungen dereinst nur noch im Stormarner Tageblatt besprochen werden, wird er hoffentlich die selbe Größe wie Herr Goerden haben und vorzeitig seinen Platz räumen.
Die logische Konsequenz wäre Herrn Posener Gewinnbeteiligung anzubieten - und sich zu entschuldigen.
Mehr Reichskristallnacht im Land der Meinungsfreiheit geht wirklich nicht.
Nein, nein: keine Gewinnbeteiligung !
Was hier "Gewinn" hieße, wäre wohl nur ein sehr kurzfristiger Happen !
Das Perfide könnte ja gerade darin bestehen, daß jetzt die Leute ins Theater laufen bei all dieser Aufregung, und dann sehen sie wohlmöglich eine Inszenierung, die ganz und garnichts mit all diesen Spitzen bzw. Volksverhetzungsvorwürfen zu schaffen hat: "Die sind wirklich abgehoben am Theater; die spinnen die Römer !",
so würde es dann gewiß ungefähr heißen.
Wer soll sich da noch für etwaige Theaterschließungsdrohungen interessieren und dagegen sogar kämpfen, wenn da so instinktlos und unanbindbar zu allerlei Alltags-
erfahrungen Scheinthemen aufgebauscht werden, seine vermeintliche Bedeutsamkeit
ausstellend.
Dem Abend kann nur eines wirklich Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß "man" sich diesen selbst anschaut, sich selbst sein Bild von ihm macht, ihn auch nicht als interessiert an der aufgekommenen Debatte sogleich einstuft !
Gut, daß sich Hamburg offenbar in der Schauspielhausfrage regt (vielen Dank, PP,
für die Info zur Menschenkette am Donnerstag) und Herr Stuth offenbar beginnt,
die Sache noch einmal aufzurollen und Fehler zu korrigieren (und die Kürzung der Mittel für das Schauspielhaus wäre gewiß ein Fehler - siehe "Junges Schauspiel"):
das wäre löblich, nicht aus Prinzip an seiner Linie festzuhalten, einen Gesichtsver-
lust befürchtend, und vielleicht ein Ansatz für Herrn Stuth, mit seiner Aufgabe, die ihm nun bewußter werden mag, zu wachsen (... das könnte möglicherweise auch für die Schwimmbäder etcpp. Konsequenzen haben ...): zu hoffen für ihn, für HH und diejenigen, die - zB. wie ich - noch in Kiel etcpp. vom Schauspiel in HH profitieren.
Ich nannte schon einmal die "Stephens-Pflege" in der Schirmer-Zeit: das verbindet die Häuser in HH und Kiel, auch hier gab es diverse Stephens-Abende und wird es auch in dieser Spielzeit wieder einen neuen geben: daraus ergeben sich zum Teil interessante Zwiesprachen von Theatern in einem gewissen "Einzugsrahmen" !!
Auch ich meine - eine bessere und auch noch kostenlose Werbung, und dazu noch in der WELT - die hätte einen Dankesbrief, aber keinen so "schäumenden" Schmähbrief verdient!
Die Poster hier lassen mehr Humor und Intelligenz vermuten, als die Theaterkreise in Hamburg.
Hier bei uns, in Deutsch Wildwest, wo man alles kann außer Hochdeutsch, sogar in Sachen Kultur, wo der Wahnsinn blüht gleich beim Hölderlinturm und man Schiller und Mörike quasi auf jedem Bänkle trifft - also, uns könnte ein Alan Posener gar nicht genug verreisen. Er ist herzlich eingeladen zur nächsten Neuinszenierung eines bekannten Klassikers!!!!