Spiel mit der traumdunklen Seite der Liebe 

von Simone Kaempf

Berlin, 24. September 2010. An diesem Abend sind die Handwerker die heimlichen Herrscher. Ihnen gehören die erste und die letzte Szene, wenn sie mit possierlichem Dilettantismus den Liebestod von Pyramus und Thisbe spielen. Angeklebte Bärte, zeternde Gesten, wallende Gewänder, das sind ihre Utensilien. Und unter diesem Jux blitzt noch einmal groß auf, was zuvor auf der nächtlichen Verfolgungsjagd kühl variiert wurde: die Momente geglückter Liebe als Spiel der Illusionen und Täuschungen.

Die Handwerker sind Fensterputzer in blauen Arbeitsoveralls, die zu Beginn des Abends nicht nur Thermoskannen und Pausenbrote aus den Taschen ziehen, sondern auch Lettre International und das Handelsblatt. Sie schimpfen wie Bauarbeiter ("glotzt nicht wie ein Auto") und zitieren Walter Benjamin. En passant breiten sie angelesene Weisheiten zur Traumdeutung aus, während sie sich wieder an die Arbeit machen. Und ihre Theoriefetzen wie ihre Glasabstreifer, mit denen sie die Fensterscheiben bearbeiten, schaffen geschickt eine Durchlässigkeit für das Spiel mit der dunklen Seite der Natur.

Slapstick-Horror und Rokoko-Mythologie
Wenn sich das Bühnenbild dreht, öffnet sich eine hybride Kunstlandschaft, halb laubschattiges Gehölz, halb Glaskasten mit Stahlgittern durchzogen, die an ein Gefängnis erinnern. Ein düsterer Zufluchtsort für die Verliebten. Hermia und Helena, Demetrius und Lysander sind wie stets das asynchrone Quartett, bei dem zwei hinter einer herjagen. Wobei das Jagen hier einem Tasten gleicht, mit verbundenen Augen führt Bernd Moss' Lysander seine Hermia zur Flucht, jeder Schritt wie einer auf dünnem Eis.

Helle Anzüge tragen die Männer, geblümte Kleider die Frauen. Sie könnten der Inbegriff erotisch gefärbter Leichtigkeit sein, aber so, wie Regisseur Andreas Kriegenburg den Handwerkern eine intellektuelle Seite verleiht, haftet den Verliebten etwas melancholisch Schweres an, das ins roh Genervte umkippt, wenn die scheinbar zarte Helena der Judith Hoffmann einen zweiten Verehrer an der Seite weiß und in barsche Abwehrhaltung verfällt.

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© Arno Declair

Fremder und gewöhnungsbedürftiger ist Oberons Wald, in dem die Elfen tote Baumstümpfe als Köpfe haben oder auch wedelnde Farne und Moosköpfe im runden Buchsbaumschnitt. Das wirkt wie Slapstick-Horror, aber auch wie Zitate aus der Rokoko-Mythologie mit Hecken und Parks, Maskenspiel und Intrigen. Die Karte des vergnüglichen Lustspiels wird dennoch nicht ausgespielt. Kein Gott des Eros zieht die Fäden, sondern zwei Dandys, Ole Lagerpuschs Oberon und Daniel Hoevels' Puck, die stets schlüpfrig grinsend durch die Szenerie spazieren und auch die eine oder andere Frau durch ihre Hände wandern lassen.

Shakespeares dunkler Kern
Im ersten Teil hat das eine schlafwandlerische Langsamkeit, die bald den Schwung des Anfangs hemmt und in der finalen Waldszene fast zum Stillstand kommt. Man irrt nicht bis zum Umfallen, sondern wird von anderen Umherirrenden angerempelt, bis man bewusstlos in Schlaf fällt. Sinnbild für die Fremdsteuerung, das ständige Reagieren, statt Agieren, aus dem die Inszenierung eindringliche Gefühle der Beklemmung gewinnt.

Routiniert wirkt der Abend, wenn er körpersprachliche Choreographien bemüht. Titania und Oberon begegnen sich gliederräkelnd und -umgarnend. Wer zum Wald gehört, wirkt mit dem hängenden Ästekopf wie ein typisch Kriegenburgscher trauriger Tropf. Die anfänglichen Hinweise auf die Schlaf- und Traumforschung bleiben unaufgelöst. Formal läuft der Abend unwuchtig, mit langen Waldszenen, und ausuferndem Pyramus-und-Thisbe-Spiel. Wald- und Stadtwelt finden keinen klaren Rhythmus. Und doch trifft die Inszenierung den dunklen Kern von Shakespeares Stück, in dem die Liebe für die rohe Lust durchlässig ist. Die Handwerkerszenen sind darin nur ein weiteres, extremes Vexierspiel. Margit Bendokat, Barbara Heynen, Barbara Schnitzler und Almut Zilcher spielen als Flaut, Squenz, Schnauz und Schnock mit der Geschlechtergrenze, treiben die männliche Großmäuligkeit auf die Spitze, immer offen haltend, dass alles nur Verkleidung ist, und erzählen doch davon, wie schnell die Natur ihr Gesicht ändern kann.


Ein Sommernachtstraum
nach William Shakespeare
Deutsch von Frank Günther
Regie: Andreas Kriegenburg, Bühne: Andreas Kriegenburg, Kostüme: Andrea Schraad, Dramaturgie: Juliane Koepp.
Mit: Bernd Moss, Jörg Pose, Natali Seelig, Judith Hofmann, Ole Lagerpusch, Olivia Gräser, Katharina Matz, Daniel Hoevels, Barbara Heynen, Markwart Müller-Elmau, Margit Bendokat, Barbara Schnitzler, Almut Zilcher, Saskia Ansky, Jana-Marie Backhaus, Elena Fichtner, Branko Janack, Zhasmina Kovacheva, Nele Kliemt, Valentin Olbrich, Till-Jan Meinen, Eva Przybyla, Annegret Rittel, Helene Röhnsch, Benjamin Scharweit, Ilja Sorokin, Lisa Tannigel, Nika Weckler, Arno Wienert.

www.deutschestheater.de


Alles über Andreas Kriegenburg auf nachtkritik.de im Lexikon.

 

Kritikenrundschau

Missvergnügt hat Peter Hans Göpfert das Ereignis auf rbb Kultur (25.9.2010) zur Kenntnis genommen. Im "Hochsicherheitstrakt für Gefühlsverirrte" spüre Kriegenburg, der "ein Übergewicht im Spielplan an der Schumannstraße" habe, "mit viel oberflächlichem Geschrei und Gezerre und mit quasi-choreographischen Verrenkungen" den psychologischen Verstrickungen nach. Überhaupt zeigt Göpfert sich ratlos: "ich weiß nicht, ob der Sommernachtstraum das richtige Stück für soviel fließende und sonstige Grenzen, Sinnliches und städtische Gefühlshaushalte ist", verreißt dann die Unternehmung aber nach Kräften.

Leichthändig findet Patrick Wildermann im Berliner Tagesspiegel (26.9.2010) Andreas Kriegsburgs Saisonstart am Deutschen Theater. Kriegenburg, so der Kritiker, finde zu einer kraftvollen Bildsprache – wiewohl er, Gosch (der das Stück am gleichen Ort bereits 2007 inszenierte) durchaus verwandt, eine Lesart wähle, "die auf Jan Kotts düster-abgründige Sommernachtstraum"-Deutung zurückgeht und alle luftige Romantik ausbläst." Wildermann hätte zwar bisweilen den Paaren mehr Raum gewünscht "in dieser Aussegnungshalle der Herzens-Illusionen", wo ihr magiegesteuertes Wechselspiel ihm doch sehr gestrafft erscheint. Dennoch überzeugt ihn, "wie ernst Kriegenburg die Liebe nimmt, die bei Shakespeare vor allem Gewalterlebnis ist: Übergriff und Überwältigtsein zugleich."

Ein wenig bekümmert nimmt Volker Corsten in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (26.9.2010) die ernüchternde Sicht dieser Inszenierung auf die Natur und die Liebe zur Kenntnis. Die Bilder, die Kriegenburg für seine Deutung des Stücks und seiner Themen findet, gefallen dem Kritiker hingegen sehr. Doch: "So schön die Bilder sind, sie sind eine Zuflucht, weil der Regisseur an die Figuren, an ihre Gefühle nicht mehr glauben mag. Auch deshalb wohl lässt Kriegenburg als Epilog die Fensterputzertruppe ihr Theaterstück "Pyramus und Thisbe" in voller Länge dem Publikum darbieten. Man sieht also guten Schauspielern dabei zu, wie sie trottelige Schauspieler spielen, die sich bemühen, die Geschichte einer großen Liebe nicht zu versemmeln. Wenn schon alles falsch ist, dann lieber richtig."

"Irgendwie scheint es, als ob der Regisseur das Shakespeare-Stück unterschätzt hat", meint Stefan Kirschner in der Berliner Morgenpost (27.9.2010): "Es wehrt sich gewissermaßen gegen die Transformation in die Gegenwart - und überwuchert schlussendlich Kriegenburgs Konzept." Zwar schätzt auch Kirschner "den hohen Unterhaltungswert" der Handwerkerszenen. Dennoch: "Bedauerlicherweise verbraucht sich mancher Einfall im Laufe des etwas zu langen dreistündigen Abends."

Kriegenburg verkleinert das Stück, findet Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (27.9.2010). Er vergleicht die Inszenierung mit der Jürgen Goschs vor drei Jahren und kommt zu dem Schluss: "Gosch hat dem 'Sommernachtstraum' die Bilder und die Sprache vom Leib gerissen und mit dem Wesentlichen gespielt wie ein Kind mit dem Feuer. Kriegenburgs nicht unhübsche, durch Zeitlupenpassagen und unnötig ausagierte Humorstrecken aber überdehnte Inszenierung hilft dem Stück schnell wieder in die Gewänder, dekoriert es mit Bildern aus dem Kriegenburg-Fundus und hängt ihm ein paar Lesefrüchte an. Das ist ein 'Sommernachtstraum' von vielen."

Kriegenburg drehe "die Schraube der Stilisierung (...) einen Tick zu weit", bemerkt Jürgen Otten in der Frankfurter Rundschau (30.9.2010). "Fünf Minuten" lang findet er die Handwerker amüsant, dann werde es "mit jedem Auftritt anämischer, und am Ende, bei der Aufführung von 'Pyramus und Thisbe', ärgerlich. Eine halbe Stunde kasperlt das Quintett im Halbdunkel herum, reiht einen Slapstick an den anderen, bis der Schenkel weich geklopft ist."

Kommentare  
Kriegenburgs Sommernachtstraum: Cocktail-Party
Andreas Kriegenburg schickt am DT eine Cocktail-Party-Gesellschaft zur Traumdeutung in den Zauberwald von Athen.

Zu Beginn stehen fünf Gestalten im Blaumann mit Putzeimer und Lappen vor uns. Sie stellen die Handwerker dar, hier sind es Fensterputzer. Der einzige Mann der Handwerksgesellschaft hat weder Bart noch Haare auf dem Kopf, die vier Damen dagegen haben sie sogar auf den Zähnen. Markwart Müller-Elmau als Zettel geht erst mal kacken, während die Damenrunde beim Frühstück schon zu philosophieren beginnt. Es geht um Schein und Wirklichkeit, den Traum und seine Bedeutung. Dazu werden u.a. Walter Benjamin, der Verfechter des Auratischen und die Philosophin Petra Gering zitiert oder die Traumdeutung der Aborigines und natürlich Sigmund Freud diskutiert. Als Zettel endlich wiederkommt, kann mit Shakespeare begonnen werden. Die Fensterputzer machen sich auf, die Bühne beginnt sich zu drehen und gibt den Blick erst auf eine Glasfassade mit Pflanzen und dann auf einen fast kathedralenhaften Raum zwischen diesen Wänden frei. Mehrere Menschen in Blumenkleidern und weißen Anzügen bewegen sich fast traumhaft zu Madrigalen. Aus ihnen schälen sich erst langsam die Darsteller der zwei bekannten Athener Paare. Die Anfangszene an Athens Hof ist gestrichen, von der bevorstehenden Hochzeit von Herzog Theseus und Hippolyta der Königin der Amazonen wird nur berichtet. Es beginnt sofort mit der Flucht der Hermia und ihres Geliebten Lysander in den Wald, die Verschmähten Helena und Demetrius folgen ihnen.
In den Szenenwechseln putzen die Handwerker die Glasfenster und stellen wieder philosophische Betrachtungen an, das hat durchaus seinen Witz und ist nicht nur ein schmaler Running Gag.
Die Bewohner des Elfenreiches tragen alle Kopfputz aus Moos, Rinde, Strauchwerk und was der Wald sonst so hergibt. Es entstehen immer wieder merkwürdig phantastisch anmutende Choreografien bevor die eigentliche Handlung weiter geht. Der Puck des Daniel Hoevel ist ein Beau mit Spazierstock, ebenso wie sein Herr Oberon gespielt von Ole Lagerpusch, sie sind ersichtlich jünger als die Athener Paare, dargestellt von Bernd Moss, Natali Seelig, Jörg Pose, und Judith Hofmann. Das ist das Prinzip von Andreas Kriegenburg, er stellt sie als gestresste Städter mit Torschlusspanik dar. Jörg Poses Demetrius ist der Partylangweiler schlechthin, er spricht seinen Text eher beiläufig daher.
Diese Gesellschaft wird nun von den übersättigten Partysprengern Puck und Oberon auf die übliche Weise durcheinandergewürfelt nur so zum Zeitvertreib. Der Text ist stark zusammengestrichen und auf die Szenen im Wald beschränkt. Kriegenburg setzt zur Unterstützung seiner Traumdeutung immer wieder ein ganzes Ensemble von Waldgeistern ein, die über die Bühne tänzeln und selbst Puck wächst ein Strauch aus dem Kragen, blind mit dem Zauberkraut umherirrend verwechselt er die Athener. Die konsequente Entschleunigung des Stücks öffnet das Auge für das Unterbewußte, endlich werden die Figuren nicht mehr durch den Wald gehetzt, sie sind eher Getriebene ihrer inneren Sehnsüchte.
Auf dem Höhepunkt der Verwirrung taumeln die verdrehten Paare zwischen umherlaufenden Menschen mit Handys am Ohr, hatten wir doch erst vor kurzem, bevor sie erschöpft in einem Knäuel zusammenfallen. Das Konzept der Metropolenbewohner auf der Suche nach der Liebe zwischen Verlangen und Unfähigkeit ihre Lust auszuleben, trägt leider nicht den ganzen Abend und so besinnt sich Kriegenburg wieder auf die Geschichte der Handwerker, die für die dringend notwendig Abwechslung sorgen müssen. Ihr Probe ist mit einer der Höhepunkte des Abends. Zettel mit Starallüren, eine vor trockenem Humor strotzende Margit Bendokat als Flaut, Barbara Heynen ist der genervte Regisseur Squenz, Barbara Schnitzler ein Schnauz im wahrsten Sinne und Almut Zilcher als Schnock auf der Suche nach ihren Cojones fürs echte Löwengebrüll. Eine herrliche Parodie auf den Theaterbetrieb. Gut gebrüllt, Löwe.
Titania, Olivia Gräser als laszive traumwandlerische Verführerin, empfängt den verzauberten Zettel in ihrer Bondage-Schaukel. Er wird umgarnt und verwöhnt bis Oberon den Zauber von ihnen nimmt. Allein steht Zettel nun auf der Bühne, als Einziger der zufrieden seinen Traum ausgelebt hat, genüsslich malt er ihn uns aus. Für alle anderen bleibt es wie immer ein Albtraum der Gefühle, Analyse und Selbsterkenntnis fallen aus. Zum Schluss kann man noch genüsslich dem Schauspiel der Handwerker von Pyramos und Thisbe beiwohnen, einer schönen Parabel über Schein und Sein, Maske und Verstellung.
Für Jürgen Goschs sehr physischen vierstündigen Sommernachttraum vor nicht all zu langer Zeit gab es noch Zugaberufe, hier ist der Beifall eher recht brav für eine doch durchaus gelungene Shakespeareinterpretation, die auch ruhig noch etwas kürzer hätte ausfallen können.

www.blog.theater-nachtgedanken.de
Sommernachtstraum am DT Berlin: schwebend, atmosphärisch dicht
Es gab einmal eine Zeit, da konnte man keinen Spielplan aufschlagen, ohne dass einem ein Sommernachtstraum entgegensprang. Heute ist das Angebot deutlich übersichtlicher, vielleicht, weil im meistgespielten Stück des wahrscheinlich meistgespielten Autors überhaupt, alles gesagt zu sein scheint. Und so ist es durchaus auch als Statement zu interpretiereen, dass Andreas Kriegenburg seine zweite Spielzeit als Hausregisseur des Deutschen Theaters ausgerechnet mit diesem Stück eröffnet. Einem Stück, dessen letzte Inszenierung an diesem Haus der unvergessene Jürgen Gosch besorgt hatte, der sie letzten Jahre dieses Theaters wie kaum ein anderer geprägt hatte - ein Erbe, an dem auch Kriegenburg vergangenes Jahr durchaus zu tragen hatte.

Wenn die Saisoneröffnung ein Indiz für die kommende Spielzeit ist, kann sich das Berliner Publikum auf eine spannende Saison freuen. Kriegenburg präsentiert eine so schwebende, atmosphärisch dichte, bildstarke, kurzweilige und abwechslungsreiche Inszenierung, dass man sich als Zuschauer überrascht daran erinnert, dass das Theater ja ursprünglich einmal primär der Unterhaltung dienste.

Eine Schlüsselrolle gehört dabei den Handwerkern, die hier zu Fensterputzern transformiert und mit Ausnahme des Zettel (Marquardt Müller-Elmau) mit Frauen besetzt werden. Vor allem Margit Bendokat, Barbara Schnitzler und Almut Zilcher erweisen sich als wahres komödiantisches "Dream Team". Die Handwerker putzen, den Glaskubus, den Kriegenburg als Treibhaus menschlicher Lüste und Liebesversuche auf die Bühne gestellt hat, sie packen ihre Pausenbrote aus und diskutieren Traumtheorien von Benjamin bis Freud. Die unaufdringliche ironische Leichtigkeit, mit der hier der theoretische Überbau für das zentrale Thema des Stücks, das fragile Spannungsverhältnis von Traum und Realität, geliefert wird, setzt den Standard für den ganzen Abend.

Die Kernhandlung tritt dabei ins zweite Glied oder bleibt zumindest auf Augenhöhe mit der Handwerkergeschichte. Eine Relativierung, die ihr gut tut. Was bei anderen Regisseuren zu einem lauten Spektakel physischer wie psychischer Auseinandersetzung wird, ist bei Kriegenburg wunderlich tastend, zerbrechlich, suchend. Die "Liebenden" sind keine jugendlich enthusiastisch Liebenden, sondern mittelalte Verlorene. Kriegenburg schafft dafür grandiose Tableaus: Stehen sie anfangs noch einsam und ratlos inmitten einer Menge telefonierender Menschen, finden sie sich später in der gleichen Gesellschaft wieder. Nun irren sie ziel- und richtungslos umher und werden von den zielgerichtet im Kreis laufenden Handy-Jüngern über den Haufen gerannt.

So ziellos ihre Bewegungen, so inhaltslos ist ihr Lieben. Und so fehlt die große Agressivität und Leidenschaft, sie werden ersetzt durch eingeübte Mechanismen und Rituale, die selbst die sie einsetzenden "Helden" langweilen. Keine Wahrheit nirgends: Ob Demetrius Hermia liebt oder Helena, ob erstere von beiden Männern verstoßen wird oder letztere - es macht keinen Unterschied. Das eine ist so wenig wahrhaftig wie das andere. Oberon und Puck, gelangweilte Dandys und vielleicht die eigentlichen Regisseure des Abends, kreieren eine Versuchsanordnung, deren Ergebnisse sie mit ironischer Distanz beobachten. Wie der "Liebesreigen" ist auch das nur Zeitvertreib. Und so ist es auch egal, dass der Zauber am Ende nur von Lysander genommen wird, nicht von Demetrius. Ob verzaubert oder "real": So ist es ordentlicher, und einen wirklichen Unterschied macht es nicht.

Doch so zynisch und desillusioniert wie dies klingen mag, ist der Abend nicht. Dies liegt zum einen an der atmosphärisch starken und, ja, auch zauberhaften, magischen Atmosphäre, die Kriegenburg durch eine ausgeklügelte Mischung aus Bühnenbild, Licht- und Musikregie sowie Choreografie schaft. Zum anderen stellt Kriegenburg den Athenern die ebenfalls verzauberte Titania entgegen. Wo jene sich in abgestandenen Liebesschwüren ergehen, liebt diese mit einer Bedingungslosigkeit und Hingabe, in der vielleicht so etwas wie Wahrheit aufscheint. Auch hierfür gelingen Kriegenburg atemberaubende Bilder, die lange im Gedächtnis bleiben werden.

Und dann sind da natürlich noch die Handwerker, denen das letzte Wort gehört. Wenn sie am Ende endlich ihr Stück aufführen und dabei ein wahrhaftes Slapstick-Feuerwerk abbrennen, kommentieren und relativieren sie das Vorangegangene. Doch bei allem leeren Pathos und schlechten Reimen: Weniger Wahrheit als im Reigen wechselnder Liebesschwüre der Protagonisten offenbart sich hier auch nicht. Ganz im Gegenteil: In der Unbedingtheit, der naiven Begeisterung, mit der sie ihr dilletantisches Machwerk auf die Bühne bringen, scheint ein wenig von der wahren Leidenschaft auf, die man zuvor so vermisst hatte.

http://stage-and-screen.blogspot.com/
Kriegenburgs Sommernachtstraum am DT: unvergesslich
Allein für die Eröffnung mit den Handwerkerinnen wird mir dieser Abend unvergesslich bleiben. Die Traumlandschaften im Gewächshaus sind von unendlicher Poesie. Das Finale hätte es nicht gebraucht. Aber was sind 15 Minuten gegen 2,15 meist zauberhafte Stunden?
Sommernachtstraum am DT Berlin: gut gebrüllt
...und Almut Zilcher als Schnock...eine herrliche Parodie auf den
Theaterbetrieb. Gut gebrüllt, Löwe.
Ich brülle nun ein wenig mit im "Sommernachtstraum" (verspätet):
Die Verrücktheit stellt sich bei den vier jungen Athenern
(2 Liebespaare) als Störung der psychischen Ordnung dar.
Die elisabethanische Psychologie geht von einer Hierarchie
der Seelenvermögen aus, an deren Spitze die Vernunft steht.
Die Sinneseindrücke, die den psychischen Mechanismus auslösen,
müssen nach dem Durchgang durch die Phantasie (fantasy)
erst der Kontrolle durch die Vernunft unterworfen werden,
die zwischen Gut und Böse unterscheidet, ehe es zu einem
das Gute begehrenden Willensentschluß kommen kann,
der auf die Leidenschaft wirkt und eine zweckmäßige
Handlung herbeiführt. Diese Ordnung kann jedoch umgestoßen werden,
wenn die Phantasie unter Ausschaltung der Vernunft und des Willens
unmittelbar auf die Leidenschaft der Begierde wirkt
und von ihnen fehlgeleitete Handlungen herbeiführt.
Dies ist besonders beim j u n g e n M e n s c h e n der Fall
bei dem die Vernunft noch nicht zur Reife gelangt ist.

(geschrieben für A.Z.)
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