High-Heels, Bagger, Dixiklo

von Sarah Heppekausen

Dortmund, 3. Oktober 2010. So sehen sie also aus, die Perser. Die Männer mit Turban auf dem Kopf, in weiter Baumwolltunika, Maschinengewehre über der Schulter. Die Frau trägt Schleier und einen langen Mantel, unter dem High-Heels und Leggins tiefschichtig mehr versprechen. Aber diese Perser stehen vor einem amerikanischen "Ruby Tuesday"-Restaurant. Äußerlich betrachtet sind sie also nicht mehr als Abbilder einer westlichen Vorstellung.

Ausstatter Christoph überträgt den besonderen Umstand, dass der Grieche Aischylos über die Schlacht bei Salamis 480 v. Chr. aus der anderen Perspektive, aus Sicht der besiegten Perser erzählt, sichtbar auf die Bühne. Und das sorgt in Marcus Lobbes' Inszenierung der "Perser" für eine erstaunlich starke Setzung.

Arrogante Hänselei

Es ist die letzte Premiere am Eröffnungswochenende des Dortmunder Schauspiels. Intendant Kay Voges, der die Dortmunder zunächst mit einem (fast) Komplett-Austausch des Ensembles (böse) überraschte, setzt bei seinem Neustart auf Klassiker. Nach Büchners "Woyzeck" und Lessings "Miss Sara Sampson" nun also Aischylos' älteste – und einzig nicht-mythische – erhaltene Tragödie.

Als "organisierten Zusammenbruch", als "ein einziger langer Schrei" beschreibt Durs Grünbein das Stück. Die Dortmunder verwenden dessen Text-Übertragung und zitieren seine Worte im Programmheft. Das "Oh Weh, Weh" des Solochoristen Matthias Breitenbach klingt allerdings kaum nach verzweifelter Klage, sondern vielmehr wie arrogante Hänselei. Immer wieder rutscht sein Ton ins Sarkastische, seine Geste ins Überhebliche, wenn er die Königinmutter Atossa als "Herrscherin, Du" anspricht oder bei der Aufzählung der Getöteten seinen fülligen Oberkörper für einen Bauchtanz freilegt.

Lauter Übersprungshandlungen

Auch Atossa scheint den Chor nicht wirklich ernst zu nehmen. Abfällig sagt sie: "Ich suche um Euren geschätzten Rat". Melanie Lüninghöner ist die feministische Furie unter den persischen Frauen. Sie schmückt sich nicht mit Gewändern, sondern mit Waffen. Sie keift, bespringt den Chor, lacht hysterisch oder reibt sich die Augen, um Trauer zu imitieren. An Götter glaubt diese Atossa nicht mehr, an ihren Sohn auch nicht. Der vermessene Xerxes hat Flotte und Heer Richtung Athen geführt, um Griechenland zu erobern. Ein Bote schildert die leidvolle Niederlage bei Salamis. Aber auch Christoph Jödes Zeugenbericht haftet ein Hauch von Unwahrhaftigkeit und Selbstinszenierung an. Mit Fanfarenklängen per Gewehrpusterei kündigt er sich an und lässt hämisch "Salamis"-Rufe in die Ohren der Daheimgebliebenen schallen. Die Hybris scheint an diesem Abend nicht nur den jungen König gepackt zu haben.

Alle Schauspieler sind die knapp zwei Stunden permanent auf der Bühne. Und verlieren sich immer wieder in fragwürdigen Aktionen, als verleite sie das handlungsarme Stück zu Übersprungshandlungen. Atossa ordnet die Plastikkaffeebecher, Xerxes (Sebastian Graf) wühlt im Schlamm oder schlägt auf den Bagger ein, der leuchtend gelb auf der Bühne steht und wohl ein Sinnbild fürs tiefe Graben nicht nur der Totengräber, sondern auch ins Menscheninnere ist. Dareios' Geist reitet auf dem Bagger, der Bote verzieht sich ins Dixiklo oder küsst kurz den Chor, einer schmeißt mit Schuhen, ein anderer mit Erde. – Es sind meist unnütze Handlungen, die den starken Text nicht anreichern, sondern bedeutungslos belasten, ihn regelrecht verklumpen.

Verkleidete in Amerika-Kulisse

Aber es gibt sie auch, die starken Szenen. Dann ergehen sich die Schauspieler nicht in leeren Tätigkeiten, sondern lauschen dem Text Lebendigkeit ab, die keiner zusätzlichen Geste bedarf. Wenn Björn Gabriel als Dareios' Geist an der Verblendung seines Sohnes verzweifelt. Wenn bei Matthias Breitenbach als Chor vermeintliche Zuversicht in durchschauende Ironie umschlägt.

Das Bühnenbild gemahnt in seiner ausgestellten Kulissenhaftigkeit immer wieder daran, dass hier eine Illusion errichtet wird. So ist das Amerika-Bild hinten auf einer Leinwand wiederholt. Am Ende hat Xerxes gerade erst sein Scheitern herausgebrüllt, da fangen die anderen an, Erde und Waffen als Reliquien einer nachgestellten Kriegserzählung zusammenzufegen. Für Angst, Grauen und Nachwirkung bleibt weder Raum noch Zeit, die Haltung der Schauspieler zu ihrer Rolle stets distanziert. Es sind Verkleidete, die da auf der Bühne sprechen und agieren. Der fremden Perspektive – wie Aischylos sie einnahm, wie wir sie heute einnehmen – misstraut die Inszenierung. Nur bleibt sie dadurch leider selbst befremdlich.

 

Die Perser
von Aischylos
wiedergegeben von Durs Grünbein
Regie: Marcus Lobbes, Bühne und Kostüme: Christoph Ernst, Dramaturgie: Michael Eickhoff, Alexander Kerlin.
Mit: Matthias Breitenbach, Melanie Lüninghöner, Sebastian Graf, Björn Gabriel, Christoph Jöde.

www.theaterdo.de

 

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Kritikenrundschau

"Turban, Tunika, das Maschinengewehr im Anschlag - das sind die Perser", berichtet Nadine Albach (derwesten.de, 5.10.2010). Bühne und Kostüme von Christoph Ernst zeigten deutlich, "dass der Zuschauer die westliche Vorstellung von Persern zu sehen bekommt, nicht die Realität". Und "natürlich ist es eine Entscheidung, wenn ein Regisseur eine Inszenierung ohne starkes Konzept angeht – in Dortmund aber führt sie Marcus Lobbes ins Leere". Die fünf Schauspieler "wirken schmerzlich verloren". Lobbes lasse "die Schätze" des Stückes "brachliegen – was besonders für die Schauspieler eine Tragödie ist, denen man Potenzial und Spiellust anmerkt. Mit bangen Gesichtern treten sie am Ende vor den Vorhang, um Verantwortung zu tragen für etwas, das sie nicht erdacht haben – und das ist verantwortungslos."

Für den WDR (4.10.2010) berichtet Stefan Keim, die Idee von Marcus Lobbes sei es, "dass die Schauspieler nicht nur die Rollen verkörpern, sondern gleichzeitig auch immer darüber nachdenken, das Pathos immer wieder brechen, sich zwischendurch immer wieder fragen: Was heißt denn das? Was meinst Du denn damit?" Das müsse sich allerdings erst einspielen, bei der Premiere wirkte das "noch ein bisschen sehr staksig, ein bisschen schwierig, da reinzukommen, ein bisschen verkopft auch". Aber "die Grundidee ist nicht schlecht".

 

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