Den Tod lass ausreden

von Juliane Streich

Leipzig, 7. Oktober 2010. Wer kommt mit? In dem Moment, in dem Du stirbst, in dem niemand mehr da ist. Dein Geselle nicht, Dein Geld schon gar nicht. Es bleiben nur Du, Deine Werke und das bisschen Glauben, den Du schon verloren hattest. Du bist in diesem Fall Jedermann, Deine Werke sind blond und schön, Schwester Glaube ist ein Mann, Jürgen Kruse der Regisseur. Gott sitzt rechts und plappert ab und zu dazwischen, der Tod ist links und raucht Kette. Über allem schwebt ein Rotlicht-Mädchen, der Teufel in Person.

Jedermann ist hin und her gerissen. Zwischen der Liebe zur Mutter, für die er nun wirklich keine Zeit hat, zwischen der großen schwarzen Buhlschaft, zwischen dem Fest mit Freunden an gedeckter Tafel. Und dem Ruf des Todes. Jedermann diskutiert mit ihm, handelt eine Stunde Zeit in heftiger Diskussion aus.

Lass mich bitte ausreden, sagt der mit INRI auf der Brust beschriftete Tod und gibt ihm dann doch die letzten gewünschten Minuten. Minuten, die Jedermann mit Degengefechten zu der Melodie von "Wild Thing" ausfüllt, Minuten, bis der Glaube im barocken Kostüm ihn zurückholt, am Ende ist Jedermann nackt. Hat sein letztes Hemd gegeben. Der Todeskuss ist schwul, der Schluss ein Goldener Schuss.

Jedermeyer-müller-schulze

Das Leipziger Centraltheater ist voll. Der Salzburger-Festspiele-Klassiker von Hugo von Hofmannsthal wird hier statt mit Fernsehstars mit laienhaften Engelinnen (wieso heißt das eigentlich nicht Jederfrau, fragt Gott am Anfang, ersetzt darauf in der Manie/r der Politisch-Korrekten "er" durch "sie" und hängt ein "In" am Ende an) besetzt, die es schaffen, nervige Jedermann-Anhänger so authentisch zu spielen, dass sie wirklich nervig sind. Oder andersrum.

Manuel Harder als Jedermeyer-müller-schulze wirkt dagegen so professionell arrogant, dass man tatsächlich versteht, dass alle mit ihm schlafen wollen. Oder mit Gott (Andrej Kaminski), der mit weicher Stimme und Tanzschritt Entertainerqualitäten beweist, wenn er nicht gerade mit dem Teufel herumhängt. Nur das mit dem Singen, das sollte er lassen. Und alle anderen auch. Wozu sind all die schönen Soundtracksongs sorgfältig ausgewählt? Am Anfang lauter Krach, Zuschauer halten sich die Ohren zu, am Ende dann Schlager und tanzende Engel, vielleicht ist das im Himmel doch nicht so schön. Aber Hut auf und ab da hin.

Identifizieren fällt schwer, zu stark die ironische Distanz, mal gute Gags, mal schlechte: Hast du einen Rat für mich? Ein Fahrrad, Dreirad vielleicht? Darüber müssen selbst die Darsteller lachen. Gewollt oder ungewollt, mein Gott.

Vom Himmel auf die Erde nach Altona

Mein-dein-unser-Gott hält sich schlussendlich zurück, dafür sind Jedermanns letzte Worte eine Abrechnung mit jedermann. Mit den Sparmaßnahmen zwischen Altona, dem Leipziger Naturkundemuseum und "Unesco-Brücke" in Dresden, der Teufel wird zu Frau Sarrazin, Frau von und zu Guttenberg kümmert sich um misshandelte Kinder, schön, dass wir es mal angesprochen haben. Modern oder nicht sein, heißt es da.

Sonst wird weitergespielt in hofmannsthälischen Originalversen mit steter übertriebener Betonung. Sack-rament! In einem pompösen Bühnenbild zwischen Kronleuchtern, knatternden Boxen und einem mehr als überdimensionalen Jesus am Kreuz. Klopf-klopf auf Holz. Rotweinblut auf weißem Unterhemd, brennende Papierfetzen fallen.

Sie glauben dir erst, wenn du tot bist, steht mit weißer Kreide auf schwarzer Wand. Und doch hat der Glaube den Fast-Toten vor der Hölle gerettet. Wer's glaubt, wird selig. Aber wenn der Tod einen auf dem Nachhauseweg ereilen sollte, wird man ihn ausreden lassen. Vielleicht kommt ja noch jemand mit.

 

Jedermann
von Hugo von Hoffmannsthal
Regie: Jürgen Kruse, Bühne: Volker Hintermeier, Kostüme: Sebastian Ellrich, Dramaturgie: Uwe Bautz.
Mit: Rosalind Baffoe, Friederike Bernhardt, Edgar Eckert, Sarah Franke, Manuel Harder, Andrej Kaminsky, Hagen Oechel, Barbara Trommer.

www.centraltheater-leipzig.de

 

Mehr zu Jürgen Kruse finden Sie in unserem Lexikon. Zu den Inszenierungen des Centraltheaters Leipzig geht es hier lang.

 

Kritikenrundschau

"Dieses schwülstige Trash-Theater ist nicht wirklich modern, vielleicht sogar überholt, doch irgendwie passt es zum Stoff," schreibt Nina May in der Leipziger Volkszeitung (9.10.2010). Jürgen Kruse gelinge es, in Ansätzen, dem Ursprungscharakter von Hugo von Hofmannsthals Werk als Mysterienspiel wieder näher zu kommen: "Die Party des Lebens, sie steigert sich an diesem Abend in einen zunehmend packenden Rausch." Der "grandiose" Andrej Kaminsky mime als Gott einen "Pop-Seelsorger mit tänzelnden Schritten", Hagen Oechel als Tod einen "knarzigen Rock-Star, der sich mit einer Fuck-you-Geste verabschiedet" – für die Kritikerin "zwei Nebenrollen, glänzend ausgefüllt." Das Beste am Abend ist für sie jedoch "eindeutig Manuel Harder, der als Jedermann seinen bislang stärksten Auftritt in Leipzig hat. Mit seiner dämonischen Aura ist er die Idealbesetzung für diese Rolle, wirkt zugleich schmierig und seltsam verletzlich, durchleidet jeden Moment mit Inbrunst."

"Am Ende: Jubel!" gibt Ralph Gambihler in der Chemnitzer Freien Presse (9. 10. 2010) zu Protokoll, wo er Jürgen Kruses "postmoderne Show-Variante des alten Stationendramas" als "bestechend klug, doppelbödig und charmant-rotzig" feiert. "Gruftig und groovig, fast opernhaft, kracht und säuselt das Stück über die Bühne. Ein schöner Totentanz, schön abgründig und ironisch." Auch barme und sterbe hier nicht nur ein reicher Mann, "sondern auch das Theater barmt und stirbt, gerahmt von einer Interview-Einspielung mit Schauspieler-Legende Oskar Werner und Anspielungen auf das aktuelle Spartheater in memoriam Kulturraumgesetz. Und ja: Es stirbt diesmal so gut, dass an seinem Nachleben keine Zweifel bestehen."

Jürgen Kruse habe "mit seinem Ensemble einen bild-, anspielungs- und musikreichen, einen fulminanten Abend auf die Bühne gestellt", zeigt sich Matthias Schmidt in der Sächsischen Zeitung (9.10.2010) begeistert. Dieser "Jedermann" sei Persiflage, wer das "moralisierende Theater liebt, wird sich darin nur mit Mühe zurechtfinden." Die optisch und akustisch opulente Inszenierung verdichtet sich in der Beschreibung des Kritikers in einer Szene, in der Jedermann zu den Klängen von Karel Gotts "Einmal um die ganze Welt" sein Geld verbrennt: "Das Theater – rausgeschmissenes Geld, verbranntes Kapital? Eine rhetorische Frage, so naiv wie entwaffnend. Doch Manuel Harder als Jedermann trägt diesen unbedingten Willen zum freien Spiel so ehrlich vor, fast schon charmant, dass man ihn und diese Inszenierung dafür einfach lieben muss."

Hugo von Hofmannsthals "Mysterienspiel" sei "wie geschaffen für den Zugriff dieses großen Romantikers", schreibt Andreas Hillger in der Mitteldeutschen Zeitung (13.10.2010). Keine Sekunde habe man "Mitleid mit diesem Text", der seine "Eitelkeit" so demonstrativ vor sich hertrage. Kruse nehme die Vorlage zum "Anlass für sein berühmt-berüchtigtes Prinzip der Überfrachtung, in dem sich die Bilder gegenseitig steigern und nivellieren". Und in Manuel Harder habe Kruse einen Hauptdarsteller, "der sich in bester Starmanier bespiegelt und zerfleischt". Der eigentliche Frontmann aber sei Gott: Andrej Kaminsky sorge für "Energie in dem chronisch unterspannten Abend". Die "Ziel- und Antriebslosigkeit" seiner Figuren habe bei Kruse Methode, sie lungerten apathisch in ihrer Geschichte herum, doch wenn sie zufällig "kollidieren", wenn "Jedermann mit seinem Gesellen oder mit seinen Werken kämpft und knutscht, dann produzieren diese permanent von Musik-Glutamat verstärkten Bilder reines Theaterglück", dann erlebe man eine "traurig schöne Sternstunde des Jürgen Kruse".

Kommentare  
Jedermann in Le: KritikKritik
Liebe Nachtkritik, was soll das denn bitte sein? Eine Kritik? Nach 2 Stunden im Bilderrausch und Sprachrausch tobt der Saal. Die Schreiberin kriegt nichts zustande, außer von links nach rechts die Bühne zu beschreiben und Text zu zitieren. Man kann Kruse total daneben finden oder lieben, man kann den "Jedermann" beschissen oder schlecht oder gut oder sensationell finden. Aber wo ist in der Nachtkritik irgendeine Haltung, irgendeine eine Übersetzung, und ist sie noch so subjektiv? Da ist ja gar nichts! (...) Würde es Theaterkritikkritik geben, gäbe es für diese Nullinfo zu einem echten Ereignis einen Totalverriss. Das liest sich wie ein Schulaufsatz nach Theaterbesuch. (...) Null Haltung, null Kritik. Die einzige Leerstelle an einem prallvollen Abend. Schade drum.
Jedermann in Le: Die Sünden von nachtkritik.de
Ich schließe mich Malte an, hier steht nichts, aber auch gar nichts über den gestrigen Abend! Vor zwei Jahren hat in diesem Forum ein gewisser Ralph Gambihler Kruses "Don Juan" mit dümmlichen Brecht-Vergleichen zugekleistert, jetzt tippt Frau Streich zum "Jedermann" was (...) zusammen...
Leute, das geht doch nicht! Wenn ihr keinen in Leipzig habt, der schreiben kann, dann könnt ihr keinen hinschicken! Dieser obige Text ist eine Zumutung, der ist so schlecht, der gehört noch vorm Wegwerfen redigiert!
Jedermann in Le: Aufführung nacherleben
Ich war nicht bei der Aufführung in Leipzig, weiß also nicht, was Juliane Streich Wichtiges verpasst oder weggelassen hat. Aber ich kann mich zu der Auffassung meiner Vorkommentatoren nicht bequemen. Ich habe Kruse-Inszenierungen erlebt. Ich finde den Versuch von Frau Streich, das Erleben der Aufführung nachzuempfinden und das schriftlich mitzuteilen sehr erfrischend in dem üblichen Einerlei routinierter Kritiken hier auf nachtkritik.
Jedermann in Le: junge frau smasht Berufsjugendliche
Dieses Macho-Gehabe der Kommentatoren ist echt ätzend. Super Text, junge Frau smasht berufsjugendliche alte Männer. Leipziger Kampfdramaturgie: Olé!
Jedermann in Leipzig: Besser machen, Männer!
@ Malte und Tobias: Dann machen Sie's doch besser, Sie Männer! Sie vertreiben bloß Meinungen. Aber bloße Meinungen werden erst dann glaubwürdig, wenn man sie auch mit überzeugenden Argumenten belegen kann. Ansonsten klingt's nach beleidigten Leberwürstchen.
Jedermann in Leipzig: akzeptabel hie, KiKa-Feminismus da
@ Ralf Weber
Finde ich völlig akzeptabel und bedenkenswert, was Sie pro die Nachtkritik zum Jedermann schreiben!

@ Paula B.
Zu Ihrem KiKa-Feminismus fällt mir gar nichts ein. Abgesehen davon, daß ich "einfacher" Zuschauer war, darf ich also Kritik nicht mehr inhaltlich kritisieren, wenn sie von einer Frau kommt? Auf welchem abgestorbenem Gender-Ast sitzen Sie denn? So ein Quatsch!
Jedermann in Leipzig: Schwärmen
manuel harder ist wunder-bar...handwerklich und seelisch spielend..kruse ein genie, das man mag oder nicht, dazwischen gibt es NICHTS!!..und ich mag und mochte ich SEHR!! man darf ihn nur nicht mit theatermenschlichen maßstäben messen, man muß ihn so sehen , wie er ist: ein verwirrter und verwirrender, traumwandlierische sicherer und traumverlorener bildertänzer mit märchenhaft-musikalischen bildermalassiziatinen, surrealistischen spracheingaben und collagenartigen regieeinwürfen..man darf ihn NIE ernster nehmen als er ist und auf der anderen seite muß man den ganzen zuseh-abend BITTERERNST nehmen..- ich war berührt, betroffen, faszniert und manchmal gelangweilt wie in der kirche..und im nächsten moment überrascht von der eigenartigen wenidung..DANKE, lieber jürgen, danke an alle seine mitstreiter auf der bühne, es war WUNDER--voll..und einfach:SUPER!!..
Jedermann in Leipzig: der Hammer
dass ist eine super inszenierung und ein wirklich toller und lohnender abend... hader ist der hammer... (...)
Jedermann in Leipzig: the Harder they come
harder. aber er hadert sicher auch öfter :-)
Jedermann in Leipzig: toll, toll, toll
"modern oder nicht sein"
selten habe ich einen abend erlebt, in dem jung und alt so beseelt und selig lächelnd das theater verlassen.
tolle bühne, tolle musik und ein zweistündiger parforce-ritt von manuel harder, der seinesgleichen sucht.
kleinere schwächen verzeiht der man der vibrierenden inszenierung gerne.
nur die (nicht-)kritik von juliane streich- die geht mal gar nicht.
Jedermann in Leipzig: Profikampfposter
der olle kruse rettet das central theater. wie witzig ist das denn. ein schöner abend, der nur leider der xte detailgetreue, müde aufguß von kruses arbeit in bochum war. schön, die leipziger entdecken die 90er jahre und imitieren den leander haußmann spielplan. aber warum hat man nicht gleich leander haußmann geholt? schöner wäre, die leipziger könnten endlich selbst etwas über heute erzählen, jenseits von volksbühnen imitation, mtv starlets und potenzkomplexen. das ist doch provinz. so bleibt nur testosteronsattes machotum und profi kampfposter, die auf eine objektive journalistin losgehen.
Jedermann in Leipzig: sehr, sehr lebendig
der olle kruse hat gegenüber dem ollen h.müller aber einen vorteil. er ist noch sehr, sehr lebendig, wie im jedermann gestern abend zu sehen war. h.müller liegt auf dem dorotheenstädtischen friedhof. schon sehr lange. langweilige allgemeinplätze, die du hier aus dem jenseits absonderst. und der allgemeinplatz ist eben ein grab. angenehme ruhe in der vergänglichkeit der billigen stimmungsmache! schnarch, h., schnarch. machotum und du, das passt zusammen, nicht wahr? und das mtv-starlet stammt von viva, du zigarre! 0 vorkenntnis, 0 inhalt, 0 aussage. rip.
Jedermann in Leipzig: langsam wirklich ermüdend
danke heiner,ist schön das es ihnen mal jemand sagt.es wird langsam wirklich bisschen ermüdend.
Jedermann in Leipzig: unter die Haut
Der Jedermann war für mich eine ganz große Inszenierung. Das Gemälde, das Kruse da auf die Bühne gebracht hat, war beeindruckend, auch wenn vieles wie aus Don Juan wirkte. Aber das ist ja vielleicht sein Stil. Viel beeindruckender war sein Gemälde der Charaktere und hier ganz besonders der Jedermann. In dieser Rolle war Manuel Harder wirklich überzeugend. Jedermann, der Reiche der sich alles leisten kann und das nicht nur finanziell, sondern auch im Verhalten gegenüber seinen Mitmenschen. Trotz dieser scheinbaren Stärke, und in unserer Zeit ziehen ja ganz viele ihre Stärke aus Erfolg, Macht und Geld, wurde ganz schwach und ehrlich: „eigentlich habe ich eine scheiß Angst!“. Mir ging die Darstellung des Jedermann durch Manuel sehr unter die Haut und die Gewissheit des sehr nahen Todes mit allen Ängsten die dabei sind, kam für mich sehr deutlich rüber. „Be prepaired for your last fight“, Jedermann hat nicht lange Zeit vorbereitet zu sein.
Sehr stark war für mich auch Barbara Trommer und nicht zuletzt Andrej Kaminski. Der Jedermann von Kruse ist ein starkes Stück, das war aber auch schon der Don Juan, wenn auch nicht ganz so wie der Jedermann.
Jedermann in Leipzig: Kruseiger Kruse-Abend
Ja, Barbara Trommer war soo gut – man wuenschte sich glatt dieses Portal waere auch geeignet Empfehlungen fuer die naechste Spielzeit abzugeben:
DIE GEBURTSTAGSFEIER von Pinter auf der großen Bühne hier in Leipzig und natuerlich in der Rolle der Meg - Barbara Trommer. Kruseiger koennte ein Kruse-Abend gar nicht vorstellbar sein ...

eine oeffentliche co-meinung
Jedermann in Leipzig: will dieses Stück feiern
Jetzt fliegen hier wieder die beflindlichkeitsschwangeren Fetzen durch die Botanik, dass es nur so eine Art hat. Malte und ich sind demnach in einem Topf Machoschweine, dabei kennen wir uns gar nicht; man schert uns über einen Kamm, nur weil diese/unsere Kritik an einer SchreiberIN ausagiert wird. Das ist sehr armselig. Die selben Menschen, die uns da machismo unterstellen, würden uns vermutlich (ginge es gegen einen männlichen Schreiber) "Gockelei" oder "Wer-hat-den-Längeren" ins Poesiealbum schreiben... Recht machen kann und will's dann eben auch keiner mehr, das zumindest sollte auf gegenseitiges Verständnis stoßen.

Fakt ist, und das stimmt traurig, dass es erneut (nach "Don Juan" vor ca. zwei Jahren) in diesem Forum nicht gelungen ist, mittels erster "Nachtkritik" einen ansatzweisen Eindruck des Abends zu vermitteln.

Erneut lese ich nicht im Ansatz irgend etwas von der Größe, der Schönheit, der Entrücktheit und Kaputtheit des Abends, seiner Darsteller; der meisterlichen Musikdramaturgie, dem Vanitas-Stilleben in Hintermeiers Bühnenkonzept. Nichts, gar nichts ist da, leider.

Natürlich bin ich nicht Mitte, Ende der Neunziger in Bochum gewesen, ich vermag also nicht zu sagen, ob sowohl "Don Juan" als auch "Jedermann" hier in Leipzig nurmehr schaler Aufguss von Kruses früheren Arbeiten sind. Aber darum kann's doch hier auch nicht ausschließlich gehen, oder?

Ich will dieses Stück feiern, ich finde es grandios, und ich möchte folglich, dass zahllose Menschen reinströmen, eben auch die, die Kruse und seine Ästhetik gar nicht kennen (können).

Lasst uns bitte, bitte wieder zurück zum Stück kommen, auch an der etwas lässlichen Kritik von Frau Streich vorbei! Der Leipziger "Jedermann" ist jede Wortschlacht wert!

Nur sind eben Formulierungen wie Harders "professionelle Arroganz" und bezüglich Kaminski "das mit dem Singen, das sollte er lassen" definitiv NICHT dazu angetan, hier im Forum Begeisterungsstürme auszulösen.

Mindestens das sollten Frau Streich und einige der Eintragenden hier akzeptieren!wi
Jedermann, Leipzig: als nachtkritik noch Niveau hatte
...natürlich kann man einen chirurgen, der einen patienten aufschneidet und wieder zunäht, weil er den blindarm nicht findet, auch loben. Schließlich hat er sich bemüht. Und wenn es der Patient besser kann, dann soll ers halt selbst machen. Und nicht (schon gar nicht chauvinistisch) rummeckern.

Klar. Warum nicht auch kulturkritisch auf selbstversorgung umstellen? Eigne brötchen backen, den kleinen vorgarten mit kartoffeln bepflanzen, mittwoch ist schlachtfest, denn die wurscht schmeckt auch nicht mehr an der supermarkttheke. Den ein oder anderen Knochenbruch kann man nachts sicher auch selbst behandeln, vielleicht homöopathisch...
Warum nicht also? Weil es Leute gibt, die darin ausgebildet werden. Mehrere Semester lang. Und dann den Anspruch erheben, etwas über Kunst sagen zu können (was an sich schon fragwürdig genug ist...ja, dreht ruhig durch!) Wer sich in diesem Anspruch ausstellt, wie hier, muss aushalten, wenn man ihm sagt, dass er zu Operationen am Blindarm scheinbar nicht in der Lage ist.

Aber die schwindende Qualität dieser Seite, die aus einer wunderbaren Idee heraus geboren wurde, hat auch ihr gutes: sie zeigt, dass intellektuelle Brillianz eben nicht umsonst zu haben ist. Sie zeigt, was geschieht, wenn schlaue Leute nicht entsprechend entlohnt werden: sie gehen woanders hin. Das bleibt dann. Tomaten ohne Geschmack oder Eigenanbau...

mona
Jedermann, Leipzig: muss noch reifen
manchmal ist es aber auch wirklich nicht so einfach. ich habe die premiere nicht gesehen, aber dann. und dieser abend ist einer, der sich über nacht, vielleicht noch über tage im kopf weiterspinnt. zunächst gähnt: langeweile. aber nein! kruse ist ein verstecker. die bilder wirken weiter, wenn wir längst zu schlafen glauben. er scheint nicht auf den moment zu setzen, sondern auf die vollstreckung der idee im alltag. wenn sein gott zum teufel, wenn er im entscheidenden moment eine rauchen geht, dann sagt der kleinste moment mehr als 1000 mozartkugeln. aber das muss reifen, das kann eine nachkritik gar nicht leisten. und dieser text hat die atmosphäre gut getroffen, mehr geht bei einem kruse-abend in so kurzer zeit kaum, denn seine regie wirkt assoziativ. ich empfehle eine noch spätere vorstellung, wenn die mischung aus stückentwicklung und regieidee sich rundum eigenständigen vollendet.
Jedermann in Leipzig: durch Kritik ins Theater
Habe gestern den Jedermann in Leipzig gesehen.Ich fand die Vorstellung einzigartig. Habe lange keine so tolle Theateraufführung erlebt.Ich fand Manuel Hader als Jedermann sehr beeindruckend,einfach toll und großartig.Übrigens,mich hat der Zeitungskommentar von Nina May erst auf die Idee gebracht mal wieder ins Theater zugehen.

heidi
Jedermann, Leipzig: Sie glauben Dir erst, wenn Du tot bist
Am Text von Juliane Streich gibt es meiner Meinung nach nichts auszusetzen. Er passt eigentlich ganz gut. Ich war am ersten Dezember-Wochenende selbst mal in Leipzig und habe mir zwei Inszenierungen am Centraltheater angesehen. Freitag den Jedermann von Jürgen Kruse und Samstag den Zauberberg von Sebastian Hartmann. Unterschiedlicher können Theaterabende gar nicht sein.
Jürgen Kruse hat schon am Deutschen Theater in Berlin eine Salome als verschmähtes Groupie eines moralisierenden Grungerockers dargestellt und den Othello als düstere Orgie mit Erdbeergeschmack. Bei „Co-Regisseur“ Kruse läuft immer alles nach bekanntem Strickmuster ab. Wenn man sich endlich ins Halbdunkel seiner 70er Jahre WG-Athmosphäre eingesehen hat, wird man nach und nach aller schemenhafter, oberflächlicher und gelangweilter Figuren gewahr, soweit sie nicht schon vor der Bühne durch den Jedermann des Manuel Harder ausgerufen wurden. The Harder They Come würde tatsächlich gut passen, aber Reggae ist nicht die Welt von Jürgen Kruse, obwohl auch hier der Joint kreist. Kruse lässt dann die Schemen auch nicht näher an uns heran als nötig. Der Tod ist ein cooler Typ mit Sonnenbrille und Tattoos, einer mit dem man sicher prima bei einer Sauftour über den Kiez kommt und ansonsten nur jemand ist, bei dem man noch ein paar Minuten samt der letzten Zigarette schnorren kann. Gott ist eh alles scheißegal, brabbelt ständig dazwischen, gibt den Entertainer und klopft auf Holz, wenn da nur nicht der Wurm drin wäre in all dem holzschnittartigen Gewerkel.
Kruse ist irgendwo in den 70er Jahren stecken geblieben samt Musikgeschmack und so verwechselt er Theater immer noch mit einem Rockkonzert, nur dass das hier nicht Hair oder die Rocky Horror Picture Show ist, sondern das Mysterienspiel um das Sterben des reichen Mannes, der vor das göttliche Gericht gerufen wird, um sich zu läutern. Diesen moralisierenden Quatsch zu persiflieren bedarf es aber mehr als Lässigkeit und eines passenden Soundtracks. Harder gibt hier den Poser, das Alter-Ego von Jürgen Kruse, kippt jede Menge Rotwein vorzugsweise aufs weiße Hemd und gebärdet sich als Street Fighting Man, Fechtszenen sind Pflicht bei Kruse. Der Rest ist nur gruftige Staffage mit Totenköpfen und Engelsflügeln in schwarz und weiß, der Teufel ist eine aufreizende Dame in Rot. Rosalind Baffoe, eine der meist beschäftigtsten Nebendarstellerinnen auf deutschen Bühnen trägt erst ihr Unterwäsche und dann ein gelbes Kleid spazieren, als Buhlschaft hat sie hier auch nicht viel mehr zum Geschehen beizutragen. Jedermanns guter Gesell ist lustig und zu jedem Unfug bereit, bis es ans Sterben geht.
Kruse spiegelt hier schon die Oberflächlichkeit der heutigen Gesellschaft, nur es bleibt Behauptung, es geht uns nichts an, wie die Kiste voller Flitter und Tand. Der Glaube ist eine Travestie von Jedermanns Werken mit umgeschnalltem Bauch, beide zerren ihm Hemd und Hosen vom Leib, das letzte Hemd wird dann zur Zwangsjacke. Eine schöne Ironie, Jedermann als Gefangener im Regiekonzept von Jürgen Kruse. Tod und Teufel fixen ihn an und saugen ihn aus. Da bleibt nicht mehr viel übrig als ein zäher 2stündiger Abend mit jeder Menge Trash und Manierismus. Da das anscheinend wieder in ist, holt Kruse damit sicher einige junge Leute von der Straße wieder ins Theater. Der halbvolle Saal zeigt aber die Leere seiner Bemühungen nur um so deutlicher. Der sogenannte Befreiungsschlag für das Centraltheater ist das sicher nicht. Die Frage wäre, ob es diesen überhaupt braucht. „Tun, Leiden, Lernen“ der Lehrsatz der Tragödie nach Aristoteles und „Sie glauben dir erst, wenn du tot bist“ stehen am eisernen Vorhang, der sich über allem senkt. Das Centraltheater ist aber mit oder ohne Jürgen Kruse auch so noch sehr lebendig und bedarf sicher keiner Katharsis.
Jedermann, Leipzig: das Niedere umwandeln
NICHTJEDERMANN

Jedermanns Lustiger Gesell (kommt mit dem Schauspieler SAMEN(Pepi Teufel) gemeinsam vor den Vorhang):
Ich spreche jetzt, mags doch alle Welt erquicken und erbauen,
von etwas radikalem - darf ich, schöne Frauen?
Von etwas revolutionärem, rebellischem -
wenn Sie, als Zuschauer, es mir erlauben mögen.
Aber auch, wenn Sie`s n i c h t erlauben!
Das Wichtigste nämlich an meiner Welt-Sicht ist, dass meine Welt
nicht in ein Oberes, ein Unteres gespalten ist, zerfällt.
Dort sammelt sich der Jugend schönste Blüte,
des Frühlingswunders zauberhafte Welt -
Höheres und Niederes reichen sich die Hände - -
(Hornblasen in der Ferne. Rasch zum Schauspieler SAMEN)
Was höre ich - es naht!
Nun - das Höhere schließt das Niedere ein -
das Niedere schließt das Höhere ein -
es gibt keine Zimmerdecke, keine Wände.
Das Oben ist im Unten verborgen -
darum habt Ihr Euch nicht zu sorgen.
Deshalb auch braucht das Unten -
(er sieht verwundert auf seinen Hosenbund hinunter)
hähä - n i c h t geleugnet zu werden
ist es auch näher der dunklen Erden -
es darf, es sollte - weder verdammt, noch vernichtet -
noch g e t ö t e t werden -
wozu auch all die alltäglichen Beschwerden?
Das Niedere braucht nur umgewandelt zu werden!
(Pause)
Man muss das Niedere sich immer nur entwickeln lassen -
es wird das Höhere, kommt zum Spaßen - (lacht)
Es gibt keine unüberbrückbare Kluft
zwischen GOTT und TEUFEL!
Jedermann, Leipzig: nicht gegen den Baum
Fortsetzung 21.
NICHTJEDERMANN
(Jedermanns Lustiger Gesell:-)

Der T e u f e l
steckt G O T T
tief im HERZEN!
(er blickt aufmerksam ins Publikum)
Sie glauben mir nicht?! -
das sind unser aller Schmerzen! -
sobald sich das Herze regt
sobald ein jeder tiefer sieht
was er im Herzen trägt -
wird der Teufel zu GOTT!
Nein!
Der Teufel ist
nicht der WIDERSACHER
G O T T E S!
gar ein Aufrührer gegen ihn,
ein Anführer eines
universalen HÖLLEN-KOMPLOTTES!
Das G ö t t l i c h e
ist der Baum in vollster Blüte,
der Teufel ist sein Samenkorn
und isst von bester Güte.
Jedoch -
der Baum ist schon im Samenkorn enthalten,
will Baum, Geäst und Geist
gedrängt gestalten...
Das Samenkorn ist nicht g e g e n den Baum
in Wirklichkeit,
in unserer Wirklichkeit doch nur ein Traum,
der irrig alptraumhaft
und voll der Bosheit ist,
so christlich auch
Euch gelehrt
von Kindheit an Ihr`s wisst.
Der Baum - schlussendlich -
könnt`nicht wachsend exisTIEREN,
und nicht zermodern, zerfallen und krepieren,
wenn nicht da
der kleine Samen wär`. - -
So ist auch der Baum
nicht gegen den Samen -
sie sind innig befreundet, gehören zusammen,
sind Freunde auf ewig, ohne Bangen -
(er zeigt auf SAMEN und sich selber)
so wie wir es sind
am christlichen
Soizburger Baum
Jedermann, Leipzig: Jedermann, Salzburg und Festspielzeit
kann nur sagen
hut ab vor solchem Salzburger Baum
teufelsamen + lustiger gesell von jedermann
ist aber doch nur ein nichtjedermanntraum
sieht man sich die verhältnisse
in salzburg und salzige bürger
plus publikum
zur festspielzeit an
oder irre ich mich da
etwa
Jedermann, Leipzig: schlächte Wärke
Jedermanns Lustiger(salziger) Gesell:
Wer kommt mit?
die Buhlischah (auf jeden Fall) nit
kommt mit
und die ganze blöde Jedermann-Schar
auch nit
in dem Moment (s`ist nur ein Augenblick!)
in dem DU stirbst
und Niemand-Meer da is! - -
Sollt ich denn mit-gehn mit dem reichen JederMANN
der arme Leut wie mich nit leiden kann?!
Deine schlÄchten Werke reicher Jedermann
die bleiben lang
auch ohne Bisschen Glauben -
von denen
die für dich arbeiten (für wenig Lohn)
tatst das rauben!
Verloren Biest du - alle Weil
dei Werk ist blond (und nicht mal schöön!)
und alles mag zum Deuxl gehn!
Der Salzburger GOTT sitzt ganz r e c h t s
und plappert dazwischen-hinein (bedeutungslos)
ab + zu
Jedermann, Leipzig: Nichtjedermann in Salzburg 1
NICHTJEDERMANN

AUF DEM DOM-PLATZ VOR DEM DOM ZU SALZBURG

(regnerischer, trüber Tag, ohne eine Touristen-Seele.
Pepi Teufel, mit Fusel-Flasche, als Salzburger SANDLER.
Der HERR, wie ein reicher Salzburger Bürger gekleidet).

Der HERR:
Nein, nein, ich will`s nicht länger ertragen!
Pepi Teufel: ER - wills nicht länger ertrogn -
oba wir sollns schoh er-trogn, die nix hobn -
obgleich ER der HERR is! -
So a Dheater!
Der HERR:
Dass alle Menschen-Kreatur ihr Herz verhärtet wider mich -
Pepi Teufel: BÖSartig und klassenfeindlich! -hähähähähähHÄ!
Dass sie ohne irgendeine Furcht vor ihm,
schmählicher noch als das Getier,
mit irdischen Blähungen und furzend - i h m fern! -
so dahinleben am End von an JOHR-D A U S E N D -
wies schröcklicher nicht hätte sein können!
In Sünd und Wein ersoffn!
(er nimmt einen Schluck)
Dos is wos sie sind! -
die reichn HERRN da oben -
die, ihm fern - so dahinleben!
Der HERR:
Des geistlichen Dritten Auges sind sie erblindet.
Pepi Teufel: - und kennen ihn nit, und nit -
für i h r e n GOTT!
GooTT! - GooTT sogd der Pforrer in der Kirchn!
Ja-a! - ihr Sinnen und Trochtn geht auf irdisch Gut und Geld
und ANsehn - allein! - zur Festspüh-Zeit in Soizburg -
da wird von die Reichn jedes Johr -
verfreunderlt und verfeind -
das HUGO-HOFFMAS-DO-SPÜH
vom Sterben des Reichen Mannes -
ÜBERreichn Menschen vor-geh-zeigt! -
jedes Joahr!
Der oarme Maonn - heute nicht jedermaonn -
obwohl er heut a nimmermehr so aorm is - hähähähähähä! -
hat einfoch nicht das Geld fürs FEST-spüh
und für Soizburg -
und wer - ois HERR hier aufdritt -
ist ein DE-miurG! -
und sitzt seid longem schoh
mit seinem Freunderl - dem MAMMON
Auf der HOHEN-SALZBURG T H R O N! - -
Versoizn will ich ihnen die HEUCHELEI
und den, der jung - und AUFmerksom -
machen vom JEDERMAONN-UNSINN f r e i -
für IMMER F R E I! - - -

(Erster Teil)
Jedermann, Leipzig: Nichtjedermann in Salzburg 2
NICHTJEDRMANN
(Pepi Teufel, der HERR)

Der HERR:
Kennen mich nit für ihren GOTT!
Pepi Teufel: Ihre REICHÖ Voiks-Drocht
geht auf den irdischen Leib allein -
und nicht - auf den ÜBERirdischen - hähähähähä! -
und wos darüber, GooTT, Himmel
und überirdisch GLOCK-Gebimmel
das is ihr SPOOTT -
WEILS JO NUR IRDISCH SAN! -
und jedes Joahr is der JEDERMANN - DO! - hähähähähähä! -
doch der r e i c h e SALZBURG-JEDERMANN
STIRBT NICHT!
und auch nicht die reichn
FESTSPÜH-LEITER
und O b e r-SAU-Stiel-Schauspiel-Führer
mit MILLIOOONEN - Sallär -
die ihre Freundinnen
H a u p t r o l l e n spüln lossn -
stirbt nicht! -
kann NICHT sterben! -
(trinkt aus der Flasche)
- konn niie Auss-sterbn
weils scho a DrottL-DRADITION is -
a Drottl-Dradition is der REICHN! -
bei den Reichn- und ÜBER-Reichen
frechem Übermaoß! - -
Drumm is dös gonze Gspüh
vom S t e r b e n
im Grund - nur a
verzuckerta Festspüh -
Sterbe und Verderbe-Schaaß
und für die Gstopftn a klaner
TRAUER-GSPASS -
der gaar nichts bedeutet -
denn sie bereuen n i c h t s! -
von ihre Schand-Taten
in Poletik und Kunst! - -
HA! -
sie bereuen nichts von ihren Sündn -
wie der Jedermann!
un-g l ä u b i g sands in ihrer Geldgier -
wia die finstersten HEIDN! -
und die AORMEN -
u n t e r ihnen in Österreich -
und Sandla wie ii
san nicht zu beneiden! -
In Woart und Daten - däglich
frech vermessn,
vÖLLig BLÖDsinnig
GOOTTvergessn! -
bsonders in der Festspühzeid! - -
Sie sind in Salzburg aller-ortn
prächtig SCHWELGER und ZECHER -
THEATER-Geher-KUNST-V E R D R E H E R R! -
obwohl - sies a wieda vastengan -
sich i h r e KUNST zu mochn und zu richten -
nähmlich die - dies brauchn kennan - hähähähähähä! -
die ma olle Joahr
v e r b r a u c h n koh! - -

(Zweiter Teil)
Jedermann, Leipzig: Du vermagst Großes
Hoffmann, ich lade dich ein, dich mit einer großen Kraft in dir zu verbinden. Du vermagst Großes, doch machst du dich meist viel kleiner, als du wirklich bist. Mein Element ist das Feuer. Entfachen
wir gemeinsam die kraftvolle, mächtige Flamme der Leidenschaft in deinem Inneren. Mit dieser enormen Kraft vermagst du Großes zu leisten. Wachse über dich selbst hinaus, lebe deine Träume, greif
nach den Sternen und bringe sie hinab auf die Erde. Lerne, deine
Kraft zu zügeln und im richtigen Moment die Zügel schießen zu lassen.
Du verfügst über große Weisheit. Entdecke sie wieder und lebe sie.
Sei ein strahlendes Vorbild für Andere, halte flammende Reden,
ziehe Andere in deinem Bann. Du vermagst Großes. Wachse über dich
hinaus. Gehe in deine ganze Macht.
Hier und jetzt.
Jedermann, Leipzig: Brief vom Lustigen Gesellen
Sehr geehrte Nachtkritik/Kommentare.

Hoffmann hat mir gesagt, dass er sehr im Zweifel ist, ob er auch
noch weitere Teile von Pepi Teufel/der HERR folgen lassen soll.
Er will mit seinem vielen Schreiben niemanden zur Last fallen, sagt er.
Ich persönlich finde, dass der Teufel Sepp, also der Pepi Teufel,
gar schon genug über Salzburg, die Festspiele und den Jedermann gelästert hat, und scheinbar gar nicht mehr aufhören kann damit, betrunken wie er alleweil ist, und er also kein Ende nehmen will mit seiner teuflischen Suderei.
Der Teufel Sepp führt sich manchmal auf sage ich Ihnen -
eine Schande ist er für ganz Österreich!
Niedrig und gemein wie er ist,
hat er nur schlechtes über unsere schöne und musische Heimat Österreich zu sagen!- das hilft doch auch niemanden wirklich, meine ich, diese endlosen und unerfreulichen besoffenen Suaden die ganze Zeit - -
Wir streiten uns auch öfters, wie Sie sich denken können, treffen wir zufällig zusammen und kennen uns aber schon sehr lange.
Also, wenn Hoffmann nichts mehr von dem ordinären Teufel Pepi und dem HERRN hier schreiben sollte, weil`s gar schon zu lange ist, - ja, dann bleibt das alles jetzt halt kürzer und fragmentarisch -
Der Hoffmann ist übrigens, meines Erachtens, ein ziemlich bescheidener Mensch, muss ich sagen - der sich doch ein Bisserl schwer tut, seine eigenen Schreibereien nach ihrer Qualität hin
abzuklopfen und sie selber und selbst zu beurteilen.

Viele herzliche Grüße nach Berlin
Ihr ergebener
Lustiger Gesell von Jedermann
Jedermann, Leipzig: die Menschenkreatur
NICHTJEDERMANN
(der HERR,Pepi Teufel:-)

(er trinkt aus der Flasche, ruhiger)
Wir Unterdrücktä und
s c h w e r Orbeitendä und die
GUTS-Verprassa von die VoiksSTEUERN! -
im christlichn Oarmen-Haus des Geistes
ÖSTERREICH!
GROSS-M o c h t der KUnst und Kulltuur und -
G e i s t e s-O-ARM-Mut!
Des Sterbn von dem reichn Jedermaonn
is do nur eine Entschuldigung
aufm Dom-Plotz der VERGONGENHEIT! -
und DA-MIT!
wolln u n s die reichn
Soizburger und ÖSTERREICHER
zoagn
wia ihnen der liabe HERR-GOOTT
im KAtholischn, ÖSTER-reichischn Hümmel -
ver-zei-Henn wird - -
drumm bin i a dafür -
dass so an HerrrGOOTT und so ahn Hümmi
goa ned giebt für uns - ÖSTERreicher -
denn damit - wollns uns immer no -
ihr oides, verzopffdes
HERRSCHOFFTS-S Y S T E M aufi -
und e i n i-drucka - verstehts!
Oba iii loß ma nix aufidrucka - von niemonden!
(er schwenkt die Fusel-Flasche und hebt sie in die Höh`,
will aufstehn, setzt sich aber dann gleich wieder)
Der HERR:
Alle Menschenkreatur ist gegen mich -
(Pepi Teufel kriecht als Menschen-Kreatur an ihn heran)
ihr Herz v e r h ä r t e t böslich . . .
Pepi Teufel: Jao - BÖS könnt ma schoh werdn!
Der HERR:
Dass sie
ohne einige Furcht von mir
schmählicher hinleben als das Getier.
Pepi Teufel (kriecht zu seinen Füßen hin, trinkt aus der Flasche
und schaut böslich-kreatürlich zu ihm hinauf):
No, - gans ohne Fuurcht bin i a ned hähähähähähä! -
er könnt jo die P o l i z e i- hoin! - hähähähähähä!



Jedermann, Leipzig: die Buhlschaft Almut Zilcher
NICHTJEDERMANN

(felsige Waldgegend, unweit Salzburgs. Eine Felshöhle unter Tannen.
Eine überlebensgroße Statue Nietzsches im Hintergrund.
Die Buhlschaft kommt von Links und Jedermann von Rechts zögerlich
auf die Bühne)

Jedermanns Lustiger Gesell:
Ja, Jedermann!
Wir geben ihm vorerst Geleit,
bis er getan die lange Reis`.
Da bin auch ich dabei -
bin ich vernünftig, bin ich stark - ich bin bereit, bereit.
Buhlschaft (zu Jedermann):
Da bist du ja! - endlich!
Ginge die Pilgerfahrt auch noch so weit -
(sie eilt auf Jedermann zu, nimmt seinen Kopf, küsst ihn mehrmals)
die Reise -
ich lass dich nit, auf keine Weise -
(sie küsst ihm heftig das Gesicht ab)
Ich bleib bei dir, Jedermann, mit gutem Rat
und weiblich,
wie ich es einst bei meiner Jugendliebe tat.
Jedermann: Weh, ich bin soo schwach!
(erschöpft)
Ich kann nicht stehn,
die Kniee wanken mir, ich sinke -
ich kriech in diese Höhle hier,
zu schlafen, langsam vergehen in der Erden.
Buhlschaft: Wie, in dies Grab?
Ach, wehe mir! - er beginnt schon wieder so!
Pepi Teufel: Da solltest du wohl verzehret werden, Jedermann!
Von Spinnen, Würmern, Fabeltieren!
Buhlschaft: Ei was denn, sollt`ich hier ersticken?
Mit dir?
Jedermanns Lustiger Gesell: Ja, meiner Treu,
und lässt sich nimmer bei uns blicken!
Jedermann: Wir wollen nicht länger leben mehr, Elisabeth,
auf dieser Erden,
weil wir vorm Allerhöchsten leben werden.
Buhlschaft: Was?
Pepi Teufel: So ein ideales Kerlchen! - hähähähähähähä!
Buhlschaft: Da sag`ich nein, adieu, mein lieber Buhl` und Mann.
Pepi Teufel: Sie gibt gleich Fersengeld, so schnell sie kann -
und recht hat sie.
Was er da will, das tut sie nie.
Jedermann: Wie, Buhlschaft, wohin kehrst du dich?
Pepi Teufel: Was! Sie ist jetzt taub und schaut nicht hinter sich.
Jedermanns Lustiger Gesell: Unter diesen Umständen
bleib auch ich nicht hier, und bötest du mir auch alles Gold, Herr, aus deinen Truhn.
Jedermann: Auch du auf einmal?
Ach, wem soll ich vertrauen nun?
Wie, Buhlschaft, du verlässt mich schier,
die du einst leben wolltest
und v e r g e h n mit mir?

(geschrieben für Almut Zilcher, als: Der Pilger)
Jedermann, Leipzig: Finale, kein Göttliches Reden
Buhlschaft: Ja, Jedermann, auch ich verlass dich hier,
dein S p i e l will mir nicht mehr gefallen.
Jedermanns Lustiger Gesell: Musst deine Handlung, Jedermann,
deine Gedankenwelt -
mehr verdichten heut`
hochstapelnd zusammenballen.
Jedermann: Was?
werd` ich im Stich gelassen von Euch allen?
Ich fleh Euch an -
ein wenig noch verweilt!
Und du, Teufel, was ist mit dir?
Bleibst auch du nicht mehr bei mir?
Pepi Teufel: Nein, Herr, nicht bei des Kreuzes Heil,
wenns dich auch heilt, hähä! -
so schnell ich kann, weich ich von hier.
Jedermanns Lustiger Gesell: Ich ebenso. Es kann nicht anders sein.
Buhlschaft: Ich sage nein, nein!
und bricht vor Tränen auch das Herze mir.
Jedermann: Es hieß, nicht lange ist es her -
du stündest mir zur Seit`!
Jedermanns Lustiger Gesell: Man gab dir weit genug Geleit!
Pepi Teufel: Pisst alt genug, haha, soviel ich weiß -
selbst anzutreten deine Reis.
Mich reut es, dass ich hier erschien.
Jedermann: Buhlschaft, konnt`ich deinen Zorn verdienen?
Brichst du mir WORT und SCHULDIGKEIT?!
Pepi Teufel: Ei was, Wort, Schuldigkeit -
das kümmert sie nicht weit.
Du bist ein Narr, dich zu beklagen,
plagst nur dein Hirn mit deinen immer gleichen Fragen. -
Geh nur, in die Erde zu verschwinden!
Jedermann: Ich wähnte, euch alle treuer zu befinden.
(Jedermann will in die Höhle. Jedoch der ALTEC erscheint in ihrem
Eingang)
Der Altec:
Ich bekomm` Besuch? wie kommt`s?
Seid mir willkommen! -
Ich hörte Eure Schritte...Eure Stimmen -
Jedermann: Die Höhle ist nicht frei - da ist jemand -
Der Altec:
Belehrungstag heut`ist, bedeutsam, -
so habe ich`s im tiefen Traum vernommen,
der letzten Nacht.
Und eine hehre Stimme sprach zu mir - sehr deutlich
vom Neuen Testamente.
Jedermanns Lustiger Gesell: Was ist mit dem neuen Testament?
Der Altec:
Im Neuen Testament, Ihr lieben Menschen,
und speziell in den Evangelien
höre ich durchaus nichts - gar nichts
G ö t t l i c h e s reden.
Jedermann, Leipzig: der letzte, rettende Strohhalm
Fangen wir mal mit dem Positiven an: Es ist (Co-)Regisseur Jürgen Kruse und Intendant Sebastian Hartmann anzurechnen, dass sie den Jedermann, dieses Festival- und Event-Theater-Vehikel par excellence dorthin zurückgebracht haben, wo er hingehört: auf die Theaterbühne. Und schon vor dem eigentlichen Beginn wird klar, worum es hier gehen soll: eine Entrümpelungen des unter Jahrzehnten Kitsch und Effekthascherei erstarrten Stückes. Manuel Harder als Jedermann übt Small Talk mit dem Publikum, stellt den einen oder anderen Darsteller samt Rolle vor und demontiert schon während das Publikum seine Plätze einnimmt den heiligen Ernst, den Hoffmansthal durchaus so gemeint hat, der aber schon längst zwischen Salzburger Festspielen und Berliner Dom zur Pose verkommen ist.

Die moralisierende und an mittelalterliche Mysterienspiele anknüpfende Parabel vom Reichen, der in seiner letzten Stunde sein Leben Revue passieren lässt, der sich zunächst wehrt und dann verzweifelt versucht, seine Seele zu retten - sie ist schon seit Langem wenig mehr als eine Ausrede, mit mehr oder weniger prominenten Darstellern alljährlich viel Geld zu machen. Eine hübsche Ironie bei einem Stück, dass gerade die Nichtigkeit materiellen Reichtums proklamiert. Ernst genommen wird der Jedermann schon lange nicht mehr.

Leider gilt das auch für Kruse und seine Leipziger Inszenierung. Wenn er durch grelle Überzeichnung, alberne Späße und ein betont gekünstelt- übertriebenes Sprechen die Jedermann-Aufführungsgeschichte als oberflächliche Show entlarvt, wirft er gleichzeitig das Stück mit über Bord. Das Problem, so sagt uns diese Aufführung, liegt nicht in der Interpretation - es liegt im Stück selbst. Wenn die Scheinwerfer, die zu Beginn das Publikum blenden, ausgeschaltet sind, sieht man auch nicht klarer, denn wo Kruse die überkommene Effekthascherei beseitigt, ersetzt er diese nur durch neue Effekte. Da glitzert es golden und in grellen Farben, der Teufel erinnert an eine Burlesk-Tänzerin, Gott ist durch und durch Showman, der Tod cool, distanziert und gelangweilt und der Glaube hat sich eine Weltkugel um den Bauch geschnallt und sieht aus wie eine abgehalfterte und leicht debile Version einer Tolkienschen Elbe. Ernst genommen wird hier gar nichts, Lächerlichkeit ist der Modus des Abends.

Und je länger dieser dauert, desto stärker drängt sich die Frage auf, was das eigentlich soll, vor allem, was (Co-)Regisseur und Ensemble wollen, das es bedeutet. Naheliegendste Antwort: Kruse hat eine Gelegenheit gesucht, seine umfangreiche Plattensammlung auszugraben und eine Inszenierung darum zu bauen. Da ist auch das Bühnenbild von Volker Hintermeier kein Zufall, der eine Wand stilisierter Lautstärkerboxen aufgebaut hat. Dazu kommen de üblichen Requisiten wie Truhen, Bücher oder Totenschädel, einige von denen mit Strass besetzt. "Ironie!" schreit das so laut und schrill, dass man sich so manches Mal die Ohren zuhalten will.

Eine Geschichte irgendeiner Art wird hier nicht erzählt, dafür sind die Figuren viel zu plakativ und platt angelegt, dafür werden sie zu sehr der Lächerlichkeit preisgegeben. Stattdessen verkommt das Ganze schnell zur Nummernrevue, bei der sich vermeintlich passende Rock- und Schlagernummern mit platten Scherzen abwechseln und auch Harders im Ansatz durch aus interessanter und an Don Juan erinnernder Jedermann bald nicht mehr interessiert. Statt die rezeptionsgeschichte zu entlarven, wirft Kruse gleich das ganze Stück zum Fraß vor, samt seiner zweifellos nicht wirklich modernen Moralität.

Leider setzt er aber nichts an seine Stelle, keinen Alternativentwurf, nur Leere. Vielleicht ist Moralität altmodisch, vielleicht lohnt es sich nicht, über den Zustand der Welt und die eigene Rolle darin nachzudenken - vielleicht ist das die Botschaft des Abends. Und dann stellt sich Harder kurz vor Ende hin und schwadroniert über aktuelle gesellschaftliche und politische Themen und reißt der Inszenierung den letzten möglicherweise rettenden Strohhalm aus der Hand. Und so stellt Kruse letztlich nichts anderes auf die Bühne als die oft geschmähten Jedermann-Handwerker in Salzburg oder Berlin: eine nette, streckenweise unterhaltsame und immer bunte Show, deren Aussagekraft den Nullpunkt zumindest erreicht. Da kann es den Zuschauer schon frösteln.

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