Brief aus Berlin

von Ulrich Khuon

Berlin, Oktober 2010. Wir haben uns daran gewöhnt, dass wir bei immer mehr verfügbarem Wissen gleichzeitig immer weniger verstehen. Beim Blick auf die kulturpolitischen Katastrophen in Hamburg verstärkt sich dieser Eindruck. Die Verschleppung der notwendigen Baumaßnahmen im Schauspielhaus, die Sparauflagen, die in immer kürzeren Abständen angedroht, relativiert und dann doch durchgezogen werden, sind Grund genug für einen Intendanten, die Reißleine zu ziehen.

Dennoch hätte ich mir vorstellen können, dass Friedrich Schirmer, statt hinzuwerfen, ein Jahr des zivilen Ungehorsams mit vielen politischen Aktionen ausrufen und auf diesem Weg hätte zeigen können: Es geht ums Ganze. Das muss nun ein um seinen Chef dezimiertes Schauspielhaus alleine versuchen. Und das in einer Situation, in welcher der neue Kultursenator und sein Bürgermeister wenig Kompetenz zeigen.

Das schwächste Glied soll sparen

Es ist schon erstaunlich, wie unverfroren das Klischee vom schwächsten Glied in der Kette sich in Hamburg wieder bewahrheitet. Kaum ist der Intendant von Bord, schon bürdet die Politik dem Haus ein zusätzliches Sparpaket auf. Dieses (1,2 Millionen) ist für sich genommen schon nicht realisierbar ohne Substanzverlust. Aber als zusätzliche Forderung zu den schon verabredeten Sparvorhaben, die das Schauspielhaus und sein kaufmännischer Direktor Jack Kurfess umzusetzen haben, ist es doppelt unverständlich. Wie sollen denn je in solch einem Zusammenhang seriöse Gespräche über Zielvorgaben in Gang kommen, wenn, kaum sind diese verabredet, neue Forderungen in den Raum gestellt werden. Ein solches Verhalten untergräbt jede Loyalität – gerade bei den gutwilligen Partnern in den Theatern.

Die Ideen, die diese Spardiktate begleiten, sind dabei wenig überlegt. Der Plan eines gemeinsamen Intendanten für Thalia Theater und Schauspielhaus ist inzwischen vom Tisch. Er war schon deswegen wenig sinnvoll, da die beiden großen Hamburger Häuser ja in fruchtbarer Konkurrenz zu einander stehen. Der Generalintendant hätte also selbstständige künstlerische Leitungen für jedes Theater installieren müssen, also gewissermaßen machtvolle Unterintendanten. August Everding hat diese Generalintendanten-Erfahrung vor Jahren in München gemacht, als er mit seinem Frühstücksdirektorendasein für Nationaloper und Residenztheater so unterfordert war, dass er quasi nebenher die Theaterakademie gründete und das Prinzregententheater in neuem Glanz erstrahlen ließ. Eine solche über den Häusern schwebende Leitungsebene hätte also nicht weniger gekostet, sondern mehr, ohne jeden Zugewinn.

Nebelwerfersentenzen

Die Idee des Kultursenators, das Junge Schauspielhaus zu stärken, hat sich nun in ihr Gegenteil verkehrt. Wenn die Sparvorhaben umgesetzt werden müssen, heißt das, dass das Junge Schauspielhaus geschwächt wird oder ganz verschwindet.

Dass Reinhard Stuth umgehend davon spricht, künftig "vom Publikum aus denken zu wollen" und dass es nicht darum ginge, die Intendanten glücklich zu machen, das ist eine weitere Nebelwerfersentenz, die nur auf Wirkung zielt, ohne irgendetwas Konkretes auszudrücken. Um das Glück der Intendanten ist es ohnehin nie gegangen, musste es auch nicht, sondern darum, dass die Kultureinrichtungen genügend Mittel zur Verfügung haben, um vernünftig ihre Arbeit zu machen. Und das wünscht sich auch das Publikum, dem diese ganze Arbeit gilt.

Schwarz-grünes Rätel

Es ist ein Rätsel, warum eine schwarz-grüne Koalition, die gerade auf dem kulturellen, für das Profil Hamburgs doch mitentscheidenden Sektor ihren Modellcharakter beweisen könnte, dort zunehmenden Dilettantismus gestattet.

Die Häuser müssen gestärkt werden, gerade weil eines von ihnen in dieser Phase personell entscheidend geschwächt ist. Dass man seriös und verlässlich miteinander arbeiten kann, das haben wir am Thalia Theater trotz aller Konflikte im Einzelnen ja jahrelang erfahren.

Es gibt vereinzelte Anzeichen, dass man zu dieser Politik der wechselseitigen Loyalität und des ernsthaften Gesprächs zurückfinden könnte. Eine Rücknahme der Sparmaßnahmen ist dafür unabdingbar. Sie wäre auch die wesentliche Voraussetzung, ernstzunehmende Kandidaten für die Intendanz am Schauspielhaus in zwei Jahren zu gewinnen.

 

Hier finden Sie eine ausführliche Chronik zur Debatte um das Deutschen Schauspielhaus.

 

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