Fast nichts ist tabu

Altenburg, 26. Oktober 2010. Gestern hat Michael Wolf (SPD), der Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende der Bühnengemeinschaft Altenburg/Gera, eine Pressekonferenz gegeben. Und laut Wolfgang Hirsch von der Thüringischen Landeszeitung "tritt schon zu Weihnachten die Götterdämmerung ein". Denn das Geld reicht nur noch bis zur 50. Kalenderwoche. Ohne Hilfe von außen, etwa vom Land oder durch einen Überbrückungskredit, ist der Konkurs des Vierspartentheaters nicht mehr abwendbar.

Die aktuellen Zahlen weisen zwar offenbar kein Defizit auf, allerdings haben Stadt und Land auf Vorschuss schon jetzt ihre Dezember-Zuschüsse ausbezahlt. Und selbst wenn die Auslastung ab jetzt ansteigt und man künstlerisch den Gürtel enger schnallt, soll das Finanzloch Ende 2012 mindestens 1,85 Millionen Euro groß sein. Denn die fixen Personal- und Sachkosten sind höher als die öffentlichen Zuschüsse.

Bereits jetzt müssen die Träger entscheiden, wie es ab 2013 weitergehen soll. Wolf will aber vor der nächsten Aufsichtsratssitzung am 8. November noch nicht sagen, ob er etwa eine Spartenschließung plant. "Um das Theater zukünftig in fusioniertem Zustand weiter betreiben zu können, ist nichts tabu", zitiert ihn die TLZ. "Fast nichts", hat er sich später korrigiert. Drastische Einschnitte wird es geben müssen, die Schließung einer der drei großen Sparten (Oper, Schauspiel oder Ballett) bis 2013 ist nicht unwahrscheinlich.

Drei Gründe sind laut Wolf für die aktuelle Finanzmisere verantwortlich. Erstens die ungeplanten Tarifsteigerungen von 2009 bis 2012 (Kosten: 2,4 Millionen Euro); zweitens steigende Ausgaben für die Gebäude-Instandhaltung (von 744.000 Euro 2006 auf 955.000 Euro 2010); drittens Honorarkosten für Gäste und Aushilfen (2005/06 waren es nur 1,59 Millionen, in der laufenden Spielzeit sind es 2,087 Millionen Euro). Die Schuld dafür, dass man zu lange über seine Verhältnisse gelebt hat, weist Wolf der Leiterin der Buchhaltung, dem Verwaltungsdirektor und dem Intendanten Matthias Oldag zu. Die beiden ersten sind ihren Job schon los, Oldags Vertrag läuft im Sommer 2011 aus. Gegen alle drei werden Haftungsansprüche geprüft.

Noch in dieser Saison soll am TPT gespart werden: Absage kostenintensiver Vorstellungen, höhere Eintrittspreise, keine aufwendigen Bühnenbilder, keine besetzungsintensiven Werke, weniger Marketing. "Alle hochfliegenden Pläne sind perdu, ab geht's auf Provinzniveau", schreibt Wolfgang Hirsch in der TLZ. Und dabei hatte man Anfang Oktober noch die Abwendung einer Insolvenz der Bühnen-Gemeinschaft gemeldet.

www.tpthueringen.de

(TLZ / ape)

 

Die nachtkritik-Meldungen zur aktuellen Krise in Altenburg/Gera:

Finanzielle Schieflage beim Theater Altenburg-Gera (2. Oktober 2010)

Insolvenz in Altenburg-Gera abgewendet (9. Oktober 2010)

Schieflage am Theater Altenburg-Gera immer dramatischer (23. Oktober 2010)

 

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Kommentare  
Konkurs in Altenburg/Gera?: Tarifsteigerungen nicht ungeplant
Da fragt sich der Außenstehende vor allem bei dem Begriff "ungeplante Tarifsteigerungen", was damit gemeint sein soll? Es gibt nämlich keine ungeplanten Tarifsteigerungen. Diese werden schließlich nicht heimlich von den Gewerkschaften herbeigezaubert, sondern in langwierigen Verhandlungen von den Arbeitgebern erstritten. Diese Tarifsteigerungen sind keine ungeplante Naturkatastrophe gewesen, sondern eine allseits bekannte, einzuplanende Tatsache.
Konkurs in Altenburg/Gera?: Haftungsansprüche?
"Gegen alle drei werden Haftungsansprüche geprüft." Da bekommt man eine Vorstellung wovor Herr Schirmer zu Recht geflohen ist.
Konkurs in Altenburg/Gera?: wünsche Kraft
@2
ich vermute, Sie sind wieder der falsche 123, denn der wahre 123 würde sich, glaube ich, nicht zu so einer unqualifizierten Aussage hinreißen lassen.(?) Herr Schirmer hat ja für alle, die noch fühlen können und mitfühlen wollen, hinreichend die Gründe für seine Entscheidung mitgeteilt.
Ich wünsche den Theater-Mitarbeitern in Gera-Altenburg Kraft, das durchzustehen, was da jetzt auf sie zukommt. Vielleicht, mit etwas Mut, gibt es einen Weg zu neuen Ufern.
Konkurs in Altenburg/Gera?: kleiner und flexibler
Warum geben die Länder und Kommunen den Theaterleitungen nicht eine gewisse Abfindungssumme in die Hand, damit die Theatercefs die Nicht-Kunst-Abteilungen verkleinern können, so dass in der Tat die Zuschüsse stärker als bisher in die Kunst zur fließen können. Denn eines muss uns klar sein: die großen Theater-Apparate werden in den mittleren Städten so nicht mehr weiterleben können. Sie müssen kleiner und somit flexibler werden.
Konkurs in Altenburg/Gera: hausgemacht
Mitleid kann man hier nur mit den 300 Mitarbeitern haben. Denn der Schuldenberg entstand nicht willkürlich sondern lange vorhersehbar. Nur wollte es keiner sehen, weil man lieber von einem Theaterwunder Altenburg Gera träumen wollte, (...) Mit seinem Lächeln täuschte der Intendant über manch eine Vorwarnung nonchalant hinweg. Aber Gera/Altenburg ist kein Staatstheater sondern Stadttheater einer der ärmsten Regionen der Republik. Und statt mit den Mitteln kleinerer Stadttheater auf überzeugende, junge Künstler zu setzten, Aufbauarbeit zu leisten, und die Herzen des Publikums zu gewinnen, strebte man zu vermeintlich höherem - und sei es auch nur aus Streben nach feuilletonistischer Anerkennung und schnellem Ruhm- und kaufte sich Gäste und Gastspiele, die man sich nie hätte leisten dürfen. So wurden 2 Mio Steuergelder verbraucht für persönliches Streben nach Ruhm, Opfer werden die Theaterlosen Bürger sein. Zwei Bauernopfer wurden entlassen, das schlimme, der Hauptverantwortliche sitzt noch immer auf seinem Stuhl und hofft, seine Verantwortung nicht tragen zu müssen. Das ist der wahre Skandal. Daß bis heute vertuscht wird und man bis jetzt immer noch versucht persönliches Versagen auf die allgemeine Unterfinanzierung der Theater zu schieben. Das was in Altenburg/ Gera geschah ist ausschließlich hausgemacht und mit dem drohenden Untergang des Theaters sollte auf ewig der Name des verantwortlichen Intendanten verbunden sein.
Konkurs in Altenburg/Gera: harter Tobak
@ D.U. harter Tobak! Gut nachvollziehbar ist das hier: "sondern Stadttheater einer der ärmsten Regionen der Republik. Und statt mit den Mitteln kleinerer Stadttheater auf überzeugende, junge Künstler zu setzten, Aufbauarbeit zu leisten, und die Herzen des Publikums zu gewinnen..." Das andere will und kann ich nicht beurteilen. aber wenn das stimmt, hat "D.U." sicherlich recht mit der Befürchtung, dass da ein Stadttheater an die Wand gefahren wurde.
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