Amüsemang mit Bert

von Elena Philipp

Berlin, 30. Oktober 2010. Gerne würde man sich mit Katharina Thalbach freuen, die mädchenhaft lächelnd, etwas verlegen und hoch sympathisch die Bravi des Publikums für ihre erste Inszenierung am Berliner Ensemble entgegennimmt. An diesem Haus hat sie, von Brechts Witwe Helene Weigel entdeckt, schon als Teenager gespielt. Intendant Claus Peymann bot ihr nun die Regie für "Im Dickicht der Städte" an. Ein "harter Brocken", befand die 56-jährige in der Lokalzeitung.

Den grundlosen "Kampf zweier Männer in der Riesenstadt Chicago" inszeniert Brecht in seinem frühen Stück. Shlink (Gustav Peter Wöhler), der malaiische Holzhändler, hat sich den simplen Angestellten George Garga (Sabin Tambrea) zum Opfer und Kameraden erwählt, der in jugendlicher Heißblütigkeit auf die Offerte eingeht. "Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf über die Motive dieses Kampfes", lautet Brechts sattsam bekannte Leseanweisung zum Stück, "beurteilen Sie unparteiisch die Kampfform der Gegner und lenken Sie Ihr Interesse auf das Finish."

Nach zehn Runden "metaphysischen" Boxkampfs hat George Shlinks Business ruiniert und liefert ihn einem Lynchmob aus. Dafür ist seine Familie zerstört - Schwester und Frau hat der Malaie in die Prostitution getrieben, die Mutter hat die Familie verlassen, und er selbst geht nach New York, um nach drei Jahren Gefängnis ein neues Leben zu beginnen. Das Stück ist mit seiner expressionistischen und lyrischen, gelegentlich ins Pathetische kippenden Sprache für Brecht ungewöhnlich farbig. Die Hitze des Kampfes gleißt gleichermaßen wie das Eis der hoffnungslosen Vereinzelung des Menschen, die nicht einmal im Kampf zueinander finden.

Zaubertheater, Broadway-Show und Boulevard

Bei Thalbach und ihrem Ensemble ist Brechts Sprache ebenso zugekleistert wie die Gesichter der Darsteller, die hinter gummiartigen Masken verschwinden. Selten einmal sitzt ein Satz so, dass er trifft. Meistens wird er in Aktion ersäuft, wenn etwa Georges Frau Jane Larry (Janina Rudenska) von ihrem Zuhälter und Stenz Pavian (Dejan Bućin) kopfüber in die Toilette getunkt wird und dabei neckisch mit den Beinen wackelt. Sogar der Dreck an der Seite der Kloschüssel, angeblich Überbleibsel von Sex- und Alkoholexzessen, wirkt apart.

Etwas "Comichaftes" fand Thalbach in Brechts Stück. Dem Bühnengeschehen nach zu urteilen, meint sie damit überzeichnet oder holzschnitthaft. Sie inszeniert "Im Dickicht der Städte" als Mischung aus Zaubertheater, Broadway-Show und Boulevard. Alles ist bunt, laut und blinkt.

Noch bevor sich der in flotten Fetzen hängende Vorhang auftut, ertönt der Jingle von 20th Century Fox. Statt verfremdender Brecht-Songs setzt Thalbach Musik filmisch ein, um Emotionen zu verstärken und Handlungshöhepunkte zu markieren. Ich eröffne den Kampf, sagt Shlink - und Tusch. Als der Malaie sich vor dem Lynchmob fürchtet, ertönen hohl hallende Schreie wie in einem Gruselkabinett.

Auch optisch werden die Bühnenzeichen verdoppelt und verdreifacht. Georges Absinthrausch ist mit grün wabernden Bühnenprojektionen untermalt. Sagt der junge Kämpfer, dass er nun das Handtuch wirft, liegt praktischerweise eines zum Werfen bereit. Im chinesischen Hotel dudelt Hong Kong-Pop, auf dem Vorhang flackert asiatische Leuchtreklame, und man trägt Morgenmantel mit Tigermotiv. Gags in einer an visuellen Reizen reichen und auf Wiedererkennbarkeit angelegten Inszenierung, die für's Denken wenig Raum lässt.

Alles unter einem Aufführungshut

Das Zeichenwirrwarr ist reichlich eklektizistisch. Ein französischer Garçon mit Fez (Michael Kinkel) und ein als Mexikaner verkleideter Kleinwüchsiger (Peter Luppa) tanzen zu irischer Volksmusik und rezitieren Brechts Fabel vom Hund George Wishu, der nach einem enttäuschenden Leben in Wales verscharrt wurde. Es fällt ein vielleicht selbstironischer Satz: "Ich möchte wissen, wie Sie das alles unter einen Hut bringen wollen."

Die Darsteller kämpfen mit den Masken und einer eher unentschiedenen Schauspielerregie. Judith Strößenreuter gelingt es, Georges Schwester Marie trotz Maske gelegentlich mit glaubwürdigen Emotionen auszustatten, obwohl die Frauenfiguren im "Dickicht" eher grob geschnitzt sind. Martin Schneider gestaltet den Wurm, einen von Shlinks scherenschnitthaften Gehilfen, mit Schnodderstimme und einem bedrohlichen Air erfreulich plastisch, und Shlink, den Brecht als gesichtslos bezeichnet, bleibt überzeugend vage.

Glatt, rund und übersättigt, spielt Gustav Peter Wöhler ihn fast puppenhaft mechanisch. Sabin Tambrea als George hingegen wirkt überexpressiv. Er verknotet zappelnd seine Glieder und bekommt Gummiknie, wenn er sich erregt. Im Absinth-Rausch imaginiert er sich als Shlinks Witwe und übt den Raben aus dem Schauspielkurs. Warum, bleibt rätselhaft.

Als am Ende Shlink getötet, sein Geschäft verkauft und George auf dem Weg nach Osten ist, läuft Sabin Tambrea auf eine leere, dezent nebelverhangene Bühne: "Allein sein ist eine gute Sache. Das Chaos ist aufgebraucht. Es war die beste Zeit." Ein ruhiges, fast besinnliches Ende? Aus dem Schnürboden rauscht baumelnd Shlinks aufgeknüpfte Leiche, einen schwarzen Sack über dem Kopf. Welch angenehmer Grusel. Harmlos wie Halloween. Schade.


Im Dickicht der Städte
von Bertolt Brecht
Regie: Katharina Thalbach, Mitarbeit: Wenka von Mikulicz, Bühne: Momme Röhrbein, Kostüme: Angelika Rieck, Choreografie: Danny Costello, Dramaturgie: Viktoria Göke, Licht: Ulrich Eh.
Mit: Dejan Bućin, Winfried Goos, Roman Kaminski, Roman Kanonik, Michael Kinkel, Peter Luppa, Janina Rudenska, Martin Schneider, Andreas Seifert, Judith Strößenreuter, Sabin Tambrea, Mara Widmann, Gustav Peter Wöhler, Mathias Znidarec.

www.berliner-ensemble.de

 

Mehr Brechtsches Dickicht der Städte? Im Dezember 2009 inszenierte Matthias Langhoff das Stück in Linz. Im Oktober 2009 führte Claudia Bauer es in Wuppertal auf.

 

Kritikenrundschau

Wenn man dieses Stück ernst nehme, müsste es "metaphysische Schocks auslösen", meint Ulrich Seidler von der Berliner Zeitung (1.11.2010). "Im Dickicht der Städte" werfe Brecht "letzte Fragen des sozialen Elends, der totalen Freiheit, der totalen Einsamkeit" auf. Man könnte annehmen, "dass uns der junge Brecht heute (...) noch eine kleine Weile näher ist, dass er uns wenigstens ein bisschen Angst einjagen müsste". Wie man ihn sich hingegen "locker vom Leibe" hält, führe Thalbachs Inszenierung "in ihrer gut gelaunten, sympathisch trampeligen Naivität" vor, eine "leicht bemühte Frechheit". Hier sei "alles nicht so ernst und schon gar nicht böse gemeint. Zwischen Kintopp und Mummenschanz ist alles dabei", das "Spielweiseregister reicht von Volkstheater, Kinderbelustigung, Burleske bis zum großen Seelenoper-Zitat". Von Brechts "Durchglühtheit und Durchpulstheit" sei in Thalbachs "variantenreich angeschafftem Spiel nichts übrig". Manches sei da "nichts als fleißig zusammengesetzte Regieeinfall-Ausführung" und das Stückpersonal zum Großteil "auf Charge, Tempo, Effekt und Derbheit angelegt". Immerhin: ein "verkasperter Farbtupfer" inmitten der "dumpfen Brecht-Inszenierungen des Hausherrn Claus Peymann".

Wollte Thalbach Brecht etwa "älter aussehen zu lassen, als er je wurde"?, fragt sich Christine Wahl vom Tagesspiegel (1.11.2010). Oder wollte sie "den waghalsigen Beweis antreten, dass Hollywood und Broadway gegen den Schiffbauerdamm einpacken können"? Zunächst hoffe man noch auf einen "Brecht als BlockbusterSchnulze", wenig später fühle man sich jedoch "eher wie im Weihnachtsmärchen für die ganze Familie". Anfangs vermutet auf Wahl noch so manche "Persiflage auf den zu Tode zitierten V-Effekt", doch "leider erhärtet sich (...) der Verdacht, dass die Ironie nicht beabsichtigt ist". Eher gewinne man den Eindruck, Thalbach sei irgendwann vor dem Brecht-Tempel "in Ehrfurchtsstarre verfallen". Geschmackssache seien Thalbachs Inszenierungen "mit ihrem Hang zum knallbunten Kindergeburtstag schon immer. Aber einen gewissen Pfiff, eine freche, anarchische Lust, konnte man ihnen nie absprechen." Davon allerdings fehle an diesem Abend jede Spur. Da die Schauspieler-Mimik von den Masken größtenteils geschluckt werde, seien die am überzeugendsten, "die sich auf eine einzige Facette konzentrieren". Vor allem "Brecht-Touristen" würden diesen Abend sicher lieb gewinnen: "So museal sah der alte BB lange nicht aus."

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (2.11.2010) schreibt Irene Bazinger: Thalbach setze ganz auf "den Mythos vom urbanen Dschungel, in dem der Mensch des Menschen Raubtier ist". Zu Beginn klinge die "Kennmusik einer großen amerikanischen Filmproduktionsfirma" an, doch trotz "mancher Hinweise und liebevoller Bemühungen" werde "Im Dickicht der Städte" keineswegs zu einer "bunt beschwingten Hollywood-Revue". Das liege nicht am "gut geführten Ensemble". Eher scheine die Regisseurin "der Mut verlassen zu haben, mit Brecht wirklich Karussell zu fahren". Der "hübsch angedeutete kafkaeske Albtraum", in den Garga gerate, verliere zu schnell seinen "leichtfüßig amüsanten Reiz".

In der Frankfurter Rundschau (4.11.2010) schreibt Jürgen Otten: Alle Figuren in Katharina Thalbachs Brecht-Inszenierung seien "unübersehbar anders", sie "verwundern uns". Alle tragen Masken, alle "sind heillos entstellt, verfremdet. Und alle müssen sich verstellen, was das Zeug hält". Die Inszenierung wolle auf Gedeih und Verderb unterhaltsam sein, sei dies aber nur in "seltensten Momenten". Sie opfere die überall im Stück verstreute "Philosophie und Poesie" und die "Präzision des Wortes". Das "Sublime der Brechtschen Textur wird vom Geist des Boulevard absorbiert. Der Slapstick ersetzt die gezielt zugespitzte Pointe, das Chargieren die Porträtzeichnung." Da, wo Abstand nötig wäre, "agiert der Klamauk, die Hysterie. Wo aber alle, von Nuancen abgesehen, gleichermaßen hysterisch sind, sieht man die Unterschiede nicht mehr. Was man sieht, sind Klischees."

 

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