Wahrheit und Geschichte

Amsterdam, 31. Oktober 2010. Der niederländische Schriftsteller Harry Mulisch ist tot. Er starb gestern mit 83 Jahren in Amsterdam, wie sein Verlag De Bezige Bij heute mitteilte.

Mulisch wurde 1927 in Haarlem als Sohn eines ehemaligen österreichischen Offiziers und einer Frankfurter Jüdin geboren. Sein Vater war während der Zeit der deutschen Besetzung der Niederlande Personaldirektor einer Bank, die konfisziertes jüdisches Eigentum verwaltete. Für diese Tätigkeit musste er nach dem Krieg drei Jahre in ein Internierungslager. Allerdings konnte er durch diese Position seine jüdische Ex-Gattin und den Sohn vor den Nationalsozialisten und der Deportation schützen.

Seinen ersten Roman veröffentlichte Mulisch mit 24 Jahren ("Archibald Strohalm", 1951). 1961 war Mulisch Berichterstatter beim Eichmann-Prozess, daraus entstand seine Reportage Strafsache 40/61, seit 1962 war er mit Hannah Arendt befreundet. 2002 erhielt Mulisch für seinen literarischen Beitrag zur Versöhnung zwischen Niederländern und Deutschen das Bundesverdienstkreuz.

Große Beachtung fanden vor allem seine Romane "Das Attentat" (1982) über die Folgen der Ermordung eines mit dem NS-Regime kollaborierenden niederländischen Polizisten sowie die philosophisch-mystische Gesellschaftschronik Die Entdeckung des Himmels (1992), die wesentlich vom schwierigen Verhältnis von Wissenschaft und Religion handelt.

Neben Romanen, Gedichten, Essays und Opernlibretti schrieb er auch Theaterstücke, etwa "Tanchelijn" (1960) und "Oidipous Oidipous" (1972). Eines seiner letzten Bücher, die Novelle Das Theater, der Brief und die Wahrheit (2000), hat Rainer Werner Fassbinders Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod" zur Vorlage und verarbeitet den Skandal, den Fassbinders Text auch in den Niederlande auslöste. Auch dieser Text Mulischs handelt von seinem Lebensthema: dem Verhältnis von Wahrheit und Kunst, Geschichte und Erinnerung.

(dip)

 

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