Uhh, ein Raumschiff! Blubb!

von Elena Philipp

Berlin, 7. November 2010. Das Genre des "Dreidimensionalen Live-Hör-Spiels" erlebte seine Premiere 2004 anlässlich eines Bunten Abends am Deutschen Theater Berlin. Stefan Kaminski reanimierte mit "Im Bann des Psychopudels" ein von ihm zu Jugendzeiten entwickeltes Format – die Mischung aus Schauspiel, Hörstück und Geräuschtheater, die in Berlin seitdem Kult ist. Mit kleiner Musiker-Geräusche-Combo und jeder Menge Requisiten aus dem Hörspielstudio adaptiert der 36-jährige Absolvent der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" in der Reihe "Kaminski ON AIR" Filme wie "King Kong" oder Wagners kompletten "Ring des Nibelungen" für ein intimes Bühnensetting. In allen Rollen und mit Dutzenden von Stimmen: Stefan Kaminski.

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Huch, ein MeteoOOORGHH! © Arno Declair

"Es kam von oben", die aktuelle Produktion, kombiniert Versatzstücke aus Science-Fiction-Filmen. Nahe dem verschlafenen Städtchen Sandberg Zitty schlägt ein Meteor ein. "Ein MeteoOOORGHH!!", wie Kaminskis Hauptfigur Rick Hudson herausschreit. Rick, Amateur-Journalist und freier Astronom, beobachtet mit seiner Freundin Helen romantisch Sternschnuppen – "Ich schau' dir in die Augen, Kleines!" –, als der Meteoriteneinschlag alles zum Beben bringt. Nichts wie hin, denkt der hartgesottene Held. Kaminski kurbelt am Steuer, das vor ihm am Tisch befestigt ist. In seiner rechten Hand baumelt wild ein Duftbaum am imaginären Rückspiegel, und Helen flötet erschrocken: "Nicht so schnell, Rick!" (Man müsste Kaminski übrigens sein eindimensionales Frauenbild ernstlich verübeln, würde er nicht zugunsten der einfacheren Identifizierung alle Figuren eindimensional gestalten.)

Blecherne Marsmänner

Am Krater angekommen, öffnet Hudson die Autotür – ein alter Bosch-Kühlschrank liefert den satten Sound eines gut gepolsterten Straßenkreuzers. Ab in die Tiefe: Kaminski wühlt mit den Füßen in der Kiesbox unter seinem mit Utensilien zugestapelten Tisch, dreht mit der linken Hand eine Trommel voller Steinchen und imitiert schnaufend, mit zurückgebeugtem Oberkörper und einem rudernden Arm den Abstieg. Unten angekommen, rennt Hudson unerwartet gegen eine Metallwand. Kaminski haut sich ein Blech gegen den Schädel, stößt ein stöhnendes Uuh aus, und Hudson erkennt im Hindernis – ein Raumschiff! Nun verzerrt Kaminski das Gesicht, krümmt den Oberkörper, das Licht wird lila-grün: Im Flugobjekt warten ein blubbernder, dumpf grollender und ein marsmännisch blechern klingender Außerirdischer. Entsetzen! Freude bei den Fans im Publikum.

Der Reiz dieses Live-Hör-Spiels liegt nicht nur in Kaminskis ungeheuer wandelbarer Stimme und der Virtuosität, mit der er in Sekundenbruchteilen zwischen den Figuren switcht oder Sounds wie Reifenquietschen und Transistorradiorauschen nachahmt. Er ist auch im Kontrast zwischen der Audio-Ebene und dem Visuellen begründet. Die Dialoge, die Geräusche und die swingende Musik (Stefan Brandenburg, Sebastian Hilken) entwickeln den Sog eines Hörspiels. Auf der Bühne ist zugleich das Handwerkliche aller Vorgänge zu sehen.

Von den Körperfressern bis zum Independence Day

Das ermöglicht den Darstellern angenehm selbstironische Kommentare zur Sci-Fi-Story. Kaminski lässt etwa mit großer Geste zwei Eiswürfel in ein Whiskeyglas klirren und gießt vor seinem Mikrophon mit Hall einen Schwapp Wasser darüber, mit spöttisch gehobener Braue. Dann nutzt er ein Mikro mit stumpfem Klang, um den Vorgang wieder an die Erzählebene rückzubinden: Rick säuft selbstmitleidig in Helens Wohnung, weil ihm niemand in Sandberg Zitty glaubt, dass der vermeintliche Meteorit eigentlich ein Raumschiff ist.

Die Außerirdischen wollen nichts Böses, sie mussten lediglich auf der Erde notlanden und wollen nur "nach Hause" – so wie E.T. in den 80ern. Dafür brauchen sie Kabel, und um sie unauffällig zu beschaffen, nehmen sie die Gestalt von Bewohnern Sandberg Zittys an – "Die Körperfresser" lassen grüßen, ein Streifen aus den 70ern. Als die Außerirdischen Helen entführen, um Hudson unter Druck zu setzen, lässt Sheriff Ed Sarrazo zum Angriff blasen und erklärt seinen persönlichen "Independence Day" – Hardliner schätzen Roland Emmerichs martialisches Werk aus den späten 90ern. Rechtzeitig vor einer Kampfhandlung ist das Raumschiff jedoch repariert. Abflug der Außerirdischen, mit dem Hinweis, die Menschen seien noch nicht reif für ihre überlegene Aufmerksamkeit – so ähnlich endet auch "Der Tag, an dem die Erde stillstand", 1951. Ein fröhliches Durcheinander an Filmzitaten, ein wilder Ritt durch die Genregeschichte.

Die Entdeckung der vierten Dimension

Aber nicht nur. Kaminski versprach mit dem Untertitel ein "Gesellschaftskritisches Schwarz/Weiss-Hör-Spiel". Und so kommentiert er mittels Sci-Fi die unsägliche Sarrazin-Debatte. Den respektvollen Umgang mit den Fremden lässt Sarrazo ebenso vermissen wie sein Namensvetter. "Wenn die hier schon ihren Schatten werfen", knurrt der Sheriff, "haben sie sich zumindest den Sitten unserer Heimat anzupassen." "Deshalb nehmen sie Menschengestalt an", argumentiert Hudson, der die Außerirdischen für grundsätzlich gutartig hält, "weil wir alles vernichten, was wir nicht verstehen." Gesellschaftspolitische Kritik steht der kleinen Form erstaunlich gut. Stefan Kaminski hat erfolgreich das "Vierdimensionale Live-Hör-Spiel" begründet.

 

Kaminski ON AIR: Es kam von oben
von Stefan Kaminski
Regie und Stimmen: Stefan Kaminski, Perkussion und Störfrequenzen: Sebastian Hilken, Humanoide Jukebox und Keyboard: Stefan Brandenburg, Bühne: Julia Kurzweg, Juliane Grebin, Inspizienz: Gabriela Schütz, Technische Einrichtung: Konstanze Gindl, Ton: Detlef Feiertag, Richard Nürnberg, Licht: Bodo Ahlenstorf, Ingo Greiser, Requisite: Karsten Klein, Garderobe: Sabine Reinfeldt.

www.deutschestheater.de
www.kaminski-on-air.de

 

Kritikenrundschau

Das Wichtige an "Es kam von oben" seien neben den selbstgespielten Chargen die von Kaminski gemachten Geräusche, befindet Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (9.11.2010): "Schritte (mit einer Kieskiste), das Klappen einer Autotür (mit einer Kühlschranktür), die fliegende Untertasse (mit einer herkömmlichen Untertasse), das Schlagen eines Kopfes an ein Stück Blech aus extraterrestrischem, wahrscheinlich organischem Metall, verbunden mit der entsprechenden Schmerzäußerung (durch das Schlagen des Bühnenkünstlerkopfes gegen ein Stück herkömmlichen Blechs) etc." Zum krönenden Abschluss des Abends generiere Kaminski das Geräusch eines sich machtvoll entladenden Unwetters: "es grummelt, donnert, pfeift und prasselt, dass das Theater bebt. Und dies alles nur, indem er sich verbeugt."

Kommentare  
Kaminski ON AIR: der Fairness halber
der fairness halber darf nicht unerwähnt bleiben, dass die reihe am dt zusammen mit dem regisseur eike hannemann entwickelt wurde.
KAMINSKI ON AIR verdankt seine genialität im ursprung der zusammenarbeit dieser beiden künstler. bitte nicht vergessen!!!
Es kam von oben, Berlin: zuviel Lärm
Dass der Mann eine technisch-stimmliche Großbegabung ist, will ich nicht bestreiten. Aber er ist kein Autor. Geschichten kann er nicht erfinden. Da reicht es höchstens zur Persiflage, aber auch die ist dünn, und nach der Hälfte bricht der Abend zusammen. Da nützt es auch nichts, dass die Tonechniker hier die Lautstärke bis zur Schmerzgrenze aufdrehen - im Gegenteil. Man folgt nicht mehr. Zuviel Lärm und Getöse.
Insgesamt erinnert das Spektakel doch eher an eine Jahrmarktsnummer. Schaut her, was ich alles mit meiner Stimme machen kann. Früher führte man Tanzbären vor, heute Stimmakrobaten.
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