Presseschau vom 11. November 2010 – Wochenzeitung Die Zeit über das Finanzdilemma der deutschen Theater und Opern

Gespart wird, wo man es sieht

Gespart wird, wo man es sieht

11. November 2010. "Der Kulturkampf" ist das Dossier von Konstantin Richter in der Zeit (11.11.2010) übertitelt. Untertitel: "Müssen Städte wie Flensburg ein Opernhaus haben? Die Schlacht um die Subventionen hat begonnen." Richter erzählt von Peter Grisebach, dem neuen Intendanten am Landestheater Schleswig-Holstein und der dortigen "Nabucco"-Inszenierung: "Der Generalintendant sagt, der Gefangenenchor sei in Flensburg 'fast ein Fanal' geworden. Er sieht durchaus eine Parallele zwischen den unterdrückten Juden in Nabucco und dem Landestheater Schleswig-Holstein, das ja ebenfalls bedroht ist. In beiden Fällen, sagt er, gehe es um Freiheit und kulturelle Identifikation."

1,4 Millionen Euro pro Jahr sind es, die dem Landestheater fehlen. Wenn das Land die Zuschüsse nicht erhöhe, müsse der Opernbetrieb Ende November eingestellt werden. "Und dann? Der Generalintendant macht eine Pause, dann buchstabiert er dem Reporter die Katastrophe ins Notizbuch: 'Der gesamte Norden Schleswig-Holsteins', Pause, 'die Mitte Schleswig-Holsteins', Pause, 'und der Westen', Pause, 'würden von der Versorgung mit klassischem Musiktheater abgeschnitten.'" Doch die Entscheidung sei vertagt worden. Man stehe um 700 000 Euro besser als geplant da, so Grisebach.

In Flensburg sei es wie überall im Land, so Richter: "Der Wirtschaft geht es plötzlich viel besser, aber der Staat ist hoch verschuldet. Die Kommunen müssen sparen, doch wenn es der Kultur an den Kragen gehen soll, gibt es sofort Proteste. (...) Darf an der Kultur nicht gespart werden?"

Der Kulturstaatssekretär in Schleswig-Holstein Eckhard Zirkmann habe nicht viele eigene Ideen, "er weiß bloß, dass Lübeck und Kiel ähnliche Probleme haben wie das Landestheater, sie sind zu teuer". 82 Prozent des Etats von rund 19 Millionen Euro gebe das Landestheater Schleswig-Holstein für sein Personal aus: "Ökonomen sprechen von der Baumolschen Kostenkrankheit: Die Kultur kann steigende Löhne nur bedingt durch Produktivitätszuwächse auffangen." In Flensburg komme ein junger Sänger auf 1800 Euro brutto im Monat. Und man könne den deutschen Opernbetrieb auch als den Gegenentwurf eines Potemkinschen Dorfs begreifen: "Gespart worden ist dort, wo man es sieht."

Vom Lübecker Theaterdirektor Christian Schwandt schreibt Richter: "Er hat mit dem Stromanbieter und der Feuerwehr neu verhandelt, die Verwaltungskosten um ein Drittel gesenkt, die Eintrittspreise erhöht und die Aufführungszahl verringert." In der Theaterstrukturkommission würden nun Lübeck und das Landestheater aufeinandertreffen, "hier der Steuerberater Schwandt, der findet, die Kultur müsse die Not der öffentlichen Hand berücksichtigen, dort der Balletttänzer Grisebach, der sagt, er werde sehr unangenehm, wenn jemand die Kultur zu teuer finde."

Trotzdem, so Richter, "müssen sich die Theater an ihrer Behauptung, ihre Arbeit sei unverzichtbar, messen lassen – so schwierig es auch sein mag, die Kriterien fest zulegen. Sie müssen Vergleiche zulassen, untereinander und auch mit anderen Einrichtungen, die bedroht sind. "Mehr Kunst, weniger Apparat, da muss die Oper hin. Und vielleicht sollte sie sich auch von der Idee verabschieden, dass sie unter den Artenschutz fällt." – "Von den 560 Musiktheatern, die weltweit existieren, stehen 84 hierzulande." Und "die Theater und Opern in Deutschland kosten im Jahr mehr als 2,5 Milliarden Euro, rund drei Viertel davon sind Personalausgaben. Nur knapp 20 Prozent dieser Kosten erwirtschaften die Opernhäuser aus eigener Kraft. So wird jede Eintrittskarte heute mit durchschnittlich 100 Euro subventioniert."

 

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