Unflotter Dreier

von Thomas Askan Vierich

Wien, 17. November 2010. In einer Sommernacht treffen drei Menschen kurz vor dreißig auf dem Dach eines rumänischen Nachtclubs aufeinander: Iza, Dan und Trifor. Trifor macht Iza einen Heiratsantrag. "Ja. Ja. Wie im Film. Wie in Casablanca." Sein Problem: Er ist dabei ziemlich betrunken. Seine Freundin Iza auch. Trotzdem kann sie diesen Antrag nicht wirklich ernst nehmen. "Casablanca? Schlechtes Beispiel." Das ist ihr im Moment alles zu viel. Sie lehnt ab. Was Trifor nicht verstehen mag. Er flüchtet sich in die Vorstellung, Iza habe einen anderen.

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© Joachim Kern

Das klingt dann so: "Und du liebst ihn? Hm? Ist es das? Liebst du diesen Möchtegern... diesen arschgefickten Hurensohn?" Izas Antwort: "Du bist immer eifersüchtig, wenn du besoffen bist." Sie versucht ihm ihre Zweifel zu erklären, aber Trifor hört gar nicht zu. Er macht mit Iza Schluss und kehrt zurück zur Party, um sich mit Blondinen zu besaufen. So beginnt das Stück des rumänischen Autors Peca Stefan, das die Wiener Wortstätten im TAG auf die Bühne gebracht haben. Die Wiener Wortstätten sind ein interkulturelles Autorentheaterprojekt von Hans Escher und Bernhard Studlar, das sich um in Wien lebende Autoren nichtdeutscher Muttersprache, mehrheitlich aus Osteuropa, kümmert.

Die Sonne geht auf, die Liebe geht unter
Dann taucht Dan auf dem Dach auf. Dan ist nach Kolumbien ausgewandert, hat dort geheiratet, ist aber schon wieder geschieden. Er hat in Bogota an der Universität unterrichtet. Wie sich herausstellt, hat er sein ganzes Geld beim Hunderennen verspielt und seine Frau mit seiner Anwältin (er ist beim öffentlichen Pinkeln und mit Dope in der Hosentasche erwischt worden) betrogen. Er ist jetzt wieder zu Hause, um seine Mutter zu besuchen. Die hätte gerne seine Ehefrau kennen gelernt, sie weiß noch nicht, dass die längst Geschichte ist. Iza bietet spontan an, Dan zu begleiten, um sich als dessen Frau auszugeben. Beide fantasieren sich in diese Option hinein, die sie aus ihrer momentanen Misere befreien könnte: Iza kommt endlich ans Meer (Dans Familie lebt in Constanza am Schwarzen Meer) und Dan kann seiner Mutter die heile Welt vorspielen. Sie versuchen sogar, sich zu küssen. Merken aber, dass da nichts ist. Sie sind einfach nicht verliebt.

In diesem Moment taucht Trifor wieder auf, betrunkener denn je. Er will Dan tätlich angehen (mit einem winzigen Nagelknipser), aber man versöhnt sich schnell. Trifor und Iza gestehen sich ihre Liebe, Dan sieht ein, dass er seiner Mutter nichts vorspielen will und kann. Die Sonne geht auf, Dan inszeniert eine besoffene Hochzeitszeremonie und alle drei starren, mittlerweile restlos betrunken und bekifft, glückselig in die Sonne. Soweit die Handlung, die nicht länger als eine Stunde dauert.

Schluchzen aus der Mittelbühne
Daraus hätte man etwas machen können. Diese Dreier-Konstellation von desillusionierten Endzwanzigern, die vor den Trümmern ihrer Träume stehen und in neue, fadenscheinigere Träume flüchten, hätte etwas hergegeben. Das Problem des Abends ist, dass der Regie dazu nichts eingefallen ist. Karim Chérif gehörte eine Zeitlang als Schauspieler dem Burgtheaterensemble an, dieses Stück ist seine erste Regiearbeit. Er bekennt, dass er es schon immer gerne gespielt hätte, das Burgtheater es aber nicht wollte. Jetzt darf er es an einer Wiener Mittelbühne inszenieren, aber man kann seiner Regiearbeit nicht die Begeisterung für den Stoff anmerken. Auch keine wirkliche Auseinandersetzung. Hat er geglaubt, der Text und seine Schauspieler seien stark genug, einen völlig reduzierten, nahezu emotionslosen (obwohl durchaus auf der Bühne heftig geschluchzt wird) Theaterabend zu tragen?

Vor allem Hélène-Lina Bosch als Rumänin mit französischem Akzent (warum eigentlich?) agiert sehr hölzern und eindimensional. Sie weiß nicht, wohin mit ihren Händen, ihre Schultern hängen, sie wirkt einfach unbeholfen in ihrem kurzen Kleid. Kann sein, dass sie so spielen sollte, weil Iza eben eine unsichere junge Frau ist, die sich gerade den romantischsten Abend ihres bisherigen Lebens versaut hat. Das Ergebnis für den Zuschauer bleibt trotzdem hölzern. Alessandro Calabrese als Trifor spielt den besoffenen, testosterongesteuerten Macho schon lebendiger, aber auch ohne Zwischentöne, ohne Subtext.

In der Klischeefalle
Der Einzige, der wirklich vielschichtig wirkt, ist Dennis Cubis als Dan. Er ist auch am längsten nüchtern. Aber letztendlich sind seine nervösen Ticks, seine unkontrollierten Handbewegungen, das unbewusste Kratzen auch nicht mehr als die typischen Klischees eines Drogensüchtigen. Es wird viel geraucht auf der Bühne. Und noch mehr getrunken. Da droht die Klischeefalle endgültig zuzuschnappen: Ja, so kennt man die Ostler: Immer am Saufen – und wenn sie besoffen sind, fangen sie an von großen Gefühlen zu reden, die sie aus irgendwelchen Filmen kennen. Einmal sagt Dan zu Iza: "Meinst du mich oder spielst du gerade in einer deiner Fantasy-Shows?" Das sind die Momente, in denen das Stück Tiefe erahnen lässt. Nur leider werden diese Momente nicht ausinszeniert. Eher im Gegenteil: Der Stoff wird so schlampig präsentiert, dass alle Zwischentöne, die im Stück durchaus angelegt sind, nivelliert werden.

Was wir sehen, sind drei recht pubertär agierende, betrunkene junge Menschen, die ihre unausgegorenen Leben und Gefühle nicht auf die Reihe kriegen. Das Stück plätschert ohne Pause, ohne Rhythmus, ohne dramatische Akzente eine Stunde dahin. Die Musik ist mal laut, mal leise, ohne erkennbaren dramaturgischen Anlass. Eine Lichtregie gibt es nicht, auch keine Atmosphäre. Selbst der titelgebende Sonnenaufgang am Ende gerät vollkommen unspektakulär, kalt. Noch einmal: Kann sein, dass dieses Unspektakuläre beabsichtigt ist, dass hier bewusst "cool" inszeniert wird. Das wird aber dem Stück und seiner Dramatik nicht gerecht. So verläppert alles im Belanglosen.

 

The Sunshine Play (DEA)
von Peca Stefan
Übersetzung aus dem Englischen von Bernhard Studlar
Inszenierung: Karim Chérif, Musik: Patrick Petzold & Sébastien Alazet, Video: Michael Schüller, Bühne & Licht: Raimund Orfeo Voigt, Kostüme: Kerstin Moser & Jenny Podehl, Dramaturgie: Wolfgang Stahl.
Mit: Hélène-Lina Bosch, Alessandro Calabrese, Dennis Cubic.

www.peca.ro

www.wortstaetten.at

 

Der Dramatiker Peca Stefan, 1982 in Rumänien geboren, studierte szenisches Schreiben an der New York University und war 2005 International Playwriting Resident des Royal Court Theatre London. Stefan hat mehrere Preise erhalten, 2007 unter anderem den Innovationspreis des Heidelberger Stückemarktes. Sein Stück Drahtseilakrobaten wurde 2010 beim Stückemarkt des Berliner Theatertreffens als szenische Lesung vorgestellt.

 

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