Schaumstoffobsessionen mit Kleist

von Jürgen Reuß

Freiburg, 25. November 2010. Kleists "Käthchen von Heilbronn" als "Ritterschauspiel mit Puppen und Menschen" auf der kleinsten Bühne des Theaters Freiburg zu spielen, hört sich an wie eine Gegenthese zu Moritz Rinkes Aufplusterung der Nibelungen auf Wormser Open-Air-Format, und ist es auf angenehme Weise auch irgendwie.

Heimwerker, keine Drahtzieher

Wenn André Benndorff zu Beginn Kleists Regieanweisung, "Eine unterirdische Höhle, mit den Insignien des Femgerichts, von einer Lampe erleuchtet", vorliest, leuchtet seine Taschenlampe eine Ritterspielkulisse in Schaumstoff und Miniaturformat aus. "Am Anfang war eine alte Matratze, ein paar Stoffreste und Draht", beschreiben die Berliner Puppenspieler "Das Helmi" ihren Ursprung und so sieht es bei der Kooperation mit dem Theater Freiburg in der Kammerbühne auch aus. Ein bisschen also, als ob ein Heimwerker mit Schaumstoffobsession die Muppetshow nachstellen wollte, nur variabler, denn die Puppenspieler, in diesem Fall Schauspieler vom Freiburger Ensemble, sind als Puppenträger und -sprecher deutlich sichtbar mit auf der Bühne, Mitakteure, keine Drahtzieher wie im Marionettentheater.

Diese Mischform gibt Regisseurin Katrin Hentschel die Möglichkeit, die Kleistsche Personnage einmal ganz anders aufzudröseln. Ohne aus der Rolle treten zu müssen, stehen die Figuren per se schon neben sich, als Mensch und Puppe, als Doppel- und manchmal auch Tripelwesen, eine Bild gewordene Absage an die Authentizitätsideologie des Individuums. Das heißt, ein bisschen Mythos darf schon sein. Graf Wetter vom Strahl (Hendrik Heutmann) bleibt aus Fleisch und Blut, nutzt höchstens mal ein Schaumstoffpferd, bis er am Ende an Fäden, die eher ein solides Seil sind, durch die Luft strampelt. Aber auch da ist er eher ein Sinnbild dafür, dass nicht alle, die so zur Puppe werden wollen wie Wassernixen aus Liebe zu Menschen, das auch können. Den Pathos der wahren, bedingungslos Liebenden, die allen Widrigkeiten und Intrigen zum Trotz am Ende als edles Paar zueinander finden, setzt Hentschel in der optischen und musikalischen Ästhetik eines Neue Deutsche Welle Schlagers aus der unbeholfenen Musikclipvorzeit in Szene.

Kleistsche Raffinesse in trashigem Ambiente

Vor diesem Ende bleibt noch viel Raum für ausgiebige Laszivitäten von Rebecca Klingenbergs Kunigunde-Doppelwesen, erektile Ritterreaktionen, grantelnde Hängeschwanzpuppen-Eifersucht von Kunigundes Nebenbuhlern, einen modernen Erziehungsdisput zwischen Papa Waffenschmidt und Tochter Käthchen (Stephanie Stremler) und eine Feuerprobe, deren lodernde Plastikfeuersbrunst auch die Augsburger Puppenkiste glücklich gemacht hätte. Zwischendrin verzehrt man sich in Schlagereinlagen mal nach Liebe, mal nach Happy ohne Ende (Musik: Mattef Kuhlmey).

Insgesamt erleben die Zuschauer einen unterhaltsamen Abend, der schon auch irgendetwas mit Worms, Muppetshow und dem großen Sat1-Märchenfilm zu tun hat. Aber er zeigt auch, dass es in diesem Segment nicht zwangsläufig so flach zugehen muss, dass ein gut aufgelegtes Ensemble Kleistsche Raffinesse auch in einem eher lustig-trashigem Ambiente herauslocken kann, sogar mehr Kleistschen Witz hervorkitzelt, als traditionellere Inszenierungen. Dieses lustige Happening mit Tiefgang gefiel auch dem Premierenpublikum so, dass es bis zum Zugabesong klatschte.

 

Käthchen, mein Mädchen
Schauspiel nach Heinrich von Kleist mit Puppen und Menschen
Regie: Katrin Hentschel, Puppenbau: Florian Loycke, Katrin Hentschel, Ausstattung: Jens Dreske,Musik: Mattef Kuhlmey, Dramaturgie: Heike Müller-Merten.
Mit: André Benndorff, Hendrik Heutmann, Rebecca Klingenberg, Stephanie Stremler.

www.theater.freiburg.de

 

 

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