Stadtheater kann total geil sein manchmal

von Sarah Heppekausen

Essen, 27. November 2010. Ballettmeister Egon Madsen würde sie lieber vertanzen statt verlesen. Choreograf Ismael Ivo wohl auch, und zwar im Bananenrock von Josephine Baker. Moderatorin Tita von Hardenberg nutzt sie, um endlich einmal sagen zu können, was für sie das wichtigste beim Theater ist, nämlich Bühne und Kostüme. Und Klaus Zehelein, der Präsident des Deutschen Bühnenvereins, verteidigt in ihr die Landestheater gegen landesweite Vorurteile und das Zeit-Dossier "Der Kulturkampf" von Konstantin Richter.

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Der Faust-Preis
©Natalie Brothur/Bühnenverein

Die Laudatio – sie gehört zur Preisverleihung wie der Sekt zum anschließenden Empfang. Also auch zum Faust Theaterpreis, der jetzt zum fünften Mal seit 2006 und zum zweiten Mal im Essener Aalto-Theater verliehen wurde. Gemeinsame Veranstalter sind der Deutsche Bühnenverein, die Deutschen Akademie der Darstellenden Künste, die Kulturstiftung der Länder und das Land NRW.

Briefbeschwerer für Schauspielerseelen
Es wird zitiert, doziert, sinniert, erinnert. Mal erzählen die Laudatoren von den Nominierten, meist mehr von sich. Mezzosopranistin Iris Vermillion schwärmt vom multiplen Orgasmus über Stunden, den es nur in der Oper geben könne. Ismael Ivo lüftet das Geheimnis der Choreografie: Entweder sie funktioniert oder sie funktioniert nicht. Autorin Eva Demski lobt den Theaterpreis als Briefbeschwerer für die Schauspielerseele, die sonst mit der Flüchtigkeit leben muss (und kann ihn gleich doppelt an Sophie Rois und Paul Herwig verleihen). Maria Schrader konzentriert sich auf das, was sie kann: Sie spricht einen Text von Daniil Charms und belässt es dabei.

Und so erfährt der Zuschauer an diesem Abend mehr über die Laudatoren als über die eigentlichen Protagonisten, die Preisträger. Vielleicht ist das normal, schade ist es trotzdem. Die kurzen Filmeinspielungen können das nicht nachholen. Oder wie sollte man die verstörende Faszination des Zuschauer-Voyeurs vor dem schalldichten Container in Karin Beiers Inszenierung "Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen" mit Hilfe einer Nahaufnahme nachempfinden? Thomas Dreißigacker und Maria Roers bekamen übrigens den Faust für die beste Ausstattung. Der Bühnenbildner haut am Pult wenigstens noch ein kurzes Bekenntnis raus: "Stadttheater kann total geil sein manchmal".

.... bis kein Denkbetrieb mehr möglich ist
Was Sparmaßnahmen in solch einem Stadttheater für Folgen haben können, demonstrieren launig Samuel Finzi und Wolfram Koch – als Duo diesmal nicht in Gotscheffs "Persern", sondern in Moderatorenfunktion. Sie streichen Goethes "Faust" zusammen bis kein Denkbetrieb mehr möglich ist, ersetzen eingespartes Bühnenlicht mit Handscheinwerfern. Ihre Nummern voller Zitate aus der Illusionswelt Theater und eingefügt ins Aalto-Bühnenbild einer Nabucco-Inszenierung sind nur deshalb gut anzuschauen, weil die beiden gute Schauspieler sind.

Trotzdem hätte dieser dreistündigen Veranstaltung selbst das ein oder andere Mal der kürzende Rotstift gut getan. Das Leben auf der Bühne, für das Regie-Preisträger Roger Vontobel das Theater so schätzt, bleibt bei der Preisverleihung in der Event-Schranke hängen. Nach dem Motto: Effekte statt Affekte.

Rührend wird es erst bei den anhaltenden Standing Ovations für Bühnenästhetiker Wilfried Minks, der, wie Laudator Thomas Oberender klarstellt, erst jetzt seinen ersten Preis erhält. Ach, hätte Ismael Ivo doch im Bananenrock getanzt.

 

Alle FAUST-Preisträger hier.

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