Im Kampf gegen die Wohlstands-Windmühlen

von Georg Kasch

Berlin, 5. Dezember 2010. Ein Versprechen ist dieser goldglänzende Horizont, schimmernd und schillernd, zum Greifen nah. Eine Sackgasse auch, weil er, rein praktisch gesehen, die ohnehin kleine Bühne in der Box des Deutschen Theaters zu einem Nudelbrett verkürzt. Das ewige Glücksversprechen – eine Wegesklemme?

In Ewald Palmetshofers "hamlet ist tot. keine schwerkraft" schon, das nach seiner Uraufführung am Schauspielhaus Wien 2007 eine bemerkenswerte Karriere machte, samt Einladung zu den Mülheimer Theatertagen. Im Stück feiern die Alten Geburtstag "und die Jungen gräbt man ein", treffen süßliche Smalltalk-Floskeln auf rauen Monolog-Furor, stehen drei Paare ziemlich verständnislos nebeneinander: Dagegen, dass das Leben eine ziemliche Gemeinheit ist, kommen hier weder ein Kindergeburtstagsschlager und erst recht nicht Rimma Starodubzevas Sackgasse aus Gold an.

Zwischen leerem Himmel und offenem Grab

Alexander Riemenschneider, seit seinem Abschluss an der Theaterakademie Hamburg heiß gehandelter Regie-Nachwuchs (inklusive Rolf-Mares-Preis und einer FAUST-Nominierung für "Von Mäusen und Menschen" am Jungen Schauspielhaus Hamburg), bittet seine sechs Schauspieler zur Familienaufstellung, treibt sie aus der offenen Spielsituation in die tastende Erkundung von Palmetshofers Sprachumlaufbahn zwischen leerem Himmel und offenem Grab. Geradezu zärtlich lässt er sie mit wenigen Schritten aus ihren ohnehin falschen Rollen treten, wo sie sich vehement durch Palmetshofers Monolog-Kraftzentren wühlen – und in all dem Kampf gegen Wohlstands-Windmühlen einen erstaunlichen Humor entdecken.

Was den vier Studierenden der Schauspielschule "Ernst Busch" mit einem stilleren Furor gelingt als den Ensemble-Fachkräften Barbara Schnitzler und Helmut Mooshammer, die ihre frustrierten Eltern immer eine Spur zu laut in die kleine Box schleudern. Wie von innen leuchten Dani und Mani, das Wälsungenblut-Paar, zwei Königskinder der Philosophieklasse: Moritz Gottwalds Mani grinst mit nervösem Mund auch nach den ungeheuerlichsten Passagen noch schelmisch und unschuldig unter melancholisch-wachen Augen. Antonia Bills Dani strukturiert ihre existentielle Verzweiflung so klar wie mit einem Diamanten geschnitten; an ihrer Sprachmusik und ihrer eleganten Souveränität gleitet selbst ein Schwab'scher Kloschüssel-Exkurs ab.

Wie in einem Mittsommernachtsalptraum

Johanna Griebels Bine hat als lieblich lächelnde und plappernde Nervensäge mit Giftspritzenblick Christian Löbers Oli-Schlacks fest im Griff. Vor allem, wenn er sich Dani nähert. Die vier waren einst über Kreuz verbandelt, nun starren sie einander somnambul an wie in einem Mittsommernachtsalptraum.

Neben all dem steht der Musiker Boris Vethake wie ein weiterer Schauspiel-Schüler, zupft minimalistische Gitarren-Akkorde und lächelt wie einer, der das alles schon hinter sich hat. Mit Vethake hat Riemenschneider Hannes auf die Bühne geschmuggelt, dessen Tod und Beerdigung die Ereignisse auslösen. Ein schweigender, aber den Takt vorgebender Gast, einer, der wie eine Norne oder Parze am Ende die sechs Schicksals-Saiten seiner Gitarre durchtrennt.

 

hamlet ist tot. keine schwerkraft
von Ewald Palmetshofer
Regie: Alexander Riemenschneider, Bühne: Rimma Starodubzeva, Kostüme: Camilla Daemen, Musik: Tobias Vethake, Dramaturgie: Meike Schmitz. Mit: Helmut Mooshammer, Barbara Schnitzler, Christian Löber, Moritz Gottwald, Antonia Bill, Johanna Griebel.

www.deutschestheater.de

 

Mehr zu Ewald Palmetshofer finden Sie im nachtkritik-Lexikon. Und noch mehr Sprachvirtuoses aus Österreich gefällig? Dann schaue man nach der jüngst für ihre vielstimmige Literatur mit dem Franz-Hessel-Preis gekürten Kathrin Röggla oder nach Händl Klaus, etwa mit Furcht und Zittern.

 

Kritikenrundschau

"Sind das Figuren?", fragt Andreas Schäfer (Der Tagesspiegel, 7.12.2010) angesichts des Textes von Palmetshofer. "Oder im Jelinek'schen Sinne bewegliche Aufhängevorrichtungen für Redeweisen; Ständer, an die man den Hausfrauenhysteriejargon oder den Ich-bin-einsam-durchschaue-aber-alles-Jungmännersprech einhaken kann?" Der Autor sage ja: "Der Mensch ist eine Konventionsnummer. Und Palmetshofer ein feiner Stimmenimitator." Der Abend führe jedenfalls "Palmetshofers Geometrien der Unbehaustheit mit einem Irrwitz der Verzweiflung auf". Inkonsequent sei allerdings, "dass Palmetshofer am Ende alle Fragen beantwortet, die der Text zuvor offengelassen hat. Was nun der Tod des ominösen 'Hannes' mit unser dysfunktionalen Familie zu tun hat? Die Lösung dieses und aller weiteren Rätsel in der letzten halben Stunde wäre nicht nötig gewesen".

Man sähe dieses Stück "statt in eine Box gestopft gern auf großer Bühne mit großem, entschiedenem Zugriff, einfach um zu erfahren, ob es solche Vergrößerungen aushält", schreibt Dirk Pilz (Berliner Zeitung, 8.12.2010). Diese Inszenierung tue aber so, "als reiße Ironie dem Stück einen eigenen Himmel auf", als werde damit "etwas regiemäßig Aufschlussreiches hinzugefügt, was sich aus der bloßen Lektüre des Texte vielleicht nicht erahnen lässt". Immerhin ergebe "die psychologisch aufgeschäumte Figurenspielweise" Sinn; überhaupt gebühre den Schauspielern "gehörig Respekt". Das sei Riemenschneiders Regieidee: "Aus dem goldglitzernden Ironiehintergrund pellt sich ein Familien- und Liebesdrama heraus, das Palmetshofers subtile Gegenwartsanalyse eher unter- und die in der Textvorlage auch enthaltene Weltbeschimpfungswut überbetont".

"Dass die Ungeheuerlichkeiten (Ehebruch, Inzest, Mord) sich bei Palmetshofer erst langsam zum abgründigen Schauerbild zusammenpuzzlen, sorgt für Krimi-Spannung", meint Anne Peter (Berliner Morgenpost, 7.12.2010). Zwischendurch wüte Dani gegen die "gottverdammte Befindlichkeitsscheiße", und Mani erkläre, dass Gott tot und der Himmel eine Maschine ist. Die Sprengkraft solcher Sätze kommen hier aber "eher gedämpft über die Rampe". Denn Riemenschneider bereite das Stück "ohne Einfalls-Zutun als bekömmlichen Anderthalbstünder auf, in dem alles aufs komödiantische Potential hin poliert ist".

 

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