Wenn das Selbstkonzept wackelt

von Simone von Büren

Basel, 16. Dezember 2010. Manche Autoren holt sich das Theater um jeden Preis. Kristof Magnusson ist so einer. Der erfolgreiche Dramatiker schrieb zwei ebenso erfolgreiche Romane, die nun wiederum auf der Bühne gelandet sind. Und der zweite Roman "Das war ich nicht" bewährt sich – in einer Fassung des Regisseurs Ronny Jakubaschk – als Theaterstoff durchaus, wie die Uraufführung am Theater Basel zeigt.

Jakubaschk setzt mit dem Ende der Geschichte ein – mit drei vermummten Gestalten auf der Flucht vor der Polizei – und rollt diese Schritt für Schritt auf: Jasper (Bastian Heidenreich), ein junger deutscher Trader setzt bei einer Bank in Chicago alles auf Karriere und vieles aufs Spiel. Der sechzigjährige amerikanische Bestsellerautor Henry LaMarck (Andrea Bettini) taucht in einem Hotel unter, weil er seinen Jahrhundertroman über 9/11 nicht schreiben kann, der schon vor seiner Erscheinung für den Pulitzerpreis nominiert worden ist. Und die Übersetzerin Meike (Inga Eickemeier) trennt sich überstürzt von ihrem Partner und vom Öko-Produkte kaufenden Freundeskreis in Hamburg und zieht in ein baufälliges Haus auf dem Land, wo sie auf ihren nächsten großen Auftrag wartet: Henry LaMarcks neuen Roman. Als dieser nicht eintrifft, beschließt sie, nach Chicago zu reisen, um den Literaturstar aufzusuchen.

Flink und locker zwischen den Stuhlreihen

In seinem Roman lässt Magnusson die drei Figuren als Ich-Erzähler miteinander ins Geschäft kommen und einander in einer zunehmend atemlosen Geschichte abwechselnd zur Rettung werden. Seine lebendige, direkte Sprache verrät seine Erfahrung und sein Können als Dramatiker. Es ist also sinnvoll, dass Jakubaschk, der dieses Jahr bereits Magnussons Debüt "Zuhause" dramatisiert und inszeniert hat, seine Fassung sehr nah an der Prosavorlage hält. Er übernimmt Magnussons klug komponierte Dramaturgie, seine gekonnten Pointen und arbeitet hauptsächlich mit epischem Text.

Geschickt lässt der 31-jährige Regisseur die Passagen der einzelnen Stimmen auf den Höhepunkt der Geschichte hin kürzer werden, was die zunehmende Verstrickung der Schicksale wirkungsvoll zum Ausdruck bringt und alles hektischer und atemloser wirken lässt – akustisch unterstützt von Verkehrslärm, Uhrenticken und vom Star Wars-Thema als Handy-Klingelton.

Die Schauspieler wenden sich mit ihren Geschichten direkt ans Publikum und agieren
flink und locker zwischen den im Raum verteilten Stuhlreihen. Indem Jakubaschk die Figuren und ihre persönlichen Geständnisse und emotionalen Zustände in einem öffentlichen Raum ansiedelt, der stellenweise an ein Fernsehstudio erinnert, kreiert er eine interessante Spannung zwischen Selbstentblößung und Showmanship. Die in Sackgassen geratenen Lebensentwürfe und wackeligen Selbstkonzepte werden in dieser Arena gnadenlos offengelegt und ausgeleuchtet.

Thermosflasche und Plastikbecher

Wie Teile eines Filmsets etablieren einzelne Möbelstücke und Requisiten – Bürotisch, Sofa, Ständerlampe, Zimmerpflanzen – Spielorte im Raum. Diese schlichte szenische Anordnung erlaubt faszinierend schnelle, elegante Orts- und Szenenwechsel: So wird etwa die Thermosflasche, die Meike auf einen Tisch stellt, um ihr neues Heim zu markieren, von Jasper später mit Plastikbechern und Süßstoff zum Chicagoer Café ergänzt, in dem sich die drei Figuren treffen.

Einzelne Elemente haben symbolischen Charakter: Das groß an die Wand projizierte Wort "Trust"; die drei fahrbaren Spiegelwände, welche die Darsteller und das Publikum gleichermaßen reflektieren; oder der von Jasper im Fieber seiner Spekulationen gebaute wackelige Möbelhaufen, der am Ende wie ein Schuldenberg alles überragt.

Surreale Momente

Einige Gags hätte man sich sparen und einige Einfälle sorgfältiger überdenken können. So bleibt beispielsweise unklar, wieso die Darsteller zwischendurch plötzlich mit Mikrofon sprechen und wieso Nebenfiguren – von Eickemeier und Bettini wunderbar klischiert gespielt – live per Video eingespielt werden. Aber witzig ist es allemal und grundsätzlich beweisen Jakubaschk und sein Team an diesem äußerst kurzweiligen Abend ein feines Gespür für Timing und die richtige Tonlage.

Dass sie den Mut haben zu Überzeichnung und surrealen Momenten – etwa wenn Meike mit ihrer überdimensionierten Intellektuellenbrille durch den Briefkasten mit ihrem Chef spricht oder Henry sich einen Teppich wie einen langen Mantel umlegt und ihn samt darauf stehendem Sessel hinter sich herzieht – und dabei nie die Figuren verraten, überzeugt ebenso wie die offensichtlich große Spielfreude der Darsteller und die Entscheidung, den Theaterabend schärfer und skeptischer enden zu lassen als den Roman.

 

Das war ich nicht
von Kristof Magnusson in einer Fassung von Ronny Jakubaschk
Regie: Ronny Jakubaschk, Bühne und Kostüme: Matthias Koch, Musik: Johannes Hofmann, Dramaturgie: Martin Wigger
Mit: Inga Eickemeier, Andrea Bettini, Bastian Heidenreich.

www.theaterbasel.ch

 

Ronny Jakubaschk inszenierte in Basel bereits die Uraufführung von Marcel Luxingers Tell the Truth, in Jena führte er bei Thomas Melles Das Herz ist ein lausiger Stricher Regie.

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