Der Heiler - mit einem Monolog von Oliver Bukowski verabschiedet sich Jörg Gudzuhn als festes Ensemblemitglied des Deutschen Theaters
Der blinde Therapeut
von Hartmut Krug
Berlin, 9. Januar 2011. Eine Opernarie füllt den klinisch weißen Raum, dessen weniges Mobiliar das Klischee einer edlen Arztpraxis bebildert. In einer Ecke, unter weißem Laken, kauert Prof. Dr. Matthes Grebenhoeve – schwarz der Anzug und groß, wenn auch irritiert, das Selbstbewusstsein. Wenn er aufspringt und an seine Patientenkartei tritt, beginnt ein großer Erklär- und Verteidigungsmonolog.
Die Skepsis, die schon im Titel von Oliver Bukowskis Monolog "Der Heiler" deutlich wird, hat dieser Psychotherapeut, der sich als Koryphäe in der Königsklasse bezeichnet, gegenüber den Möglichkeiten seines Berufes selbst entwickelt. Erst einmal aber räsoniert er hochfahrend gegenüber dem Supervisor einer Ethikkommission, in deren Rolle das Publikum als Ansprechpartner gerät, über sein Fach. Der Autor führt uns dabei wie nebenbei in Grundbegriffe und Grundprobleme psychotherapeutischer Arbeit ein. Objektiv soll der ideale Therapeut sein, doch der Untersuchende verändert das zu Untersuchende und umgekehrt: Übertragung und Gegenübertragung sind die Fachbegriffe.
Der Grand Canyon der Psychoanalyse
Und die Behandlung von Borderline, der Spezialität des Professors, beschreibt dieser als den Versuch, "als wollte man den Grand Canyon mit einer Wasserpistole füllen. Nur ... der Grand Canyon hat einen Boden." Weshalb er auch schon zweimal den therapeutischen "Supergau" erlebt hat, bei dem der Patient nach einer Sitzung in den Suizid ging. Davon erzählt der Professor, während er andere beschimpft, die Situation seines Faches anklagend, und räsonierend kritisiert und sich immer wieder in sein auftrumpfendes Selbstbewusstsein zu retten versucht. Doch all dies ist Verteidigung, denn der Endsechziger ist nackt neben einer toten jungen Patientin gefunden worden, die Selbstmord beging.
Der 65-jährige Jörg Gudzuhn – seit 23 Jahren Mitglied im Ensemble des Deutschen Theaters, in der noch jungen "Ära" der Intendanz Khuon aber sträflicherweise nur einmal mit einer Rolle betraut (im Desaster Sein oder Nichtsein, was eher einer Bestrafung gleichkam) – wirft sich bei seinem Abschied als festes Ensemblemitglied mit Witz und Energie in seinen anderthalbstündigen Monolog. In einen Monolog, der wie die meisten Theatermonologe als Gespräch einer Person mit sich und vielen anderen eigentlich eine Dialogreihe ist.
Komödiantisches Feuer und sinnliche Kraft
Wunderbar entfaltet Gudzuhn die durch Selbstbewusstsein und berufliche Zweifel gleichermaßen gefestigte Eitelkeit eines Mannes, der seine Kollegen ("verstehen Sie mich?", "können Sie mir folgen?") runtermacht oder dabei oft von erklärender Ernsthaftigkeit in selbstverliebt komisch auftrumpfendes, bramarbasierendes Erklären wechselt. Wenn sich dieser Professor erinnert, dann denkt er sich vor uns direkt zurück in vergangene Situationen, indem er sie beschreibt und wertet. Gudzuhn spielt dies mit wenig gestischem Aufwand, meist gebückt in sich hinein denkend, die Pointen auskostend und genau platzierend.
Dabei gibt er Bukowskis gelegentlich weitschweifigem Text mehr komödiantisches Feuer und sinnliche Kraft, als man ihm bei der Lektüre zutraut. Zugleich bleibt Gudzuhn, durchaus ein Rampendarsteller in gutem Sinne, immer diszipliniert, ohne diesmal der Gefahr der komischen Kraftmeierei zu erliegen – was wohl Regisseur Piet Drescher zu verdanken ist. Wie Gudzuhn – ein Schauspieler mit Individualität und Variabilität innerhalb des teilweise recht austauschbar wirkenden neuen Männerensemble des Hauses – seine Figur gestaltet, das besitzt eine heitere Ernsthaftigkeit der besonderen Art.
Leben und Monolog: gerettet!
Wenn er von der Patientin Sophie Brettschneider, einer jungen, hoch erfolgreichen Frau mit Charme, Intellekt und "klasse Hintern" erzählt, dann besitzt das nichts Schlüpfriges. Auch sein Auffinden, nackt neben der Toten, ist allein einem menschlichen Verhalten geschuldet, wie der "Angeklagte" in berührender Verwirrung zu beschreiben weiß. Gudzuhn versinnlicht hier in der Schilderung seiner Patientin, was Bukowski zeigen möchte – dass nämlich der Heiler in unserer von Konturlosigkeit, "von Berufs- und Tätigkeitsbeschreibungen" und dem "Sterben biographischer Zusammenhänge und Zukunftsgewissheiten" bestimmten Zeit noch immer vor dem Patienten "weiterhin blind" stehe.
"Danke, Sie haben mir das Leben gerettet", sind die letzten Worte der Selbstmörderin zu ihrem gescheiterten Psychotherapeuten. Nicht gerade gerettet, aber doch mit viel darstellerischem Feuer zu großer Bühnenwirksamkeit gebracht hat Jörg Gudzuhn Oliver Bukowskis engagierten, aber nicht zu seinen stärksten Texten gehörenden Monolog.
Der Heiler
Monolog von Oliver Bukowski
Uraufführung
Regie: Piet Drescher, Bühne und Kostüm: Hans Jürgen Nikulka, Dramaturgie: John von Düffel, Licht: Ingo Greiser, Maske: Andreas Müller.
Mit: Jörg Gudzuhn.
www.deutschestheater.de
Mehr über den Dramatiker Oliver Bukowski erfahren Sie im nachtkritik-Lexikon.
"Ist es jemandem wie Gudzuhn, der bei Heiner Müllers achtstündiger "Hamlet"-Inszenierung (Premiere 1990) an Ulrich Mühes Seite spielte, zu verdenken, dass er angesichts der gegenwärtigen Bühnenkunst etwas Schwung einbüßt?", befragt Ulrich Seidler von der Berliner Zeitung (11.1.2011) den Abschied des Schauspielers aus dem festen Ensemble des DT in seiner als Porträt angelegten Rezension. "Was soll denn noch kommen, wenn man einmal erfahren hat, welche wirklichkeitserschütternde Relevanz Theater haben kann?" Der Bukowski-Monolog sei dabei durchaus so eingerichtet, dass man "den Mimen im Helden wahrnimmt", sprich: Gudzuhn in dem Prof. Grebenhoeve, der vor den "Ethik-Kommissaren" mit "souveräner Eitelkeit, auf ehrliche, angstlose Weise und ohne sich zu rechtfertigen" agiere. "Wie bei dem Dramatiker Bukowski nicht anders zu erwarten, bleibt der Monolog nicht in der Psychologie stecken. Er stellt die zutiefst politische Frage nach der Therapierbarkeit des Menschen in einer kranken Welt." Fazit: "Aufgeklärt über die Ausweglosigkeit der gesellschaftlichen und sozialen Entwicklungen, durchaus angefreundet mit dem Gedanken an die Möglichkeit, nötigenfalls Selbstmord zu begehen, und nicht zuletzt gebeutelt vom Abschiedsschmerz verlässt man das Theater. Und hat bei allem beste Laune."
Im Tagesspiegel (11.1.2011) verneigt sich Andreas Schäfer vor Text und Schauspiel: "So intelligent wurde lange nicht mehr aus und über die Psychowelt geschrieben. Bukowski imitiert mit beeindruckend präzise eingesetztem Fachvokabular den Analytiker-Jargon (und die zu Kalauern neigende Selbstironie der Zunft), aber eben nicht, um ihn (und sie) per se vorzuführen, sondern um erst einmal zu zeigen, was man mit ihm alles kann: Komplexe Beziehungen in Worte fassen, versteckte Kommunikationsstrategien aufschlüsseln." In den Verteidigungsreden des Professors werde so "begriffliches Licht in ein diffuses Emotionsdunkel" gebracht. "Die Dekonstruktion der Rhetorik geschieht dann sozusagen unter der Hand, über die 'Involviertheit' und Ohnmacht des Therapeuten" vor der toten Patientin Sophie Brettschneider. "Mit dieser Sophie gelingt Bukowski das berührende Porträt einer hochgebildeten jungen Frau aus Berlin 'Mitte', die an ihrer Klarsicht zugrunde geht und dem Therapeuten bis zum Schluss unergründlich bleibt." Jörg Gudzuhns Abschied vom DT werde mit diesem Monolog ein "kleiner Triumph, gerade weil Gudzuhn alles andere als triumphierend aufspielt."
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Diese Einteilung zwischen DDR-Theaterkulturhandschrift, also Ost, und Blutgeschmiere, folglich West, kann nicht Ihr Ernst sein. Wollen Sie uns damit tatsächlich immer noch die Perspektive der damaligen DDR auf den Westen als heutigen Blick auf die Realität empfehlen ?
Dass Ihre Haltung bis heute überlebt hat, ist tatsächlich beängstigend und Sie tun Herrn Gudzuhn mit Ihrer Äußerung keinen Gefallen.
Mr. Manu, ich bin erschüttert über Ihnen
Deshalb betrachte ich Thalheimers „Orestie“ als einen Höhepunkt meines Lebens. Leider war damals Gudzuhn nicht dabei.
Es lebe der Westen!
Heute bestimmen Intendanten mit Sicherheit ganze Besetzungslisten, es gibt da meiner Meinung nach keine sehr großen Unterschiede zu früher. Es ist traurig, das in Auseinandersetzungen mit der DDR-Zeit immer nur Mauer, Tote, und Stalinismus im Fordergrund stehen, so wird man nie zu einer vollständigen Aufarbeitung kommen. Das Theater ist auch nicht gerade Vorreiter in dieser Angelegenheit. Mit der Umsetzung von Tellkamps Turm hätte man eine Debatte anstoßen können, aber bei aller erkennbaren Mühe, beide Versionen in Potsdam und Dresden bleiben in mehr oder weniger plakativen Ansätzen stecken, kleben zu affirmativ am Buch, oder setzen den Fokus nicht auf die richtigen Stellen, die Chance ist vertan. Man zieht keine erkennbaren Schlüsse aus der sicher sehr angestrengten Arbeit.
Ach, und noch was zu Thalheimer, lieber Flohbär, der wird sich ja nun mit Hauptmanns Webern am DT auseinandersetzen, nach zwei Blutorgien bietet das Stück ja durchaus auch Stoff für eine Fortsetzung. Castorf (DDR-Theater?) ist 1997 bei seinen Webern an der Volksbühne, wenn ich mich nicht irre, noch ohne Blut ausgekommen. Nicht das mich Blut auf der Bühne stören würde, aber ich kann mich auch mal ganz entspannt hinsetzen und einem Schauspieler nur beim reinen Spiel mit seinem Körper und seiner Stimme zusehen. Das kann Jörg Gudzuhn und da freue ich mich schon drauf.
Könnte einer der Kommentatoren also vielleicht einmal die eigene Wahrnehmung zu Text und Inszenierung schildern, anstatt weiterhin "Kalter Krieg" zu spielen? Geht's beim "Heiler" um mehr als die proseminaristische Deutung des Wahnsinns nach Foucault, wonach über das gesellschaftliche Bewusstsein und die sozialen Institutionen ein dualistischer Diskurs mobilisiert wird, welcher "das Normale" über die Ausschließung des vermeintlich "Anormalen" kategorisiert? Und in Bezug auf das Theater weitergefragt: Brauchen wir das Theater als Heilanstalt oder als Ventil, um uns über den künstlerisch gestalteten Exzess auf der Bühne die dünne Decke unserer Zivilisation bewusst zu machen? In diesem Sinne: Der Blutrausch könnte möglicherweise Gutes wirken. Insofern er im Bereich der Kunst verbleibt. War / what is it good for / absolutely nothing.
@5
Beängstigend war wohl eher das Blutbad an Heiner Müller letzten Sonntag.
@7
Ein Hoch auf den Osten!
Ein Affront ? Nein. Aber sie alle in einem Atemzug zu nennen, ist aus anderen Gründen schwierig, ganz praktisch, weil sie nie gemeinsam auf einer Bühne standen, der Grashof, der Ganz, die Clever oder Frau Keller. Wem dies noch gelänge, wäre ein wahrer Held.
Ich träume immer von einer Penthesilea mit sehr alten Frauen, deren Leidenschaft eher eine Gedächtnissleistung ist; und in diesem Zusammenhang träume ich natürlich auch immer von einem sehr, sehr hohen Ton. Und da spielen Clever und Keller eine große Rolle, in diesem Traum...und viele mehr...aber wahrscheinlich ist dieser Traum längst ausgeträumt...Schade, sehr Schade...und selbstverständlich würde am Ende auch viel Blut fließen...gibt es das ? Ein reines West oder Ostblut ?
Wohl kaum.
vielleicht (weil es ein traum ist) dürfen dann wildgruber und andere verstorbene wieder auferstehen...ein bißchen wenigstens..für ein paar vorstellungen...
und:
blut ist blut ist blut...überall auf der welt...
auch im norden und süden, denn auch da gibt und gab es immer diese dummen abgrenzungskämpfe ... völlig unnötig, wenn dann der sarg ruft...sich eingebissen und zerrissen in wilden küsseen...
aber:
nein, der hohe ton ist nicht immer schön...würde mal vorschlagen: der passende, authentische ton mit einer hohen sprechkunst und musikalität bestückt...
Ich glaube die alten Griechen, Shakespeare und Schiller sprachen von niedergemetzelten Personen und geschändeten Leichen. Das muss dem Zuschauer aber nicht gleich fett als Bild vor Augen geführt werden.
Thalheimers „Einsame Menschen“, ein Stück mit der Beteiligung Gudzuhns, wäre für Sie das Maximum gewesen, Theater in Reinkultur gewissermaßen, ohne Blut, aber mit viel Sprache und Text. Hier gab es keine Gewalt, abgesehen davon, dass sich die Figur von Nina Hoss selbst gegen die Stirn haute. Das ist zumindest etwas fürs Gedächtnis: Gudzuhn inmitten von Paarungswünschen, Liebesgeflüster und existentieller Verlassenheit. Und niemand stellte sich die Frage, ob das Blut nur im Westen fließt. Es floss gar nichts, bestenfalls imaginäre Tränen.
ich habe heute Abend keine Minute an Ulrich Matthes oder irgendeinen anderen Schauspieler gedacht. Warum lassen Sie Jörg Gudzuhn nicht seinen Triumph? Die überwiegende Zustimmung des Publikums war eindeutig und galt vor allem seiner Person und überzeugendem Spiel. Matthes wird noch genügend Rollen am DT bekommen, alles zu seiner Zeit. Dieses Stück scheint Gudzuhn direkt auf den Leib geschrieben zu sein, ein Mann der niemandem mehr etwas beweisen muss. Da wird Matthes noch ein wenig bei Kimmig ackern müssen, um in so eine Rolle zu passen.
Gudzuhn spielt einen angesehenen und erfolgreichen Psychotherapeuten, dem ein Ruf als eine Art "Wunderheiler" vorauseilt, der nackt neben der Leiche einer ehemaligen Patientin aufwachte und sich nun vor einer Ethikkommission seines Berufsstandes rechtfertigen muss, einer Kommission, die er einst, so betont er nicht ohne Selbstgerechtigkeit, einst selbst gegründet hatte. Wie soviele Monologe ist auch dieser ein verkapptes Mehrpersonendrama. Dieser Prof. Grebenhoeve spricht nicht nur mit sich selbst, er steht vor einer unsichtbaren Kommission, die er anblafft, belehrt, mit einem hohen Maß an Selbstbewusstsein, auch Überheblichkeit, seine Überlegenheit spüren lässt, bis hin zur Verachtung. Und da sind seine Patienten, vor allem die, an denen er scheiterte, die den direkten Weg aus der Praxis in den Suizid wählten, und die in noch immer nicht loslassen, die ihn zur Auseinandersetzung zwingen.
Und so steckt hinter der selbstgewissen, großspurigen, souveränen, eitlen Fassade ein Therapeut, der erfahren musste, dass er nie nur Therapeut sein kann, sondern immer auch Mensch ist, und dass hierin die Wurzel alles Scheiterns liegt. Er durchschaut die falschen Gewissheiten seines Berufsstands, er verzweifelt hier an der Diskrepanz zwischen dem, was der Therapeut versucht und dem, was die Welt verlangt, er kennt die Grenzen des Möglichen und er hat erfahren müssen, dass nicht immer der Therapeut dem Patienten überlegen ist. Und so erzählt er seine Geschichte als eine Geschichte des Scheitern, eine Geschichte, die vor allem auch eine seiner toten Patienten ist, insbesondere jene der Sophie Brettschneider, die den Tod aus freien Stücken, in selbstbestimmter Entscheidung wählt, eine selbstbewusste, kluge, erfolgreiche Frau, die dem berühmten Professor die eigene Unzulänglichkeit vor Augen führt. Dabei wird die Psychotherapie nicht verdammt oder in die Nähe der Scharlatanerie gerückt, sondern auf Normalmaß, soll heißen auf menschliches Maß zurückgeführt, aus dem Halbgott wird wieder ein Mensch, nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.
Bukowski hat einen klugen, gut strukturierten Text geschrieben, der sich zwischen tiefer Ernsthaftigkeit, intelligentem Wortwitz und ehrlicher Selbstbetrachtung mühelos hin- und herbewegt. Und er hat in Gudzuhn einen Darsteller, der diese Wechsel mit einer Sicherheit, nein nicht darstellt, erlebbar macht, die nur als meisterlich bezeichnet werden kann. Schwelgt er zu Beginn noch ganz in seinem typischen spöttischen, musikalischen Tonfall, erweist er sich später als Meister vor allem der ganz leisen Töne. Von einer Sekunde auf die nächste wechselt er von brüllender Komik zu stiller, verzweifelter Ernsthaftigkeit, ohne Übergang, und trotzdem völlig natürlich. Und immer nimmt er das Publikum mit, wenn er die Höhen wie die Tiefen des Textes akzentuiert, ohne je zu übertreiben oder ins Karikaturstische abzudriften.
Bei ihm wird Bukowskis Text zur Auseinandersetzung mit der Fehlbarkeit, der eigenen, persönlichen, wie der eines ganzen Berufsstandes, bis hin zu jener unserer Gesellschaft. Und das alles ohne Plakativität, emotional, aber auch von rationaler Schärfe, fast ist dieser Grebenhoeve zu rational, sich aller seiner Handlungen, Fehler, Gedanken zu bewusst, seine Verzweiflug zu wenig akut, sondern immer schon reflektiert.
Gudzuhn gelingt eine große letzte Verbeugung, gerade weil er sich so zurücknimmt, so sehr als das Leise, Stille, Zerbrochene und gerade Zerbrechende zulässt. Das ist kein affirmativer Abschied und macht gerade dadurch die Lücke deutlich, die dieser große Mime hinterlassen wird. Nicht nur am DT.
http://stage-and-screen.blogspot.com/
Der "Heiler" ist leider bzw. "leider" ein Abend, den ich während meines Berlin-
aufenthaltes nicht werde sehen können; die Schlange ist lang, länger- als daß zwei Wochen reichen würden zu warten ...,
um da an eine Karte zu kommen, es sei denn, "man" spekuliert auf Rückgangskarten.
Weiß auch nicht, was der Ruf nach Herrn Matthes hier soll: der hat
keinen Mangel an Engagements, und Herr Gudzuhn muß sich gewiß nicht
vor ihm verstecken (für mich gehört(e) Herr Gudzuhn schon lange zu meinen Lieblingsspielern, nicht nur am DT): Ob einen Charakter von
"rationaler Schärfe" (wie Prospero hier schreibt) oder einen der "unüberbietbaren Torheit" (Gudzuhns Glanzleistung im "Tartuffe")- die Bandbreite an Möglichkeiten, die das Spiel Jörg Gudzuhns bietet, wird "man" nicht
oft finden: ihm ist von dieser Stelle aus alles Gute zu wünschen und uns, daß er sich hin und wieder dann doch noch einmal im Theater sehen läßt, ob vor oder hinter der vierten Wand. Möglicherweise bekommt er von Pollesch, ich hoffe, man wird diesen kleinen Einschub nicht als geschmacklos auffassen, ja das Angebot, als vierte Wand aufzutreten, um dann wie bei "Idioterne" von Lars von Trier den inneren Idioten freilassen zu können nach dieser großen, ungesund anmutenden Anspannung für so einen gedankenscharfen "Heiler" , gut, da müßte man sich dann freilich überlegen, ob man sich das antun möchte ...: die Zukunft wirds weisen,
und einen "Heiler"-Pokerkartenanlauf werde ich bestimmt letztlich
versucht haben, vielleicht mit einigem Glück !
Bleibt jetzt nur ebenso abzuwarten, hinsichtlich des Leistungsstandes des derzeitigen DT, was uns jetzt die "Weber" bringen werden (dafür habe ich immerhin eine 2.Rangkarte ergattern können, für die Montagsvorstellung, ... an der Kasse gab es dazu die Auskunft von hohen Bühnenaufbauten, einer regelrechten "Rangvorstellung", mag also sein, daß der zweite Rang wie gestern bei "Offside Rules" im Hau 1 einen ganz eigenen Reiz entfalten kann) - zur Zeit jedenfalls scheint "Der Heiler" das Sehenswerteste zu sein, was am
DT läuft, so mein Eindruck.
Die Kritik bescheinigt ja Oliver Bukowski ein eher schwächeres Stück, das sehe ich nicht so. Es ist da viel Wissen um zwischenmenschliche und auch gesellschaftliche Schieflagen versteckt, das wird aber gerade durch das Spiel von Jörg Gudzuhn sichtbar und es sind eben die leiseren Töne am Ende, die ein Einfordern eines verständnisvolleren und menschlicheren Umgangs miteinander verdeutlichen.
Viel Spaß noch weiter in Berlin und speziell bei den Webern im DT.
.
"geiler text", der die richtigen fragen stellt - dank des angebotes im dt (monolge von oliver bukowski, matthes & seitz) für mich auch erneut nachlesbar.
gudzuhn war gut.
natürlich könnte ich mir auch bruno ganz als erweckten, radikalen, typisch-narzißtischen therapeuten vorstellen, aber gudzuhn nahm ich die rolle (auch) ab. bravo!
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wie hälst du`s mit der ehrlichkeit?
wieviel mensch, wieviel professioneller mantel bist du?
welche gesellschaftlichen zustände de/stabilisierst du mit deiner tätigkeit?
fragen, die sich gewiß nicht nur "heiler" stellen sollten.
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ach ja: guter sound!
auch wenn der text tieftraurig und als zustandsbericht unserer (psycho-) gesellschaft tiefsinnig ist, so bringt bukowski mit seiner ironischen mundart mutmachende leichtigkeit in den (theater-) raum. sollte deutschland doch noch nicht verloren sein?
Gudzuhn zieht, wie man so schön sagt, alle Register: und schon da wirkt die Doppelbödigkeit des Stückes hinein: Zieht er wirklich "Register", und wenn ja, wem gegenüber: der Patientin therapeutisch, dem Publikum schauspielerisch, dem Publikum-Supervisor rhetorisch ???
Das Stück endet eigentlich mit einer Zumutung: "Noch Fragen" ?
Zu-Mut-ung !! Erinnern wir uns noch kurz daran, welch schwierige "Rolle" uns -dem Publikum- gleich zu Beginn zukommt: beste Schüler Grebenhoeves die einen, Quoten-Scharlatane die anderen, alle von uns, nach diesem ersten "Teile-und-herrsche", irgendwie Richter !
Erinnern wir uns an allerlei "verwandte" Situationen aus der Vergangenheit: an Tribunale ! Stellen wir uns einen Augenblick nur vor, zB. Milosevic endet seine "Verteidigungsrede" mit einem: "Noch Fragen ?".
Aber, da die Weltgesundheitsorganisation, wie die Stückeinführung von Herrn von Düffel informierte, "uns" das depressive "Zeitalter" erst ins Stammbuch geschrieben hat, betrifft uns das alles ganz direkt bzw. indirekt nicht minder wie das Jugoslawientribunal !
"Noch Fragen ?"
Zum Beispiel diese: Denkt jemand von uns zum Stückende und jetzt danach noch ernsthaft an die Möglichkeit, dieser Dr. Grebenhoeve zieht schlicht und ergreifend vor uns eine Show ab, um seinen Kopf zu retten, indem er gewissermaßen die Geschichte eines "erfolglosen Therapierungsversuches" schildert, bei dem er sich selbst als quasi Therapierter wiederfindet: "Diese Frau wird Ihnen gut tun", hatte schon der Vorzimmerdrachen des Professors gemutmaßt ??
Es scheint so, als hätte Gudzuhn hier allemal mit besagter Bandbreite, er spielte sie wirklich aus, "gepunktet" - die meisten Stimmen attestieren ihm hier, geläutert worden zu sein, vom hohen Roß der Halbgötterwelt auf das jähe Maß zwischenmenschlicher Beziehungen ! Bleibt die Frage, ob das nicht ein "vergifteter" Sieg, ein Pyrrhussieg wäre ?!:
"Ich fühle mich schuldig, und Ihr sprecht mich wieder nur frei".
Gut, das wird weder gesagt noch spricht allzuviel gegen die "Läuterungsversion"; andererseits geht mir der "Dialog" mit der Patientin andererseits wieder zu glatt über die Bühne, als daß da Eindeutigkeit herrschen würde: Immerhin dreht sich der Dialog in allererster Linie um die verschiedenen "Mittel", die der Therapeut hier ansetzt und die immer wieder frappierende Wappnung seitens der Patientin, die im "Hase-Igel-Stil" immer schon da ist- da wäre es nicht auszuschließen, den Monolog Herrn Gudzuhns als ebensolches Mittel zu verstehen in Richtung des Publikums, oder ??
Wieviel (Küchen-, Alltags-) Psychologie sind wir selbst bereit zu riskieren, um als berufene "beste Schüler" oder "Richter" unserer "Rolle" gerecht zu werden ? Und können wir das ??
"Angemessen, angemessen, angemessen" , Krieg: angemessen ???, hatte sich seine Patientin anläßlich einer Rede jener Ministerin, für die sie gearbeitet hatte, empört: "Die Ministerin gehöre eingeliefert !!" - stattdessen: ihre Einlieferung.
Nun ja, passierte in unserem Land dergleichen "Skandal", gewiß, das Arbeitsverhältnis bei der Ministerin wäre beendet: für eine zwangsweise Einlieferung der "Störfallsperson" würde das freilich nicht annährend hinreichen (aber gut, man kann sich das so hinbauen, daß die Ministerin noch tätlich angegriffen wurde zB., allerdings dann vermutlich wieder auf Kosten der Diagnose "Borderline" im übrigen), und gäbe es doch noch hinreichende Gründe, dann wären die späteren "Topplazierungen bei den Head-Huntern" allemal wieder sachlich fraglich ... .
Das macht für mich diesen Theatermonolog (zumal in der ersten Version durch Herrn Gudzuhn -es zog sich wohl hin, bis der Text frei zur Verfügung stand, Herr von Düffel sagte das im Einführungsteil ...-) zu einem guten und gelungenen, daß die Zweifel am Text(gehalt) quasi erst gesucht werden müssen, daß "man" gleichsam schon voll in der Wirkung des Abends steht, sobald "man" beginnt, erste Unklarheiten und Ungereimtheiten vermeint zu erkennen (im übrigen ist das meineserachtens bei "Klamms Krieg" von Kai Hensel sehr ähnlich der Fall).
Und der Heiler steht nicht minder in der Wirkung seiner Disziplin und seines Yul-Brynner-Wettstreites mit seinem Intimfeindkollegen:
Ist nicht der Schlüssel zu einer "Verurteilung" des Heilers nicht doch irgendwie darin gegeben, wie er die Akten seines Kollegen, mit gewechselter Umschlagfarbe, einfach fortgeschrieben hat ?
Wie ist "man" denn hier überhaupt auf die "Königsdisziplin" (Borderline) verfallen - der gestrenge Supervisor im Publikum dürfte sich jedenfalls schwer tun, aus dem Stückverlauf heraus 5 der 9 Kriterien für "Borderline", die im Stückbegleitheft aufgeführt sind, auf die Patientin zu beziehen !!
Warum sich durch das "mintgrüne Top" notwendig entlarvt sehen, wenn "man" hier nicht wirklich nur platteste Mittel zur Anwendung bringt: wäre dann nicht gerade ein lakonisches Durchhalten der Farbe angebracht, zumal die Patientin eine Vorgeschichte hat:
eine Überfliegerin offenbar !!!
Aber, diese konnte ihre Überflüge problemlos bis zum "angemessen, angemessen, angemessen" fahren ?, und bei all den vorherigen Leistungsabfragen und vorbildlichen -ablieferungen ihrerseits gab es keine (vergleichbaren) moralischen Verrenkungen ??: müßten wir nicht geradezu reflexartig so fragen, da die Patientin die Ministerin moralisch verkommen hieß: müßte nicht aus der Vorgeschichte dieser Frau, um nicht auch immer "Patientin" zu sagen ( Bukowski fängt das sehr gut ein) mehr herauszuholen sein, als beinahe mit ihren Zertifikaten uns ihre hohe Begabung und Sensibilität zu behaupten bzw. einfach nur zu beglaubigen ???, als uns mit "Ist aus einer Göbbelsrede von 1940 ..." möglicherweise wieder nur zu immunisieren, so als lese "man" lediglich, um sich gegen außen zu immunisieren ?!.
Immerhin, auch das kommt wohl zuweilen vor, daß "wir" so lesen, denke zunächst jedoch zweierlei:
1. Der Abend ist zu empfehlen, weil er bdergleichen Fragen -unverkrampft- evoziert, einen Sog entwickelt.
2. Es ist zu vermuten, daß es weitere Heiler-Inszenierungen geben wird (möglicherweise kann der UdK-Lehrgang für "Szenisches Schreiben" sich nun in der Tat an "Verurteilungsvariationen zum Fall Grebenhoewe" versuchen: die besten SchülerInnen Bukowskis)- wenn auch nicht so viele wie zum Klamm: ich hoffe es allemal..
Mia cruda sorte (Lass mich beweinen mein grausames Schicksal).....die Einleitung, passend zu dem Stück. Eine Performance besonderer Art.
Danke, Jörg Gudzuhn!