Redaktionsblog – Gisela May entert die Hanns-Eisler-Revue
Denken Sie an die Triolen!
Berlin, 16. Januar 2011. Gestern während der Premiere von Manfred Karges "Hanns-Eisler-Revue" am Berliner Ensemble (von der nicht weiter zu sprechen ist, weil mit platten Illustrationen und Verdeutlichungen der kommunistische Meister-Komponist entschärft und ins Schiebermützen-Milljöh verbannt wird): Gegen Ende der Pause stellte sich die legendäre Eisler-Interpretin Gisela May zwischen Bühne und Publikum, klein und unscheinbar, wehrte dem Scheinwerfer-Spot, der sich auf sie richten wollte und sprach: "Liebe Freunde".
Ganz offensichtlich handelte es sich um eine spontane Aktion der 86-jährigen Diva, die nun mit einer etwas ausufernden Anekdote begann und zunächst über Sinn und Wesen des Berliner Ensembles nachdachte, einer Bühne, auf der nicht nur gebrüllt worden sei (was sie stimmgewaltig illustrierte), sondern wo gerade die leisen Töne wichtig gewesen wären. Ihre Erzählung gipfelte in Eislers Ermutigung, der sie 1957 am Deutschen Theater an der Seite Ernst Buschs entdeckt hatte: "Das sollten Sie weitermachen!" Wie wir wissen, tat sie das auch.
Donnern aus der Intendantenloge
Gestern nun sollte Gisela May aber nicht mehr weitermachen. Schon nach ihrem an die wartenden Schauspieler gerichteten Hinweis, sie brauche nur zehn Minuten, wurde sie aus des Intendanten Claus Peymanns Loge heraus korrigiert: "Zwei Minuten, Frau May!" Davon freilich ließ sich die noch von Eisler persönlich instruierte Diseuse nicht beirren. Sie berichtete von den Proben zu "Schweyk im Zweiten Weltkrieg", als Eisler sie stets ermahnte: "Denken Sie an die Triolen!" Nun ermahnte sie Claus Peymann. "Jetzt geht die Premiere weiter, Frau May!", dröhnte es aus der Intendantenloge. Irritiertes Wispern im Saal, doch Gisela May fuhr mit dem Plaudern aus großen, längst vergangenen Zeiten fort.
Da griffen ein paar Zuschauer beherzt zum wirkungsvollsten aller Mittel: Als Frau May ein Satzschlusszeichen setzte, setzte herzlicher Applaus ein, der schnell zum Jubel anwuchs, sich stellenweise gar zu stehenden Ovationen aufschwang, und La May ehrenvoll zurück zu ihrem Platz geleitete. Diplomatische Schwarmintelligenz? Oder wurde hier ein kleiner Aufstand gegen den Terror des Zahnlosen durch die Konterrevolution aufrichtiger Ehrerbietung erstickt?
(Georg Kasch)
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Ihre kleine Glosse erschließt sich einem erst, wenn man dazu Ihre Kritik der Eisler-Revue lesen konnte. Dafür musste man sich aber gestern die Morgenpost kaufen, nun ist sie ja auch online. Schön, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, etwas mehr zur Abfolge und Darbietung der Songs zu schreiben. So wird der Abend auch für alle, die ihn noch nicht gesehen haben, relativ plastisch. Die leisen Zwischentöne des Selbstzweifels und die distanzierte Untertreibung waren ja noch nie etwas für den jetzigen Hausherrn des BE und alle dort laufenden Inszenierungen. Eher das Plakatieren, Aufbauschen, Schaumschlagen und Produzieren von jeder Menge heißer Luft. Nun, die May war zu ihrer Zeit auch keine Leise und Claus Peymann schmückt sich ja nicht umsonst mit ihr. Dass sie nun im Hause von Brecht den Mund verboten bekommt, ist aber schon sehr bezeichnend für die Ära Claus Peymanns. Vielleicht hätte sie dem "Zahnlosen" in der Intendantenloge mal das "Lied von der großen Kapitulation" vorsingen sollen. Das hat zwar Paul Dessau komponiert, aber es geht da auch mehr um den Text von Brecht und mit dem kennt sich Claus Peymann ja bestens aus.
Und sie marschiern in der Kapell
Im Gleichschritt, langsam oder schnell
Und blasen ihren kleinen Ton:
Jetzt kommt er schon.
Und jetzt: das Ganze schwenkt!
Wer denkt: Der Claus lenkt -
Keine Red davon!
Man muss Herrn Peymann nicht mögen. Einige halten seine Inszenierungen für abgeschlafft und spannungsarm, andere werfen ihm vielleicht vor, dass er sich in seinem Haus wie ein Diktator aufführt – immerhin scheint er eine Menge Ahnung davon zu haben, wie man ein großes Haus erfolgreich leitet und bedeutende Regisseure an sich bindet.
So wie ich die Auskunft von Kasch verstanden habe, hat Frau May die Pause der Revue genutzt, um unangekündigt das Wort zu ergreifen. Die Verdienste dieser betagten Dame mögen noch so groß sein, doch das entschuldigt keineswegs die Verzögerung der Premiere. Wer weiß, vielleicht hat da jemand wie auf glühenden Kohlen gesessen... Peymann hat die Diseuse, die den Augenblick zur wortgewaltigen Selbstinszenierung ergriffen hat, lediglich auf das Ende der Pause hingewiesen, freilich mit Nachdruck – aber bei Stefan wird daraus dann gleich ein Mundverbot. Man kann diese Szene auch anders interpretieren: der liberalen Gesinnung von Peymann hat es Frau May zu verdanken, dass sie in diesem musealen Plebs-Palais noch einmal einen beifallumtosten Auftritt genießen konnte.
Nun, wer Peymann nicht mag, wird immer etwas finden.
Da fällt mir nur immer das Sprichwort, von den bellenden Hunden ein. Der Reißzahn im Hintern der Mächtigen ist stumpf geworden, sie gehen im BE ein und aus. Die Inszenierungen dort tun keinem mehr weh, außer man ist selbst mit seinen ästhetisch Ansprüchen noch nicht ganz am Tiefpunkt der Massenunterhaltung angekommen. Wenn darin das Peymannsche Erfolgrezept verborgen liegt, ist ihm das vollauf gelungen. Das Peymann diesen ach so bedeutenden Regisseuren wie Peter Stein, Robert Wilson und wen immer Sie da noch meinen könnten eine Heimstadt gibt, ist also schon eine große Tat. Man könnte es auch einen Akt der Gnade nennen. Sie disqualifizieren das BE ja gleich selbst im nächsten Satz als museales Plebs-Palais. Also was haben diese Regisseure denn noch davon dort zu inszenieren, außer dass sie sich ein museales Denkmal nach dem anderen setzen? Was Gisela May betrifft, wird gewiss auch ein Quäntchen verletzter Stolz den Ausschlag für ihre Wortmeldung gegeben haben. Vielleicht hat sie als ehemalige Eisler-Koryphäe eben eine andere Vorstellung, wie man so einen Abend gestaltet. Dass Manfred Karge einen gewissen Hang zum clownesken hat, ist auch bekannt, es ist nicht sein erster Liederabend am BE. Um da eine genauere Beurteilung abgeben zu können, müsste man aber den Abend gesehen haben. Mit dem Einwand der fehlenden leisen Töne wird die May aber nicht ganz unrecht gehabt haben.
Ich würde gerne wissen, ob sie auch in ein Restaurant um jeden Preis rennen, von dem sie überzeugt sind, dass die Küche nicht in Ordnung ist.
Oh, ich vergaß, den Bernhard dürfen Sie sich sogar 5 Tage vor mir ansehen. Odeuvre werden am 12.02. im Akademietheater gereicht und den Nachtisch gibt es am 17.02. im BE. Claus Peymann kocht Einfach Kompliziert, servieren darf Gert Voss. Danach können wir uns ja bei Nachtkritik auf einen Digestiv treffen.
(...)
Als Theaterfreund machen Sie es sich nicht ganz leicht: Sie betrachten es wohl als selbst auferlegte Pflicht, zum Teil schwer verdauliche, fragwürdige Aufführungen aufzusuchen. Tatsächlich scheint für Sie das Leiden ein Faktor zu sein, der im Wesen des Theaters begründet liegt. Wahrscheinlich gibt es nicht wenige Menschen, die sich eine Veranstaltung nur deshalb ansehen, um die Bestätigung ihrer vorgefassten Skepsis zu erhalten und sich hinterher aufregen zu können. Für den Staat sind solche Leute ganz bequem: sie reagieren sich auf Nebenschauplätzen ab und laden ihre Frustration nicht bei wesentlicheren Einrichtungen ab.
Was würden Sie nun machen, wenn es Peymann auf die alten Tage gelingen würde, aus dem BE ein Wohlfühlcenter mit einer Serie von Meisterwerken zu errichten? Ganz wohl würden Sie sich dabei bestimmt nicht fühlen. Irgendwo muss man sich ja auskotzen können.
Hanns-Eisler-Revue
Als Schüler Arnold Schönbergs wurde Hanns Eisler zur prägenden Größe der Neuen Musik. Doch schon in früher Schaffensphase wendete sich der Österreicher gern lebendigeren Kunstformen zu.
Die Arbeiterbewegung der 20er- und 30er-Jahre animierte ihn zu zahlreichen Chorwerken und Kampfliedern. Zudem widmete er sich vermehrt der Bühnenmusik. In dieser Phase arbeitete er etwa mit Ernst Busch (Foto, links neben Eisler), Kurt Weill und natürlich Bertolt Brecht zusammen. Für Busch und Brecht wurde er zu deren wichtigsten Komponisten. Die Zusammenarbeit setzte sich zu DDR-Zeiten fort. Diese Revue präsentiert Lieder und Chorwerke nach Texten etwa von Tucholsky, Brecht und Mehring.
Reingehen!
Zuhören!
Anschauen!
http://www.tip-berlin.de/kultur-und-freizeit/hanns-eisler-revue
Herzlichen Dank für die Aufklärung, dass ein Theater kein Restaurant ist. Werde ich mir wohl aufschreiben müssen.
Allerdings bleiben sture und vorverurteilende Gedankenhaltungen da wie dort unverständlich. Wenn man Anstöße erwartet, sollte man sich auch für Anstöße offen zeigen. Ebenso wie den Reizen einer delikaten Küche. Mutwillig gepanzerte Abwehr (und das scheint mir noch ein höflicher Ausdtuck für die Hetze), die auf dieser Seite gegen Peymann und das BE abgezogen wird, lässt Ihren Anspruch an Theater und den Grund für Theaterbesuche zumindest umglaubwürdig erscheinen.
(...)