Auf dem Trödelmarkt der Gefühle

von Wolfgang Behrens

Berlin, 22. Januar 2011. Nach einer knappen Dreiviertelstunde taucht er erstmals auf, der abwesende Herr Odysseus. In einem kleinen Gelass, das sich über dem Bühnenhalbrund in der Rückwand auftut, gibt er für eine junge, sichtlich faszinierte Dame den abgezockten Kriegsveteranen, der schon alles erlebt hat. Abgeklärt und vielleicht etwas zynisch. Doch noch ehe er seine Heldentaten vor ihr zum Besten gibt, schaut Ernst Stötzner, der Odysseus-Schauspieler, etwas irritiert aus dem Gelass heraus und stellt eine ziemlich zentrale Frage: "Sag mal, was ist das hier eigentlich?"

Es wird nicht ganz klar, worauf sich diese Frage im Kontext der Situation bezieht, aber man ist doch geneigt, ihr beizupflichten: Ja, was zum Teufel ist das hier eigentlich? Denn was den Zuschauern im Saal C der Schaubühne dargeboten wird, ist augen- und auch ohrenscheinlich ein Sammelsurium, wie es disparater kaum sein könnte. Das beginnt mit der weitläufigen Bühne, auf der eine ganz und gar wirre Wohnsituation aufgebaut ist – ein mit schönem Steingut gedeckter Esstisch, ein abgeblätterter Kinderstuhl, abgewetzte rotbraune Ledersofaelemente, Garderobenschränke aus Metall, Duschzellen aus Plastikfolie, Kühlschränke verschiedener Bauart, ein antiker Schreibtisch, ein Hometrainer, ein von rotweißem Absperrband eingezäunter Sessel, Telefone aus den 60er Jahren, Telefone aus den 70er Jahren, Telefone aus den 80er Jahren und und und.

Prinzip Sammelsurium

Durch diese Trödelmarktatmosphäre bewegen sich ein paar Schauspieler, zwei Sänger und drei Musiker und spielen vorgeblich Claudio Monteverdis "Die Heimkehr des Odysseus". Das Sammelsurium-Prinzip freilich erstreckt sich auch auf das, was diese illustre Schar so von sich gibt: Textbrocken unterschiedlichster Herkunft schwirren durch den Raum – neben den Monteverdi-Texten sollen auch Péter Esterházy und Fernando Pessoa verwendet worden sein, ein Großteil jedoch ist wohl das Ergebnis von Improvisationen.

Und immer wieder wird gesungen und musiziert: von Gitarre, Klavier und Keyboards wundersam verfremdete Monteverdi-Klänge kippen dann plötzlich in Salonmusik, die Geigerin Nurit Stark spielt berückend schön einige Variationen aus der d-Moll-Chaconne von Bach, oder das ganze Ensemble vereinigt sich zum Madrigal "Lasciate mi morire". David Marton, der als Regisseur für den Abend verantwortlich zeichnet, lässt seine Darsteller munter von Bruch zu Bruch voranschreiten: Während hier eine elegische Stimmung versandet, lauert dort schon der nächste Gag. Das Ganze scheint eine Veranstaltung ohne jede Mitte zu sein. Oder etwa nicht?

Glutrest am Grunde der Depression

Die Mitte fehlt tatsächlich: Odysseus fehlt, und das seit immerhin 20 Jahren. Was Marton und sein Team mit ihrem flirrenden, mal albernen, mal sentimentalitätstrunkenen Gemisch erzählen, ist die Geschichte dieser 20-jährigen Abwesenheit. Und je weiter die zweistündige Aufführung voranschreitet, desto mehr gewinnt man den Eindruck, dass sie einem geheimen Rhythmus folgt: einer in konzentrischen Wellen sich ausbreitenden Dramaturgie des Wartens. Im Mittelpunkt steht dabei Penelope, die mehrfach darauf besteht, dass man endlich einmal nicht nur von Odysseus berichten solle: "Meine Geschichte müsste man erzählen!"

Jule Böwe liefert mit dieser Penelope eine beeindruckende, eine große Studie ab. Beklemmend zeichnet sie das Bild einer Frau, die sich längst selbst entglitten ist. Zwar lässt sie sich routinemäßig von den Freiern umgarnen, doch wenn sie schütter und kurzatmig ein paar Takte Monteverdi singt und dabei mit ihren Händen herumstochert, als gehörten sie nicht zu ihr, dann gewahrt man die Abgründe ihrer Depression. Leeren und stumpfen Blickes erinnert sie sich an Odysseus, dessen Schuld es ist, dass sie ihr Leben buchstäblich verpasst. Nur ab und an zeigt ein plötzlicher Augenaufschlag oder ein hysterischer Ausbruch, dass auf dem Grund dieser Figur noch ein Glutrest glimmt.

"Wo ist Papa?"

Auf der anderen Seite steht Telemach, der vaterlos erwachsen werden muss. Matthias Matschke – endlich ist dieser Ausnahmekomiker wieder auf einer Bühne zu sehen! – spielt ihn als einen furios-kuriosen Ausbund an Komplexen. Anfangs springt er – "Wo ist Papa?" – seiner Mutter auf den Schoß und nuckelt an ihrer Brust. Später leitet er eine ziemlich schräge Truppe, die ein Odysseus-Branding zu entwickeln versucht – ein erster Versuch zur Abnabelung von dem großen Abwesenden. Letztlich gelingt es Telemach nicht: seine Selbstbeweise scheitern regelmäßig und münden dann in Schmoll-Grimassen höchster Güteklasse.

Am Ende kehrt Odysseus heim, und alles bleibt, wie es war. Die Leere Penelopes und die Neurosen Telemachs kann kein Deus ex machina einfach vergessen machen. Zumal Ernst Stötzner als Heimkehrer selbst höchst befremdet und ohne erkennbare Regung auf seine Familie blickt. Wie an den antiquierten Möbeln auf der Bühne, so ist auch an den Gefühlen der Figuren der Zahn der Zeit nicht spurlos vorübergegangen: Nur Trödelemotionen sind noch übrig.

Von der Detailfülle und musikalischen Fantasie dieses Abends, von den präzise gebauten Stimmungen, von dem seltsamen Instrument der Opposaune und von vielem mehr gäbe es noch einiges zu erzählen. Doch man schaut und hört am besten selbst. Es bleibt Odysseus' Eingangsfrage: Was ist das hier eigentlich? Schwer zu sagen. Jedenfalls etwas ganz Besonderes.

 

Die Heimkehr des Odysseus
nach Claudio Monteverdi mit Texten von Homer, Giacomo Badoaro, Péter Esterházy in einer Fassung des Ensembles
Regie: David Marton, Bühne und Kostüme: Alissa Kolbusch, Musikalische Leitung: David Marton, Kalle Kalima, Michael Wilhelmi, Dramaturgie: Florian Borchmeyer, Licht: Erich Schneider.
Mit: Thorbjörn Björnsson, Niels Bormann, Jule Böwe, Franz Hartwig, Theresa Kronthaler, Matthias Matschke, Ernst Stötzner, Kalle Kalima/Kai Brückner (Gitarre), Nurit Stark (Violine), Michael Wilhelmi (Piano).

www.schaubuehne.de

 

Zuletzt beeindruckte David Marton die Nachtkritiker mit Die Krönung der Poppea in Hamburg (Oktober 2010) – "ein musiktheatralisches Abenteuer, für das die Hamburger das Thalia Theater eigentlich stürmen sollten", schrieb Michael Laages – und Harmonia Caelestis in Wien (November 2009) – für Georg Petermichl verflogen die zwei Stunden im "musikalischen Rauschzustand".


Kritikenrundschau

Wer Claudio Monteverdis Oper liebt, werde "vieles von dem, was dort ausgiebig verhandelt wird, vermissen", meint Jürgen Otten in der Frankfurter Rundschau (24.1.2011). David Marton dekonstruiere und paraphrasiere Monteverdi "beinahe bis zur Unkenntlichkeit. Es fehlt, natürlich ganz bewusst, über weite Strecken der erhabene Ton der Musik, es fehlen die ebenfalls erhabenen Gesten der Innigkeit. Und vor allem: Es fehlen die Götter." Ohne Götter aber sinke "die Fallhöhe, bis ins Nivellierende. Denn wo kein Oben ist, keine Hierarchie, wird das Unten gefährlich monochrom. Dem entkommt auch Marton nicht." Indem der Regisseur die Figuren karikiere und "jedem von ihnen eine unteleologische Existenz einschreibt, wird die heroische Dimension so unterschritten, dass man sich weitestgehend in einer Komödie mit marthalerisierenden und hermanisierenden Elementen wähnt - mit dem Unterschied allerdings, dass die Schauspieler bei Christoph Marthaler und Alvis Hermanis ihre eingeübten strukturellen Sterotypien stringenter verfolgen."

"Da das Warten als Dauerzustand sich ja eher kreisförmig in die Breite zieht als durch lineare Zielstrebigkeit und Logik aufzufallen - so hat sich Marton wohl gedacht - müssen den Improvisationsgelüsten des Ensembles auch keine künstlichen Grenzen gesetzt werden", schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (24.1.2011). "Sicher: Die Kunst des gebürtigen Ungarn, große Opern nicht bloß auf etablierte Sprechtheaterbühnen herunterzubrechen, sondern sie intelligent und unterhaltsam aus neuen Perspektiven zu erschließen, ist auch an diesem Abend zu beobachten." Wenn sich etwa "kanonische Klänge immer wieder denunziationsfrei am Zeitgeist brechen, entstehen fruchtbare Verfremdungen." Bei Marton würden aber auch "Marthalers witzig-melancholische Verlangsamungschoreografien in einer eigenwilligen Reduktionsform" durchschimmern, vieles wirke zudem beliebig: "Um diese Beliebigkeit - was ja theoretisch möglich wäre - genießen zu können, sind Ideen wie die PR-Firmensitzung zur Marke Odysseus nicht originell genug, zumal über die Dauer von zwei Stunden. Schade."

Dirk Pilz hat für d
ie Berliner Zeitung (24.1.2011) einen "denkwürdigen Abend" gesehen, "der sich nicht auf Odysseus als den zu verehrenden oder zu demontierenden Helden konzentriert, sondern auf die Fliehkräfte des Wartens selbst, die zersetzende Energie vergehender Zeit." Der Abend gehorche "dem Eklektizismus, dem Zitat und der Andeutung. Aber er verliert sich nicht darin, er ist eher wie ein Schwamm, der höchst verschiedene Stile, Musiken, Texte aufsaugt und als sehr eigenwilligen Kosmos wieder ausschwitzt." Es brauche "für diese Musiktheaterinstallationskunst des David Marton neue Begriffe; Flockenästhetik bietet sich an. Denn Marton verwirbelt Musik und Text, Figuren und Melodien zu einem mitreißenden Sturm aus tanzenden Szenen- und Tonflocken. Das ist berauschend, berührend, herz-, geist- und seelenerweiternd wie wenig sonst im Gegenwartstheater. Und es ist voller Komik und Traurigkeit." Pilz differenziert zudem zwischen Marthaler und Marton: Bei Marthaler scheine "die Musik aus den Figuren auszubrechen, sie wird aus Gesten zu melodischer Gestalt. Bei Marton dagegen ist sie von postmetaphysischen Weihen: Sie überfällt die Figuren, überrumpelt sie, nimmt sie in Beschlag." Marton zeige "eine Flockenwelt in Auflösung, in der die Musik der letzte, aber unhintergehbare Haltepunkt ist."

In der Süddeutschen Zeitung (1.2.2011) schreibt Till Briegleb (und wieder Mal denkt man lange Zeit: uhuhjuijui, das geht nicht gut aus, das geht ganz bestimmt nicht gut aus): Marton habe eine "Sehnsucht nach Langeweile", er glaube, dass sich "in Nichtstun die größten Genies verkleiden". Das habe er von seinem Lehrmeister Christoph Marthaler, "dessen Stücke er so lange musikalisch eingerichtet hat". In der Schaubühne habe er nun ein "Schrullen-Observatorium" geschaffen, in dem "das Warten der Geistesblitz" sei (noch immer denkt man: au weia, wenn er die jetzt bloß nicht verreißt. Aber - -:) Till Briegleb schreibt: natürlich seien in diesem "Wartesaal der Gefühle" Martons "Ahnen" Christoph Marthalers Exzentriker, Wim Wenders' "Beziehungsmelancholie" und "vor allem" Frank Castorfs "zorniger Humor". Die "konsequente Neuverwertung eines Opernstoffs" als "Collage moderner Überforderung" erweise sich als "sehr origineller Versuch", der Oper das Theater "beizubringen". Marton gelinge eine "unterhaltende" Arbeit in "bizarrer Schönheit". (Uff, Glück gehabt. - jnm)

Kommentare  
Odysseus, Schaubühne Berlin: langweilg
2:30 Stunden Langeweile
Odysseus, Schaubühne: rätselhaft
Rätselhaft. Ein Viertel Homer, ein Viertel Monteverdi und zwischendurch viel Surreales: ein Penelopes Sehnsüchte erklärender Physiker, ein Suppe kochender Gitarrist, eine Violinistin im Schwestern-Kittel, Telemachos als Muttersöhnchen und Penelope in Dauer-Neurose.

Odysseus/Stötzner dann sehr schön als "lonesome cowboy", der in der Gegenwart der Aufgeregten nie ankommen wird. Beeindruckend auch die Schauspielerei der Sänger/Musiker wie Gesang/Musik der Schauspieler.

Nur warum das alles? Ein wenig Erklärung hätte gut getan...
Odysseus, Schaubühne: wider die stur linearen Spießer
ein bezaubernder, wunderschöner theaterabend und mehr bilder, mehr phantastie und rhythmus und musik und charme und witz als die stur linearen stadttheaterspießer in 15 spielzeiten hinbekommen werden. hoppsassa!
Odysseus, Schaubühne: geht unter die Haut
Ein Abend zum träumen, stauen, schauen und grübeln. Hier wird nichts erklärt, oder aufgezeigt - es liegt im Auge und in der Fantasie des Betrachters in den poetischen Strudel aus Musik und Szene, Oper und Schauspiel, Homer und Gegenwart einzutauchen. Aktives Zuschauen auf ein lebendiges Kaleidoskop aus Kunst und Schönheit, im Gegensatz zum anonymen Beobachten, ohne Gefahr der Einmischung. Der Abend geht unter die Haut - an die Persönlichkeit.
Heimkehr des Odysseus, Berlin: Man möchte endlich Monteverdi sehen
Unverbindlicher geht es kaum!
Von Monteverdi bleibt nicht viel übrig in den 120 Minuten, die uns Marton da beschert, ein paar Bruchstücke nur, und die rar gesetzten musikalischen Höhepunkte des Abends sind denn auch nicht von Monteverdi, sondern von Bach. Es hätte dem Abend gut angestanden, die Bezüge zum "ritorno d'ulisse" vollständig zu kappen und einen Abend zu gestalten unter dem Motto: Warten auf, naja, diesmal eben nicht Godot. So, wie das in der Schaubühne abläuft, ist es eher ein Etikettenschwindel als die Brechung einer historischen Vorlage. Teilweise überzeugend gesungen und gegeigt, insgesamt aber kaum mehr als ein beliebiges Durcheinander. Man möchte nach diesem Abend endlich Monteverdi sehen.
Die Heimkehr des Odysseus, Berlin: Wie bastele ich einen Mythos?
Schauspiel-, Musik-, Regie- und Literaturstudenten aufgepasst! David Marton ist an der Schaubühne zu sehen, unbedingt hingehen, da könnt ihr was lernen. Da wird noch richtig zitiert, nicht so lasch wie bei der andcompany und ihrem „Lenz im Loop“. Hier steppt Homer und nicht der Bär, das gibt was her. Und wie geht das? Zuerst müsst ihr mal eure versiffte Studentenbude etwas aufräumen und die Pizzareste vom Herd kratzen. Es wird bio-italienisch gekocht und viel gerannt, denn ihr müsst fit sein. Den Rest für die Performance bekommt man auf dem Trödel am 17. Juni. Es werden benötigt: ein Dutzend alte Telefone, ein Hometrainer, rot-weißes Absperrband, ein Overheadprojektor, eine Marcel-Duchamp-Monografie und natürlich Bach- und Monteverdi-Platten. Wie man die digitalisiert oder zerscratcht, zeigen euch sicher Kalle Kalima und Michael Wilhelmi.
Gesangsunterricht zu nehmen wäre von Vorteil, ist aber nicht zwingend erforderlich. Unablässig ist aber das Studium folgender Philosophen: Jaques Derrida, wegen dem Dekonstruieren, Gilles Deleuze, wegen dem Anti-Ödipus und natürlich Kenntnisse zum Psychoanalytiker Félix Guattari, wegen der Wunsch- und im übertragenen Sinne der Jungesellenmaschine (siehe Duchamp). Puh, ganz schön anstrengend, zur Erholung trällert ihr dann einfach mal einen Blues oder geht zur Schizo-Analyse. So, danach geht es frisch an die Lektüre von Franz Kafka, Fernando Pessoa und Péter Esterházy. Es handelt sich nämlich wieder mal um Überväter und Söhne, die mit deren Mythos nicht klarkommen. Deshalb veranstaltet ihr auch sofort ein Brainstorming zum Thema: Wie bastele ich an einem Mythos? Vorzugsweise am eigenen natürlich.
Wer danach noch kindisch und doof nach Vati fragt, wird sofort von Mutti zum Zähneputzen und ins Bett geschickt. Ohne weibliche Begleitung versteht sich, davon könnt ihr die nächsten Jahre vielleicht mal träumen. Den ödipalen Komplex dürft ihr aber getrost vergessen, denn irgendwann ist Vati wieder da, ein alter Loser im Marlon-Brando-Look, mit dem eh keiner mehr gerechnet hatte. Ach so, das Stück heißt übrigens „Die Heimkehr des Odysseus“ auch als Oper „Il ritorno d’Ulisse in patria“ von Claudio Monteverdi (1567-1643) bekannt. Wer ist denn nun dieser Odysseus wieder? Das ist der einzige, der nicht singen, dafür aber richtig auf der Opposaune spielen kann. Und wer jetzt etwa noch fragt, „Wo is`n eigentlich Monteverdi?“, der wird sofort vom Regieteam vom Platz gestellt und muss vorzeitig zum Duschen. Wem das irgendwie zu hoch ist, dem empfehle ich den Besuch eines Marthaler-Abends, nur so`n fluffig, flockiger Nachahmer.
Die Heimkehr des Odysseus, Schaubühne: Macht eure Schubladen zu - und sehet!
5. doc und 6. stefan mit seiner sehr bemühten "satire" und auch einige der kritiker stört offenbar vor allem dass auf der aufführung monteverdi "heimkehr des odysseus" draufsteht. weil sie halt eine aufführung des werkes erwarten. nun kommt da etwas völlig anderes, etwas sehr schönes, und sie sperren sich, weil sie ihren monteverdi möchten. kann ja sein dass die schaubühne da ein bisschen etikettenschwindel betreibt, na und? ist trotzdem ein toller abend. und die dauernden marthaler-vergleiche sind auch doof. es gibt ähnlichkeiten, geschenkt! aber macht doch mal eure schubladen zu und guckt und hört einfach hin: dann seht ihr, dass da auch ganz andere sachen als bei marthaler ablaufen. bei euch leuchten nur die lampen monteverdi und marthaler, und dann macht ihr zu.
Die Heimkehr des Odysseus, Berlin: ein Marthaler-Mix ist ehrlicher
@ bassotto
Ich bin ja nicht ganz blöd, dass da was anderes kommt als nur Monteverdi, ist mir schon klar. Das war ja nicht der erste Marton-Abend. Aber was dann kommt, öffnet bei mir gar nichts, es ist nicht mal irgendwie originell. Wenn es denn unbedingt Musik sein muss, dann ist so ein Marthaler-Mix ehrlicher, als das bemühte Dekonstruieren irgendeiner Oper. Aber dafür müsste man dann auch die entsprechenden Ideen haben und die hat Marton hier sichtlich nicht. Ungefähr zwei Drittel der Leute weiß nicht so recht, was da eigentlich abläuft, also muss es ja große Kunst sein, wenn es nicht mal die Kritiker richtig erklären können. Ich zitiere hier jetzt nicht den flockigen Herrn Pilz, sondern Herrn Behrens: „Was ist das hier eigentlich? Schwer zu sagen. Jedenfalls etwas ganz Besonderes.“ Oder aus dem Rieger-Thread: „Nur Frau Rieger geht ihren Weg weiter - und nie wird sie uns wissen lassen, ob sie ein Genie oder ein Scharlatan ist. Toll!“ Vielleicht sperre ich mich eher ein wenig dagegen, als gegen Martons Konzept. Es ist ja nicht so, dass ich mich nicht auch streckenweise gut amüsiert habe, aber auf Dauer fallen einem dann doch die Augen zu und man wünscht sich eine schöne Einschlafmusik, zum Beispiel eben etwas Monteverdi.
Heimkehr des Odysseus, Berlin: schön melancholische Kritik
Wow, sehr schön (irgendwie melancholisch) geschriebene Kritik. Das muss ich mir ansehen.
Heimkehr des Odysseus, Berlin: Duchamps Junggesellenmaschine
Jule Böwe als Penelope schreibt sich in die (patriarchal bzw. männlich konstruierte) Geschichte ein bzw. löscht diese aus - wunderbar! Welch lieblich-schroffe Töne ihren süßen Lippen entspringen, während Gitarrist Kalle Kalima Karotten zerhackt. Aua, Mann.

Mir erzählte einmal jemand, dass Martons "Lulu" ziemlich sexistisch ausgefallen sei. Hier davon allerdings keine Spur, im Gegenteil: Die männliche Spezies als verklemmt-verkopfte bzw. vertrottelte Vollpfosten, welche weder der Frau noch ihren eigenen Trieben mit vereindeutigenden wissenschaftlichen bzw. sprachlich konstruierten Welt- und Selbsterklärungsmodellen beikommen können. Denn da ist immer etwas, was sich dem rationalen Zugriff entzieht. Und genau daraus entsteht - KUNST. MUSIK.

Wir brauchen die Götter und wir brauchen sie auch wieder nicht. Denn sie sind für uns (Söhne und Töchter) keine Vorbilder, sondern vielmehr ewige Bilder des unperfekten, brüchigen Menschlichen. Wir erfinden Götter, weil wir Sehnsucht nach einem höheren Sinn haben, nach etwas, was größer ist als Jalousie und Porno in Fernsehsoap und Internetlivestream. Wir brauchen Raum für die Imagination.

Warum das alles? Na ja. Duchamps Junggesellenmaschine hin oder her. Ewige Junggesellen neigen zu absonderlichem Verhalten. Und ewig hinter dem Absperrband der Liebe wartenden Frauen steht die Verachtung ausserordentlich gut. Sie wollen keine (fliegenden) Mätressen mehr sein, hoppala. Und davon abgesehen: Es geht nur zusammen. Singe, wer noch singen kann.
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