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Alles misslang mir, sogar mein Tod!

von Dina Netz

Bochum, 29. Januar 2011. Cyrano de Bergerac ist ein tragischer, romantischer Liebender und damit eigentlich eine perfekte Bühnenfigur. Denn dieser Cyrano, Erfinder, Freidenker, Dichter und Soldat, liebt seine Cousine Roxane. Wäre da nicht sein wenig ansprechendes Äußere, speziell eine enorm hervorstechende Nase: so wagt Cyrano es nicht, sich Roxane zu offenbaren. Die liebt ohnehin den jungen, schönen Christian. Dem allerdings mangelt es nicht nur an Intelligenz, sondern auch an der Fähigkeit, seine Gefühle in schöne Sätze zu kleiden, um Roxane mit heißen Briefen zu umgarnen. Der auf diesem Gebiet deutlich talentiertere Cyrano übernimmt diesen Dienst dann nur zu gern für ihn.

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Der Bochumer Cyrano Armin Rohde ©Arno Declair

Und Roxane erliegt der Poesie der Liebesbriefe. Ihr mutmaßlicher Autor Christian fällt kurz darauf auf dem Schlachtfeld. Roxane trauert um die geliebte, schöne Seele, die sich ihr in den Briefen offenbarte. Doch erst am Tag seines eigenen Todes offenbart sich Cyrano Roxanne als ihr eigentlicher Urheber. So weit das Stück von Edmond Rostand, das Jean-Paul Rappeneau 1990 mustergültig verfilmt hat und dessen von Gérard Depardieu mit Verve und Herz gespielter "Cyrano de Bergerac" seither die Messlatte für alle Aufführungen ist.

Kein Illusionsspielraum

Szenenwechsel Bochum, wo nun Katharina Thalbach das Stück inszenierte. Mit dem auf die Bochumer Bühne zurückgekehrten Schauspielstar Armin Rohde in der Titelrolle. Und das sieht dann so aus: Zwei rückwärts gehende Männer stoßen mit den Hintern aneinander. Armin Rohde als Cyrano tanzt zu Roxanne von Police. Als Cyrano am Schluss stirbt, schwebt ein Rohde-Double mit Ballons um den Bauch am Himmel. Thalbach erspart den Zuschauern in ihrer Inszenierung keine Regie-Plattitüde. Damit auch wirklich kein Illusionsspielraum mehr bleibt, geht der Mond im Hintergrund auf, wenn Cyrano seine "Reise zum Mond" schreibt. Als Cyrano unter Roxanes Balkon dem verbal ungeschickten Christian poetische Liebesschwüre souffliert, wird das sicherheitshalber mit romantischer Musik unterlegt. Christian muss Cyrano sogar ans Knie fassen und eine homoerotische Beziehung der beiden nahelegen – der Zuschauer könnte sich ja sonst langweilen.

Regisseurin Katharina Thalbach scheint also Edmond Rostands Text nicht zu trauen – ausgerechnet diesem Text, in dem es um die Kraft der Worte geht! -, deshalb macht sie aus der eleganten, ironischen Reflexion über Liebe und Ehre eine platte Boulevardkomödie. Die stereotypen Kostüme unterstützen den Eindruck: Die Männer tragen alle Schnauzer, Kniebundhosen und Stiefel, die Frauen Ballkleider und breitkrempige Hüte. Die Schauspieler überbetonen die Reime und ihre Rollen so, dass die geistreichen Wortgefechte zwischen Cyrano und seinen Gegenspielern darunter in die Knie gehen. Nadja Robiné als Roxane tritt auf wie eine verzogene Zicke, die an die Männer willkürlich irgendwelche Forderungen stellt (schöne Briefe); Nicola Mastroberardinos Christian drückt – wie die meisten anderen – seine Ergriffenheit durch viel zu große Gesten und zu viel Geschrei aus. Weniger wäre auch hier mehr gewesen.

Und dann kam doch etwas Glanz auf

Für die Bühne immerhin hat Ezio Toffolutti schlichte, schöne Einfälle gehabt: Die Treppe, die anfangs als Showtreppe fungiert, wandelt sich zum Podest. Der Kasten, aus dem plötzlich eine Küche ausklappt, wird später zum Balkon und noch später zum Kloster, in das sich Roxane zurückzieht. Warum Choreograph Danny Costello allerdings vier Küchenhilfen und den Koch Ragueneau anleitete, eine Art Kochrezept-Rap mit Pfannen und Holzlöffeln zu tanzen, weiß nur Katharina Thalbach. Klaus Figge hingegen, der die berühmte Duellszene am Anfang des "Cyrano de Bergerac" choreographierte, hat mit den Schauspielern wie immer Beachtliches erarbeitet, zumal Ronny Miersch sich bei der Generalprobe am Knie verletzte und bei der Premiere langsamer gefochten werden musste.

Schauspielstars sind oft problematisch für Inszenierungen, weil sie sich häufig nicht gut ins Ensemble einfügen. Bei diesem "Cyrano" ist das ein Glück, denn Armin Rohde lässt sich als Einziger nicht auf die outrierte Sprechweise ein, sondern spricht die Rostandschen Reime mit unterschnittener Beiläufigkeit, so dass sie zumindest in Rohdes Passagen ein wenig Glanz entfalten können – er zumindest muss den Vergleich mit Gérard Depardieu und dem Rappenau-Film nicht scheuen. Die Balkonszene, in der Cyrano Christian die schönen Worte für Roxane zuflüstert, ist sogar ziemlich ergreifend.

Aber auch Armin Rohde kann nichts dagegen ausrichten, dass die Nonnen in Roxanes Kloster seinem Cyrano am Schluss den würdigen Abgang verderben, indem sie wie ein Haufen aufgeregter Hühner um ihn herum gackern. Der Satz "Alles misslang mir, sogar mein Tod" bekommt so eine unfreiwillig komische Wendung. Diese brachialkomische Nummern-Revue hat Cyrano de Bergerac nicht verdient.

 

Cyrano de Bergerac
von Edmond Rostand
Regie: Katharina Thalbach, Bühne & Kostüme: Ezio Toffolutti, Musik: Emanuel Hauptmann, Kampfchoreografie: Klaus Figge, Tanzchoreografie: Danny Costello, Licht: Jan Bregenzer, Dramaturgie: Sabine Reich.
Mit: Armin Rohde, Nicola Mastroberardino, Bernd Rademacher, Krunoslav Šebrek, Roland Riebeling, Werner Strenger, Nadja Robiné, Friederike Becht, Dimitrij Schaad, Ronny Miersch, Katharina Bach, Anna Döing, Lars Fabian, Christoph Gummert, Johannes Kienast, Pina Kühr, Adrian Thomser, Johanna Wieking.

www.schauspielhausbochum.de


Armin Rohde, 1955 in Gladbeck geboren und in Wuppertal aufgewachsen, ist Absolvent der Essener Folkwangschule. Während der Intendanz von Frank-Patrick Steckel gehörte Rohde zum Ensemble des Bochumer Schauspielhauses, auf dessen Bühne er nun als Gast zurückgekehrt ist. Alles über Katharina Thalbach auf nachtkritik.de hier.

 

Kritikenrundschau

Katharina Thalbach gehe den "Cyrano de Bergerac" an, "als müsste ihre Inszenierung nicht Jean-Paul Rappeneaus grandiosem Film mit Gerard Depardieu, sondern einem Kostümschinken von annodunnemals das Wasser reichen". Andreas Rossmann lässt in der Frankfurter Allgemeinen (31.1.2011) an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: "Ranschmeißerisch und ironieblind humpelt die Geschichte (...) durch die altbackenen Opernbühnenbilder von Ezio Toffolutti. Die Aufführung wirkt so knollig aufgesetzt wie die Nase im Gesicht von Armin Rohde, der die Tragikomik des Minnesängers hinter dem Haudegen mit gönnerhaftem Selbstmitleid und hemdsärmeliger Routine ausbremst: Einäugiger König einer Boulevardklamotte".

Katharina Thalbach ziehe im "Cyrano" "alle angestaubten Regie-Register", und Ezio Toffoluttis "historische Garderobe und handgemachte Kulissensymbolik" ließen "nicht nur Roxane alt aussehen", meint Vasco Boenisch in der Süddeutschen Zeitung (31.1.2011). Statt Selbstironie gebe es "krachledernen Klamauk", die Figuren seien "Laffen und Lackaffen oder Tumbe und Toren, und stets in ihrer Mitte: der kleine Mann mit der langen Nase. Armin Rohde haben sie einen besonders knubbeligen Zinken angeklebt. Rohde ist ein Zampano-Cyrano, der behende den Degen schwingt", die "Traurigkeit und Tragik des unglücklich Liebenden und von Minderwertigkeitskomplexen Zerfressenen" aber sei "hier eindeutig zweitrangig". Man amüsiere "sich unter Niveau und verkauft das Stück unter Wert. Aber: Man lachte sehr, man lachte!"

Ein Stück, "das nicht unwesentlich von der Kraft der Poesie kündet", ende bei Katharina Thalbach "als reichlich vergagtes Boulevardtheater", schreibt Arnold Hohmann auf dem Internet-Zeitungsportal Der Westen (31.1.2011). Armin Rohde aber als Cyrano sei "der wahre Held der Inszenierung: Unbeirrt von allen Regieeinfällen Thalbachs versucht er fast beiläufig und eher zurückgenommen, von der Sprache zu retten, was noch eben geht. Wo selbst das weibliche Traumbild Roxane bei Nadja Robiné eher zur blasiert-verwöhnten Jungfer wird, da wohnt Rohdes Auftritten gelegentlich die einzige Schönheit inne, die dieser lange Abend bereit ist, herzugeben."

"Ehrlichkeit, Natürlichkeit, handfeste Komik bestimmen die Wirkung des in Gladbeck geborenen Film- und Fernsehstars Rohde", meint Bettina Jäger in den Ruhrnachrichten (31.1.2011). "Aber die tragische Figur des Cyrano gestaltet er zart und subtil, mit brechender Stimme in der berühmten Balkonszene und ganz am Schluss. Ein Cyrano, außen hart und innen ganz weich. Ein Schauspieler, wie gemacht für diese Rolle." Leider aber bürde Katharina Thalbach "dem Abend gleich mehrere krude Konzepte auf, zieht ihn in die Länge - dreieinviertel Stunden sind eine zu viel." Und so sei es "ein Abend mit Janusgesicht - gute Schauspieler in einer misslungenen Inszenierung. Leider ist das eine ohne das andere nicht zu haben."

Ja, Armin Rohde, "der mit Cyranos Versen völlig unangestrengt und wie mit einem Fingerschnippen umspringt", das ist schon was, findet Katrin Bettina Müller in der tageszeitung (2.2.2011). "Doch die Spannung zwischen der Leichtigkeit seiner Verse und den tiefen Verletzungen in der Seele dessen, der nur Zaungast in dieser Beziehung ist, vertändelt die Inszenierung durch eine etwas populistische Rahmung." Mit TV-Entertainment zerläppere Thalbach die Spannung. Cyranos Rolle als Kritiker des Gesellschaftsgefüges werde nicht deutlich: "Die Händel, in die er fechtend verstrickt ist, sie wirken bloß dekorativ. Welch eigenem Gerechtigkeitssinn er dabei aber folgt, spielt keine große Rolle. Und damit ist das Stück um viele seiner Möglichkeiten gebracht."

Die außergewöhnliche Qualität von Edmond Rostands romantischer Komödie vom Ende des 19. Jahrhunderts liege im elegant-ironischen Sprachwitz, befindet Stefan Keim in der Welt (2.2.2011). Wo Rostand aber das literarische Florett schwinge, dresche Katharina Thalbach mit dem szenischen Säbel los. "Das schmerzt besonders, weil Ezio Toffolutti eine schöne, bewegliche Bühne gebaut hat, die Spielfluss und Effekte ermöglicht. Vor allem weil Armin Rohde inmitten allen Unverstands immer wieder anrührend, sanft, sogar herzzerreißend spielt. Doch Katharina Thalbach stört seine subtilsten Momente, indem sie schmalzige Geigenmusik darüber gießt. Das ist nicht nur geschmacklos, sondern zeugt von tiefem Misstrauen gegenüber der Kraft des Schauspiels."

 

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