Torte, Tote, Tränendrüsen

von Anne Peter

Potsdam, 7. Oktober 2007. Auf der Damentoilette liegen sich zwei Frauen in den Armen. Die eine hebt ihr verweintes Gesicht, wischt sich die roten Augen und versucht, sich wieder zu fangen. Auswirkungen der eben zu Ende gegangenen Premiere? Könnte durchaus sein. Denn Petra Luisa Meyer drückt in der Inszenierung des von ihr selbst zusammengetragenen, sich dokumentarisch gebärdenden Stücks "Putin hat Geburtstag" am Potsdamer Hans Otto Theater hemmungslos auf die Tränendrüse.

Eine Mutter und eine Großmutter lässt sie über den Verlust der beiden Söhne/Enkel bei der Geiselnahme in Beslan erzählen, von der schwierigen Identifizierung der verkohlten Kinderkörper, denen man bis auf die Knochen sehen kann. Untermalt ist das am Anfang noch eher konterkarierend mit Klavierklimpern, dann aber mit hollywoodisierendem Streicherbrei.

Betroffenheitsherbeispielung
BE-Altmeisterin Carmen-Maja Antoni und deren Tochter Jennipher Antoni können das Leiden dieser Frauen auch so spielen, dass es wirklich berührt. Hätte man sich zuvor nicht schon ziemlich über die Betroffenheitsherbeispielung ärgern müssen. Die im Dokumentarischen eigentlich fehl am Platz ist. Dieses dritte Drittel ist aber noch das beste des Abends, der der russischen Journalistin Anna Politkowskaja gedenken möchte.

Vorteilhaft ist da nicht nur das schauspielerische Können der Antonis. Vor allem senkt die Inszenierung hier kurzzeitig einmal den Zeigefinger, den sie zuvor ohne Unterlass auf den bösen Präsidenten Putin, dessen mindestens so bösen Busenkumpel Schröder und den bösen Gasprom-Konzern richtet. Die Darsteller dieser (natürlich zu Recht) Gescholtenen schicken sich in der Rahmenhandlung an, das Publikum mit einer Geburtstagsfeier für den russischen Präsidenten zu unterhalten, der am Premierentag, dem 7. Oktober, tatsächlich seinen 55. begeht.

Geisterhaft hallendes Mikroport
Just an diesem Tag wurde vor einem Jahr die in viele Richtungen kritisch recherchierende Politkowskaja vor dem Fahrstuhl ihres Wohnhauses mit vier Schüssen getötet, was Meyer wenig erkenntnisdienlich nachstellen lässt. Bis heute ist der Mord an dieser bewundernswerten, unerschrocken engagierten Frau, die Rita Feldmeier mit wütender Verve und geisterhaft hallendem Mikroport darzustellen sucht, ein ungeklärter Fall.

Meyer ignoriert dies in ihrer (natürlich gut gemeinten) Collage aus Politkowskaja-Texten, Putin- und Schröder-Reden und anderen Quellen weitgehend. Sie lässt die verworrenen Spuren recht eindeutig in den Kreml führen. Die Undifferenziertheit, mit der hier verdächtigt wird, widerspricht wiederum dem dokumentarischen Anspruch. Die Inszenierung gibt sich aufklärerisch. Und deckt doch nichts Neues auf. Putins unverhohlenes Machtstreben ist angesichts seiner neuerlichen Erklärung, demnächst Ministerpräsident werden zu wollen, gerade wieder Großthema in den Zeitungen.

Wiegehüften und Räkelarme
Über Schröders Aufsichtsratsjob bei Gasprom hat sich die Presse ebenso ausführlich das Maul zerrissen. Was Meyer daraus macht, ist Kabarett in Reinform. Aber leider kein gutes Theater. Andreas Herrmann ist Putin, Roland Kuchenbuch Schröder. Sie reden sich mit "Wladimir" und "Gerhard" an, recken Sektgläser in die Höhe, machen sich an der langen Tafel breit und probieren Männerwitzchen der flacheren Sorte. Putin übt daneben lippengestülpt und stirngerunzelt sein Pokerface, Schröder seine beifallheischende Händegestik.

Der Ex-Kanzler schiebt dem Kreml-Freund zum Geschenk eine Riesentorte herein, von der die Schauspieler im Laufe der knappen zwei Stunden große Mengen verspeisen müssen. Als nicht eben originelle Geburtstagsüberraschung taucht ein Soldat (Alexander Weichbrodt) aus der Schwarzwälderkirschtorte auf und singt mit Wiegehüften und Räkelarmen zu bereits erwähntem Geklimper ein Liebes-Lied an den Krieg in Tschetschenien. Weniger Provokation als Geschmacksverirrung. Weichbrodt schreit auch an anderen Stellen mit zu Schlitzen gekniffenen Augen und verkrampften Händen sein Soldaten-Leid heraus.

Gräuliche Gemetzelgeschichten
Die entsprechenden (natürlich gräulichen) Gemetzelgeschichten werden abermals akustisch zu Emotionsaufputschern ausgemalt. Das soll einen nicht kalt lassen. Doch sowohl Tränentreiberei als auch Polit-Parodie passen besser in die Glotze. So wie der schmierig gut gelaunt durch den Abend führende Moderator (Tobias Rott), der das Publikum zu Anfang ein heiteres "Happy Birthday" auf den "lieben Wladimir" anstimmen lässt. Mitmachen möchte man bei einer solchen Veranstaltung nun aber schon gar nicht.


Putin hat Geburtstag
von Petra Luisa Meyer
Regie: Petra Luisa Meyer, Bühne: Matthias Schaller, Kostüme: Antje Sternberg.
Mit: Carmen-Maja Antoni, Jennipher Antoni, Rita Feldmeier, Andreas Herrmann, Roland Kuchenbuch, Tobias Rott, Alexander Weichbrodt.

www.hansottotheater.de

Kritikenrundschau 

Auf der Online-Seite der Potsdamer Neuesten Nachrichten (8.10.2007) schätzt Lena Schneider das Ereignis als "mutigen Versuch" ein. Dramaturgisch sei zwar "einiges reichlich unklar". Aber: "Die rare unmittelbare Nähe zwischen politischem Zeitgeschehen und Bühne und die Aufforderung, sich dem Unrecht, das in Russland derzeit geschieht, zu stellen, gibt dem Stück eine Dringlichkeit, die man selten auf der Bühne findet."

Patrick Wildermann mag in der Printfassung der PNN (9.10.2007, auch abgedruckt im Tagesspiegel vom 9.10.) nicht zustimmen. Auf ihn wirkt der Abend "gespenstisch". Das gemeinsame Happy Birthday-Singen zu Anfang (das, wie auch Lena Schneider berichtet, nur eine Zuschauerin verweigerte), deutet er als böses Zeichen einer "Konsensveranstaltung". Auch das Folgende erscheint ihm allzu plakativ, und so schließt er: "Etwas ist faul im Staate Russland, aber bei Meyer, die Pathos-Soundtrack und Leichensäcke aus dem Schnürboden auffährt, riecht es nur nach sauberer Gesinnung."

Ulrike Borowczyk in der Welt (9.10.2007) wiederum bezeichnet den "Abend für Anna Politkowskaja" als "verstörendes Zeitdokument", das mit einem "eindringlich spielenden Darsteller-Ensemble eingerichtet" worden sei, welches "den Opfern von Putins Politik ein Gesicht gibt". "Fast szenisch und ohne Effekthascherei sprechen die Bilder der so zurückhaltenden wie zutiefst berührenden Aufführung für sich: Hier wird kein Geburtstag gefeiert, sondern die Beerdigung der Demokratie."

In der Berliner Zeitung (9.10.2007) urteilt Christian Esch: So "ehrenwert" und "mutig" Petra Luisa Meyers Versuch auch sei – die Qual, die sie den Zuschauern bei der Premiere bereitet habe, sei keine politisch-moralische, sondern beruhe auf "einem missratenen Stück". Womit er wohl auch die Inszenierung meint: Die Montage reißerischer Textpassagen, das "Katjuscha"-Singen, die Leichensäcke – "Politkowskaja hat Besseres verdient als nur Gutgemeintes."

Und in der Märkischen Allgemeinen Zeitung (9.10.2007) urteilt Dirk Pilz: "Der Text ist ein Stück Bezichtigungsdramatik." Die entsprechende Bezichtungs-Inszenierung erfüllt für ihn zunächst das, was man befürchtet. Aber dann geschieht kurz vor dem Ende "ein Wunder": "Carmen-Maja Antoni und Tochter Jennipher treten als Mama und Großmutter von Opfern des blutigen Geiseldramas in Beslan auf. Sie tun nichts anderes, als gemeinsam mit dem Soldaten über Krieg und Leid zu erzählen. Und plötzlich darf der Zuschauer auch sein eigenes Herz samt Kopf gebrauchen und ist nicht mehr nur damit beschäftigt, sich vor all den Zaunspfählen zu ducken, die einem von der Bühne entgegengeschleudert werden." Dies aber bleibt ein Zwischenspiel.

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