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Götterkrach im Haus der Sprache

von Christian Rakow

Berlin, 4. Februar 2011. "Io!" – ist es der markerschütternde Klageschrei, den man uns heute entlockte? Nein, nicht "Io!". Sondern: "Yo!" sagen wir zu dieser "Antigone" und ihrem Chor, der war wie lange keiner. Yo! Zwei Schlagzeuge wuchten die Hölderlin'schen Chorverse voran, vom Hämmern zweier Klaviere gesäumt. Der Abend führt durch ein Spalier aus Sound und Licht und Nebel; die harten Breaks der Songs sind Spießroutenstöße. "Thebe erschütternd, herrsche der Bacchusreigen!"

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Christoph Gawenda ©Arno Declair

So orakelt Peter Thiessen, der Hohepriester des Pop, und treibt Kante, seine – was eigentlich? – Hamburger-Schule-, Indierock-, Post-Indie-Band, auf olympische Gipfel. Sie sind kein bedächtiger Thebaner Bürgerchor, sondern ein schlaksig cooler Dionysiostrupp. Götter der Entgrenzung – aber mit gebügelten Hemdskragen.

Identitätsstück für Männer

Regisseurin Friederike Heller hat ihre alten Companeros von Kante zum zweiten Mal binnen Jahresfrist in die Schaubühne gerufen. Wie schon im Guten Menschen von Sezuan steht mit "Antigone" ein Abiturstoffklassiker auf dem Programm. Wieder mit Flitter, Travestie und lässig poppiger Attitüde. Wieder in einem funkelnden Konzertset, anstelle eines klassischen Bühnenbildes (Ausstatterin Sabine Kohlstedt tobt sich in glitzernden Glamrockkostümen der Protagonisten aus). Aber was hat der durchgängige V-Effekt, der bei Brecht noch so schön passte, hier im antiken Drama verloren? Die LehrerInnen werden einiges zu diskutieren haben.

Es lohnt die Mühe. Denn anders als in ihrer Brecht-Verlegenheitslösung sind Heller dieses Mal die Hände nicht durch allzu enge inszenierungsrechtliche Vorgaben gebunden. Also seziert die Regisseurin wie mit chirurgischem Skalpell den Stoff, rafft Szenen und schneidet sie virtuos ineinander. Und im Ergebnis ist der alte Sophokles nicht bloß wieder belebt, sondern springt uns als eine von modernen Diskursen gesättigte Novität an. Ein Identitätsstück für Männer und andere Sorgenfälle hat Heller der sophokleischen "Antigone" abgewonnen. Ein postfeministisches Lehrstück von hinten durch die Brust ins Auge geschossen.

Therapiemodell auf dem Prüfstand

Keine Frau nirgends. Mastermind Peter Thiessen bittet seine ausschließlich männlichen Mitstreiter zur Gruppentherapiesitzung. Vermutlich sind sie Väter ohne Sorgerecht, vielleicht auch Resozialisierungsfälle aus kleinkriminellem Milieu. Jedenfalls hängen ihre Schultern beträchtlich tief herab. Angesprochen werden sie wie Trauma-Patienten. Im "Selbstfindungskurs" sollen sie die Ödipussage nachstellen. "Wir spüren die Energie", raunt Thiessen, während sich seine Bandmitglieder mit sprödem Charme als Figuren hin und her drapieren. Heiterkeit ergreift den Saal. Sie wird in regelmäßigen Schüben wiederkehren.

Aus der unbeholfenen Männergruppe kristallisieren sich die Protagonisten heraus: Christoph Gawenda, ein Jüngling mit Falkenblick und weich geschwungenen Lippen. Er übernimmt die Rolle von Antigone, die Boten, Eurydike und bei Gelegenheit auch Kreon. Sein Widerpart Tilmann Strauß, mit zartem Oberlippenbart, mimt Kreon und beizeiten dessen Sohn Haimon. Den Seher Teresias übernimmt er mit einer kuscheligen, schielenden Handpuppe. Die beständigen Rollenwechsel der beiden Akteure haben Methode. Denn im Tragödienspiel im Spiel soll das zuvor angelegte Theatertherapiemodell auf den Prüfstand kommen. "Nimm es an", "Spüre die Energie", "Was weh getan hat, wird erinnert", kommentiert Thiessen als Selbstfindungsguru ihren Erfahrungstrip.

Egalitätsgebot hinterm Erkenntnisspiel

Tatsächlich wirkt die Show bis kurz vor Kreons Schicksalswende wie eine psychoanalytisch inspirierte, launige Reminiszenz auf Aristoteles' Seelenreinigungsversprechen. Die Tragödie offenbare und nivelliere die narzisstischen Fixierungen ihrer Helden. Wo "ein jeder das gleiche Recht habe, dazu zu gehören", dürfen mächtige Köpfe eben nicht zu hoch herausragen. Das ist das Egalitätsgebot hinter dem Erkenntnisspiel. Ihm widerstreitet aber ein zweites Therapieziel, das vom Ego-Performer fordert, "Rangordnungen" einzuhalten. So doziert Guru-Vater Thiessen, während Strauß' Kreon kleinkindlich auf seinem Schoß zittert. Die Bedürfnisse nach Gleichheit und nach starken Hierarchien – wer vermag, zwischen diesen Malsteinen der Familie wie der großen Politik ungeschoren hindurch zu kommen?

Spätestens an diesem Punkt drängt es die Inszenierung aus der engeren Seelenklempnerei heraus. Sie will auch die gesetzten Ordnungen nach ihrem Ausgangspunkt befragen. In "Antigone" erlebten wir die göttliche Behauptung einer Liebe (zum Bruder Polyneikes), die nicht in einer konkreten symbolischen Ordnung (Kreons Gesetz) aufgeht. Sie bedeute mithin die "Rückkehr zu einer unauslöschlichen vorsprachlichen Ontologie". So liest man im instruktiven Programmheft Judith Butler über Jacques Lacans "Antigone"-Deutung.

"No Future" einmal anders

Etwas von diesem metaphysischen Furor setzt das Finale dieses Abends frei. "Lasst uns aus dem Theatersaal einen Tempel der Vergessenheit machen", beschwört Thiessen die Menge, uns. "Oh, Sohn des Dionysios, werde offenbar", singt er. Gawenda erscheint als burleskes Revuewesen Eurydike mit Pfauenfederhut und Absatzstiefeln und verkündet den Tod Antigones und Haimons. Und während die Band in schallenden Punkrock wechselt, senken sich Scheinwerferstangen vom Schnürboden herab, bilden eine Lichttreppe gen Himmel.

Darunter krümmt sich Kreon und brüllt: "Io, unsinnige Sinne!" Das ist "No Future" einmal anders. Ein Götterkrach lässt das Haus der Sprache und des Sinns einstürzen. Das Chaos unverbraucht – es ist die beste Zeit.


Antigone
von Sophokles, Deutsch von Friedrich Hölderlin
Regie: Friederike Heller, Bühne und Kostüme: Sabine Kohlstedt, Musik: Kante, Musikalische Leitung: Peter Thiessen, Dramaturgie: Bernd Stegemann.
Mit: Christoph Gawenda, Tilman Strauß.
Flügel, Trompete: Thomas Leboeg, Klavier, Percussion: Michael Mühlhaus, Percussion, Gitarre: Felix Müller, Gesang, Harmonium, Gitarre: Peter Thiessen, Schlagzeug, Percussion: Sebastian Vogel.

www.schaubuehne.de


Mehr zu Friederike Heller gibt es im nachtkritik-Lexikon.

 

Kritikenrundschau

Als "Pseudomusical" und "zwei Stunden schlimmstes Dekunstruktionstheater" verreißt Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (28.2.2011) die Inszenierung. Anlass für den verspäteten Verriss ist Dimiter Gotscheffs "respektvoll beharrliche" Hamburger Antigone, mit der Bazinger Friederike Hellers "absonderlich überspannter" Version gemeinsam bespricht. Weder bei Gotscheff allerdings noch bei Heller finde Antigones Tragödie noch statt. Auch "was sie bewegt hat, scheint niemanden sonst zu bewegen", stellt die Kritikerin fest. Heller jedoch erleidet aus ihrer Sicht im Gegensatz zu Gottscheff "völligen Schiffbruch". Bei ihr stehe die Band 'Kante' im Mittelpunkt, die sich Friedrich Hölderlins Übersetzung der 'Antigone' zu krawalliger Rockpoesie zusammengeschustert hat und mit lärmendem Klangbrei verschmiert. Ständig ist ein Mikrofon für ihre Schreie, ihr Flüstern bereit - bis Kreon unwirsch den Stecker zieht und Antigone unplugged in den Tod gehen muss."

Unter harmlos verbucht augenscheinlich Elmar Krekeler auf Welt-online (28.2.2011) Friederike Heller Inszenierung, dem freilich auch der Ansatz ihres Zugriffs nicht ganz einzuleuchten scheint. Auch dieser Kritiker bespricht die Berliner Antigone aus Anlass von Dimiter Gotscheffs Hamburger Variation. Antigone ende an der Schaubühne als Tragicomical, schreibt der Kritiker, "mit der durchaus erschreckenden Musik der Hamburger Halbkultband Kante, die den antiken Chor der Aufführung gibt. Dazwischen ereignet sich ein diskursgewaschenes Stück über Andersartigkeit und Blutverlust und Machtverschiebung in einem System. Judith Butler geht um, aber keine aktuelle Empörung scheint auf. Auch die Rezitation des Hölderlintextes verläuft dem Eindruck des Kritikers zufolge nicht immer ganz unfallfrei.

"Jeder, der zur Familie gehöre, sei gleich wichtig. Wird jemand ausgegrenzt, vergessen, verleumdet, also nicht geehrt, gerate das ganze System durcheinander", so stellt Peter Thiessen, Sänger und Gitarrist von Kante, seine Sänger und die beiden Schauspieler auf der Bühne auf, schreibt Andreas Schäfer im Tagesspiegel (6.2.2011). Was folgt sei vor allem amüsant, "aber es ist eben auch unheimlich. Regisseurin Friederike Heller macht sich zwar über den Familienaufstellungs-Ritus lustig, aber auf so zurückhaltende Weise, dass noch gehörig viel von dessen Unbedingtheits-Impetus spürbar wird." Nach der Intensität des Anfangs werde es dann zum Schluss wieder spannend. "Wie sich Peter Thiessen nun Kreon vorknöpft, um das wimmernde Häufchen Elend durch Demut aus dem Zirkel der Schuld in die 'Ordnung der Liebe' zu führen und das ganze Spektakel schließlich in einem dionysisches Fest des Kraches münden zu lassen - das erlebe man am besten selbst."

"Wie viel Textmasse vom Original in den Songs und Sketchen übrig ist, bleibt Hellers Geheimnis", so Eleonore Büning in ihrer Doppelbesprechung mit der "Antigone"-Opern-Inszenierung in der FAZ Sonntagszeitung (6.2.2011). "Sieben junge Männer stellen sich im Kreis auf und beginnen mit der Selbsterfahrungsgruppensitzung. Es handelt sich um eine therapeutische Familienaufstellung zum Ödipuskomplex." Bei der dürfe, nein müsse gelacht werden. Wenn sich die Musiker zurückziehen, müssen die beiden Schauspieler, Strauß und Gawenda, allein klarkommen mit ihrer multiplen Rollenaufteilung. Das Thema der Sitzung laute fortan: Der Einzelne und die Gemeinschaft." Als Antigone (Gawenda) im Grab verschwindet, wallen revuereif Trockeneisnebel zur Lightshow. Atemraubend auch die Bodenturnernummern, wenn die beiden sich immer wieder blitzschnell unter den Silberascheregen legen, den sie selbst in die Luft werfen. Am Ende senkt sich große Einsamkeit über die Szene, nur die Musik bleibt stehen."

"Desillusionierungstheater, Theater der grausamen Dekonstruktion" erlebt Jürgen Otten für die Frankfurter Rundschau (7.2.2011) schon im Prolog dieses Abends und kann dem postmodernen Antikenkommentar auch im Folgenden wenig abgewinnen. Besonders schlecht kommt die Band Kante weg: Heller vertraue "mit einem irritierenden Maß an Verkrampftheit auch an diesem verkorksten Abend auf die Kunst der Musiker, die aber gar keine Kunst ist, sondern nur eine Alibi-Kunst. Die Herren können weder singen noch besonders gut spielen, jede Studentenband hat dergleichen drauf. Und selbst wenn diese reichlich dilettantische Dudelei beabsichtigt wäre, wäre sie höchstens als dramaturgische Spinnerei schlüssig." Im Ganzen "zerrieselt die 'Antigone' in blankem Aktionismus", wobei zwischendurch "ein bisschen seminarisiert" werde.

"Konzeptkabarett" ist dieser Abend für Dirk Pilz von der Berliner Zeitung (7.2.2011). Das "Männerhinterfragungsstück" biete in Gawenda und Strauß zwar zwei erfreuliche Hauptdarsteller auf, die die Hölderlin-Verse "in seltener Klarheit vorzutragen verstehen". Allein die beiden können nicht verhindern, dass das große "Revolutionsdrama über die 'Umkehr aller Vorstellungsarten und Formen'" (mit Hölderlin gesprochen) an diesem Abend nicht stattfindet. Schuld hieran ist wiederum die Band Kante: "Heller ließ es sich auch gefallen, die Chorpassagen an die Hamburger Schnuddel-Indie-Rock-Band Kante zu vergeben, was diese als Einladung missverstanden, dem Tragödienspiel einen sentimentalischen Klangteppich auszurollen. (...) Es ist eine gedanken- und gemütsschlichte, genauigkeitslose, gefühlsduselige Musik, die nicht aus dem Stoff entwickelt, sondern ihm aufgepappt wurde. Statt Anarchie und Rausch in die Tragödie zu holen, versenkt Kante sie in den Sofakissen des Knuddel-Rock."

Durchlitten hat Lothar Müller Hellers "Antigone", wie er in der Süddeutschen Zeitung (8.2.2011) geradezu antikisch klagt: "Es gibt hier keine Gräberwelt, keine Polis, kein Hinabsteigen Antigones vom Taghellen in die Totenwelt, kein Echo auf Sophokles, für den die Bestattungsriten zum Kern der Demokratie gehörten und Kreon ein Tyrann war, weil er sie missachtete. Es gibt nur ein wenig Glitter für die Toten und die Tyrannei der kitschigen Musik auf Kosten der szenischen Phantasie. Das wirkt sehr 'live' und manchmal lustig. Das Traurige an solchen Abenden aber ist: Man schaut einer sterbenden Kunst zu." Der "Furor der Verfremdung und der Furor des entfesselten Kitsches." Im Selbsterfahrungsgruppen-Einstieg stecke die Einsicht: "Wir leben in einer Welt nach Freud, wir müssen aus der Scheinvertrautheit, die jeden Sohn mit Ödipus, jede Familie mit den Labdakiden verbindet, erst wieder herausfinden, um die antike Tragödie entdecken zu können. Aber der Inszenierung geht es nicht um dieses Herausfinden. Es geht ihr um ein wenig Nachhilfeunterricht, der seine Didaktik maskiert, und um die Austreibung des Tödlichfaktischen der griechischtragischen Worte."

Das bisschen Angst, das Kirsten Riesselmann vor dieser "Antigone" hatte, "weil man es immer noch merkwürdig findet, wie viele ehemalige Lieblingsbands zu Bühnenbeschallern mutieren", war ganz unbegründet. Die Unternehmung Hellers sei "formidabel" gelungen, schreibt sie in der taz-Berlin (9.2.2011). Die "Rhythmik und Üppigkeit der Hölderlin'schen Übersetzung" bekomme in der Kante-Vertonung "einen erstaunlichen Mehrwert (und der sprachliche Duktus der alten Hamburger Schule eine historische Deckel-auf-Topf-Referenz!)". Was zunächst "viel zu dick orchestral aufgetragen wirkt", finde später "im deliranten 'Bacchusreigen' zu einem großen musikalischen wie auch aussagetechnischen Höhepunkt". Dazu bewegten sich die beiden Schauspieler "behände um das Gravitationszentrum 'Band' herum. (...) Es ist großartig, wie Silberglitter und Federboas aus den beiden slackrigen Jungs Rollenspieler machen, die der größten zwischenmenschlichen Problemzone auf den Grund kommen: dem allzu fest gefügten Ich." Und trotz Lacan und Butler im Hintergrund sei die Inszenierung nie überfrachtet, "immer liegt die Persiflage des eigenen Ansatzes durch die Küchenpsychologie in der Luft".

Kommentare  
Antigone, Berlin: albernes Popgetue
so ein scheiß. albernes popgetue. das hat mit dem stück NICHTS aber auch garnichts mehr zu tun. das regietheater schafft die kunst ab. wann ist das endlich vorbei...
Antigone, Berlin: spitze
ich finde den Abend spitze!

Großartig!
Antigone, Berlin: Aufstachelung der Affekte
Ein Lob an Peter Thiessens Spiel, an diese sanft-säuselnde Therapeutenstimme. "Nimm es an." Ach, ja? Du Bert Hellinger-Verschnitt, du Familienaufstellungs-Guru, da bist du jetzt aber falsch gewickelt. Die Tragödie führt hier nämlich nicht zur Reinigung, sondern zur Aufstachelung der Affekte. Tja, Pech gehabt. Oder auch: "Keine Atempause mehr, Geschichte wird gemacht / (und macht mich krank) / Punk." (Blumfeld)
Und ansonsten? Die Musik von Kante wirkt tatsächlich auf das (dionysische) Gefühl, und das ist dann vielleicht auch die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. Aber über die Sprache der beiden professionellen Schauspieler (Christoph Gawenda und Tilman Strauß) eröffnen sich leider nun wirklich überhaupt gar keine Bilder im Kopf. Dadurch bleibt alles seltsam flach und unverbindlich, im Grunde so unbestimmt wie das therapeutische Spiel von Laiendarstellern. In diesem Sinne wirkten die beiden metrosexuellen Jungs- äh Jung-Schauspieler beinahe verloren im dekonstruktivistischen Inszenierungskonzept von Friederike Heller. War nix, Jungs. Nehmt es an.
Antigone, Berlin: wer ist der Mann?
(Schreiben sie doch bitte die Leserkritiken künftig in die eigens dafür vorgesehene Abteilung rechts - danke. die Redaktion)

Die Labdakiden im Familienkreis - Friederike Heller psychologisiert die „Antigone“ des Sophokles an der Berliner Schaubühne mit der Band Kante als Supervisor

Man kann sich den ganzen theoretisierenden Kram des Programmhefts mit Heideggers durch Hölderlin inspirierten Antigonerezeption, Wurmsers Psychoanalyse der Scham und des Dramaturgen Stegemanns Abhandlungen über die Tragödie ruhig sparen. Werft es weg! Es geht im Großen und Ganzen um die letzten Sätze der Widerlegung der Antigone-Interpretation des Psychoanalytikers Jaques Lacan durch die Genderforscherin Judith Butler, in der Antigone schließlich die Stelle der toten Brüder einnimmt, um jenen „männlichen Exzeß, der die Wächter, den Chor und Kreon in Erstaunen versetzt: Wer ist hier der Mann?“ Diese Frage treibt die Regisseurin des Abends Friederike Heller an, weshalb sie auch auf die Idee verfallen ist, alle Rollen durch zwei Männer spielen zu lassen. So weit so gut, nehmt es an.
Die Tragödie des Ödipus und seiner Familie der Lapdakiden zu psychologisieren ist seit Freud nicht neu. Das beschränkt sich nicht nur auf Ödipus, es bezieht sich seit Lacans Ethik der Psychoanalyse auch auf seine Nachkommen und im speziellen auf seine Tochter-Schwester Antigone. Heller lässt dann zu Anfang auch die Lapdakiden zur traditionellen Familienaufstellung antreten. Die Band Kante und die beiden Schauspieler Christoph Gawenda und Tilman Strauß begeben sich erst widerwillig in den Kreis, der durch Supervisor Peter Thiessen, Sänger der Band Kante, aufgestellt wird, dann entwickelt sich aber langsam das gewünschte Stellvertreterphänomen, die Protagonisten nehmen ihre Rollen an und spielen die Tragödie von Ödipus bis zur Antigone.
Ab hier hätte sich etwas Phantastisches ereignen können, aber es tut sich nichts, keine Verstrickungen werden deutlich, nichts löst sich. Das Problem liegt daran, das Heller diese Methode nur ironisierend benutzt, aber nichts weiter damit bezweckt. Hymnisch werden Hölderlintexte mit der Band Kante intoniert und zwei Schauspieler werfen sich mit viel Elan und Flitter in die Widersprüche zwischen göttlichem Gebot, weltlichem Gesetz und eigener Hybris. Irgendwann werden sie wieder auf das Parkett der Realität zurück gerufen und erfahren vom Psychoguru Thiessen, dass nicht nur die Akzeptanz jedes Familienmitglieds auf gleicher Stufe gilt, sondern auch die Rangordnung der Ahnen einzuhalten ist. Antigone tritt demnach in eine ihr nicht angestammte Position und erleidet somit den Tod, wie die Helden aller griechischen Tragödien. Das sich das widerspricht und somit die therapeutische Sitzung ad absurdum geführt ist, wird als große Erkenntnis gefeiert. König Kreon zittert auf den Knien Thiessens, sein Irrtum wird hier als eine blöde Psychopanne bagatellisiert. Man feiert das in einem dionysischem Rockexzeß.
Die Rezeption des Antigonestoffes auf der Bühne ist lang, er wurde bisher meist als Sieg des Humanismus über staatliche Willkür erklärt, das war vor allem nach dem 2. Weltkrieg so. Die Klassik sah noch die Auseinandersetzung mit dem Göttlichen in der Tragödie als Reibungspunkt, Hölderlin sah sie eher im Fehlen einer anders gearteten spirituellen Idee jenseits irgendeines Gottes. Im deutschen Herbst fand die Antigone (Schlöndorff, Böll) sogar den Einzug in die Auseinandersetzung mit dem RAF-Terrorismus. Das alles scheint Friederike Heller nicht zu interessieren. Das man heute nach einer neuen Rezeption der Antigone sucht, ist zeitgeschichtlich gesehen mehr als verständlich. Nur Friederike Hellers Inszenierung reibt sich an gar nichts mehr, sie vertändelt die Tragödie zu Gunsten einer unbestimmten psychologisierendem Gendertheorie und der alles nivilierenden Liebe, die jede politische Interpretation ablehnt. Die Schuld die sich Kreon selbst und nicht ein wüst Schicksal auf das Haupt gehäuft hat, wird so nicht sichtbar. Letztendlich tritt so zwar bei Kreon eine psychologische Katharsis ein, das Schaudern und Jammern soll aber niemanden im Publikum stören, der mahnende Schlusssatz des Chors ist gestrichen.
Den Schülern, die wahrscheinlich wieder reihenweise in diese Inszenierung geschickt werden, entgehen so ca. 200 Jahre Rezeptionsgeschichte, die hier nicht durch eine grundlegend neue ersetzt werden. Das Ärgerliche an der Sache ist, dass das nicht irgendwem passiert, sondern Friederike Heller, die gerade mit der Band Kante für die bisher vielleicht interessantesten Klassikeradaptionen der letzten Zeit gesorgt hat. Es steht die Frage im Raum, wo dabei überhaupt Antigone bleibt? Sie fehlt unentschuldigt, dafür gibt es ein Ungenügend und aus dem Yo wird eher ein No.

http://blog.theater-nachtgedanken.de/
Antigone, Berlin: Bibel lesen
regietheaterhassende analphabeten, wenn ihr werktreue wollt, lest. und hoert auf euch an die bibel zu fesseln.
Antigone, Berlin: Thiessens paradoxe Intervention
@ Stefan: Mensch, diese Aussage von Peter Thiessen als Therapeut, diese Aussage bezüglich des Einhaltens der Rangordnung, die ist doch nicht als Affirmation gemeint, sondern vielmehr als paradoxe Intervention, als Fragestellung, ob es eine tatsächliche individuelle Freiheit bzw. Gleichheit im Rahmen einer rechtsstaatlich gesetzten demokratischen Ordnung überhaupt geben kann oder ob das nicht vielleicht doch nur eine Art Pseudo-Freiheit ist. Ebenso wie das therapeutische Setting, welches den Klienten hinter der Fassade, diesem zu mehr individueller Selbstbestimmung zu verhelfen, im Grunde nur zur Akzeptanz der bzw. zur Anpassung an die herrschenden Verhältnisse bewegen will.
Antigone, Berlin: alles ironisch
Nichts anderes habe ich geschrieben. Alles nur blöde Ironie. Wo liegt Ihr Problem? Nehmen Sie es an.
Antigone, Schaubühne Berlin: Humanismus
Stefan: Ich habe kein Problem. Warum sollte ich es also annehmen? Es ist nicht alles nur blöde Ironie. Ich plädiere für Gedankenfreiheit. Für die Freiheit des konstruktiven Weiterdenkens. In diesem Sinne kann die Ironie auch eine politische Implikation haben. Hier etwas zum von Ihnen geforderten, aber vermissten Thema des "Humanismus":

"Ich verstehe unter Humanismus die Gesamtheit der Diskurse, in denen man dem abendländischen Menschen eingeredet hat: 'Auch wenn du die Macht nicht ausübst, kannst du sehr wohl souverän sein. Je mehr du auf Machtausübung verzichtest und je besser du dich der Macht unterwirfst, die über dich gesetzt ist, umso souveräner wirst du sein.' [...] Das Herz des Humanismus ist die Theorie vom SUBJEKT (im Doppelsinn des Wortes: als Souverän und Untertan). Darum lehnt das Abendland so erbittert alles ab, was diesen Riegel sprengen könnte, wofür es zwei Methoden gibt: die 'Entunterwerfung' des Willens zur Macht, d.h. der politische Kampf als Klassenkampf - oder das Unternehmen einer Destruktion des Subjekts als eines Pseudo-Souveräns, d.h. eine 'kulturelle' Attacke: Aufhebung der sexuellen Tabus, Einschränkungen und Aufteilungen; Praxis des gemeinschaftlichen Lebens; Aufhebung des Drogenverbots; Aufbrechung aller Verbote und Einschließungen, durch die sich die normative Individualität konstituiert und sichert. Ich denke da an alle Erfahrungen, die unsere Zivilisation verworfen hat oder nur in der Literatur zuläßt."
(Michel Foucault, "Von der Subversion des Wissens")

Und jetzt hören und schauen Sie vielleicht noch einmal alternativ. Beispielsweise im Hinblick auf den Einzug des Dionysos-Chores. YO!?!
Antigone, Schaubühne Berlin: Familienaufstellung
(Schreiben sie doch bitte die Leserkritiken künftig in die eigens dafür vorgesehene Abteilung rechts - danke. die Redaktion)

Spricht man über diesen Abend, stellt sich zunächst eine Frage: Darf eine antike Tragödie Spaß machen? Darf man sich dabei unterhalten fühlen, lachen, Vergnügen empfinden? Friederike Hellers Antigone beantwortet diese Frage mit einem emphatischen ja und zumindest die Mehrheit des Publikums erklärt sich bereit, ihr zu folgen. Wie schon in Der gute Mensch von Sezuan arbeitet Heller mit der Band Kante zusammen, zwei Schauspieler vervollständigen das - frauenlose! - Ensemble.

Dabei tut Heller zunächst das Naheliegende: Sie nähert sich dem Stoff auf der Familienebene. Das ist nicht verwunderlich, ist doch nirgends in der antiken Tragödie das unentrinnbare tragische Schicksal so sehr mit dem Familiären verknüpft wie in der Themenwelt rund um Ödipus, vielleicht noch bei den Atriden. Zudem fungierte Ödipus ja auch als einer der Geburtshelfer der Psychoanalyse, und so ist es nicht verwunderlich, dass Heller die Bereiche Familie und Analyse miteinander verknüpft: in einer Familienaustellung.

Kate-Sänger Peter Thiessen gibt den Therapeuten mit selbstgewiss-kontrolliert-beruhigend säuselnder Stimme. Natürlich ist das ironisch gebrochen, überschreitend zeitweise die Greze zum Albernen, ist in hohem Maße amüsant ("Du kannst dich jetzt hinlegen, du bist erschlagen") und eröffnet trotz - oder wegen? - alledem neue unverstellte Blicke auf das Geschehen, weitab vom heiligen Ernst des Originals und der teils in Schwülstige kippenden Romantik der Hölderlin-Fassung. Direkt und schonungslos fällt der Blick auf eine Familie, deren Selbstzerstörungswillen kein unabwendbares Schicksal braucht.

Zwei Grundregeln gäbe es im - auch aber nicht nur familiären - Zusamenleben. Erstens: Jeder hat das gleiche Recht dazuzugehören. Zweitens: Esgibt immer eine Hierarchie, der der zuerst da war, hat stets Vorrang. Knapper und präziser lässt sich Antigone kaum zusammenfassen - wenn man es denn zu allererst als familiäres Drama, oder im weitesten Sinn als Stück über das Zusammenleben von menschen begreift. Hellers Ansatz legt nahe, dass die Regisseurin genau diese Perspektive einnimmt - trotz Heidegger und Lacan im Programmheft.

Und so entfaltet sich der Konflikt der widerstrebenden Prinzipien, am stärksten in den Szenen der Familienaufstellung zu Beginn und gegen Ende des Abends. Das kann und soll, so Thiessen am anfang, schmerzhaft sein und bei allem Unterhaltungswert ist es das auch. es ist gerade die Ironie, das Nicht-Ernstnehmen des therapeutischen Brimboriums, das den Blick freilegt auf die darunter schwelenden Konflikte, auf den Kern menschlicher Beziehungen, den Heller - hier endet die Macht der Iropnie - vielleicht nicht freilegt, aber immer wieder erahnen lässt. Am stärksten vielleicht am Ende, wenn Kreon (Tilman Strauß) ganz allein auf der Bühne ist. Die Aufstellung ist vorüber und er bleict allein, mit seiner Schuld, seinen Taten, seinen Dämonen, die hier nichts Metaphysisches haben.

Natürlich lässt sich die Familienaufstellung nicht zwei Stunden lang durchhalten und Heller begeht nicht den Fehler, das zu versuchen. Und so bricht die strenge Konstruktion irgendwann auf - die Schauspieler stellen Szenen aus dem Stück dar, die Band gibt aucf der einer kozertbühne nachempfundenen Bühne den Chor, mit eigenen Vertonungen der sophokleisch-hölderlinschen Verse. Das hat Längen, streift zuweilen die Belanglosigkeit, wird aber immer wieder in den Chorpassagen zwingend. Die Musik von Kante verleiht dem Text eine neue Ausdrucksebene, die diesen mal verstärkt, mal in Frage stellt.

Am Ende steht wieder der therapeutische Kreise, ernster diesmal, von den vorangegangenen Erschütterungen nicht unberührt. Heller versucht hier keine Gesellschaftsanalyse oder -kritik, sie lässt auch lacan weitgehend außen vor und mit ihm den Ballast psychoanalytischer Überhebung. stattdessen zeigt sie familiäre und zwischenmenschliche Konstellationen, die sie immer wieder bricht und so vor der absolutsetzung bewahrt. Und das alles auf ein spielerische Weise, wie sie dem Theater eigentlich entspricht. Das ist SchauSPIEL, vielleicht nicht mehr, keinesfalls aber weniger. Ein echter Höhepunkt in dieser bislang sehr zähen Berliner Spielzeit.

http://stage-and-screen.blogspot.com/
Antigone, Berlin: keine Konkurrenz
@ Redaktion
Wenn Sie das ernst meinen, habe ich hier das letzte Mal etwas geschrieben. Was soll das, die Angst vor Konkurrenz kann es ja nicht sein.
Antigone, Berlin: lange Beiträge in linker nk-Spalte bringen mehr Leben als lange Beiträge in rechter Spalte
Leserkritiken als Kommentar bringen doch erst Leben in die Kritik!
MfG Dr. Markus Fischer
PS: Werktreue sucks
Antigone, Berlin: gegen Pseudo-Souveränität
Kann mir mal einer sagen, wie Jürgen Otten von der FR hier auf "Backen ohne Mehl" und "Ficken ohne Frauen" kommt? Tschuldigung, aber ist das jetzt der Umkehrschub eines sich seiner unhinterfragten Autorität und Souveränität beraubt fühlenden Mannes? Oder was ist das? Jedenfalls, super Vorlauf für die Pointe "Tragödie ohne Antike". Klar ohne Antike, wo lebt Jürgen Otten denn?
Ja, wo laufen sie denn? Wo ist denn jetzt bloß das Politische hin? Wurde das nicht deutlich genug akzentuiert? War das gar nicht beabsichtigt? Wie auch immer, wenn man sich dieses Macht-Spiel anschaut, welches Peter Thiessen als Therapeutengott hier zelebriert, lässt sich das nicht auch vage an das aktuelle Thema der "Erpressung" bzw. Manipulation von Stiftungen und Bürgerrechtsinitiativen gegen Rechtsextremismus durch das Familienministerium anbinden? Einer Anti-Extremisten-Klausel nach, sollen diese Gruppen nur insofern weiterhin mit öffentlichen Geldern gefördert werden, als dass sie jedes Mitglied in ihren eigenen Reihen auf dessen "Verfassungstreue" hin quasi bespitzeln. Ist das nicht genau die Art von Pseudo-Souveränität, welcher sich Antigone entzieht, und sei es auf Kosten ihres eigenen Lebens? Anders gefragt: Warum besteht kein Vertrauen zwischen dem Staat (Kreon) und den politisch engagierten Bürgern eines demokratischen Gemeinwesens (Antigone)? Ist das schon mit dem Radikalenerlass aus dem Jahr 1972 zu vergleichen?
Antigone, Berlin: Boxen ohne Gegner
Liebe Jenny, alles was Sie da zu sehen glauben, konnte man natürlich mit ein wenig Grips eh schon immer in die Antigone rein interpretieren, dazu muss man nicht dieses Brimborium aufführen. Es geht nicht um die Antike, der Antike willen oder um deren Abstaubung bzw. Aufflittern, sondern um die Tragik, die in den Widersprüchen der antiken Figuren liegt, die scheinbare Unfehlbarkeit einer Wahrheit gegenüber einer anderen Wahrheit und das man diesen Widerspruch nur schwer lösen kann bzw. gar nicht. Und das kommt hier beim besten Willen nicht rüber. Über die Musik lässt sich streiten, die fand ich gar nicht so schlimm wie Herr Otten oder Herr Pilz, aber ansonsten zielt Otten genau ins Zentrum dieses flachen Inszenierungskonzepts, man könnte auch sagen Boxen ohne Gegner, Schießen ohne Ziel. Mit Foucault haben sie übrigens ein Eigentor geschossen. Überdenken Sie ruhig mal die Erfahrungen unserer Zivilisation in Bezug auf den Antigone-Stoff. Treffer und versenkt!
Antigone, Berlin: der symbolische Ort der Repräsentation
@ Stefan: Vielleicht verstehe ich Sie nicht ganz, deshalb frage ich lieber noch einmal nach. Ihnen nach ist die Figur der Antigone also das Sinnbild "unserer Zivilisation"? Inwiefern das? Ich würde das bezweifeln, ist sie doch im Grunde ein ebenso abgründig ungeheurer Mensch wie Kreon. Beide streben nach Absolutsetzung ihrer Ideale bzw. ihrer subjektiven Wahrheit, und das vor dem Hintergrund des aktuellen gesellschaftlichen Kontexts, das heisst in einer Zeit, in welcher an eine absolute Wahrheit - Gott - längst nicht mehr geglaubt wird, zumindest nicht als Wegweiser des menschlichen Schicksals. An die Stelle des göttlichen Prinzips sind sprachlich gesetzte, kontingente Wahrheiten getreten, welche zwischen Menschen - und/oder mit Hilfe eines Therapeuten - ausgehandet werden müssen. Wobei meines Erachtens Skepsis darüber angebracht wäre, ob dieser Therapeut denn nun als Ersatz für die vormals göttlich gesetzte, absolute Wahrheit gelten könne oder nicht vielmehr auch nur eine kontingente Wahrheit vertritt, nämlich die medizinisch-therapeutische der paradoxen Intervention.

Folglich geht es hier nicht um den vermeintlichen Gegensatz zwischen Kreon (Institution des Staates bzw. Recht und Gesetz) und Antigone (Humanismus), sondern darum, dass beide den Ort der symbolischen Repräsentation verlassen bzw. überschreiten, woran dann auch beide am Ende scheitern.

Also alle ab zum Therapeutengott? Oder doch lieber hin zu einer neuen kontingenten Form des inter-subjektiven und kommunikativ ausgehandelten gemeinschaftlichen Lebens? Hin zur ästhetischen Perspektive, über welche die gesetzten Normen und Regeln des symbolischen menschlichen Zusammenlebens kritisch hinterfragt bzw. neu entworfen werden können? Ob wir in diesem Sinne bereit wären, dem Dionysos-Gott zu huldigen, das ist hier die Frage. In der von mir besuchten Vorstellung riss dann allerdings doch keiner die Sitze aus den Verankerungen, wie von Peter Thiessen als Musiker (!), nicht als Therapeut, wärmstens empfohlen. Es wäre eine Überlegung wert. Kommt drauf an.
Antigone, Berlin: Verlust der Stimme
Ich würde Frau Irene Bazinger gern fragen, warum Antigone hier der Stecker gezogen wird und sie unplugged in den Tod gehen muss. Könnte das nicht darauf verweisen, dass Antigone mit dem Verlust ihrer Stimme auch ihre gesellschaftliche Macht verliert? Könnte es nicht vielen Frauen (auch weniger "radikalen" als Antigone) so ergehen, welche sich unter das "symbolische Gesetz des Vaters" (nach Lacan) begeben (müssen), womit sie aber ihre eigene Stimme verlieren? In diesem Sinne ist es vielleicht auch eher kontraproduktiv, Antigones berechtigtes politisches Anliegen zu pathologisieren bzw. das zu parodieren.
Antigone, Berlin: Text und Musik
hin und her, her und hin, aber eins ist doch allen klar: der text ist tausendmal stärker als die musik. und das ist scheiße.
Antigone, Berlin: Frage an die KommentatorInnen
Hab's gerade gestern gesehen. Aber noch einige Fragen offen. Kann mir zum Beispiel einer der Kommentatoren hier sagen, warum der blinde Seher Teiresias als Gaga-Handpuppe (gespielt von Tilman Strauß) plötzlich von der (unterschiedlichen) Lust von Frauen und Männern redet? Ist das Kreons Unbewusstes, welches quasi durch seinen Bauch redet, welches er aber verdrängen muss, weil er sich an das (göttliche) Gesetz hält/halten muss?
Antigone, Berlin: wütende Fußnote
Hier noch ein Nachtrag zur Hellinger-Parodie (hoffentlich ist es eine). Hab ich im neuen Stück "Angst und Abscheu in der BRD" von Dirk Laucke gelesen. Zitat als sogenannte "wütende Fußnote":

>> Bert Hellinger, der Begründer der Familienaufstellung ist nicht nur Käufer von "Hitlers kleiner Reichskanzlei" auf dem Obersalzberg, sondern auch Verkäufer gewisser psychologischer Kostbarkeiten wie der soeben elegant im Text der friedensliebenden OP-Schwester zitierten: "Die Täter sind nämlich die ärmsten Opfer. Sie haben es am Ende am schwersten". Oder, noch besser: "(Das) jüdische Volk (findet) erst dann seinen Frieden mit sich selbst, mit seinen arabischen Nachbarn und mit der Welt, wenn auch der letzte Jude für Hitler das Totengebet gesprochen hat" - aus dem Buch mit dem klingenden Titel "Mit der Seele gehen", 2001, Seite verdammtnochmal 50. Oder noch ein Beispiel von Hellinger: Er erzählt von einem deutschen Soldaten, der Partisanen erschießen sollte. Hat er nicht gemacht. Waffe weg. Er selber wurde an die Wand gestellt. Und was meint der Therapeut dazu? "Er hat sich vor seinem Schicksal gedrückt. Wenn er geschossen hätte, weil er sich sagt: 'Ich bin verstrickt in meine Gruppe, und die sind verstrickt in ihre Gruppe, und das Schicksal hat es so gefügt, dass ich sie erschießen muss.'" Und wenn er das anerkenne, sei das "Größe". LALALA!
Antigone, Berlin: Frage & Antwort
Aus welchen Gründen wurde mein Kommentar gekürzt? Nach dem "LALALA!" kam noch was.

(Liebe Jenny,
Ihr Kommentar ist hier nur bis zu dem Lalala angekommen, wurde also nicht gekürzt.
MfG, Anne Peter für die Redaktion)
Antigone, Berlin: planetarische Zivilgesellschaft
Na, das verstehe noch einer. Dann folgt hier eben nochmals die kleine Ergänzung: Wir sind alle unverwechselbare Individuen, wir brauchen keine inkarnierten Götter als Führer, und die planetarische Zivilgesellschaft gründet sich auf der Spannung zwischen der Einzigartigkeit des Individuums und dem Gemeinwohl. Wer sich zu sehr von der politischen Basis entfernt, der wird seiner Repräsentations-Rolle nicht mehr gerecht.
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