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Wenn Freiheit immer Krise heißt

von Thomas Askan Vierich

Wien, 16. Februar 2011. Björn Bicker hat für sein Stück über illegale Einwanderer, das 2008 an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt wurde, eineinhalb Jahre recherchiert: Er sprach mit Flüchtlingshelfern, Beamten, Wissenschaftlern und den Illegalen ohne gültige Papiere und Visum. Aus diesem Material hat er seinen Text gebaut. Er lässt drei Illegale aus Südamerika, dem Mittleren Osten und der Ukraine ihre Geschichte erzählen. Das sind keine schönen Geschichten. Sie handeln von Menschen, die es offiziell nicht gibt, die im Untergrund leben.

Sie sind aus Ländern geflohen, wo sie gefoltert wurden oder einfach keine Zukunft mehr für sich gesehen haben. Sie haben sich viel Geld geliehen, um es an Schlepper zu zahlen, die sie über die Grenzen zu uns gebracht haben. Hier arbeiten sie als Putzfrauen, Prostituierte, Erntehelfer oder holen sich ihre paar Euros von irgendwelchen Unterstützungsstellen, manchmal auch doppelt. Sie zahlen keine Steuern, keine Krankenkassenbeiträge, sie sind namenlos, unsichtbar. "Wir scheißen auf eure Gesetze", sagen sie. "Eure Gesetze scheißen auf uns."

Aus dem wirklichen Leben

Sie sind isoliert, verhalten sich unauffällig. Sie haben immer Angst. Manchmal träumen sie von der Liebe oder einer Zukunft. Aber auch ihre Träume gehen schlecht aus. Nur einer der drei, der Namenlose aus der Ukraine, scheint halbwegs angekommen zu sein: Er spielt in einer Rockband Gitarre, jobbt als DJ und Gärtner. Und kommt bei den einheimischen Frauen unheimlich gut an. Es liegt wohl an seiner Ausstrahlung - die Arne Gottschling mit viel Lässigkeit und süffisantem Lächeln rüberbringt: "Ich bin frei. Wer ist das schon?" Allerdings weiß er auch, dass "Freiheit immer Krise heißt", vor allem als Einwanderer ohne gültige Papiere.

Bicker holt mit seinem dokumentarischen Zugriff tatsächlich ein Stück Wirklichkeit ins Theater. Und man versteht, warum er sich mittlerweile aus dem regulären Theaterbetrieb verabschiedet hat, wo Premieren stattfinden, weil sie stattfinden müssen. Für ihn wäre das "verschwendete Lebenszeit", sagt er. Er findet es interessanter, sich mit Problemen zu beschäftigen, die "tatsächlich etwas mit meinem Leben und dieser Gesellschaft zu tun haben." Deshalb setzt er schon seit Jahren auf das Dokumentarische, stellt Randgruppen auf die Bühne. Allerdings lässt er sie nicht ihre eigenen Texte sprechen. Die sollen schon Schauspieler vortragen, die auch klar als Schauspieler kenntlich sind.

Monologe statt Szenen

Das Material, die Interviews der Recherche bestimmen die Form des Stücks: Es sind Monologe, die manchmal wie Antworten auf herausgeschnittene Fragen klingen. Natürlich hat Bicker seine Gesprächsprotokolle intensiv bearbeitet, alle drei Stimmen unterscheiden sich deutlich in ihrem Duktus, Bicker setzt Stilmittel ein, Wiederholungen, Brüche, Schleifen.

Das Künstliche wird noch verstärkt durch kurze Videoeinspielungen: Die wie in Hologrammen vervielfältigten Köpfe der Protagonisten agieren als Chor und formulieren Sätze, die für alle illegalen Einwanderer gelten sollen, zum Beispiel: „Wir sind neue Menschen. Wir sind viele. Schnee können wir nicht leiden. Wir versorgen uns selbst. Wir sind beweglicher als ihr. Ihr seid von gestern."

Jeder spricht für sich allein

Der Nachteil dieser Form ist, dass so kein szenisches Spiel entsteht. Es bleiben rhetorisch, aber nicht dramatisch aufgearbeitete Monologe. Wie soll man das inszenieren? Die junge Regisseurin Susanne Egger setzt auf Reduktion und auf die Wirkung des Textes: Sie lässt ihre drei Schauspieler einfach reden. Manchmal dürfen sie aufstehen, ein bisschen herumlaufen oder sich zu den Zuschauern setzen. Aber echte Interaktion findet nicht statt, kann auch nicht stattfinden. Jeder erzählt abwechselnd und fragmentarisch seine Geschichte. Alle sprechen einwandfreies Hochdeutsch. Allerdings wäre ein aufgesetzter Akzent wohl auch ziemlich nervig gewesen.

Trotzdem trägt das Nüchterne, Zurückhaltende, fast Distanzierte zur Bravheit dieser Inszenierung bei. Viel mehr als eine auswendig gelernte Lesung in verteilten Rollen mit kurzen Videoeinspielungen ist dabei nicht herausgekommen. Am Anfang hört man eine junge, etwas verfremdete Stimme scheinbar kindliche Fragen stellen: "Wie sieht ein Österreicher aus? Was ist eine humane Abschiebung? Ist eine Mehrheit besser als eine Minderheit? Hat die Innenministerin Angst?" Das sind neben ein paar textlichen Adjustierungen die versprochenen österreichischen Aktualisierungen der Münchner Uraufführung. In München hatte es zusätzlich noch verschiedene Stationen mit kurzen Performances gegeben, durch die die Zuschauer geschleust wurden. Sogar ein kleines Rockkonzert mit Schauspielern wurde gegeben. All das hat man in Wien vermisst.

 

Illegal (ÖEA)
von Björn Bicker
Regie: Susanne Egger, Ausstattung: Katja Rotreki, Dramaturgie: Hans Mrak, Videoregie: Alex Gruber.
Mit: Heike Kretschmer, Arne Gottschling, Robert Prinzler, Flora Helene Chiba.

www.volkstheater.at

 

Mehr zu dem Recherchestück: Peter Kastenmüller brachte Illegal im Juni 2008 zur Uraufführung. Julia Hübner inzenierte den Text im März 2009 in Freiburg.

 

Kritikenrundschau

"Eine Sprechoper als Einmischungstheater, brav solidarisch, aber nicht risikolos! Die drei auf der Bühne in Bürosesseln sitzenden Vorzeige-Illegalen bauen allmählich in Chören ein Bedrohungsszenario auf", schreibt Hans Haider in der Wiener Zeitung (18.2.2011). "Immer mehr Ihresgleichen schreien mit dem Selbstbewusstsein der 'Verdammten dieser Erde', werden Europa überschwemmen, ein neues Volk, ohne Pass und ohne Grenzen." Das sei "Utopie Europa anders'rum", und indem sie die Gesichter der drei Sprechenden vervielfältigt auf die Bühnenwand projiziert, suggeriere die Regisseurin Susanne Egger bedrohlich wachsende Massen.

 

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