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Am Tag, als der Regen kam

von Andreas Wilink

Düsseldorf, 2. März 2011. "Warum also heute ein Sittenstück aufführen. Warum in die Mottenkiste greifen. Die Unzulänglichkeit der Gattung wurde vorgeführt. Warum also... Grob könnte man sagen, dass ein historischer Umbruch, dem Goldonis Stück vorausgeht, heute ansteht." So Einar Schleef im Vorwort zu seiner Extremfassung der "Trilogie der schönen Ferienzeit", die er 1999 im Burgtheater, opulent und überlang, unter dem Titel "Wilder Sommer" herausbrachte.

In der Typenkomödie des Venezianers Carlo Goldoni, 1761 kurz vor seinem Weggang nach Paris verfasst, warten die Seelenkasper schon darauf, Charakter zeigen zu dürfen. Der Absolutist Schleef behauptete, fordernd und nicht fragend, die akute Zustandsbeschreibung, egal in welchen Klamotten, ob in Rokoko-Reifröcken oder Versace-Dessous. Es muss ums Ganze gehen: um Geld und Sex, um Triebkräfte und den Warencharakter der Liebe, um Sprengsätze, die ein marodes Wertesystem zum Einsturz bringen. Das ist die Messlatte. Man muss hoch springen. Oft kommt das Theater dabei nur auf halbe Höhe. Auch am Düsseldorfer Schauspielhaus.

Flachsicht auf Ramsch

Eine Palme biegt sich im südlichen Wind über einem Strandidyll mit Segler: ein Videobild. Daneben hängt ein Gemälde, das das gleiche Ferienkatalog-Motiv aufnimmt. Die Differenz zwischen Sein und Schein ist so groß oder gering wie die zwischen dieser fotografischen Aufnahme und deren malerischer Nachahmung. Das ist der Trick des Stücks und bleibt ein Problem seiner Aufführung, die sich in einer modisch aufgepeppten, aber unkonkreten, bunt gemalten Grauzone einrichtet.

Zwischen planer Abbildung und verschärfter Übertragung versucht Wolfgang Engel die Wirklichkeit zu packen und die Oberfläche zu durchdringen, indem seine Inszenierung rein an eben dieser bleibt. Die Flachsicht bedient sich des ästhetischen Formats eines Helmut-Dietl-Films. Engel führt vor, wie billig teurer Ramsch ist, auch mittels der zeitnahen Übersetzung (Achim Gebauer) und der Kostüme (Zwinki Jeannée), deren Seide und Halbseide, Gold, Strass, Chiffon, Khaki, Flitterkram und rosa Rüschen – verziert mit Tattoos, viel falschem Haar und dicken Klunkern – eine Show abziehen.

Die vier Stunden sind sauber gearbeitet. Nicht mehr. Engel bringt das Ensemble nicht über ein Mittelmaß, das es vor zwei Jahren weit überstieg, als er Thomas Manns biblischen Roman-Jokus von Joseph und seinen Brüdern zum wundersamen Gottesspiel machte. Lief es bei Thomas Mann auf Heilwerdung einer Welt der Frühe hinaus, steht Goldoni fürs Gegenteil: Etwas zerbricht. Doch will man hier das Verharren im Vordergründigen, Konventionellen, Klischeebesetzten nach der feinen Konzentration des "Joseph" kaum wahrhaben.

Bunte Bagage unterm Sonnenschirm

Auf der großen Bühne des Central offeriert sich ein Stilangebot wie aus der Trödlerauslage von der Biedermeier-Sitzgruppe über Plüschsessel zur schwarzen Ledergarnitur nebst Paravants, Flügel und Plunder, der sich durch seitliche Spiegelwände vermehrt.

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© Sebastian Hoppe

Ruckzuck, forciert auf Tempo gebracht mit Rossini und etlichen Canzoni, die geschleift und um ihren Schmelz gescratcht werden, geraten wir in den Reisestress eines Bürgertums, das – flüssig oder klamm – mit Familie, Freunden, Schnorrern, Mitgiftjägern von Livorno in die Sommerfrische Montenero aufbricht. Und es damit dem aristokratischen Lustprinzip nachtut. Da wurde noch fix ein Modellkleid Marke Mariage in Auftrag gegeben, müssten Rechnungen beglichen, wollen galante Verabredungen getroffen werden. Nach dem Aufbruch breiten die Bediensteten große Tücher übers Mobiliar, und mit einem Dreh lümmelt sich die bunte Bagage am Lido auf Holzplanken unterm Sonnenschirm: blasse Buben, graues Männermittelalter (Götz Schulte als Filippo mit der Miene absoluter Geistesleere) und farbenfrohe Damen (Marianne Hoika als in Unehren blondierte, unwürdige Alte).

Frontalaufklärung

Filippos Tochter Giacinta (Katrin Röver) nutzt das Privileg weiblicher Raffinesse. Fast eine Minna von hellem Verstand, hat sie die Wahl zwischen zwei Bewerbern. Der eifersüchtige Leonardo, den Michele Cuciuffo mit Zorro-Manieren akustisch wie gestisch breittritt, trägt ihr die Ehe an, auch um seinen desolaten Haushalt zu sanieren. Guglielmo schneidet besser ab, kriegt aber schließlich nur Vittoria (Janina Sachau), Leonardos Schwester.

Die Strategien für den pursuit of happiness gehen nicht auf. Die Mechanik der Anpassung an die Konvention greift – und quält vor allem Giacinta, die am Ende des zweiten Teils, als andere schon wieder nach Livorno eilen, im Nassen steht. Am Tag, als der Regen kam, verliert sie ihr Glück. Zuletzt haben sich vier Paare verkehrt zusammen getan, während das mögliche Happy End in der dienenden Klasse blockiert wird.

Frontal ans Publikum gerichtet, haben uns die Schauspieler hübsch über etwas aufgeklärt, das allen längst klar gewesen ist.

 

Trilogie der schönen Ferienzeit
von Carlo Goldoni, übersetzt von Achim Gebauer
Regie: Wolfgang Engel, Bühne: Horst Vogelsang, Kostüme: Zwinki Jeannée, Musik: Thomas Hertel.
Mit: Lisa Arnold, Daniel Christensen, Michele Cuciuffo, Denis Geyersbach, Daniel Graf, Marianne Hoika, Karolina Horster, Stefan Kaminsky, Katrin Röver, Wolfram Rupperti, Janina Sachau, Stefan Schießleder, Götz Schulte, Susanne Tremper.

www.duesseldorfer-schauspielhaus.de


Mehr zu Wolfgang Engel gibt es im nachtkritik-Archiv.

 

Kritikenrundschau

Im WAZ-Portal DerWesten (4.3.2011) schreibt Petra Kuiper, dass Wolfgang Engel für ausufernde Theaterabende be­kannt und geschätzt sei. Bei seiner Thomas-Mann-Bearbeitung "Joseph und seine Brüder" sei die Rechnung aufgegangen. "Bei Goldoni tut sie es nicht. Weil es hier nicht genug zu erzählen gibt." Denn  Goldonis "Trilogie" ist nicht mehr als eine liebenswerte Boulevardkomödie, die für einen Zweistundenabend tauge, nicht für einen halben Arbeitstag. "Engel jedoch mag sich nicht trennen und nicht streichen. Alles wird plattgewalzt und breitgeklopft bis es zäh ist wie Brotteig. Dazu gesellt sich manche Ungereimtheit. So pendeln wir, schubidu, durch Zeit und Raum – reist das Goldoni-Personal in modisch zerfetzten Jeans und Muskelshirts in Kutschen (!) in die 'Sommerfrische' eines 18. Jahrhunderts. Zum Paravent von 1700 gesellt sich ein Diaprojektor, auf dem eine Palme dauerwedelt. Ebenso wüst gemischt ist die Musikuntermalung aus Orchester, Oper und Schlagern. Hauptsache laut und italienisch."

"Wolfgang Engel verlegt sich auf den schrillen Stilmix", so Dorothee Krings in der Rheinischen Post (4.3.2011). Das Spiel de Schauspieler habe boulevardeske Drastik, und es mache Spaß, ihnen beim Karikieren zuzusehen. "Allerdings nur eine Zeit lang." Bei Engel ziehe sich schon die Abreise der Amüsierwütigen unnötig in die Länge, "und als die Gesellschaft auf dem Lande angekommen ist, gibt es zu viel Langeweile im Liegestuhl und Stagnation am Spieltisch." Fazit: "Straffung hätte den Szenen gutgetan, auch ist der Stoff so gewichtig nicht, dass man Zuschauer dafür mehr als vier Stunden im Theater halten müsste."


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