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Die Komik des Verschwindens

von Tobias Prüwer

Jena, 3. März 2011. Hotels sind Transitorte. Wenn sie auch nicht ganz so zugig und ungemütlich wie Bahnhofshallen oder Flughäfenterminals anmuten, so bleiben sie Durchgangsstationen, in denen man sich nicht heimelig einrichten mag. Einen passenden Ort also stellt das Hotel dar, um nach dem Zuhausesein zu fragen in einer Zeit, der nachgesagt wird, man müsse permanent räumlich wie charakterlich unterwegs sein, um zu bestehen.

Heimat: Um diesen Begriff oszilliert die aktuelle Spielzeit am Theaterhaus Jena, die unter dem Motto "my home is not your castle" steht. Um es vorweg zu nehmen: Den erklärten Anspruch, etwas über heimatliche Gefühle zu erzählen, löst die Inszenierung von Tomas Schweigen nicht ein. Sie zielt mehr auf den Bauch als auf den Kopf, aber das muss – wie in diesem Fall – nichts Schlechtes bedeuten. Wie ein komischer Kreisel entfaltet das Amüsierstück einen Sog und zieht die Lacher an. Unentwegt rotiert die Drehbühne und gibt den Blick auf kleine Szenen frei, die zu einem Reigen wechselnder Rollen zusammenfinden, der als roter Faden das Stück durchzieht.

Abgelegene Waldlage, stilisierte Unheimlichkeit

"Hotel. make yourself at home" ist die dritte Produktion, die Tomas Schweigen am Theaterhaus Jena entwickelt hat. Herausgekommen ist dabei ein gutes Stück Theatertext, der mit dieser Uraufführung sicherlich nicht seine letzte Bühnenpremiere feierte. Die Grundauslage ist eher klassisch, wird aber durch witzige Dialoge mehr als nur aufgepeppt: Mitten in einem namenlosen düsteren Wald, am Rande eines ominösen Moores steht ein Hotel in der Pampa. Dort empfangen eine gestrenge Rezeptionistin (Idealtyp Kammerzofe: Saskia Taeger), ein tollpatschiges Zimmermädchen (apart mit zwei linken Händen: Vera von Guten) und ein dienstbeflissener Page (munter treppauf, treppab: Mohamed Achour) eine Schar von Gästen.

Ein zombiehaft umher schleichender Hausmeister (wortkarger Psychopath: Julian Hackenberg) sorgt für erste unheimliche Momente, und es soll nicht bei diesen noch wenigen dunklen Stimmungsflecken im von leichter Patina überzogenen Gästegebäude bleiben. Denn nach und nach nimmt die Zahl der ursprünglich acht Hotelbesucher – alle von den erwähnten vier Schauspielern in wildem Kleiderwechsel gegeben – ab. Ein Gockel von Filmschauspieler verschwindet spurlos, die sich mondän gebende Frau König hinterlässt nichts als ihr Kostüm in der Hotellobby und wo ist der alles so reizend findende Pensionär Schnückepück plötzlich geblieben? So drehen die Bühne und das Personenkarussell ihre Kreise, bis keine handvoll Gäste mehr übrig ist.

Film, Theater, Kollektivbildung

"Miss Marple" trifft auf "Die drei Fragezeichen": In seinen Anspielungen auf verschiedene Filme und Theaterstücke haften "Hotel" Züge von Charles Ludlams wahnwitzigem Klassiker "Das Geheimnis der Irma Vep" an. Zwar weniger grotesk als dieses, ist Schweigens Stück aber genauso trashig-fröhlich und unterhaltsam. Man vermisst daher tiefere Sinnschichten keinesfalls, wären solche nicht zuvor angekündigt worden. Hier wird die Gesellschaft des Spektakels, das mag man wohlwollend noch herauslesen, auf engem Raum, auf ihre Formel gebracht: Wer nicht mitspielt, fliegt raus. Es gilt, gesehen zu werden oder eben zu verschwinden. So vergeht rund eine Stunde vergnügt und etwas nebulös, bis sich das Mysteriöse mehr und mehr einschleicht und die Figuren ihre Rollenhaftigkeit sich selbst und dem Publikum offenbaren.

Allmählich wird das Theater selbst zum Thema, blicken die Verbliebenen nach der Flucht durch einen geheimen Gang von der Bühnenkante in den Zuschauerraum, um sich zu wundern, wo sie sich befinden. Kurz wird an der vierten Wand gekratzt, bevor sich sie sich dem Schicksal, nur fiktive Figur zu sein, fügen (müssen).

Timing Timing

Schweigen ist eine gut durchkomponierte Tür-auf-Tür-zu-Komödie gelungen, bei deren Uraufführung das Tempo zum Teil aber schleift. Nicht ganz reibungslos verläuft das Spiel der Darsteller. Ihr Timing sitzt nicht richtig und zur Premiere hat man den Eindruck, dass die Probenzeit etwas kurz ausgefallen ist. Nicht immer kommt daher die im Stück angelegte Wechselfreudigkeit deutlich zum Tragen, manchmal werden pointierte Momente schlichtweg verpasst. Das ist kein großer Malus: Auf den Punkt gekonntes Spiel wird sich gewiss einschleifen, wenn die Drehbühne noch ein paar Mal mehr rotiert.

 

Hotel. make yourself at home
von Tomas Schweigen und Ensemble Regie: Tomas Schweigen, Bühne und Kostüme: Stephan Weber, Dramaturgie: Kristin Domröse.
Mit: Mohamed Achour, Julian Hackenberg, Vera von Gunten, Saskia Taeger.

www.theaterhaus-jena.de


Mehr zu Tomas Schweigen und seiner Gruppe Far a day cage; zuletzt besprachen wir MyState, das im April 2010 am Theaterhaus Jena entstand.

 

Kritikenrundschau

Ein "Theaterfest für Schauspieler", schreibt Frank Quilitzsch in Thüringischen Landeszeitung (5.3.2011). Das Stück hat aus seiner Sicht das Zeug, zum Renner der Saison zu werden. Es sei, so Quilitzsch, eine Mischung aus "Pension Schöller", Hitchcock, "Dinner for One" und absurdem Theater. Kurz: "ein famoses, doppelbödiges Spiel mit Identitäten, das die Mimen antreibt und das sie selbst mit bestimmen; denn wie immer hat Schweigen das Stück gemeinsam mit dem Ensemble entwickelt und lustvoll ausgereizt." Grandios findet der Kritiker auch Stephan Webers Drehbühnenbild

Ihren Spaß hatte auch Constanze Alt von der Ostthüringer Zeitung (5.3.2011) mit diesem "Spiel der Identitäten und Realitäten". Besonders Julian Hackenberg beweist ihr als "quasimodischer Hausmeister" vollstes Talent, gerät er "doch prototypisch widerlich; zur Essenz allen Hausmeistertums". Seien die Rollen zunächst noch differenziert, "oder sogar teilweise gegenteilig angelegt, verschwimmen die Individualgrenzen gegen Ende des Stücks zusehends. Und dieses Verschwinden erreicht auch das Figurenbewusstsein."

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