Die spinnen, die Römer

von Hartmut Krug

10. Oktober 2007. Kleists "Hermannsschlacht" ist ein Zeitstück, das den politischen Widerstand gegen Napoleon, den Besetzer Preußens, als nationale Befreiungstat auf die Bühne brachte. Weshalb das 1808 entstandene Stück mit gewissem Sicherheitsabstand erst 1821 gedruckt und 1839 uraufgeführt werden konnte.

Das Stück über den Cheruskerfürsten Hermann, der als geschickter Taktiker nicht nur die uneinigen Germanenfürsten, sondern auch den römischen Feldherrn Varus über seine Absichten täuscht, lässt unter dem wütenden Druck seiner vaterländischen Tendenz wenig Raum für differenzierte Figurendarstellungen.

Die Aufführungsgeschichte kennt vor allem die politische Instrumentalisierung, aber auch die aufklärerische Ironisierung (zum Beispiel in einer legendären Inszenierung von Claus Peymann). Oliver Schmaering, der intellektuelle Belesenheit wie Aktualisierungsgeschick bereits in einem ebenfalls vom Neuen Theater Halle uraufgeführtem "Seefahrerstück" gezeigt hat, aber auch in seiner eigenen Version der "Nibelungen" in Schwerin und bei einer Shakespeare-Übermalung von Shakespeares "Coriolan ist Panzer des Jahres! Ist Opfer der Woche" (Anfang des Monats im Berliner Theaterdiscounter uraufgeführt), macht aus Kleists "Hermannsschlacht" eine "Hermanns Schlacht".

Ganz für den Augenblick berechnet

Schon in seinem "Coriolan" lassen die dauernden taktischen Ankündigungen des Titelhelden Politik als medial verwertbaren und verwerteten Schaukampf erscheinen. Schmaerings Hermann nun besitzt keinerlei politisches oder hohes vaterländisches Ziel mehr. Er will nur eines: Chef sein. Also ran an die Macht. Um das Volk von dieser Idee zu überzeugen, braucht er eine "Schaufel Sinn". Die soll ihm ein Redenschreiber liefern. Für diese Funktion wird der tote Dichter wiederbelebt. Als ein Kleist, der in der Uraufführungsinszenierung zunächst als schmaler Anzugträger mit Hut träumerisch alert wirkt, um später in Hotpants, den silbernen Gürtel über dem Netz-Unterhemd, albern aktualisiert und ironisiert zu werden.

Zunächst aber haucht er im schwarzen, leeren Bühnenkasten (Achtung, alles nur Theater!), während im Hintergrund eine Frau putzend über den Fußboden rutscht (Achtung: hoher Ton contra banale Realität!), seinem Jettchen Liebesworte ins Mikro. Nachdem Hermann, den Morgenmantel überm Schlafanzug, einen Wahlkampftext als "Das ist doch keine Rede. Das ist doch Scheiße" verworfen hat, landet Kleist erst beim Krebs seiner Frau, den er ihr mit dem Revolver aus den Eingeweiden schießen will. Und dann bei den Mathe-Hausaufgaben des Kindes.

Zwei-Frontenkrieg im Bademantel

Damit ist das hauptsächliche Konstruktionsprinzip von Oliver Schmaerings Stück installiert: die Entlarvung von Sprache, von Kleistscher Sprache. Gegen dessen klappernde Blankverse wird eine hohle Alltagssprache gesetzt. Sprache, so die Botschaft, wird nicht nur (wie bei Kleist) durch Begeisterung hervor- und in die Pathoshöhe getrieben, sondern soll selbst Begeisterung schaffen. Schmaering zeigt mit seiner allzu direkten kabarettistischen Überführung des Hermann-Stoffes in unsere Gegenwart Politik, beginnend bei der Machtübernahme durch Rot-Grün, als rhetorische Inszenierung. Sinnsuche wird durch Geschwätz ersetzt.

"Hermanns Schlacht" ist schlichtes Kabarett. Von dem wir nichts erfahren, was wir nicht immer schon über politische Intrigen sowie über Machthunger und Sinnvakuum von Wahlschlachten gewusst haben. Hermann wird mit zahlreichen Details (zu Haarfärbung und Gasableser-Ambitionen) als Gerhard Schröder kenntlich gemacht, dem ein Varus mit Tarnanzug im Rollstuhl entgegenrollt, der das grinsende Gesicht des Helmut Kohl hinter schwarzer Brille versteckt. Schmaerings plattes Stück "entlarvt" Politik als leere Inszenierung. In das politische Theater bringen nur Songs etwas Wahrheit: wie "Sex and Drugs and Rockn Roll!" oder eine geborgte Sehnsucht aus Lindenbergs "Mädchen aus Ostberlin".

Geht man so mit Thusnelda um?

Da sonst aber alles Theater ist, schlüpft Hermanns unentschiedener Gegenspieler Marbod auch einmal in die Rolle Hamlets. Und Thusnelda darf sich in jeder Szene in einem anderen Kostüm präsentieren. Dabei ist sie eine Realistin, die Politik als "große Applaus-Schau" bezeichnet. Regisseur Albrecht Hirche betont leider nicht das Entscheidene an Schmaerings Stück, sondern vernachlässigt die kritische Sprachgestaltung. Und er erdrückt es mit einer Fülle von altbackenen, bunten Regieeinfällen aus der Resteverwertung des sogenannten Regietheaters.

Was schnell, einfach und direkt sein müsste, zieht sich zäh dahin. Das fünfköpfige (Chor-)Volk wedelt unentwegt mit seinen Zeitungen, die Drehbühne dreht sich, der Dudelsack tönt und die Protagonisten krabbeln unter italienische und deutsche Nationalflaggen. Da Schmaerings Kabarettfiguren weder ausgestellt noch gestaltet erschienen, gab es auch für die Schauspieler nichts zu holen. Denn entwickelt oder aufgedeckt wird hier nichts, nur allzu Bekanntes pointenlos aufgezählt. Trotz freundlichem, kurzem Beifall: das Publikum war sichtlich froh, als nach 1:40 Spielzeit schon alles vorbei war.

 

Hermanns Schlacht
von Oliver Schmaering
Regie, Bühne und Kostüme: Albrecht Hirche.
Mit: Karl-Fred Müller (Hermann), Barbara Zinn (Thusnelda), Björn Geske (Marbod), Jörg Simonides (Varus), Yves Hinrichs (Kleist). Chor: Mitglieder des Jugendclubs der Kulturinsel Halle/ neues theater (Sara Englich, Sandra Mühlbach, Sebastian Beyer, Moritz Gottwald, David Nowak).

www.kleistfesttage.de

 

Kritikenrundschau

Andreas Hilliger in der Mitteldeutschen Zeitung (12.10.2007) findet, dass Schmaerings Aktualisierungslust sich das falsche Objekt gesucht hat: "Das Modell, das präzise auf die Verhältnisse seiner Zeit zugeschnitten war, lässt sich dem Polit-Boulevard der Berliner Republik nicht überstülpen. Da hilft es auch nicht, wenn der untote Kleist im Pete-Doherty-Look dem Kanzler-Anwärter immer wieder pathetisches 'Ah' und 'Oh' in das Rede-Manuskript schmuggelt." Wobei Schmaering seinerseits nun wieder von Hirche missverstanden worden sei: "Der Regisseur schmiert die Handlung als kabarettistische Revue in SchwarzRotGold aus und verkleistert so weiter die eigentliche Qualität des Urtextes."

 

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