Endstation Sehnsucht - Dagmar Manzel feiert in Thomas Langhoffs Inzenierung eine Single-Party
Die Torschlusspanikerin
von Anne Peter
Berlin, 8. März 2011. 40 ist die neue 30, sagt man. Zehn Jahre länger also, um sich jung zu fühlen. Zehn Jahre länger, bevor manch einen dann doch Torschlusspanik befällt. Entsprechend hat Thomas Langhoff seine Inszenierung des Prolet-meets-Lady-Klassikers "Endstation Sehnsucht" am Berliner Ensemble deutlich älter besetzt, als vom Autor vorgesehen. Bei Tennessee Williams war Stella zarte 25, ihr Mann Stanley und Schwester Blanche um die 30. Jetzt bewegt sich Blanche gen 50, bei Stellas würde man heute wohl von einer "Risikoschwangerschaft" sprechen.
"Ich verliere langsam meine Anziehungskraft", klagt Dagmar Manzel als Blanche und wendet das Gesicht theatralisch zur Seite. "Ich weiß nicht, wie lange ich das noch verhindern kann." Sie sitzt bei Schwester und Schwager in New Orleans auf dem Sofa, auf der Flucht vor der Vergangenheit, vor unstatthaften Liebschaften mit allzu zahlreichen fremden Männern und allzu jungen Jünglingen. Der Krach zwischen dem ordinären Muskelherzeiger Stanley und seiner Etepetete-Schwägerin ist allerdings vorprogrammiert.
Befindlichkeiten der Single-Gesellschaft
Manzel verziert ihre Torschlusspanikerin mit diversen Facetten und Nuancen. Sie spielt nicht die weltenthobene, zart zerbrechliche Phantastin, sondern die bewusst und pragmatisch schauspielernde Diva, die weiß, dass sie sich nur noch durch gnadenlose Selbstinszenierung retten kann. Manzel schubst das Stück vor allem im ersten Drittel gehörig in Richtung Komödie, indem sie ihr Spiel mit permanentem Augenzwinkern versieht, ihre Stimme plötzlich in ironische Tiefe kippen lässt und die Pointen mit trockener Schlagfertigkeit serviert. Wenn sie allzu schnell nach der Whiskey-Flasche greift, die sie doch eigentlich noch vorgibt zu suchen, oder wenn sie sich selbst mit der Bemerkung: "ICH werde mein Leben in den Griff kriegen" auf die schon wieder gen Flasche ausgestreckten Finger haut, perlt der Boulevard aufs Schönste, legt sie die Widersprüche ihrer Figur unterhaltsam blank. Wie sie und Mitch später ihre beiden trostlosen Existenzen aneinanderlehnen und das Tête-à-tête dabei mit unbeholfenen Sehnsuchtsgesten aufladen, rührt wiederum ans Herz. Ist dieser Mitch, dem Veit Schubert die Fäuste verlegen in die Hosentaschen ballt, für Blanche doch so ziemlich der letzte Anker vor der Endstation Einsamkeit.
Während Langhoff die Figuren emotional also durchaus nah an uns und die gegenwärtigen Befindlichkeiten unserer Single-Gesellschaft heranholt, signalisieren Bühne und Kostüme von Andrea Schmidt-Futterer historische Distanz. Man setzt sich in 50er-Jahre-Kleidern auf 50er-Jahre-Möbeln, die auf der Drehbühne einen Wendeltreppen-Schneckenbau umstellen. Kurze Auftritte einer Bläser-Combo grenzen die Szenen voneinander ab und verströmen vages New-Orleans-Feeling. An den Rundhorizont dahinter sind je nach Tageszeit mal hellere, mal dunklere Himmel-Malereien geworfen. Auch in anderen Details werden die Regieanweisungen Williams sehr beflissen bedient – das Setting wird keinen Werktreue-Liebhaber verschrecken. Dabei ist der Text durchaus gekürzt; allerdings nicht beherzt genug. Der fast dreistündige Abend hat seine Längen, und auf überdeutliche Symbolzeichen wie die Beerdigungsblumen-Verkäuferin, die die realistische Grundausrichtung seltsam punktuell bricht, hätte man verzichten können.
Die Maiskörner spritzen, das Bier fließt
Eine Schwachstelle des Abends ist ausgerechnet der Kraftprotz Kowalski. Robert Gallinowski erfindet seinem Stanley spielerisch nicht viel Besonderes, Überraschendes hinzu, führt ihn als den groben Proll vor, den man hinlänglich zu kennen meint. Als einen, der breit ausschreitet, Bomberjacke oder Unterhemd trägt, seine Zähne in den Maiskolben schlägt, dass der Saft nur so wegspritzt, und mit offenem Mund kaut. Als einen, der Tische mit einer Handbewegung umhaut und das Bier nicht nur gern in sich hinein-, sondern auch schon mal über sich ausgießt, um Vatervorfreuden zu demonstrieren.
Abgesehen davon, dass es sich hierbei um ziemlich deutliche und erwartbare Kowalski-Gesten handelt, fehlt diesem Stanley leider auch das, was Henry Hübchen (in Castorfs "Endstation Amerika") genauso wie Marlon Brando (in Elia Kazans Broadway-Uraufführung und Verfilmung) besaß: Sex Appeal. Dieser Kowalski ist von keiner Erotik umknistert – da kann ihm Anika Mauers Stella noch so oft begehrlich auf die Wampe springen und ihn mit den Schenkeln umklammern. Dass seine Angetraute, bei Mauer wohltuend schnippisch und zurückfrotzelnd, wirklich heiß und innig auf ihn abfahren oder seine Schwägerin von diesem Mann erotisch irritiert sein sollte, ist da wenig glaubhaft. Als eindimensionaler Brutalo, dem man auch seine wenigen weichherzigen Momente kaum abnimmt, ist er für Blanche wie fürs Publikum gänzlich ungefährlich. Kein Hingezogen-Sein wider Willen; diese Kowalski-Schablone kann man sich gut vom Leibe halten. So muss Dagmar Manzel den Abend ohne rechten Gegenspieler wuppen. Umso erstaunlicher, dass es ihr gelingt. Single-Party eben.
Endstation Sehnsucht
von Tennessee Williams
Deutsch von Helmar Harald Fischer
Regie: Thomas Langhoff, Bühne und Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer, Mitarbeit Bühne: Ulrich Leitner, Musik: Hans-Jörn Brandenburg, Dramaturgie: Hermann Beil.
Mit: Anke Engelsmann, Ursula Höpfner-Tabori, Dagmar Manzel, Anika Mauer, Robert Gallinowski, Lucas Prisor, Veit Schubert, Axel Werner; Musiker: Dieter Fischer, Paul Brody/Martin Klingeberg, Florian Bergmann/Uli Kempendorff, Lucas Prisor.
www.berliner-ensemble.de
Mehr zu Dagmar Manzel? Zuletzt spielte und sang sie die Wirtin Im Weißen Rößl an der Komischen Oper, davor die titelgebende La Périchole am Berliner Ensemble.
"Mit gediegenem, geschmacklich gut abgefedertem Psychorealismus" habe Thomas Langhoff den Broadway-Hit auf die Bühne gebracht, schreibt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (10.3.2011), der sich das Geschehen, wiewohl freundlich geschildert, doch vom Leibe hält. Der erotische Funke zwischen Stanley Kowalski und Stella bleibe vollkommen aus. Dagmar Manzels Blanche komme "nicht zu ihrem Selbst durch, sie ist damit beschäftigt, den Vamp, die Tragödin, die höhere Tochter, die große Schwester, die Giftspritze, das verdorbene Weib, das Nervenwrack zu geben, manchmal mehrere in einem Satz. Dagmar Manzel macht das bravourös, manchmal herzerweichend, machmal mit einem Tick zu viel Brillanz und Nettigkeit."
Mit der Beherztheit eines Heimwerkers habe Langhoff nach dem Realismus-Tacker gegriffen und das Stück umstandslos auf die Eindeutigkeitsbretter genagelt, befindet Andreas Schäfer im Tagesspiegel (10.3.2011): "Sehnsucht? Abgründe? Papperlapapp! Hier gibt’s alles mit Schmackes. Und so darf im fünfziger-Jahre-Ambiente mit eingebauter Spiralwendeltreppe Robert Gallinowski den dicken Max geben. Und Dagmar Manzel zeigen, dass sie zwar keine Blanche im herkömmlichen, also zerbrechlichen Sinne, dafür eine respektable Komödiantin ist, die weiß, wie und wann man dem Pointen-Affen Zucker gibt. Virtuos stellt sie die Posen der überkandidelten Zicke aus, zieht hier eine mädchenhaft verführerische Schnute, macht dort patzig selbstironische Kommentare zu Alkoholkonsum und verwelkender Schönheit, pflegt ein ansehnlich zupfiges Verhältnis zu ihren oft wechselnden Kleidern oder stöckelt Richtung Bad, um ihre angespannten Nerven in der Wanne zu beruhigen." Unterhaltsam sei das, aber "sobald die Lügen zutage treten und es um den Schmerz des verpfuschten Lebens geht, zeigen Manzel und Langhoff nur das nächste, kokette Augenzwinkern. Also die grelle Clownerie einer Verzweiflungstheaterei."
Wesentlich geneigter ist Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (10.3.2011): "Thomas Langhoff setzt von Anfang an auf einen leichten Ton und einen luftigen Horizont, und es gibt erstaunlich viel zu lachen während des knapp dreistündigen Abends. Die Offenheit und Lässigkeit indes, mit der die Darsteller ihre Figuren zwischen Lebenslust, Einsamkeit und Verzweiflung herumschwirren lassen, verstärkt gleichzeitig deren Gefährdung durch einen Abgrund, der sie wie magisch anlockt." Die "bravouröse" Dagmar Manzel halte die Traumtänzerin Blanche "in einer instabilen Schräglage zwischen Zerrüttung und Bodenständigkeit, wo sie nüchtern – flapsig schnatternd wie angetrunken – verwirrt phantasieren kann. Robert Gallinowski als ihr Schwager ist ein glatzköpfiger Bulle, der seine animalische Kraft nicht immer im Griff hat und wohl deshalb nichts so wie den Kontrollverlust fürchtet." Am Ende von Thomas Langhoffs "überzeugender, belangvoll schöner Aufführung" nehme Blanche "kokett den Arm des jungen Arztes, der sie in die Nervenklinik bringt, und schwenkt einen roten Lampion wie eine Handtasche: Zu komisch – aber niemand von denen, die zurückbleiben, lacht."
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"Mit Ben Becker hatte es auch genau den Darsteller, den es für einen Stan Kowalski braucht" - äußerlich mag das stimmen, aber Ben Becker war nicht in der Lage, den Typen, den er so ideal zu verkörpern scheint, dann auch zu spielen, er ist in seinen schauspielerischen Mitteln schon arg limitiert.
Mag sein, so genau habe ich da nicht Buch geführt. Von Ben Becker mag man halten was man will, als Bühnedarsteller ist er tatsächlich nicht die Wucht, die seine Körpermasse suggeriert und an Henry Hübchen reicht er mit Sicherheit nicht heran. Aber er kann das Talent was er hat, zielgenau einsetzen und es passte meiner Meinung nach besser als die anderen Versuche von z.B. Guntram Brattia, sehr verschlagen seinerzeit in Frankfurt oder der eher cool und lässige Lars Eidinger an der Schaubühne, bis hin zum „Skinhead“ Robert Gallinowski. In der momentan laufenden O`Neill-Inszenierung am Renaissance Theater trifft Becker sogar ein paar leise Töne ganz gut, neben der Seehundszene auf dem Tisch. Vielleicht setzt man den Stan Kowalski immer noch mit dem jungen Marlon Brando gleich und sucht irgendwie das Erotische. Dabei ist das meiner Meinung nach eher eine Wunschvorstellung oder auch nur die reine Pragmatik der Stella, die sich auf der Flucht vor ihrer übermächtigen Familientradition an diesen Mann gehängt hat. Das Psychologische dieses Stücks ist übrigens bei Langhoff auch weginszeniert. Eine taffe Blanche, die nie den Eindruck macht, als wäre da etwas hinter der Fassade, bietet dem Brutalo Stan so lange Paroli, bis dieser den Tisch umkippt und ihr unmissverständlich klar macht wer der Herr im Hause ist. Danach beginnt erst der Bruch in der Persönlichkeit Blanches, die leisen Anklänge die Langhoff und Manzel hier streuen, wie in den wichtigen Szenen mit dem Zeitungsjungen oder der Blumenverkäuferin, werden von der Nachtkritikerin sogar als störend empfunden oder gar nicht wahrgenommen. Das ist das Problem, dieser Inszenierung, die nur auf das Können und die Bekanntheit von Dagmar Manzel abzielt und nie wirklich an der Psychologie dieser Figur arbeitet. Minks hat vielleicht auch brav vom Blatt gespielt aber er hat keine der Figuren bewusst in den Vordergrund gestellt und so überzeugend ist die schauspielerische Güte der Protagonisten hier auch nicht.
Doch dann? Dann kam nichts mehr und auch Frau Manzel erstickte in ihren Attitüden, ratterte ganze Passagen auf einem Ton runter, technisch gekonnt - aber wen interessiert das?
Das alles war WEIT unter dem Niveau der Protagonistin, aber auch der Mitspieler.
Was ist aus dem interessanten Langhoff der 80er und 90er Jahre geworden ?
Will er noch irgend etwas erzählen oder schaut er auf den Proben einfach nur noch begeistert seinen Schauspielern zu?
Eine ziemlich masturbatorische Veranstaltung - und es kommt nach all den vielen Jahren große Sehnsucht nach ENDTATION AMERIKA auf.
Schade, ich hatte mich auf den Abend gefreut.
Spannungsbögen, Psychologie (Entwicklung der Blanche, das Hin- und Hergerissensein), eine Motivation für die Zeitversetzung, historische Relevanz: Fehlanzeige. Musikeinsatz: aufgesetzt. Blumenverkäuferin: Fragezeichen ? Dagmar Manzel schiebt diesen Abend vor sich her, und das Publikum applaudiert heftig dazu, da könnten "Zwischentöne" nicht ganz grundlos verloren gehen, denn diese Art alterströstlichen Boulevards, es sah fast so aus, als wollte der Abend darauf hinaus, daß die Dramatik des Stückes paar Jahrzehnte Historie und Lebensalter später absolut Asche wäre, gewiß wäre es auch anders, aber so ?? : Wer zu spät kommt, den bestraft die Farce!, diese Art des alterstöstlichen Boulevards scheint hier in der Tat eingefordert zu werden, und wenn das DT seine Stars erst ein Jahrzehnt hochglänzende Farcen durchgespielt wird lassen haben, so läßt sich eine Nachfolge dieses Stiles hier schon einmal erahnen . Ein prallgefülltes Haus, relativ hoher Altersdurchschnitt, vor dem Stück und in der Pause hatte das etwas von einem Taubenschlag BE. Annika Mauer muß ausdrücklich ausgenommen werden, da sie ihre Figur in der Tat ernst und facettenreich durchdekliniert..