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Superheld muss her

von Andreas Schnell

Oldenburg, 11. März 2011. Tja, was soll man bloß schon wieder machen mit dem alten Schinken? Fraglos ist der "Tartuffe" auf dem Theater eine der großen Komödien. Und so ganz hat sich seine Geschichte wohl noch nicht erledigt, in ihrer aufklärerischen Kritik an der Methode, sich ein wenig Trost durch die Religion zu verschaffen. Andererseits: Die Spitze ist der Story im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen, weil zumindest das aufgeklärte Bürgertum heutzutage natürlich viel zu aufgeklärt ist, um sich im Bürger Orgon wiederzuerkennen, der sich von dem frömmelnden Betrüger Tartuffe wider alle Warnungen seitens seiner Familie ausnehmen lässt.

Tolle Frisuren und Bonbon-Barock

Den Oldenburger Hausautor und -regisseur Marc Becker jedenfalls scheint das Stück ein wenig ratlos gemacht zu haben. Zumindest traut er ihm, vielleicht mit Recht, keine Spengkraft zu, sondern betont in seiner Inszenierung das Volksstückhafte, das er dann mit ein paar, gelegentlich selbstreferenziellen Gags ein Stückerl weiter dreht – und dann auch manchmal noch ein bisschen weiter. In stilisierten, bonbonbunten Barockkostümen und mit wirklich ziemlich tollen Frisuren ausstaffiert, spielt das Ensemble die Geschichte, die sich hier nicht recht entscheiden mag zwischen krachsolider Komik und ein paar Regiehinweisen darauf, dass man sich natürlich auch völlig klar darüber ist, was man hier veranstaltet.

Da darf dann schon einmal Valère (Michael Pietsch, zähnebleckend und schön selbstverliebt) seine Mariane (von gewissem Liebreiz: Kristina Gorjanowa) darauf hinweisen, dass sie den Stuhl gerade fälschlicherweise auf die Markierung gestellt hat. Da bröckelt immer wieder die Tünche der ohnehin schlecht sitzenden Konvention, wenn die Kinder des Orgon in Straßenjargon verfallen. Einzig Marianes Zofe Dorine (überzeugend: Caroline Nagel) scheint in dem Irrenhaus den Verstand bewahrt zu haben. Den Tartuffe selbst spielt Thomas Lichtenstein, der interessanterweise im Programmblatt fehlt, als adäquat widerwärtigen Lustmolch. Anne Eversbusch als Orgons Frau, Gilbert Mieroph als Orgon, Eike Jon Ahrens als Sohn des Hauses, Thomas Birklein als Orgons Schwager Cléante und René Schack als Gerichtsvollzieher Loyal machen ihre Sache allesamt ordentlich. Und Anna Steffens spielt Orgons sittenstrenge Mutter mit zuckender Unterlippe und auch ganz witzig, aber leider nicht viel mehr.

Ist die Komödie noch zu retten?

Am Ende rettet statt eines Abgesandten des Königs ein Kommissar (Jakob Rohde) den armen Orgon und seine Familie. Und zwar ein Kommissar, der auf dem Höhepunkt des Finales die Uniform ablegt und darunter ein hautenges Superheldenkostüm präsentiert, dessen Cape den Aufdruck trägt: "Komödienretter". Wobei das offenbar eher ein Notbehelf ist, wie Becker im Interview mit NWZ Online gesteht. Der Komödienretter werde "das Publikum wohl unbefriedigt zurück lassen", huldige aber der Komödie.

Da hat er sich allerdings in seinem Publikum getäuscht hat. Dem gefiel's. Und damit ist natürlich der völlig legitime Zweck der Komödienklassiker am Stadttheater erfüllt.

 

Tartuffe
von Molière, deutsche Fassung von Wolfgang Wiens
Regie: Marc Becker, Bühne: Peter Engel, Kostüme: Britta Leonhardt, Dramaturgie: Matthias Grön.
Mit: Anna Steffens, Gilbert Mieroph, Anne Eversbusch, Eike Jon Ahrens, Kristina Gorjanowa, Michael Pietsch, Thomas Birklein, Caroline Nagel, René Schack, Jakob Rohde, Patricia Kalis.

www.staatstheater.de

 

Mehr Tartuffe? Dimiter Gotscheff ließ in seiner zum Theatertreffen 2007 eingeladenen Hamburger Version aus Konfetti-Kanonen schießen, Matthias Hartmann interessierte sich in Zürich vor allem für die erotischen Verwirrungen, Rafael Sanchez ließ in Essen barocke Opernarien plötzlich versanden, Herbert Fritsch stürzte die Figuren in Oberhausen in expressionistische Extase und Staffan Valdemar Holm zerdehnte die Komödie in Frankfurt.

 

Kritikenrundschau

"Ist Regisseur Marc Becker der Frauenversteher des Staatstheaters?", fragt Reinhard Tschapke in der Nordwest Zeitung (14.3.2011). Er verstehe es jedenfalls, Molières Komik "auf feine, überspitzte Art ausspielen zu lassen" und nehme das Stück doch ernst. Wobei er es weder historisch rekonstruiere noch es "mit billiger Aktualisierung" ersticke. "Wichtiger sind Becker die Figuren. Sagen wir lieber: deren Macken. (...) Fröhlich und temporeich zieht man zudem alle Register der Commedia dell’arte." Überdies habe Becker Tartuffes Frömmelei gemildert und im Gegenzug "dessen kriminelle Energie erhöht. Und er hat für einen gehörigen Abstand zum Text gesorgt." Alle ironisierten hier ihr Tun, "lachen über gequetschte Reime, veralbern sich, treten putzig neben ihre Rollen, säuseln im knallroten Kitschlicht, streifen rüstig den Klamauk". Und: Das unterhält, "Zugucken macht Spaß".

Kommentare  
Tartuffe, Oldenburg: wie Slam Poetry
Es ist ein Verdienst gerade dieser Inszenierung, dass die Reimsprache Molières (bzw. der deutschen und zum Teil übers Knie gebrochenen Übersetzung)gerade bei den jungen Protagonisten wie Slam Poetry rüberkommt. Dadurch und durch die fantasievollen Kostüme, die auch auf dem Laufsteg und nicht nur auf der Bühne getragen werden könnten, gewinnt das Stück an Modernität.
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